Message 01026 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT01012 Message: 3/37 L1 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] das Wesen des Menschen



Hallo Sabine, Hartmut und Liste,

mit einiger Erleichterung habe ich Deine Mail, Sabine, gelesen, denn
sie spricht den Punkt an, den du, Hartmut, _total_ vermischst: Der
"allgemeine Mensch" und der "konkrete Mensch unter bürgerlichen
Verhältnissen". Hartmut, du schliesst permant vom letzteren auf
ersteren - und das ist manchmal ganz schön übel, was da raus kommt.
Es war dann auch klar, dass du Sabine widersprichst - doch deine
Ausflüge in die antike Geschichte sagen überhaupt nix aus. Deine
krude Logik: Mensch heute Arschloch, Mensch damals Arschloch ->
Mensch genuin Arschloch. (genuin = per Geburt)

Und es ist folgerichtig, wenn Du meinst, Hartmut, "dass die Freiheit
zunaechst durch Disziplin erworben werden muss", um somit einen
Arbeitsdienst zu fordern (bei Dir: "Mindest-Arbeitspflicht" in der
Mail v. 12.10. "Proprietarismus und Sozialismus"). Und schreibst
dann: "Ich unterscheide zwischen Utopien und auf realistischer
Politikeinschaetzung beruhenden Projekten." NEIN DANKE zu diesem
"Realismus"! In meiner Sicht geht es hier um emanzipatorische vs.
anti-emanzipatorische Einschätzungen. Um Abschaffung von Arbeit vs.
Arbeitsdienst.

Einige Unterstreichungen und Differenzierungen zu Deinem Text,
Sabine. 
sabine.nuss freenet.de schrieb:

Urteile darüber, wie der Mensch an sich so ist und/oder wie er
reagieren würde, wären wir in einer anderen Welt, entstehen hier
durch Anschauung der real existierenden Welt, in der wir leben. Es
wird also beobachtet, aha, so und so sind die Leute um mich rum,
und dann wird auf eine seltsame Weise geschlossen, dass die
Leut' eben so sind und in anderen sozialen Systemen dann ebent
auch so wären. Es wird also von einem Ergebnis eines Prozesses
auf eine Art Natur des Menschen geschlossen. Um es noch
komplizierter zu sagen: Es wird ein Ergebnis als Gegeben
vorausgesetzt und als Basis weiterer Gedanken genommen.

Dick unterstrichen - der regelmäßige Fehler.

Dabei haben wir doch alle eine Ahnung davon, dass die Leute in
unterschiedlichen historischen Epochen unterschiedlich drauf sind
und waren. Ich wills mal einfach festhalten: "Den Menschen an
sich" gibt es nicht. So. Und noch was: "Die Natur des Menschen"
auch nicht. Was übrigens das gleiche ist. Das sind alles
Konstrukte, die dadurch entstehen, dass man die Welt nimmt wie
sie einem so daher kommt oder wie sie erscheint und diesen
Schein, der wird dann als in Stein gemeißelt wahrgenommen, oder
sagen wir als "Natur" interpretiert.

Den "allgemeinen Menschen" oder "Menschen-an-sich" gibt's als
Realphänomen nicht. Aber - und das halte ich für eminent wichtig -
es gibt den "allgemeinen Menschen" als Begriff, als Kategorie, als
analytisches Denkmittel, und je mehr Klarheit wir darüber haben,
desto weniger unterläuft uns die o.g. Vermischung.

Analytisch (nicht empirisch) kann ich also schon so eine Aussage
machen: Die Natur des Menschen ist seine Gesellschaftlichkeit.

Ich will halt nochmal doch das alte Ding mit dem "Das Sein
bestimmt das Bewußtsein" bemühen, wobei ich überzeugt bin,
dass auch das "Bewußtsein bestimmt das Sein" mit dazu gehört
(nicht ausschließend, sondern wechselwirkend). Dies zu denken
dürfte nicht schwerfallen, schließt aber Sätze wie "die Leute
würden dann mehr mitnehmen, als sie wollen", oder "die wären
dann faul oder aggressiv" völlig aus. Es geht wirklich nicht, dass
hier zu beobachtende Verhaltensauffällgkeiten von Leuten
ahistorisch ins zeitlose, naturhafte Wesen des Menschen hinein
gedacht werden. Da landen wir im Nichts oder in Ideologie. Es läßt
sich schlicht nichts (!!!) sagen, darüber, wie der Mensch wäre wenn.

Nicht empirisch, kategorial aber schon. Und das muss notwendig
allgemein sein. Es enthält aber immer eine Aussage darüber, was der
Mensch nicht ist (genuines Arschloch) - und das ist wichtig.

Ich hoffe, ich habe damit nun die Grundlage für Spekulationen, wie
der Mensch so ist oder wäre, entzogen.

Ich hoffe inständig, - sorry, muss ich so deutlich sagen - Hartmut,
von Deinen Anthropologisierungen verschont zu bleiben. Wenn Du
frustriert bist über so manchen real existieren Menschen, kann ich
das nachvollziehen. Aber nicht mehr, in verallgemeinerter Form hier
wiedergekäut immer wieder dargestellt zu bekommen, wie schlecht die
Menschen seien. Das bringt auch nix....

Nun zu Stefan Meretz: Natürlich impliziert der Gedanke von
Selbstentfaltungskräften, die irgendwie dem Menschen innewohnen
und hierzulande gebremst werden oder auch nicht mehr gebremst
werden - wie auch immer - auch eine Art Naturhaftigkeit. (Erinnert
mich ein wenig an das Gattungswesen in den Frühschriften von
Marx, in denen er auch immer mit irgendwelchen Wesensanlagen
oder -kräften des Menschen rumfuhrwerkte). Aber ich glaube, da
wurdest Du missverstanden. Oder?

Ja. "Selbstentfaltung" ist für mich nicht "angeborene Natur" des
Menschen - um das deutlich zu sagen.

Du denkst sicher daran, dass
bestimmte Verhältnisse bestimmte Entfaltungsmöglichkeiten
besser generieren können, als andere.

Nein, denke ich - so formuiert - nicht. Denn: Die "bestimmten
Verhältnisse" sind ja keine den Menschen gegenüberstehenden
unvermittelten Angelegenheiten (trotz meines Bildes von der
"kybernetischen Wertverwertungsmaschine"), sondern durch Teilhabe
stellen _wir_ diese Bedingungen und damit die Möglichkeiten ja
selbst her. Es waren ja keine abstrakten zufälligen Bedingungen, die
- pardauz - die Freie Softwarebewegung auf die Welt brachten.
Sondern diese Bedingungen wurden von der entstehenden Freien
Softwarebewegung selbst hergestellt. Dies natürlich nicht im
luftleeren Raum, sondern vor dem Hintergrund vorhandener Bedingungen
- klaro. Zwischen Bedingungen und Möglichkeiten herrscht keine
einseitige Beziehung ("die Verhältnisse bestimmen die
Möglichkeiten"), auch nicht eine "sowohl-als-auch-Beziehung",
sondern eine dialektische Beziehung (vielleicht grob als
"Entwicklungsbeziehung" übersetzbar).

Wobei ich da auch wieder
einschränkend sagen würde, dass diese Verhältnisse, wie auch
immer wir sie definieren, immer nur eine notwendige, nie aber eine
hinreichende Bedingung wären. Es gehört halt auch das
Bewußtsein dazu, nicht nur das Sein.

Das klingt für mich deswegen komisch ("sowohl-als-auch"), weil Sein
und Bewußtsein sowieso ja immer da sind, und das nicht nur als
statischer Fakt, sondern in einer hochdynamischen
Entwicklungsbeziehung befindlich. Nimm nur diese Liste: Was haben
wir hier alles schon Neues _gedacht_ - nur deswegen, weil die Freie
Software (deren Teil wir ja teilweise auch praktisch sind) etwas
Neues _gemacht_ hat. Zugespitzt: Oekonux war vor 10 Jahren nicht
_denkbar_.

Das Bewußtsein aber wäre
ein Wille zur Entfaltung, ein Wille zu einer anderen Welt, um mal
große Worte zu bemühen, es gibt halt leider keinen noch so gut
durchdachten Mechanismus, der die schöne Welt quasi von alleine
hervorzaubert. Man kommt halt nicht drum rum: Ein politisches
Wollen brauchts schon.

Der Witz der Freien Softwarebewegung ist, dass sie etwas wirklich
Neues _ohne_ politischen Willen, oder bestenfalls vor einem
allgemeinen Hintergrund eines "Freiheitsbestrebens" (Stallman)
geschaffen hat. Das ist - so meine These - kein Zufall, sondern
liegt in der Entwicklungslogik menschlicher
Produktivkraftentwicklung. Da habe (nicht nur aber auch) ich dann
vertieft drüber geforscht, und es wurde glasklar, dass das, was dann
"Selbstentfaltung" genannt wurde, die _letzte_ verbliebene,
qualitative Ressource der Produktivkraftentwicklung darstellt (nach
Natur und Mittel/Technik). Will ich nicht repetieren. Kann z.B.
unter http://www.opentheory.org/proj/gegenbilder nachgelesen werden,
ist dort eingeflossen.

Man sieht das auch daran, dass die "Selbstentfaltung" in bestimmten
Bereichen (auch wieder kein Zufall: im IT-Bereich v.a.) auch unter
entfremdeten, kapitalistischen Bedingungen möglich ist: Sehr
weitgehend bei Freier Software, eingeschränkt in Privatfirmen. Das
haben wir dann "Entstehen von Keimformen des Neuen im Alten"
genannt. Denn eins ist auch klar: Selbstentfaltung und
(Selbst-)Verwertung schliessen sich aus.

Freie Softwarebewegung macht also nicht was völlig anderes, was
völlig abseitiges, sondern nur das historisch angesagte in der
entfaltesten Weise. Deswegen sind Hacker und Co keine besseren
Menschen, sondern es sind einfach diejenigen, die die entfaltesten
technischen Mittel mit ihrer eigenen Entfaltung verbinden.

Wenn Du so willst, liegt dem auch eine "Sein-Annahme" über den
Menschen zugrunde, nämlich: Jeder Mensch möchte einfach ein gutes
Leben haben. Die Revolutionäre sind die, die das in
radikalst-möglicher Weise umsetzen (jetzt gibt's Dresche...,
Christoph?)

Ciao,
Stefan

-- 
  Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
  HA II, Abteilung Datenverarbeitung
  Kanzlerstr. 8, 40472 Duesseldorf
--
  stefan.meretz hbv.org
  maintaining: http://www.hbv.org
  private stuff: http://www.meretz.de
--

----------------------
http://www.oekonux.de/



[English translation]
Thread: oxdeT01012 Message: 3/37 L1 [In index]
Message 01026 [Homepage] [Navigation]