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Re: [ox] Wesen et al



Hi Bernd,

Bernd schrieb:
Es muss doch eine Dialektik zwischen Objektivitaet und Subjektivitaet
geben.

BITTE, BITTE , BITTE, BITTE, BITTE, BITTE, BITTE, BITTE :-)

Das ist IMO keine Frage, ob es die Dialektik zwischen Objektivitaet
und Subjektivitaet gibt (manche bestreiten das, anyway) - die Frage
ist aber: Wir bilden wir das in unserem Denken und den Begriffen und
Theorien ab? Das ist die wirkliche Schwierigkeit.

Ob mit gut ohne ohne, ist doch nicht entscheidend. Die Menschen
haben ihre Gründe. Diese Gründe können mir von außen betrachtet
komisch vorkommen. Ich muss schon mal fragen, um die Gründe
vielleicht nachvollziehen zu können. Auch so ein Ergebnis der
Kritischen Psychologie: Wenn es um Menschen, um Subjekte geht,
muss ich wissenschaftlich einen Standpunktwechsel vornehmen:
Ich kann die Gründe des Handelns _nicht_ von außen bestimmen,
denn Gründe sind _immer_ 'meine Gründe'. Deswegen kann ich
sinnvoll Menschen nicht von außen 'beforschen', sondern nur die
Menschen selbst können sich erforschen.

Eines ist mir nicht klar geworden. Wuerdest du behaupten
Objektivitaet bei der Beurteilung von geschichlichen Vorgaengen gibt
es nicht?

"Objektivität" bei Beurteilungen gibt es nicht, oder nur insoweit
sie objektiv die subjektive Sicht des Einzelnen darstellen. Oder wie
Du schreibst:

Ich wuerde sagen: Doch gibt es, naemlich die Gesamtheit aller
subjektiven Aussagen bilden schon mal eine objektive Groesse.

Na ja, aber was hat man davon? Das sagt doch nichts über den Gehalt
der Aussagen.

Wichtig finde ich folgende Aussage: "Objektivität" oder besser:
"objektive Realität" gibt es. Und der kann man sich annähern. Dazu
braucht man Methoden, Begriffe usw. Über den Grad der Annäherung
kann ich nicht abstimmen, sondern - letztlich - nur praktisch
klären, ob die Erkenntnisse angemessen oder unangemessen sind/waren
(du merkst: ich schreibe nicht "richtig" oder "falsch").

Ausserdem: Wenn es bei der Naturwissentschaft Objektivitaet gibt,
warum soll es dann nicht auch bei der Geisteswissentschaft
Objektivitaet geben.

Natur- und Gesellschaftswissenschaft unterscheiden sich beide da
überhaupt nicht. Beide setzen sich mit objektiver Realität
auseinander. Nur: Da der Gegenstand jeweils verschieden ist, müssen
es auch die Methoden sein, sich dem Gegenstand wissenschaftlich zu
nähern.

Die Tatsache, dass wir Subjekte Teil des Forschungsgegenstandes
sind macht es halt viel komplizierter, objektive Schluesse ueber
beobachtete Gesellschaftsvorgaenge zu ziehen.

Vorsicht! Es ist weder möglich, von der Ebene der Gesellschaft auf
die der Subjekte zu schliessen, noch umgekehrt.: Weder ist das
Handeln der Menschen durch gesellschaftliche Bedingungen
determiniert (denn sie haben _immer_ Möglichkeiten), noch sind
gesellschaftliche Prozesse als Summe der Handlungen der Menschen
begreifbar (denn "Gesellschaft" ist eine selbstständige Sphäre, die
vom konkret Einzelnen nicht abhängt).

Dann noch: Ich glaube nicht, dass man von "objektiven Schlüssen"
sprechen kann. Ich kann einen (logischen) Schluss ziehen und seine
Geltung behaupten, da er sich auf die objektive Realität beziehe.
Doch beides kann wer anderes bestreiten: "Nee, dein Schluss ist
ungültig, und eine objektive Realität gibt's nicht, denn jede/r hat
seine eigene Welt". Das sind dann die Grenzen: Hier geht's um die
philosophische Grundfragen.

Sabine:
Damit bin ich nun endlich bei meiner Alternative gelandet. Wie
angekündigt. Ich kann im Grunde nur von mir selbst ausgehen.

Hurra! Superklasse! Aber was heisst hier 'nur'? Und was heisst
hier 'kann'? Ich _muss_ - das ist die neue Qualität, die eine
neue Gesellschaft ausmachen wird, und die sich jetzt schon in der
Freien Software abzeichnet. Unbeschränktes, radikales Ausgehen
von je-mir selbst : Selbstentfaltung.

Noch eine Kritik zum "Ich kann nur von mir selbst ausgehen".
Ich hoere das als Gegenargument gegen Gesellschaftliches Engagement,
das ich immer als Verinnerlichte buergerliche
Individualisierung-Ideologie sehe. Denn dann scheint Gesellschaft
auch als nicht reformierbar von (FeministInnen,
Antirassismusaktivisten ...)

IMO ist es eine falsche Entgegensetzung, davon zu reden "von mir"
_oder_ "von der Gesellschaft" auszugehen. Darin steckt die abstrakte
Entgegensetzung von Individuum und Gesellschaft, oder wie du
schreibst: das ist die bürgerliche Individualisierungs-Ideologie.
Denn "von mir ausgehen" meint meistens, ich habe mit den anderen
nichts zu tun. Und "von der Gesellschaft ausgehen" setzt das als
hilflose "altruistische" Ideologie dagegen. IMO ist es jedoch so,
dass der Mensch _immer_ sein Leben vermittels der Gesellschaft
(re-)produziert. Es gibt nur wenige Funktionsbereiche, die nicht
gesellschaftlich sind.

Das bedeutet aber: "Von mir ausgehend zu Handeln" _ist_
gleichbedeutend mit "gesellschaftlichem Handeln". Die Frage ist also
nicht "gehe ich von mir oder der Gesellschaft aus", sondern: Was tue
ich da? Wie handle _ich_? Setze ich meine Bedürfnisse auf Kosten
anderer durch, werde ich mir damit selbst zum Feinde - oder: setze
ich meine Bedürfnisse im Interesse aller, also auch meinem Interesse
durch. Das ist schematisch gesehen dann auch der Unterschied
zwischen proprietärer und freier Software.

Noch deutlicher: Freie Software hat nichts mit Altruismus zu tun!
Auf diese Zuschreibung des "Altruismus" können nur Leute kommen, die
den Modus des "sich-auf-Kosten-Anderer-durchsetzen" eigentlich als
"normal" ansehen - nach dem Motto: "Wie kann man nur so blöd sein,
und kein Geld dafür zu nehmen. Das ist ja pure Selbstaufopferung."
So ein Unsinn!! Es ist kein "Opfer", sondern es ist ein Gewinn, sich
selbst zu entfalten. Deswegen ist der Begriff der "Selbstentfaltung"
und der damit verbundene Modus des
"ich-setze-meine-Interessen--die-allgemein-sind--mit-anderen-durch"
so wichtig.

Genauso ist auch der Begriff "Geschenkökonomie" fehl am Platze.
Geschenke macht der, der das, was er ausnahmweise mal verschenkt,
eigentlich verkauft (oder tauscht). Das Gegenkonzept zu
Geld/Tausch/Geschenk/Verteilen ist
Wertlosigkeit/Selbstentfaltung/Einfach-Nehmen. _Das_ sind
unterschiedliche Paradigmen! Die Aller-Super-Wenigsten können "ohne
Geld/Tausch etc." auch nur ansatzweise denken. Doch als die Erde
noch eine Scheibe war, konnten sie fast keiner als Kugel denken. So
ist das mit den Paradigmen eben: Wer einen Hammer im Kopf hat, für
den besteht die Welt aus Nägeln.

Man abstrahiert doch immer von sich selber, auch in der Krit. Psych.
geht man vom Kapitalismus und seinem Denken als Ganzes aus, oder?

Die Kritische Psychologie abstrahiert gerade _nicht_ von "je mir",
also vom Individuum, sondern genau umgekehrt: Sie geht radikal vom
Individuum aus. Sie ist (materialistische) Individualwissenschaft.
Das schliesst die Gesellschaft _gerade_ ein, denn die Natur des
Menschen ist seine Gesellschaftlichkeit. Die Kritische Psychologie
leistet - IMO - das was du forderst: Die reale Dialektik zwischen
objektiven Bedingungen und subjektivem Leben wissenschaftlich
abzubilden. Und das sind keine Peanuts, das ist schwer zu denken...

Ciao,
Stefan

-- 
  Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
  HA II, Abteilung Datenverarbeitung
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