Message 00744 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT00720 Message: 8/9 L4 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] geistiges Eigentum



Hi Franz,

"Franz J. Nahrada" schrieb:
1. Es gibt keine explizite Kultur kooperativer geistiger
Arbeit. Die impliziten Strukturmerkmale des "genialen"
(brrr!) open-source Prozesses müssen explizit gemacht
werden. Was sind, um so einen Pleonasmus zu bemühen,
die guten Güter? Eine lustige Heirat von Ethik und Materialismus!

Es gibt natürlich Kulturen kooperativer geistiger Arbeit - auch
unter den Bedingungen des Geldmachenmüssens. Sie ist nur immer
wieder durchsetzt von konkurrenzförmigen Strukturen und
entsprechendem Verhalten der kooperierenden Menschen. Also eine Art
eingeschränkte, immer wieder zurückgenommene Kooperation.

Das ist bei Freier Software prinziell anders, obwohls u.U. um die
gleichen Menschen geht. Der Grund dafür ("impliziten
Strukturmerkmale") ist eine reale Win-Win-Struktur, also die
Tatsache, das die eigene Selbstentfaltung nicht auf Kosten anderer
stattfindet, sondern im Gegenteil, allen zu Gute kommt. Also eine
Art befreiter, potentiell unbeschränkter Kooperation. "Prinzipiell"
heißt nicht in jeder Sekunde und in jedem Projekt.

Mit "gute Güter" kann ich nix anfangen, denn m.E. hat das Ganze nix
mit der Art der Güter zu tun, sondern nur mit den strukturellen
Bedingungen der Kooperation. Und Ethik ist eh Quatsch.

2. Wie unterscheiden sich solche Guten Güter vom heutigen
ISO-9000 Kanon? Es ist ja wohl klar, daß der ganze
Überbau zum Qualitätsmanagement nicht unberührt sein
kann von einer Gesellschaft, die den informationellen
Anteil der planend-algorithmischen Tätigkeit bewirtschaftet,
das heißt Knappheitsschaffung und Nötigung in ihre Produkte
einbaut?

Die Knappheit als notwendige Bedingung für die Verwertung von Waren
spielt überall eine Rolle. Um Knappheitsschaffung und Nötigung gehts
also überall und immer im Kapitalismus. Der Bezug zum
Qualitätsmanagement ist mir nicht klar.

3. Wer soll überhaupt ein Interesse an der Aufhebung der
ganzen Scheiße haben?

Ich - und das ist erstmal entscheidend.

Solange wir in dem lustigen Widerspruch
leben, daß wir unser Einkommen und unsere Lebensgrundlage
aus dem Funktionieren des Marktsektors herleiten, wird
die Versuchung des geistigen Eigentums so übermächtig sein
wie Du es beschreibst.

Der Widerspruch ist überhaupt nicht lustig, sondern äußerst ätzend.
Und ich habe die Erfahrung gemacht und kann das inzwischen auch sehr
gut begründen, dass es die individuelle Selbstentfaltung nur
außerhalb der Verwertung gibt. Diese Erfahrung (noch nicht die
begriffliche Reflexion) ist auch in der Freien Softwarebewegung
vorhanden. Das hat sie vielen abstrakten Freiheitstheorien voraus.

Deswegen ist die Frage des kooperativen Kreislaufschlusses und
der genossenschaftlichen Produktionsweise so wichtig: erst diese
Perspektive erlaubt überhaupt einen archimedischen Punkt zu
finden, von dem aus die Marktrationalität angegriffen werden kann.

Meinst Du damit das sukzessive Heraustrennen von produktiven
Zusammenhängen aus der Verwertung? Das finde ich richtig, die Frage
ist nur, ob und wie es gehen kann: Geldbeziehungen nach außen und
Selbstentfaltung im Innern. Die Freie Software steht demgegenüber
fast völlig getrennt neben den Verwertungszusammenhängen, es gibt
wenig Geldbeziehungen nach "draußen". Auf Freie Software ist keiner
existenziell angewiesen. Dennoch, die Frage ist interessant: Wie war
das mit den Genossenschaften?  Warum mußten sie scheitern, wie waren
die Bedingungen? Sind die Bedingungen heute anders (Stichwort:
Rückgang des "operativ-materialisierenden" Aspekts in der
Produktion)?

PS: nicht ganz zusammenhängende und unausgegorene Anmerkung:
"Arbeitsgesellschaft" und "Eigentumsgesellschaft" sind letztendlich
Synonyme: die Vorstellung einer "Aneignung von Natur durch Arbeit"
begründet  die ganze Eigentumsordnung.

Da schmeisst Du den Aneignungs- und den Eigentumsbegriff in einen
Topf: "Aneignung" bedeutet nicht "zu-Eigentum-machen", sondern eher
"zu-Nutze-machen". Diese Nutzung kann exklusiv, privat sein (dann
ist sie mit Eigentum verbunden), sie kann aber auch inklusiv und
allgemein sein (dann ist Eigentum unsinnig).

Hier fehlt mir einiges noch bei der
Krisis, was durch Unsinn  wie "Arbeitssucht" etc. kaschiert wird.
In diese Richtung zu denken erschiene mir lohnend. Vielleicht hat
Marx den Arbeitsbegriff der Liberalen nicht nur unzureichend
kritisiert, sondern auch ein Trojanisches Pferd in die Kritik der
politischen Ökonomie mitaufgenommen. Es wäre Zeit, endlich
den Deckel aufzumachen.

Wer da "Arbeit" eigenartig versteht, ob Marx oder Krisis, ist für
mich noch immer unklar. Bald mehr unter
http://www.opentheory.org/proj/fetisch-arbeit.

Ciao,
Stefan

-- 
  Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
  HA II, Abteilung Datenverarbeitung
  Kanzlerstr. 8, 40472 Duesseldorf
--
  stefan.meretz hbv.org
  maintaining: http://www.hbv.org
  private stuff: http://www.meretz.de
--

----------------------
http://www.oekonux.de/



[English translation]
Thread: oxdeT00720 Message: 8/9 L4 [In index]
Message 00744 [Homepage] [Navigation]