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Verallgemeinerungen (was: Re: [ox] GPL-Gesellschaft kapitalismuskompatibel?)



Hi Christoph und Liste!

Auf deine Mail möchte ich doch nochmal eingehen. Ich finde das eine
wirklich wichtige Frage.

6 days ago Christoph Reuss wrote:
Stefan Meretz schrieb:
[...dass Menschen sich ihre Broetchen ... *verdienen* muessen...]
Dahinter steckt die Vermutung, dass man Menschen zur Arbeit zwingen
muss, sonst wuerden sie nix tun (Wer nicht arbeitet, soll nicht essen).
Auch hier hat die FS-Bewegung gezeigt, dass dem so nicht ist.

Naja, die FS-Bewegung hat nur gezeigt, dass eine ganz bestimmte Sorte von
Menschen (Freaks) eine ganz bestimmte Sorte von Arbeit (FS-Programmierung)
freiwillig tut.  Ob das auf alle Menschen (oder auch nur die Mehrheit) und
alle Arbeiten (oder auch nur die Mehrheit) verallgemeinerbar ist, ist des
Pudels Kern dieser Debatte (GPL-Gesellschaft), der noch nicht befriedigend
aufgeweicht wurde...

Aber du stimmst zu, daß wir an einer Aufweichung arbeiten? Na, sonst
wärst du vermutlich nicht mehr hier ;-) .

Die Verallgemeinerbarkeit scheint recht unwahrscheinlich, wenn man bedenkt,
wie klein und speziell (unrepräsentativ) die obengenannten 'Sorten' Mensch
und Arbeit (bzw. Produkt[-kopierbarkeit]) für die Gesamt-Gesellschaft sind
(ja, auch für künftige..).

Daß die Tätigkeit der Programmierung eine spezielle ist, die eben auch
- im Gegensatz zu vielen anderen industriell nötigen Tätigkeiten - ein
erhebliches Selbstentfaltungspotential hat, wurde ja schon
rausgestellt. Ich würde das sogar auf viele Tätigkeiten an Computern
verallgemeinern. Daß solche Keimformen einer künftigen Gesellschaft
sich am Ende der kapitalistischen Ära sich entwickeln müßten, damit
stehen wir auf den Schultern von K.M. - nicht die schlechtesten m.E.
;-) .

Ok.

Deine/unsere Frage also wäre: Wie läßt sich das
Selbstentfaltungspotential, daß wir in vielen Tätigkeiten am Computer
beobachten können, auf andere gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten
(Altsprech) übertragen. Unsere bisher gefundenen Antworten gingen in
mehrere Richtungen:

* Die schiere Masse der gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten wird
  insgesamt weniger.

  Diesen Effekt führt uns der Kapitalismus in der negativen Form schon
  vor: Die (mittlerweile auch in den Metropolen) steigende
  Arbeitslosigkeit.

  In der positiven Aufhebung, wie sie hier von mir und anderen
  postuliert wird, müßte dieser Prozeß durch weitere Automatisierung
  noch beschleunigt werden.

  An dieser Stelle gibt es einen neuen, positiven Bezug auf Technik,
  den ich so nirgendwo sonst sehe. Und nicht in Form einer blinden
  Technikgläubigkeit.

* Was gesellschaftlich notwendig ist wird anders definiert.

  Wenn der Zwang zur Verwertung wegfällt, dann fallen auch einige
  Dinge weg, die im Kapitalismus noch als gesellschaftlich notwendig
  gelten können - Stichwort Werbung. Andere werden dafür eine größere
  Rolle spielen, die heute ausgeblendet sind.

  Ein Effekt dieser Umdefinition dürfte auch sein, daß nicht
  irgendwelche blinden Ziele wie Konkurrenzfähigkeit die
  Notwendigkeiten bestimmen, sondern von Menschen gesetzte wie z.B.
  den Schutz der Natur. Dies dürfte auf die Motivation der Menschen
  sich nützlich zu machen erhebliche Wirkung haben.

  Auch dies ist m.E. heute schon in NGOs - z.B. im Umweltbereich - zu
  beobachten. Dort setzen sich die Leute ihre eigenen Ziele und
  investieren erhebliche Energie dafür.

* Die Art der Tätigkeiten muß in Richtung Selbstentfaltungspotential
  verändert werden.

  Klar ist Fließband wohl für die allerwenigsten Menschen *die* Chance
  zur Selbstentfaltung. Aber auch macht uns der Kapitalismus schon
  vor, in welche Richtung es gehen müßte - auch wenn Modelle wie
  Gruppenarbeit o.ä. eingesperrt in die kapitalistischen Hülle mit
  ihren fremdbestimmten Zielen natürlich nur bedingt funktionieren
  (können).

  Im Ergebnis muß das heißen, daß Tätigkeiten menschenfreundlicher
  werden - wenn sie nicht ganz wegautomatisiert werden.

Das ist das was mir gerade so einfällt. Meinst du, daß diese Antworten
wenigstens in die Richtung einer Antwort zielen?

Ob das alles so geht ist natürlich offen - aber da sind wir sicher
alle gefragt, die o.g. Prozesse zu analysieren, aufzugreifen und zu
fördern.

Natürlich produziert der gegenwärtige Konsumterror
viele unsinnige und (umwelt/sozial-)schädliche Dinge, aber auch wenn
man die weglässt, bleiben doch noch viele Arbeiten, die nicht attraktiv
und/oder nicht kreativ sind, aber für eine "funktionierende Gesellschaft"
(oder auch nur funktionierende Infrastruktur) dennoch nötig sind.

Natürlich kann heute wohl niemensch sagen, ob und wieviel solcher
Tätigkeiten übrig bleiben werden - zugestanden. Das kommt natürlich
auch stark auf den konkreten Verlauf einer Entwicklung in Richtung
GPL-Gesellschaft an, den heute ebenfalls noch niemensch erahnen kann.
(Immerhin eröffnet uns diese Tatsache aber auch Einflußmöglichkeiten!)

Ich halte es auch durchaus nicht für klar, ob jemals, vor allem aber
wann eine GPL-Gesellschaft, in der alles auf freiwilliger Tätigkeit
beruht, sein wird. Prognosen in dieser Richtung dürften nahezu
unmöglich sein.

Das berührt auch die Frage, wie die gesellschaftliche Organisation
einer GPL-Gesellschaft überhaupt aussehen könnte. Wurde hier noch
wenig dazu gedacht.

Dennoch halte ich all diese (erheblichen) Schwierigkeiten nicht für
ein Kill-Argument, mit dem die ganze Richtung ausgehebelt werden
könnte - oder?

Zu
meinem früher erwähnten Beispiel der Lastwagenfahrer zur Belieferung der
"kassenlosen Supermärkte" schrieb Stefan Merten:  (am 4.4.)

Lastwagenfahrer finde ich übrigens ein hervorragendes Beispiel von
sinnloser Vernichtung von Arbeitskraft. Wenn ich mir alleine vor Augen
halte, wieviele Menschen Waren auf LKWs durch die Lande fahren, die
auf schienengebundenen Transportmitteln sicher mit viel weniger
Personal transportiert werden könnten...

Stimmt, aber da bleibt trotzdem noch genügend Bahnpersonal (und die
Lastwagenfahrer zur Feinverteilung, wofür erstmal genügend Freiwillige
zu finden wären

Ich weiß eins: Wenn die GPL-Gesellschaft erstmal in trockenen Tüchern
ist, gehe ich zur Bahn. Diesen Riesenapparat mit seiner irrsinnigen
Komplexität und seiner Dynamik: Das ist doch eine tolle
Herausforderung! Und warum sollte ich neben den schwierigen
planerischen Aufgaben nicht auch mal zur Entspannung und zum Sammeln
von konkreter Erfahrungen nicht ein bißchen den Computer im Führerhaus
einer Lokomotive überwachen? Sehe ich neue Landschaften und so, ist
doch nett - oder?

-- kann irgendwer Lokomotiv- oder LKW-Fahren als
kreative Selbstverwirklichung bezeichnen..?  (und das sind noch
nichtmal die unkreativsten/unbeliebtesten nötigen Arbeiten..)

Klar. Ich kenne z.B. jemanden, der Getränke ausfährt, und dem das
einige Jahre hindurch viel Spaß gemacht hat. (Habe ihn aus den Augen
verloren und weiß das aktuelle nicht). Auch wenn ich milde bestreiten
würde, daß alles, wofür sich niemensch findet, gesellschaftlich auch
nicht notwendig ist, bin ich da doch nicht so skeptisch, daß das
wirklich ein Problem ist.

Immerhin sind auch in vorkapitalistische Gesellschaften unbeliebte
Tätigkeiten erledigt worden - und wohl nicht immer nur unter Zwang.
Vielleicht wäre das aber in der Tat eine Frage, wie solche Dinge mal
funktioniert haben.

Und wenn ich an das Großziehen von Kindern denke, habe ich auch so
manchmal meine Zweifel, ob das immerzu so eine beliebte Tätigkeit ist
- viele Mütter äußern sich da jedenfalls anders und machen's trotzdem
- und ohne Zwang. Verantwortung scheint mir hier das Stichwort zu
sein.

[als "alter Oekologe" denke ich
da natürlich lieber an Transportradfahrer ;-) , aber das vergrössert
eher noch den Personalaufwand..])

Ja, wenn ich mir so überlege, wieviele Transportradfahrer du
bräuchtest um einen 40-Tonnen-Kessel zu ziehen ;-) . Vielleicht wären
Pferde eine Alternative ;-) ;-) .


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan


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http://www.oekonux.de/



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