Message 00661 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT00641 Message: 5/6 L2 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] GPL-Gesellschaft kapitalismuskompatibel?



Hi Christoph et al.,

Christoph Reuss schrieb:
Stefan Meretz schrieb:
[...dass Menschen sich ihre Broetchen ... *verdienen* muessen...]
Dahinter steckt die Vermutung, dass man Menschen zur Arbeit zwingen
muss, sonst wuerden sie nix tun (Wer nicht arbeitet, soll nicht essen).
Auch hier hat die FS-Bewegung gezeigt, dass dem so nicht ist.

Naja, die FS-Bewegung hat nur gezeigt, dass eine ganz bestimmte Sorte von
Menschen (Freaks) eine ganz bestimmte Sorte von Arbeit (FS-Programmierung)
freiwillig tut.  Ob das auf alle Menschen (oder auch nur die Mehrheit) und
alle Arbeiten (oder auch nur die Mehrheit) verallgemeinerbar ist, ist des
Pudels Kern dieser Debatte (GPL-Gesellschaft), der noch nicht befriedigend
aufgeweicht wurde...

Diese Aufweichung ist schwierig, weil wir darüber diskutieren (müssen),
wie denn Menschen "so sind".

Die Verallgemeinerbarkeit scheint recht unwahrscheinlich, wenn man bedenkt,
wie klein und speziell (unrepräsentativ) die obengenannten 'Sorten' Mensch
und Arbeit (bzw. Produkt[-kopierbarkeit]) für die Gesamt-Gesellschaft sind

Ich behaupte: Die Menschen in der FS-Enklave sind ganz normale Menschen
wie Du und ich, mit ganz normalen Macken und vielen Potenzen. Wir neigen
dazu, die real beobachtbaren Erscheinungen menschlichen Verhaltens den
Menschen als Eigenschaft zuzuschieben (gefüttert von Pseudo-Experten und
einer Scheiss-Psychologie). Das ist imho nicht nur reaktionär, sondern
einfach falsch. Grundsätzlich kann jeder Mensch FS-Entwickler/in werden
- oder sonstwo Freiheit erobern. Grundsätzlich!

Daß alle
Leute etwas Nützliches tun sollen, wurde nie behauptet, stattdessen,
daß sie das tun sollen, was ihnen Spaß macht, was unter Umständen
nützlich sein kann. Das tolle ist an den bisherigen Überlegungen,
selbst wenn die Leute in der Mehrheit nichts besseres zu tun haben,
als den ganzen Tag Achterbahn zu fahren, bis sie kotzen müssen,
funktioniert die GPL-Gesellschaft trotzdem.

Das ist eben die grosse Frage.  (Achterbahnfahren dürfte noch eines der
harmloseren Beispiele sein für die dann mehrheitlich resultierenden
"Tätigkeiten"...)  Natürlich produziert der gegenwärtige Konsumterror
viele unsinnige und (umwelt/sozial-)schädliche Dinge, aber auch wenn
man die weglässt, bleiben doch noch viele Arbeiten, die nicht attraktiv
und/oder nicht kreativ sind, aber für eine "funktionierende Gesellschaft"
(oder auch nur funktionierende Infrastruktur) dennoch nötig sind.

Auch in der FS gibt's eine Reihe von wahrscheinlich ziemlich
langweiligen Tätigkeiten, die trotzdem gemacht werden, weil sie jemand
wichtig findet, weil jemand seinen Namen drunter setzen will, weil sonst
die Weiterentwicklung hängt, weil ... sonstwas. Mit anderen Worten:
Jedes gesellschaftliche Problem (Bedürfnis) findet auch seine
gesellschaftliche Lösung - sonst ist es schlicht kein Problem, kein
hinreichend großes Bedürfnis.

Zu meinem früher erwähnten Beispiel der Lastwagenfahrer zur Belieferung
der "kassenlosen Supermärkte" schrieb Stefan Merten:  (am 4.4.)

Lastwagenfahrer finde ich übrigens ein hervorragendes Beispiel von
sinnloser Vernichtung von Arbeitskraft. Wenn ich mir alleine vor Augen
halte, wieviele Menschen Waren auf LKWs durch die Lande fahren, die
auf schienengebundenen Transportmitteln sicher mit viel weniger
Personal transportiert werden könnten...

Stimmt, aber da bleibt trotzdem noch genügend Bahnpersonal (und die
Lastwagenfahrer zur Feinverteilung [als "alter Oekologe" denke ich
da natürlich lieber an Transportradfahrer ;-) , aber das vergrössert
eher noch den Personalaufwand..]), wofür erstmal genügend Freiwillige
zu finden wären -- kann irgendwer Lokomotiv- oder LKW-Fahren als
kreative Selbstverwirklichung bezeichnen..?  (und das sind noch
nichtmal die unkreativsten/unbeliebtesten nötigen Arbeiten..)

Das kannst Du von aussen überhaupt nicht sagen! Für _Dich_ ist das
vielleicht keine coole Beschäftigung, für andere vielleicht schon. Und
wenn nicht, dann wird das Problem umformuliert: Nicht "Wer fährt das
Zeug", sondern "Wie lösen wir das Logistik-Problem unter
Berücksichtigung von Rahmenbedingungen, die uns wichtig sind: Umwelt,
Tätigkeitsart, Effizienz etc." Wenn man das nicht mehr monetär denkt,
kann man viel kreativer Probleme angehen, die auch viel kreativere
Lösungen erfordern, deren Lösung Leuten ihre Selbstentfaltung
schlechthin bedeutet. Andere finden am Computer hocken und Software
entwickeln die total-danebenste Sache der Welt - aber sie passiert doch!

Ciao,
Stefan

-- 
  Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
  HA II, Abteilung Datenverarbeitung
  Kanzlerstr. 8, 40472 Duesseldorf
--
  stefan.meretz hbv.org
  maintaining: http://www.hbv.org
  private stuff: http://www.meretz.de
--

----------------------
http://www.oekonux.de/



[English translation]
Thread: oxdeT00641 Message: 5/6 L2 [In index]
Message 00661 [Homepage] [Navigation]