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Re: [ox] Die Anwendbarkeit der Wertkritik in der Informationsgesellschaft



Lieber Hans-Gert Graebe,

du hast viele interessante Fragen aufgeworfen auf die ich - bei
Gefahr des Missverständnisses;-) - eingehen möchte. Wird länger. Ich
stelle dann meine Fragen und Bemerkungen zu deinem AWI-Text bei
OpenTheory noch zurück (kommt aber denäx).

Hans-Gert Graebe schrieb:
1. Ich habe hier noch nicht viel dazu geschrieben, aber ich halte, wie
wohl die meisten auf der Liste, den Selbstentfaltungsansatz für eine
sehr wichtige Komponente eines zu entwickelnden Gesellschaftskonzepts.
Gründe für eine solche Forderung gibt es viele, "Spaß haben" (also
eine psycho-sozial positiv belegte individuelle Motivationskomponente)
ist nur einer davon.

Ja, Zustimmung, "Spaß haben" ist zudem zu wenig und in unserer
Spaßgesellschaft hochgradig mißverständlich. Das "have fun" kapiert
aber jede/r in der Freien Software.

Ich sehe noch wenigstens drei weitere
Begründungskomplexe, die ich hier nur andeuten will:

a) Sozialisierung von Wissen (allgemein geistigen Gütern?) läuft so,
dass sich der (aktiv verfügbare) Wissenspool der Menschheit in
individuellen Kompetenzen manifestiert. Wenn Kompetenzen in Zukunft
eine deutlich größere Rolle spielen als Waren (darüber herrscht hier
aber keine Einigkeit), dann muss auch deutlich mehr Gelegenheit sein,
individuelle Kompetenz einzubringen. (Erwerb und Reproduktion dieser
Kompetenz ist ein weiteres Thema, das in der Liste bisher weitgehend
ausgeblendet wird.)

Zustimmung, aber es geht um beides: um den individuellen Erwerb und
die gesellschaftliche Allokation von Wissen. Meine These ist nun,
dass eine wertfreie Gesellschaft (say: GPL-Gesellschaft) eine
effizientere Wissensallokation betreiben kann als der Kapitalismus,
da Wissen nicht redundant auf Kosten jeweils des anderen (und
abgeschirmt über Patente, Lizenzen etc.), sondern kollektiv in einem
kumulativen Prozess geschaffen wird.

b) Es gibt einen Trend zu Abschaffung von Fremdbestimmung (hier ist
allerdings genauer hinzuschauen, siehe unten), der an vielen Stellen
bei Marx eingefordert wird, weil die Zeit dafür schlicht reif ist
("alle Verhältnisse umwerfen, in denen der Mensch ein niederes,
geknechtetes, verächtlich gemachtes ... Wesen ist").  Diese Forderung
der Ablösung externer durch intrinsische Motivationsformen wird
allerdings, wie ich mich im Rahmen unserer Moderne-Diskussion habe
belehren lassen, bereits bei Kant, Hegel und eigentlich in der ganzen
Aufklärung erhoben.  Also kein rein marxistischer Diskurs und auch
Poppers "offene Gesellschaft" und selbst gewisse Ansätze bei Plato
(die Popper aufgreift) gehen in diese Richtung.  Kurz, _der_ zentrale
Punkt der (philosophischen) Moderne (und die PDS täte gut daran, diese
Wurzeln aufzugreifen, wenn sie mit dem Wort 'Moderne' rumfuchtelt.
Aber seit einiger Zeit fuchtelt sie ja nicht mehr. Schade).

Also, ich kenne die PDS-Debatte nicht oder nur sehr von außen. Ich
befürchte, dass es zwischen mir und der PDS (und ggf. auch dir) eine
sehr unterschiedliche Vorstellung von "Fremdbestimmung" gibt.
PDSensens Vorstellung ist noch die altlinke Vorstellung der
"personalen Fremdbestimmung", meine ist hingegen die der "sachlichen
Fremdbestimmung". Poiniert habe ich das versucht im Aufsatz
"GNU/Linux ist nichts wert..." darzustellen: Die Kapitalisten sind
die Doofen, weil sie die Leute fertigmachen etc. Dem habe ich die
"kybernetische Wertverwertungsmaschine" als Bild für den "sachlichen
Zwang", dem wir uns alle gegenüber sehen, verwendet. Der "sachliche
Zwang" besteht darin, dass wir uns alle der Formen von Geld, Ware,
Markt bedienen müssen, um unserer Leben zu erhalten, womit wir den
sachlichen Zwang, der uns knechtet, selbst wieder reproduzieren.

So gesehen ist "personale Fremdbestimmung" vormodern und "sachliche
Fremdbestimmung" sehr modern. Auf die Idee, dass es einen Trend  zur
Abschaffung von Fremdbestimmung gäbe, kann man nur kommen, wenn man
von einer "personalen Fremdbestimmung" ausgeht. Doch das ist ein
grosser Irrtum. Das verwechselt die Erscheinung, das es (immer
weniger fassbare) Menschen sind, die andere Menschen
"fremdbestimmen" mit dem zugrundeliegenden "kybernetischen
Funktionszusammenhang", in dem die "Fremdbestimmer" auch nur Rädchen
im Getriebe sind. Wenn ich als individueller freiberuflicher
IT-Berater "selbstangestellter Arbeitskraftunternehmer" bin ("und
über sich keinen Herrn..." - Einheitsfrontlied), dann bin ich
mitnichten weniger fremdbestimmt als der/die Informatiker/in
meinetwegen bei Microsoft.

Deswegen handelt es sich auch nicht um die "Ablösung externer durch
intrinsische Motivationsformen", denn der sachliche fremdbestimmte
kybernetische Systemzusammenhang erzeugt _Zwang_ und keine
(umgangssprachlich verstandene) _Motivation_. Die *darf* ich mir
dann unterhalb des Zwangszusammenhangs dann noch selbst
"herbeischaffen", was immer weniger gelingt. Der Aufklärungsdiskurs
hat diese Verwechselung von "extrinsischer Motivation" mit "Zwang"
und von "personaler Fremdbestimmung" mit "sachlicher
Fremdbestimmung" umstandlos nachvollzogen, ja, diese Verwechselung
ist geradezu konstitutiv für die bürgerliche Gesellschaft. Wenn die
PDS das nun wiederkäut und versucht, das positiv zu besetzen, dann
kommt wie bei jeder Bewegung innerhalb der bürgerlichen Kategorien
eben nur raus: bürgerliche Gesellschaft (mit "sachlicher
Fremdbestimmung" gratis, aber die nimmt sie ja nicht wahr).

Also Zustimmung: Die "PDS täte gut daran, diese Wurzeln
aufzugreifen, wenn sie mit dem Wort 'Moderne' rumfuchtelt" - aber
bitte kritisch.

c) Es scheint eine generelle Regel zu sein, dass komplexe Systeme nach
einer Initialisierungs- und einer exponentiellen Wachstumsphase in
einen reiferen Zustand eintreten, in dem externe durch intrinsische
Motivationsformen abgelöst werden (R. Dawkings: The Selfish Gene als
exponierter Vertreter einer solchen These für die Biosphäre).
Vielleicht ist die Menschheit _gerade_ (was sind da schon 300..400
Jahre) dabei, diesen Übergang für ihre eigene Vergesellschaftung zu
vollziehen (Reich des Zwangs vs. Reich der Freiheit, geschlossene
vs. offene Gesellschaft usw.)

Solche Analogien sind mit grosser Vorsicht zur Kenntnis zu nehmen.
Da stecken so viele Abstraktionen drin, die von den inhaltlichen
Qualitäten des sich bewegenden (hier: gesellschaftlich-historischen)
Prozeses nicht mehr viel übrig lassen. Damit bewegt man außerdem
nichts. Kann so sein, oder auch nicht - es macht jedenfalls nicht
handlungsfähiger.

2. Gleichzeitig geht es darum, Wirkzusammenhänge gestaltbar zu machen,
die den kausalen Horizont solch intrinsischer Motivation weit
übersteigen.  Das ist einfach eine technologische Notwendigkeit, sonst
fliegt uns der ganze Laden früher oder später um die Ohren. Wobei
dieser zu beherrschende kausale Horizont in der bisherigen
Menschheitsgeschichte immer gewachsen ist und kein Grund besteht
anzunehmen, dass das heute und in Zukunft anders sein wird.  Ich warne
immer davor, den gestrigen technologisch motivierten Abstimmungsbedarf
mit der Elle morgiger technologischer Möglichkeiten zu messen, was ja,
nach den kybernetischen Euphorien der 60er Jahre, seit Weizenbaum auch
zum Thema "Informationsgesellschaft" nicht mehr state of the art ist.
Wenn auch weit verbreitet (habe gerade Arno Peters'
"Computersozialismus" mit viel Frust gelesen).  Selbstentfaltung muss
also ihre Ergänzung finden in neuen Formen kollektiven und
kooperativen Vorgehens.

Ja, unbedingt, doch nicht bloss als Ergänzung, sondern als
notwendiger Zusammenhang. Deswegen nenne ich als die vier wichtigen
Aspekte Freier Software, die in einer Freien Gesellschaft
verallgemeinerbar wären: individuelle Selbstentfaltung, kollektive
Selbstorganisation, globale Vernetzung und Wertfreiheit. Diese vier
Punkte bedingen einander und nur die "Selbstentfaltung"
herauszugreifen, trägt dem notwendigen Zusammenhang der vier Aspekte
nicht genügend Rechnung. Die "Selbstentfaltung" konnte sich als neue
Qualität der Produktivkraftentwicklung überhaupt erst in solcher
Weise bei der FS herausbilden, weil die anderen drei Aspekte
gleichzeitig gegeben waren (plus ein paar Bedingungen mehr).

Das war Kern meiner von Dir kritisierten Bemerkung

   > .. freilich in verkehrter negativer Form innerhalb der
   > kapitalistischen Hülle des warenproduzierenden Weltsystems:
   > nämlich als verkehrter Kommunismus der Sachen, als globale
   > Vernetzung des Inhalts der menschlichen Reproduktion; gesteuert
   > jedoch durch die blinde und tautologische Selbstbewegungsstruktur
   > des Geldes, die keinerlei sinnlicher Bedürfnislogik folgen
   > kann... (R. Kurz: Der Kollaps der Modernisierung, S. 289)
   >
   > Anders: Der kausale Horizont der Vergesellschaftungsmechanismen ist
   > schlichtweg zu eng für heutige technologische und gesellschaftliche
   > Erfordernisse.  Ich sehe allerdings auch im bisherigen Oekonux-Konzept
   > keine Ansätze, die diese Dimensionen deutlich werden lassen. "Spaß
   > haben" ist eine ebenso "blinde" Steuerkraft.

   Wie kommst Du darauf? Blind in bezug auf was? Robert Kurz macht das
   ganz klar: "... die blinde und tautologische Selbstbewegungsstruktur
   des Geldes, die keinerlei sinnlicher Bedürfnislogik folgen kann".
   Demgegenüber ist die Selbstentfaltung (was ich mal "Spaß haben"
   zuordne) genau das: Die Befolgung der "sinnlichen Bedürfnislogik".
   Eine Gesellschaft nach dieser sinnlichen Bedürfnislogik aufzubauen,
   also nach den Kriterien der _Menschen_ und nicht der _Sachen_ (Ware,
   Wert etc.), ist das Ziel - und wenn man sich die FS anguckt, sogar
   das Mittel.

Es geht nicht (nur) darum, die "blinde und tautologische
Selbstbewegungsstruktur des Geldes" abzuschaffen, sondern jede "blinde
und tautologische Selbstbewegungsstruktur", jedenfalls der Dimension,
die heute mit Geld erfasst wird.

Ja, ja, ja! Das meine ich.

Ich gebe einerseits zu bedenken, dass
'Geld' eine wichtige kulturelle 'Erfindung' der Menschheit ist, um
gewisse Wirkzusammenhänge (im Wesentlichen das Aufwand-Nutzen-
Verhältnis der produktiven Arbeit) zu operationalisieren.

Geld ist nicht gleich Geld - es kommt immer auf seine Funktion im
gesellschaftlichen Gesamt an. Es besteht ein fundamentaler
Unterschied im W-G-W vormoderner Gesellschaften, wo das Geld
wirklcih nur Mittler zwischen Waren war und nicht Selbstzweck. Genau
dieser tautologische sich gegenüber den Menschen verselbständigte
Selbstzweck liegt aber im modernen G-W-G', wobei das totalitäre aus
dem "Strich" vom G' kommt, denn am Ende der "Investition" muss mehr
Geld rauskommen als du reingesteckt hast. Deswegen wird in der
Tendenz _alles_ der "Geldvermehrung als solcher" untergeordnet:
Menschen, Natur - (fast) alles.

Die heutige wichtige kulturelle Erfindung bestünde darin, das Geld
obsolet werden zu lassen (und mit ihm den selbstzweckhaften
kybernetischen Vermehrungsmechanismus) - weil es eben gerade nicht
mehr "gewisse Wirkzusammenhänge (im Wesentlichen das
Aufwand-Nutzen-Verhältnis der produktiven Arbeit)"
operationalisieren kann, jedenfalls nicht nach
gesamtgesellschaftlich-globalen Kriterien. Die
Operationalisierungslogik des Geldes ist immer die des einzelnen
Kapitals, nicht die der gesamten, globalen Wirtschaft der
Menschheit. Die G-W-G'-Spirale ist eine Todesspirale.

Andererseits erfordert der Stand der technologischen Entwicklung die
_bewußte Gestaltung_ kausaler Zusammenhänge dieser Dimension, wenn die
Menschheit nicht in einer ökologischen und sozialen Katastrophe enden
will. Und weit ist es bis dahin nicht mehr, wenn Du Dir Bilder eines
"verölten" Regenwalds in Nigeria anschaust oder ebensolche Bilder aus
Rußland. Das erstere ist Produkt der "blinden und tautologischen
Selbstbewegungsstruktur des Geldes" (Shell korrumpiert mit seinem Geld
eine ganze Region), das zweitere auch?

Aber hallo! Und es geht nicht bloss um "Korruption" - noch mal:
keine personale Willkür, sondern sachlogischer Zwangsmechanismus.
Der herrschte in der Sowjetunion, die sich auf dem Weltmarkt
bewähren musste, genauso. Nur innerhalb ihrer "Firma" konnten sie
die "Werte" anders verteilen.

Lies Bulgakow, ein glänzender
Chronist des Rußlands der 20er Jahre, also lange vor der vollen
Entfaltung des Stalinschen Regimes, wohin reine "Selbstentfaltung",

In der Stalinschen (und auch nachfolgenden) Sowjetunion ging es
_niemals_ um die Selbstentfaltung, sondern immer um die
"proletarischen Armeen der Arbeit", die zum Zwecke der "nachholenden
Modernierung" unter die Knute eines notfalls terrorförmigen
Arbeitsregimes gezwungen werden mussten. So wurde die Sowjetunion
vom vormodernen Agrarstaat zur zeitweise "Zweiten Welt".

gepaart mit Einfalt, führt (meine Lieblingsstory: Die verhängnisvollen
Eier).  Deshalb bin ich (und andere auf dieser Liste, Ralf Krämer
hatte sogar ein Zitat vom Meister selbst - hier mal Meister = Marx -
gebracht) gegen die generelle Abschaffung von "Buchhaltung", die heute
durch Geld realisiert wird.

Die "Buchhaltung" ist ein Element in der "blinden und tautologischen
Selbstbewegungsstruktur des Geldes". Diese "Buchhaltung" hat das
Handeln der Sowjetunion nach innen und außen bestimmt - nicht
völlig, es gab immer einen voluntaristischen Anteil wie
verkehrt-"ungerechte" (siehe Mail von Petra zum
"Gerechtigkeitsbegriff"!) Handelsbeziehungen im RGW zur
Unterstützung von Kuba oder Vietnam.

Dazu habe ich mal einen interessanten Bericht zur Veränderung der
sowjetischen Außenpolitik unter Gorbatschow in einem marginalen
Kultursender (ARTE oder so) gesehen. Dort erzählten ehemalige
KPdSU-Strategen über die internen Debatten. Und die liefen alle so,
dass es sich nicht (mehr) "lohnt", in Afrika zu investieren
(Unterstützung von Rebellen), dass das Engagement in Angola nur
politische Nachteile aber keinen monetären Vorteile bringe etc. -
und das man die Außenpolitik zukünftig quasi "buchhalterisch" (mein
Wort) bemessen müsse. Gorbatschow hat also nur den letzten Rest des
Idealismus weggeräumt und der Buchhaltung Platz gemacht. Deswegen
kann man ihn auch nicht als "Verräter" bezeichnen, weil es da nichts
zu verraten gab (außer den Idealismus, mit dem man bekanntlich nicht
weit kommt).

Über Formen kann (und muss) man reden,
das Prinzip stelle ich nicht zur Disposition. Das ist auch der Kern
meiner Frage nach einer ontologischen Dimension der Wertkategorie.

Der Kern der Kritik an der vorgeblichen ontologischen Dimension der
Wertkategorie (und seiner anderen Aggregatzustände wie Ware und
abstrakter Arbeit) ist, dass hier eine Naturalisierung von
spezifischen bürgerlichen Formen vorliegt, hier also eine besondere
Erscheinung (z.B. Geld, Ware, Arbeit in der _heutigen_ Form) mit dem
Wesen überhaupt ("Geld gibts schon länger", "die Menschen haben
schon immer gearbeitet etc.") verwechselt wird. Doch was ich für das
Geld oben zeigte, gilt auch für Ware und Arbeit.

Deswegen rede ich nicht über die Formen, sondern stelle das Prinzip
zur Disposition. Unterhalb dessen ist nichts mehr machbar. Wenn es
andere nicht tun, ist das nicht mein Problem. Doch bei unseren
Debatten wird dieser wichtige Unterschied notwendig immer
durchschlagen.

Da
hat mich Franz (04 Dec) gründlich mißverstanden, denn ich will nicht
die kapitalistische _Form_ perpetuieren, sondern frage nach dem
rationalen Kern, dem kulturellen Gut oder Keim, der in diesem heute
durch und durch pervertierten Instrument steckt (kann es anders sein
in einer durch und durch perversen Gesellschaft?). 

Du perpetuierst notwendig die kapitalistische Form, wenn du dich in
den Kategorien von Ware, Arbeit, Geld etc, bewegst. Man kann dann ja
trotzdem einem Reformanspruch haben - aber eben nur Reform des
Kapitalismus an dessen Ende nur wieder Kapitalismus steht. Wenn man
das will, sollte man das ehrlich so nennen (wie Ralf Krämer z.B.).
Wenn man das nicht will, sondern die kapitalistische Form verlassen
will (wie ich z.B.), dann muss man notwendig alle kapitalistischen
Subformen, in denen die Gesamtbewegung stattfindet, auch verlassen.
Das ist doch klar wie Klosbrühe.

Ich gehe davon
aus, dass eine solche Operationalisierung die Voraussetzung für
bewußte Gestaltung und schließlich Internalisierung dieser Formen in
einem umfassenderen Wertmechanismus ist. So etwa stelle ich mir eine
"Domestizierung des Marktes" vor.

Eben so gehts nicht. Auch durch beliebige Ausweitung des
"Wertbegriffes" nicht. Das will man vielleicht heute noch in China,
aber auch das geht baden.

Es geht also bei der Selbstentfaltung nicht nur um ein individuelles
Motivationsschema, sondern um ein gesellschaftliches Verhältnis. In
unseren Emanzipationszthesen ('Emanzipation' war vorgegeben, sonst
hätte ich genauso gut 'Selbstentfaltung' schreiben können) heißt es an
zentraler Stelle

   4. In diesem Sinne verstandene Emanzipation bildet eine Einheit aus
   Freiräumen und Kompetenz, aus Vertrauen und Verantwortlichkeit.

   In diesem Begriff verbindet sich damit sowohl individuell als auch
   gesellschaftsbezogen Anspruch und Herausforderung. Die
   hauptsächliche individuelle Herausforderung besteht in der
   Aneignung und Entwicklung von Kompetenz, um Freiräume
   verantwortlich zu gestalten. Die hauptsächliche gesellschaftliche
   Herausforderung besteht in der Schaffung von Freiräumen, in denen
   kompetente Individuen Verantwortung übernehmen können, sowie von
   Bedingungen, unter denen sich Kompetenz eigenverantwortlich
   reproduzieren und weiter entwickeln lässt.

Selbstentfaltung ist ein gesellschaftliches Verhältnis (nämlich von
Bedingungen und Möglichkeiten), ok, aber ich bestehe drauf: Es geht
um _individuelle_ Selbstentfaltung. Wenn mir jemand "Freiräume" erst
schaffen muss, dann heisst das, dass es die grundsätzlich nicht gibt
und dass sie andere nicht haben. Das ist keine freie Gesellschaft.
Die Perspektive ist eine Gesellschaft, in der es keine Freiräume
gibt, weil es keine unfreien Räume gibt, in der keine Verantwortung
gibt, weil jede/r Einzelne und alle zusammen gut leben können und
das dauerhaft. Etc.

Du schreibst weiter

   Die "Blindheit" - oder besser positiv formuliert: die
   Entlastungsfunktion - die "sich-selbst-organisierende" Mechanismen
   haben, muss also erhalten bleiben. "Geld beruhigt ungemein" - der
   Spruch stimmt ja, aber nur dann, wenn du stets genug hast. Um zu
   dieser Beruhigung und Entlastung zu kommen, muss mich allerdings auf
   den Kopf stellen, gegen meine Bedürfnissen handeln und der Geldlogik
   folgen. Die Beruhigung und Entlastung bleibt in einer freien
   Gesellschaft - gerade weil es dort kein Wert, Geld und die ganze
   negative Logik mehr gibt und ich mich trotzdem wie vorher nicht um
   jeden Scheiss kümmern muss, weil gesamtgesellschaftlich die
   "sich-selbst-organisierenden" Menschen auch um meine Angelegenheiten
   mit kümmern. Wie bei der FS ;-)

Da widerspreche ich in der Tat (fast) nicht. Ich sage eben nur: "Das
ist nur die eine Seite der Medaille". Und zur anderen Seite (wo auch
ich mehr Fragen als Antworten habe) sehe ich auch nach Deiner mail im
bisherigen Oekonux-Konzept nur wenig Ansätze.  Vielleicht sollten wir
doch mal weiter über das Dreieck in "Gegenbilder 2-1" (1) nachdenken,
wie Anfang November begonnen.

Mit der anderen Seite meinst du vermutlich alle "überindividuellen"
Fragen wie Ökologie, Ernährung etc. Ich gebe ja zu, es hört sich so
ein wenig phantastisch an: Wenn wir erst mal die Selbstentfaltung
(inkl. der anderen drei zusammenhängenden Aspekte) verallgemeinert
haben, dann lösen sich diese Probleme quasi "von selbst". So wenig
wie dieser Selbstlauf besteht, so wenig ist es sinnvoll, z.B. mir
vorzuhalten: Wenn die Leute sich alle entfalten, dann gibts einen
Ökokollaps. "Selbstentfaltung" so gedacht verlängert nur die
Lebensweise des reichen Fünftels (Sechstels? Siebentels?) der
Weltbevölkerung auf die ganze Welt - in Form, Inhalt und Quantität.
Das meine und will ich nicht. Das wäre auch idiotisch, denn ich
würde mir ja selbst schaden. Stefan Mn. hat dazu in "Re: [ox]
Werttheorie und Marx-Exegese" vom 9.12. einiges geschrieben bzw.
gefragt, was ich richtig finde.

Das Verlangen nach Antworten auf solche Fragen ist ja berechtigt -
nur kann man das von Oekonux fordern? Klar, irgendwie hängt das
alles dran, aber eigentlich müssen sich hunderttausend freie
Initiativen bilden, die diese konkreten Fragen konkret beantworten.
Ich weiss nicht wie man ein Ozonloch stopft. Ich weiss, wie man
Workarounds für die nicht vorhandenen Foreign-Keys bei MySQL 3.23
baut und habe Ideen für eine Freie Gesellschaft. Mehr nicht.

Ciao,
Stefan

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