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[ox] Re: Politik



[cc: Oekonux-Liste]

Hi Martin,

Martin Kostewa schrieb:
Zwar mag Linux bzw. freie soft"ware" keine Warenproduktion sein,
aber sie setzt die Warenproduktion voraus. Ohne einen guten pc
kann ich mir noch nicht einmal Linux installieren.
Ich kenne viele, die weder das Geld fuer einen PC noch
fuer die Telefongebuehren haben. Wenn nun also die Grundlage
fuer freie soft-ware<g> die hardware ist, die aber auf der
Ausbeutung der Ware Arbeitskraft beruht, dann entkoppelt
sich eben nur ideell ein Teilbereich (zunaechst) aus dem
Verwertungsprozess, der aber die Grundlage nur insofern
beruehrt, als dass sie eine Alternative zur "unfreien"
Soft-Ware M$ ist.

Ja, es hat sich faktisch (nicht ideell, aber unbegriffen) ein
Teilbereich entkoppelt. Damit ist faktisch eine Keimform da, ob sie
bleibt, weiss ich nicht. Das ändert nichts am Charakter der
Keimform. Eine bürgerliche Gesellschaft gab es in Oberitalien 300
Jahre vor der Durchsetzung des Kapitalismus - eine Keimform, die
wieder platt gemacht wurde. Niemand gibt uns Garantien.

Dass die "Hardware i.w.S." der nächste strategische Angriffspunkt
ist, haben Teile der Freien Softwarebewegung erkannt. Genau das
Dilemma, dass du beschreibst - Freie Software aber keine freie
Hardware - empfinden auch viele in der Freien Softwarebewegung.
Deswegen gibt es auch zahlreiche Projekte, die auf "materielle
Produkte" abzielen. Hier wird es in der Tat richtig kompliziert,
denn es geht ans Eingemachte. Ich gehe später darauf ein. Vorerst
verweise ich auf die Linksammlung zu freien Projekten, deren Pflege
zunehmend komplizierter wird, weil permanent neue Projekte
entstehen: http://www.oekonux.de/projekt/links.html

Da aber der Kapitalismus ein Hard-Core-Geschaeft ist
und M$ in weitestem Sinne Geschaefts-Soft-Ware, setzt
sich nach wie vor M$ durch. Oder gibt es da eine
Tendenzwende?

Im Serverbereich sieht M$ gar nicht gut aus, je näher an offenen
Standards, je näher am Internet, desto größer ist die Rolle Freier
Software: Das Internet basiert auf Freier Software und offenen
Standards. Im Desktopbereich ist M$ dominant, aber mittelfristig
werden die sog. Standard- und Office-Applikationen mit der
zunehmenden Verfügbarkeit Freier Alternativen "entwertet" - ob
aktuelle Meldungen
(http://www.heise.de/newsticker/data/jk-16.12.00-005/) schon darauf
zurückzuführen sind, weiss ich nicht - die Schadenfreude kann ich
mir nicht verkneifen. Langfristig gibt es kein Halten.

Doch nun noch kurz zur Linux-Distribution:
auch die linuxdistribution ist _nicht_ frei, es sei denn,
sie wird mir ueber einen Freund, eine Freundin geschenkt.

Dazu habe ich in meiner Vormail was geschrieben: Linux selbst ist
frei, zahlen musst Du für das Drumherum.

Aber auch das Geschenk, gehoert vorerst nach wie vor zur
Geschaeftemacherei des Kapitals.

Einen großen Reibach machen die bei den Peanutspreisen gewiss nicht
(ein Rundmum-Sorglos-Paket von SuSE kostet 89.- DM inkl. Handbuch
und Service für 30 Tage, bei Clonern [ein Clon ist juristisch legal,
sofern sie Freie Software betrifft] kostet es noch weniger). Aber
wie auch schon geschrieben: Das wird dir auch massenhaft
hinterhergeworfen als Beigabe zu Computermagazinen. Da habe ich
meine letzte SuSe-7.0 her, die ich auch gleich weitergab.

Die Funktion der ganzen "Geschäftemacherei" ist eher
"entwertungstypisch": Ziel ist nicht der große Profit, sondern die
eigene Bude "börsenreif" zu machen, um dort ordentlich Spielgeld
abzuziehen. Das wollte auch SuSE, diesmal wurden die
Zuspätgekommenen allerdings belohnt, weil sie nicht unters
Spielgeldmesser kamen ("Börsengang auf unbestimmte Zeit
verschoben"). Dieser ganze Kram ist der uninteressante Teil der
Freien Software. Den gibt es halt, wer das igitt findet, versteht
nichts vom Kapitalismus. Wer erklärt, Freie Software sei darunter
subsummiert, versteht es genauso wenig. Der Charakter solcher
Argumente ist im Kern moralisch.

Christian Fuchs schrieb:
Eine emanzipatorische Praxis, die eine des Produzierens von Waren ist,
ist meist eben nur eine Praxis des Produzierens von Waren und keine
emanzipatorische.

Das wäre doch eine gute konsensuelle Basis, von der aus wir
verschiedene Praxen - ob nun deine "politischen" oder meine
"ökonomischen" (resp. mit einem "Anti"-Präfix) - angucken können.

Wie kommen wir theoretisch-praktisch an "freie Hardware" (respektive
Aufhebung der Lohnarbeit) und wirklich freie Distribution? Das waere
doch eine spannende Frage.

Genau, das ist eine spannende Frage, an der eine emanzipatorische
Bewegung schlicht nicht vorbeikommt. Ich verschiebe einen
Antwortversuch auf eine spätere Mail.

Und hier noch was zu den "neuen Keimformen": ich habe den Eindruck,
dass dieser Mythos von denen vertreten wird, die den Kommunismus
ohne Revolution haben wollen. Sie wurden historisch aber bereits
widerlegt.

Der Terminus "neue Keimform" unetrstellt, es habe solche
"Keimformen" schon gegeben. Das sehe ich nicht: Es gab bisher
_keine_ Bewegung, die so erfolgreich faktisch die basalen Kategorien
des Kapitalismus zur Disposition stellt. Alles andere waren -
durchaus "erfolgreiche" - immanente Bewegungen, die partielle
Verbesserungen (deren Lasten anderswo unsichtbar blieben) mit einer
Modernisierung der Wertverwertung verbunden haben.

Ich wüßte nicht, was revolutionärer wäre, als die vollständige
Aufhebung aller Fetischformen des Kapitalismus: Ware, Geld, Markt,
Arbeit etc. Wenn das so "friedlich" abginge wie der Realsoz. seinen
Löffel abgegeben hat, hätte ich nichts dagegen.

Ciao,
Stefan

-- 
  Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
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