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Re: [ox] Proprietarismus und Sozialismus



Hi Hartmut!

Ich kommentiere mal die mir wichtigsten Punkte.

2 days ago PILCH Hartmut wrote:
Dazu gehört u.a.

* Freier Fluß von Gedanken
* ein gewisses Maß an Wohlstand
* die Möglichkeit Freier Vernetzung
* Freie Zeit und Energie der Handelnden
* ...sicher noch mehr...

Hieraus sollte man nicht folgern, dass etwa die Freiheit vom Zwang zum
Prinzip "Lebenschance gegen Leistung" der Kultur besonders foerderlich
ist.

Es koennte auch umgekehrt so sein, dass sich manche grosse Leistung erst
dort entfaltet, wo man gegen diese Last der Zivilisation ankaempfen und
sich freischwimmen muss.

Hmm... Halb und halb - wobei mir deine Wortwahl ("Last der
Zivilisation") nicht ganz klar ist.

Einerseits ist es natürlich immer so - und wird es immer bleiben -,
daß das Leben Herausforderungen stellt respektive ein Mensch sich
Herausforderungen suchen kann. Ob das jetzt ein besonders schönes
Rosenbeet oder eine gelungene GPL-Software ist, ist dabei zweitrangig.

Wenn allerdings die technischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten
gegeben sind, jedem Menschen qua Existenz ein auch materielles
Existenzrecht einzuräumen - warum sollte das dann nicht geschehen?
Zumindest grundsätzlich.

Sowohl fuer die persoenliche als auch fuer die gesellschaftliche
Entwicklung koennte als Prinzip gelten, dass die Freiheit zunaechst durch
Disziplin erworben werden muss.

Hmm... Auch wenn ich Disziplin auch ein nützliches Konzept finde, habe
ich damit große Schwierigkeiten: Nur wenn du einE braveR SoldatIn /
einE treueR VolksgenossIn / ein braves Kind bist, dann kriegst du
einen Lutscher. Wer entscheidet das? Du? Warum nicht ich? Warum bist
du brav? Warum ich?

Ich würde dem das Prinzip der Verantwortung entgegenstellen. Das geht
in eine ähnliche Richtung, vertraut aber dem Individuum. Verantwortung
ist dabei ein Phänomen, das erst dann auftritt wenn du den Menschen
auch den Raum dafür läßt - ein Grund, warum Verantwortung heute keine
verbreitete Tugend ist.

Dein Konzept zerstört Verantwortung weil die Richtschnur für das
Handeln von außen kommt und nicht von innen.

BTW: Mir sind auch allgemein freie (muß wohl mit kleinem `f' ;-) )
Menschen lieber, die Verantwortung für sich übernehmen als solche, die
ständig anderen die Schuld an ihrem Unglück geben - um es mal kraß
auszudrücken.

Dieses Prinzip zu negieren ist riskant.  Damit kann man jede berechtigte
und zukunftstraechtige Sache diskreditieren.

Tja, da sind wir wohl unterschiedlicher Meinung.

Ich sehe z.B. den Ansatz der Gruenen, ein Mindesteinkommen zu garantieren,
als durchaus zeitgemaess an.  Dazu gehoert dann aber auch eine
Mindest-Arbeitspflicht.  Wer das Einkommen in Anspruch nimmt, sollte auf
einem Markt der oeffentlich ausgeschriebenen Sozialdienste eine Aufgabe
waehlen.

Das ist dann aber kein Mindesteinkommen mehr, sondern Arbeitsdienst.
Nicht unbekannt in diesem Land und Sozialhilfeempfänger kennen das
auch schon wieder. Da gibt's eine Riesenliste von Gründen, warum das
kein emanzipatorischer Ansatz ist.

Im Gegenteil:  Utopien fuehren direkt in die
Hoelle.

Dann lebst du in der Hölle: Auch die Verfaßtheit Deutschlands als
Nationalstaat war im 19. Jahrhundert eine (bürgerliche) Utopie - um
nur ein Beispiel heutiger Realität zu nennen, die früher Utopie war.

Ich unterscheide zwischen Utopien und auf realistischer
Politikeinschaetzung beruhenden Projekten.  Das Projekt Nationalstaat war
offensichtlich realistisch.  Frankreich hatte es vorgemacht, andere auch.
Auch manches, was niemand vorgemacht hat, ist realistisch.

Immerhin. Du vergißt aber, daß in Epochenbrüchen wie wir sie m.E.
momentan erleben, du mit dem alten Denken der vergehenden Epoche nicht
mehr beurteilen kannst, was in der neuen Epoche realistisch ist.
Eigentlich klar.

So war auch die Idee eines Nationalstaats durchaus eine absolut
unrealistische und träumerische Vorstellung - gerade in Deutschland
sehr schön belegbar.

Nicht
realistisch sind m.E. aber z.B. Projektionen von Ordnungsvorstellungen in
fremde Bereiche, so wie z.B.

- die Projektion des Eigentums auf die Welt der geistigen Konzepte
- die Projektion der Allmende auf die Welt der materiellen Gueter
- die Projektion der Hackerkultur auf die unqualifizierte,
  undisziplinierte und nichtskoennende Masse

Heute ist eine Welt ohne Arbeit und Geld vielleicht unrealistisch. Für
mich ist es Teil dieses Projekts hier, zu begründen, warum das mit den
mittlerweile herangewachsenen Möglichkeiten nicht mehr unrealistisch
ist.

BTW: Deine Meinung vom Souverän ist ja nicht gerade die höchste ;-) .

Das ist genau die Argumentationsschiene, die ich von den
Anarcho-Kapitalisten (noch ein Widerspruch in sich; ohne `Innen' - mir
ist noch keine entsprechende Frau begegnet ;-) ) her kenne: Das
Gesellschaftssystem sei das Beste, das die "natürlichen" Eigenschaften
"der" menschlichen Gesellschaft am besten zur Geltung bringt - oder
bei dir: die naturrechtliche Balance zu wahren.

Es ist m.E. sogar Deine Argumentationsschiene.
Du beobachtest auch, unter welchen Bedingungen Kreativitaet entsteht und
basierst politische Visionen auf einer bestimmten Anthropologie.

Aber ich argumentiere eben nicht, daß wir die GPL-Gesellschaft
brauchen, weil sie am "natürlichsten" ist. Nein, ich will die *für
mich* - sehr konkret und sehr individuell. Darüberhinaus hoffe ich,
daß sie eine Reihe Grausamkeiten in dieser Welt überflüssig macht
(Stichwort: Abschaffung des Profitprinzips) und noch dazu sehr vielen
Menschen ein nach ihren Maßstäben angenehmeres Leben zu bringen
(Stichwort: Selbstentfaltung).

Ich kann also ganz zwanglos auf die Natur und sonstige Säulenheiligen
verzichten.

Was ausser dem Eigentum gibt es denn noch an
vermittelbaren Ordnungsprinzipien?

Eigentum ist nicht besser vermittelbar als irgendein anderes
Ordnungsprinzip. Wenn es so einfach zu vermitteln wäre, dann bedürfte
es nicht eines riesigen (staatlichen) Gewaltapparats um dieses Prinzip
zu schützen. Eigentum wie wir es kennen, ist ein
historisch-kulturelles Konstrukt, das halt in unseren Zeiten weltweit
ziemlich dominant ist - gelinde ausgedrückt ;-) .

BTW: Noch ein Beweis dafür, daß Eigentum kein Naturgesetz ist: Die
Gravitation braucht keine Polizei um sich durchzusetzen.

Mal wieder viel starker Tobak -- aber immerhin wird hier ja recht gewagt
diskutiert und es koennten am Ende realistische Visionen rauskommen, wenn
man nichts zu denken scheut.

In diesem Sinne :-) .


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan


----------------------
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