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[ox] [Fwd: Re: Politik]



Fwd. aus der Krisis-Liste, könnte auch hier interessieren.

-------- Original Message --------
Betreff: Re: Politik
Datum: Sun, 17 Dec 2000 12:54:04 [PHONE NUMBER REMOVED]
Von: Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org>
An: Krisis-Liste <list krisis.free.de>
Referenzen:
<Pine.HPX.4.10.10012151732580.26843-100000 stud4.tuwien.ac.at>

Hi Christian und alle,

ich hinke hinterher, versuche aber schrittweise auf deine und andere
Mails zum Thema einzugehen.

Christian Fuchs schrieb:
In der Oekonux-Liste ist virtueller Stalinismus an der Tagesordnung,
damit will ich nicht zu tun haben!

Hey, komm, wer rumholzt und Leute persönlich anpisst, muss mit
Reaktionen rechnen (die im übrigen aus _einer_ gefakten Mail
bestand). Ich habe dich stets aufgefordert, auf meine Argumente
einzugehen. Hast Du einfach nicht getan, nun gut. Dann eben hier.

In der Tat, Tauschringe, Alternativprojekte etc. sind "freier Software"
sehr aehnlich. Bei beiden unterstellen AktivistInnen, dass es eine
"bessere" Ware und eine "bessere" Kapitalakkumulation gibt, dass dies
besser sei als Monopolkaptalismus etc. Das ist die Basis von
Antisemitismus

Die Freie Software(bewegung) ist sehr heterogen. Es ist dringend
notwendig, zwischen dem subjektiven Wollen und dem realen Tun und
den Faktizitäten zu unterscheiden. Der Witz der Freien Software ist,
das die ProtagonistInnen das, was sie da tun, nicht begrifflich
fassen können, weil sich die Praxis den ganzen alten Kategorien
entzieht. Das gilt sowohl für die Fraktion, die Freie Software in
die Verwertung zurückziehen will (Raymond, Open Source Initiative)
wie für die bürgerlich-freiheitliche Fraktion, die individuelle
Freiheit durch freie Verfügung über die Software herstellen will
(Stallman, Free Software Foundation).

Ich sage nun, das Freie Software in ihrem Kern in Produktion und
Distribution wertfrei ist. Entscheidende Basis für das Aufkommen
dieser historischen Möglichkeit ist die Subversion der Intention des
bürgerlichen Urheberrechts (Copyright) durch das Copyleft.
Copyleft-Produkte sind und bleiben frei verfügbar und unterminieren
damit eine entscheidende Voraussetzung für die Verwertung:
Copyleft-Produkte sind nicht knapp. Wenn Du z.B. eine
"Linux-Schachtel" kaufst, dann kaufst Du alles, nur nicht Linux:
Service, Handbuch, bunte Verpackung, CDs - nicht aber den Inhalt,
der gehört sowieso allen oder keinem. Wer halbwegs Ahnung und eine
Leitung hat, holt sich das aus dem Internet. Oder nutzt die CDs von
dem, der sie hat, oder entfernt am Bahnhofskiosk eine Linux-CD von
einer der Zeitschriften, die da massenhaft rumliegen. "Werthaltig"
ist sozusagen das Drumherum, nicht aber die Software selbst.

In der Produktion wird die Sache noch augenfälliger, und hier liegt
auch der eigentlich spannende Bereich. Freie Software wird auf der
Basis individueller Selbstentfaltung, kollektiver Selbstorganisation
und globaler Vernetzung jenseits der Kategorien von Wert, Geld,
Markt, "Arbeit" etc. hergestellt. Hier liegt die eigentliche neue
Qualität der und der Aufschein einer Produktion und Reproduktion des
gesellschaftlichen Lebens jenseits des Kapitalismus. Das ist keine
ökonomische Keimform _im_ Kapitalismus - da stimme ich dir zu, dass
es sowas nicht geben kann - sondern es ist eine "anti-ökonomische
Keimform" in einer Nische außerhalb des Kapitalismus. Das
funktioniert nur, weil die "Schnittstelle" zur Geldgesellschaft
individuell geregelt ist: Die Hacker sind auf die eine oder andere
Weise abgesichert (als Studis, als Jobber, oder normale
Lohnarbeiter), die individuelle Reproduktion ist _nicht_ vermischt
mit der Herstellung Freier Software. Das ist ein fundamentaler
Unterschied zu Alternativ-Projekten, wo die je individuelle
Reproduktion über den - letztlich ökonomischen - Erfolg des
Alternativprojekts gesichert werden muss. Noch ein wichtiger
Unterschied ist: Alternativprojekte sind in der Regel Low-Level- und
Armutsprojekte, Freie Software-Projekte zielen auf Reichtum für alle
in einer globalen Reichtumsgesellschaft (was die Frage nach dem
Gehalt von "Reichtum" einschliesst).

Das Problem eines angeblich "postkapitalistischen" Produktes oder einer
oekonomischen "Keimform" des Kommunismus ist, dass meiner Ansicht nach
dabei saemtliche Kategorien des Kapitalismus aufgehoben sein muessten. Und
das geht eben nicht, da alles und jedes unter das Kapital subsumierbar
ist.

Es geht nicht primär um ein "postkaptalistisches Produkt", sondern
um Keimformen einer postkapitalistsichen Produktionsweise. Dabei ist
es notwendig so, dass die "Keimform" nicht die Qualität der
entfalteten Form hat. Es ist also wenig sinnvoll, von der Keimform
zu fordern, sie solle sein wie die entfaltete Form. Die Frage ist
eher, ob die Keimform die wesentlichen Bestimmungen der entfalteten
Form enthält - nur eben in unentwickelter, partieller, begrenzter,
lokaler etc. Weise.

Das setzt natürlich voraus, dass man von der Notwendigkeit von
"Keimformen" innerhalb gesellschaftlich-historischer Prozesse
ausgeht, der sich nicht bloß gleichförmig ansteigend, sondern in
Sprüngen unterschiedlicher Qualität bewegt. Dabei sind allerdings
viele (nicht alle) altmarxistischen Etappenvorstellungen der sog.
PK-PV-Dialektik über den Haufen zu werfen, bzw. theoretisch
aufzuheben. Ich betrachte also mitnichten die Realsoz. Ländern als
spezifisch andere Etappe oder gar nur "Keimform" im
gesellschaftlich-historischen Prozess. Die Kennzeichnung als
Gesellschaften nachholender Modernisierung warenförmigen Typs
trifft's es wohl am besten. Das nur am Rand.

Ich halte es für undialektisch und auch historisch-rückblickend für
absolut unausgewiesen, dass historische qualitative Umschläge
unvermittelt vonstatten gehen. Besonders gut lässt sich das für den
Übergang von den agrarischen vorbürgerlichen zur
bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft studieren. Alle Kategorien,
die in der bürgerlichen Geselslchaft bestimmend (dominant) sind,
waren - wie "keimförmig" auch immer - vorbürgerlich schon angelegt.
Sie waren nur eben in den vorbürgerlichen Gesellschaften nicht
dominant. Genau das verführt ja gerade zu den elenden
Ontologisierungen, mit denen sich Krisis verdienstvoll rumschlägt
("Das Geld war doch schon immer da").

Das Problem ist nicht, dass "freie" Software von manchen als Ware
verwendet wird (das stellst Du in Deinem Aufsatz ueber Linux & Co Freie
Software fuer... ja selbst dar), sondern dass es prinzipiell die
Moeglichkeit gibt, dass "freie" Software eine Ware wird.

Die Freie Software kann faktisch nicht Ware werden, ich kenne keinen
Fall, wo das so ist. Die Tendenz geht mit rasanter Geschwindigkeit
eher in die andere Richtung: Firmen stellen ihre proprietären
Produkte unter das Copyleft (GPL-Lizenz) und übergeben damit
faktisch das vergegenständlichte Wissen der Menschheit. Diese so
"frei" gegebene Software (Beispiele: OpenOffice/Star-Office,
verschiedene Borland-Produkte, einige Sachen von IBM etc.) ist nie
wieder warenförmig distribuierbar und produzierbar. Da kämpft also
die wertfreie Nische gegen die warenförmige dominante Welt, und die
fetten Konzerne müssen ihre Produkte entwerten, um im Kampf um die
Human-Ressources bestehen zu können. Das "Abschmelzen der Wertmasse"
durch Rationalisierung wird durch die Freie Software noch einmal
beschleunigt.

Die letzte Haltelinie in dieser Auseinandnersetzung sind die
exklusiven Verfügungsrechte proprietärer Art: Patente, Urheberrecht,
Betriebsgeheimnisse, Gesetze. Ohne diese Exklusivverfügungen würde
der Kapitalismus zusammenbrechen (meine persönliche
Zusammenbruchthese;-)) Deswegen muss IMO darum auch gekämpft werden.

Der GNU General
Public License (Anm. fuer Leute die nicht wissen was das ist: die regelt,
was "freie" Software ist) ist immanent, dass "freie" Software sich als
Ware gegen Geld tauschen kann (auch wenn der Sourcecode freigegeben werden
muss).

In der GPL steht drin, dass man für den Vertrieb der Software eine
"Gebühr" nehmen darf. Außerdem darf ich als Urheber mein
Urheberrecht an der Software verkaufen - theoretisch (und auch nur
in den USA, wo der Handel mit solchen Eigentumstiteln möglich ist -
genaueres weiss Petra). Doch wer soll sie kaufen - wenn ich
einerseits sowieso die dauerhafte Garantie der freien Verfügung habe
und andererseits eben gerade keine Möglichkeit als potentieller
Käufer habe, die Software zu reprivatisieren? Ich kenne keinen Fall,
wo das passierte. Freie Software ist faktisch dauerhaft wertlos.

Das reicht, um Interesse beim Kapital zu erwecken. Und genau das
geschieht mit Open Source, FreeBSD, usw. etc. Es werden CD-ROM-Archive mit
"freier" und nicht freier Software verkauft, damit wird
Kapitalakkumulation betrieben.

Du sprichst hier über die "halbfreien" Lizenzen (BSD, MPL, NPL
etc.), die Nicht-Copyleft-Lizenzen. Sie stellen den Versuch des oben
erwähnten "Raymond-Flügels" dar, "freie Software" wieder in die
Verwertung zu integrieren. So ist das nun mal. Zu glauben, die
Funktionäre des automatischen Subjekts legen ihre Hände in den
Schoß, wäre sehr naiv. Früher nannte man das Klassenkampf, heute
könnte man das "Entwertungskampf" nennen. Die GPL als _die_
Copyleft-Lizenz für Software (es gibt auch Copyleft-Lizenzen für
Nicht-Software) ist bislang die meistbenutzte Lizenz - einfach weil
die tätigen Hacker in der Mehrheit keine Bock auf Verwertung und
Stress haben und sie die GPL am besten davor bewahrt.

Das Problem ist, dass dies prinzipiell
moeglich ist. Und dies liegt daran, dass es innerhalb des Kapitalismus
keine Form der Produktion geben kann, die nicht als Ware unter das Kapital
subsumierbar ist. Eben weil die Warengesellschaft total ist.

Sie ist _nicht_ total. Sie hat zwar einen totalitären Anspruch, aber
denke z.B. an die abgespaltene Sphäre der "Nicht-Arbeit", der
Reproduktion. Der Totalitätsanspruch geht im Leben der Menschen
nicht auf. Jede Bewegung, die sich diesem Totalitätsanspruch
entzieht, widersetzt, Zumutungen des Systems bekämpft, faktisch
(wert-) freie Räume schafft, ist zu begrüssen. Eine Vorstellung vom:
heute knallts und morgen leben wir in einer nichtwarenförmigen
Gesellschaft (die man in "15 Minuten" konzipieren könne - wer sagte
das gleich noch?) ist IMO irreal.

Daher zweifle
ich an allen (gegen)oekonomischen Projekten und "Keimformen".
Ich hoffe, das macht meine Position etwas deutlicher.

Danke für die Verdeutlichung, ich hoffe meine Argumente sind dir
auch klar geworden.

Ciao,
Stefan

-- 
  Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
  HA II, Abteilung Datenverarbeitung
  Kanzlerstr. 8, 40472 Duesseldorf
--
  stefan.meretz hbv.org
  maintaining: http://www.hbv.org
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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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