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Re: [ox] Proprietarismus und Sozialismus



Hi Hartmut!

Puh, starker Tobak!

Ich versuche mal, ein paar Sachen herauszuarbeiten und vielleicht auch
das eine oder andere im Oekonux-Kontext zu denken.

Last week (7 days ago) PILCH Hartmut wrote:
M.E. ist der Gemeineigentumsbereich bisher von Schutzrechten unbesetzt,
und das Patentwesen draengt deshalb dorthin vor, obwohl es dorthin nicht
passt.

Das wäre nur eine kapitalismus-typische Bewegung, (überkommene) Teile
der Gesellschaft, die noch nicht der Verwertung in seine
(kybernetische) Maschinerie einzubeziehen und damit seine Märkte ein
weiteres Mal auszudehnen.

In Zeiten, in denen es keine realen (d.h. materielle Waren-)Märkte
mehr gibt, die unter Bedingungen der Profitmaximierung noch zu
verwerten wären, ist es naheliegend, daß die ideelle
GesamtkapitalistIn mal wieder nach einem noch unverwerteten Stück
Gesellschaft sucht.

M.E. ist fuer den Gemeineigentumsbereich eigentlich eine entschlossene
gemeinschaftliche/staatliche Foerderung notwendig.  Eigentumsrechte
funktionieren dort entweder gar nicht oder sind mit hoechster Behutsamkeit
einzurichten, wie beim Logileg-Entwurf vorgeschlagen.

Ich möchte mal die Frage aufwerfen, inwieweit bei Gemeineigentum
eigentlich von Eigentum im engeren Sinne die Rede sein kann. Die
Verfügungsgewalt - ein Aspekt von Eigentum - ist (irgendwie)
gemeinschaftlich organisiert, aber wesentliche Aspekte privaten
Eigentums - z.B. die Profitmaximierung - sind beim Gemeineigentum in
aller Regel gar nicht erwünscht. Vielmehr geht es oft darum, der
Gemeinschaft eine allgemeine Infrastruktur zur Verfügung zu stellen,
was im Zweifelsfall auch defizitär sein kann (jedenfalls war das mal
so (aber die Bundeswehr wirft auch heute noch keinen Gewinn ab - merkt
das denn keiner von den Neoliberalen und schafft sie endlich ab ;-) )).

Ich verstehe sehr wohl die Klagen all derer, die das Ende eines Mozart im
Armengrab ungerecht finden und in der Utopie des Proprietarismus das Heil
suchen.  Ich gehe aber nur noch weiter:  das Eigentumsprinzip foerdert
nicht die wirklich grossen Leistungen, wie man etwa auch am Zustand der
Kultur heute, 200 Jahre nach Mozart, sieht.

Vielleicht können wir das sogar soweit verallgemeinern: Herausragende
Leistungen sind relativ unabhängig vom finanziellen Anreiz. Das ist
natürlich ein Schlag ins Gesicht der ganzen Marktradikalen, aber das
tut mir gar nicht leid ;-) . Bestes aktuelles Beispiel dafür ist die
Freie Software, aber auch in der Wissenschaft wird nicht wegen der
"Spitzengehälter" hervorragendes geforscht.

Ist das Kriterium also herausragende Leistungen - die heute fast immer
übrigens neue Informationen zu sein scheinen -, so könnten wir
festhalten, daß das Prinzip Lebenschancen gegen Leistung - vulgo:
Lohnarbeit - sicher nicht das beste Prinzip ist. Vielmehr müßten die
Bedingungen, die in Freier Software und Wissenschaft die Grundlage
bilden, gefördert werden.

Dazu gehört u.a.

* Freier Fluß von Gedanken

* ein gewisses Maß an Wohlstand

* die Möglichkeit Freier Vernetzung

* Freie Zeit und Energie der Handelnden

* ...sicher noch mehr...

Im Gegenteil:  Utopien fuehren direkt in die
Hoelle.

Dann lebst du in der Hölle: Auch die Verfaßtheit Deutschlands als
Nationalstaat war im 19. Jahrhundert eine (bürgerliche) Utopie - um
nur ein Beispiel heutiger Realität zu nennen, die früher Utopie war.

Aber die Ecke links unten im Schema ist eher die des naturrechtlichen
Gemeineigentums, die rechts oben die des naturrechtlichen Privateigentums.

There is no such thing like Naturrecht. Das ist m.E. schon ein
Widerspruch in sich selbst. Recht ist ein fundamental kulturelles
Etwas und Kultur ist eben nicht Natur.

Schon gar keinen Sinn macht es dann von "naturrechtlichem x-eigentum"
zu sprechen.

Ich kann nur wiederholen, was ich hier schon ein paar mal erwähnt
habe: Wenn jemensch in seiner Argumentation anfängt, die Natur zur
Hilfe zu nehmen, dann ist praktisch sicher, daß dieser Mensch eine
Ideologie verbreiten will.

Politische Systeme wie z.B. die Demokratie sind wiederum nach ihrer
Faehigkeit zu messen, die naturrechtliche Balance zu wahren, d.h. dem
Eigentum und den Menschenrechten ebenso zu ihrer Geltung zu verhelfen wie
der gemeinschaftlichen geistigen Sphaere und der Kultur.

Das ist genau die Argumentationsschiene, die ich von den
Anarcho-Kapitalisten (noch ein Widerspruch in sich; ohne `Innen' - mir
ist noch keine entsprechende Frau begegnet ;-) ) her kenne: Das
Gesellschaftssystem sei das Beste, das die "natürlichen" Eigenschaften
"der" menschlichen Gesellschaft am besten zur Geltung bringt - oder
bei dir: die naturrechtliche Balance zu wahren. Nach dem oben
Erwähnten ist das natürlich völligster Humbug.

Es ist nicht einfach, eine
Mehrheit der Bevoelkerung davon zu ueberzeugen, dass fuer eine geistige
Allmende Pflichtbeitraege erbracht werden muessen.

Früher - als es noch mehr Gesellschaftlichkeit gab, der Anhang von
Christoph in dem Forward, das ich vorhin geschickt hatte, hat an der
US-Gesellschaft verdeutlicht was ich meine - früher war es einfacher
zu vermitteln, daß für die Zwecke der Allgemeinheit auch jedeR einen
Beitrag zu leisten hat. Aber in Zeiten, in denen der größte
Steuerhinterzieher als Superheld gilt, ist das natürlich anders.

Staatsdiener schmieren dem Souveraen aber lieber Honig um den Bart und
machen ihm weis, Adam Smiths unsichtbare Hand werde schon alles regeln.
Die regelt aber nur den Bereich rechts oben.  Was Smith durchaus wusste.

Genau. Weswegen z.B. die Bahnen und die Posten zu Beginn der
bürgerlichen Gesellschaften i.d.R. verstaatlicht und damit quasi in
Gemeineigentum überführt worden sind.


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan


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http://www.oekonux.de/



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