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Re: [ox] Paper Linux-ist-wertlos



Hallo, Stefan und alle!

Hallo, ich finde das Papier sehr interessant. Ich bin nur gespannt,
wie Leute auf Linux-Tagen reagieren, wenn man ihnen (nicht nur bei
diesem Beitrag) so viel Kapitalismustheorie vorsetzt, und dabei
teilweise ueber laengere Strecken gar nicht mehr von GNU/Linux
spricht.

Darauf bin ich auch gespannt. Ich habe hin und her überlegt, ob ich den
Begriff "Kapitalismus" durch den unverfänglicheren Begriff
"MArktwirtschaft" (oder sowas) ersetzen sollten - einfach weil
"Kapitalismus" noch immer als Kampfbegriff "von früher" empfunden wird.
Andererseits verwenden eben Kapitalisten diesen Begriff selbst (ich
erinnere an die Tagung "Die Zukunft des Kapitalismus im 21.
Jahrhundert", von der Deutschen Bank, glaube ich).

Ich wuerde schon bei dem Begriff bleiben wollen, es geht mir nur
darum, dass es z.T. so arg viel Theorie ist.


Der Begriff der konkreten Arbeit gefaellt mir nicht sehr:

Das ist mit Freier Software anders. Der erste Antrieb Freier Software
ist die Nützlichkeit. Der erste Konsument ist der Produzent. Es tritt
kein Tausch und kein Geld dazwischen, es zählt nur eine Frage: Macht die
Software das, was ich will. Da die Bedürfnisse der Menschen keine
zufälligen sind, entstehen freie Softwareprojekte. Auch hier geht es
nicht um Geld, sondern um das Produkt. Es gibt keine größere
Antriebskraft als die individuelle Interessiertheit an meinem guten
nützlichen Produkt. Diese Arbeit nenne ich konkrete Arbeit.

Das erinnert mich zu sehr an den marx'schen Begriff der konkreten
Arbeit. Man muss zwar seine Begriffe nicht nehmen, aber wenn man schon
mit Gebrauchs- und Tauschwert ankommt, sollte man vielleicht doch
konsequent bleiben. Das heisst zunaechst, die entfremdete Lohnarbeit
nicht nur als abstrakte Arbeit zu begreifen (als solche schafft sie
Tauschwert), sondern zugleich auch von nuetzlicher Arbeit zu sprechen,
Marx schreibt oft sogar von konkret nuetzlicher Arbeit, die dann eben
entweder Tischlerarbeit oder Baeckerarbeit oder Programmierarbeit ist
und entsprechende Gebrauchswerte erzeugt. Lohnarbeit ist eben nicht
nur abstrakte Arbeit, sondern erscheint in einer konkret nuetzlichen
Form.

Ich habe Deinen Punkt nicht verstanden. Ich meinte, den marxschen
Begriff der konkreten Arbeit verwendet zu haben. Es gab ja hier in der
Liste eine Debatte um das Verhältnis von Gebrauchswert und Tauschwert
beim Produkt, wobei festgestellt wurde, dass der Gebrauchswert bei der
Verwertung nur insofern interessiert, als darüber der Tauschwert
realisiert werden _kann_. "Kann" heisst eben, dass auch Scheisse ohne
Gebrauchswert verwertet würde, wenn es geht.

Da habe ich bis auf meinen letzten Satz nicht klar formuliert.
So wie das Produkt einen Gebrauchswertaspekt und einen
Tauschwertaspekt hat, hat auch die Lohnarbeit zwei Seiten: sie ist
abstrakte Arbeit und (konkret) nuetzliche Arbeit zugleich.
Du scheinst Lohnarbeit nur als abstrakte Arbeit zu sehen und die
"konkrete" Arbeit dagegenzustellen. Sie ist aber kein Gegensatz,
sondern zunaechst die andere Seite derselben Arbeit. (Und natuerlich
gibt es die nuetzliche Arbeit auch alleine, so wie es den
Gebrauchswert alleine gibt, wenn ich fuer Freunde und mich Kuchen
backe - falls man dann diese Begriffe noch benutzen will.) So wie der
Tauschwert ohne Gebrauchswert nicht realisiert werden kann, kann es
die Tauschwert schaffende, den Kapitalisten interessierende,
abstrakte Arbeit nicht ohne ihre nuetzliche Seite geben. Wenn einer
Leute fuer sein Fliesband sucht, nutzt ihm ein Baecker, der seine
abstrakte Arbeit verkaufen will, gar nichts, weil sich dessen Arbeit
im Brot backen verdinglicht.

Koennte man Zeug ohne Gebrauchswert verticken, koennte man aus
beliebiger abstrakter Arbeit Mehrwert pressen, und keiner muesste sich
noch ueberlegen, ob sich der Kapitalismus in einer Krise befindet oder
nicht. Dann waere naemlich alles herrlich fuer die Kapitalisten und
fuer die, denen es reicht, irgendeine Arbeit zu haben.

Für den Arbeitenden - die andere Seite des gleichen Prozesses - geht's
hingegen _nur_ um abstrakte Arbeit in der Lohnarbeit. Daher kommt der
Wieso???
Entfremdungsbegriff (den ich im Paper nicht verwende). Genau hier
unterscheidet sich Freie Software in der Herstellung von
Kommerz-Software: Es handelt sich um konkret-nützliche Arbeit, um
"nicht-entfremdete Arbeit". IMHO ;-)

Konkret-nuetzlich wie jede Arbeit, und in der Tat nicht-entfremdet
noch dazu.

Was hier gemeint ist, koennte vielleicht besser als freie oder
freiwillige Arbeit bezeichnet werden.

Ja, könnte man ergänzend dranhängen, wobei es mir eben nicht um die
"Freiwillige Feuerwehr" oder die "Modelleisenbahn" geht.

;-) Ja, so richtig schoen fand ich die Begriffe auch noch nicht.
"nicht-entfremdet" beschreibt es nur durch Negation und ist deshalb
auch nicht so toll. Selbstbestimmte Arbeit?


Eine fundierte Erwiderung zu ESRs Thesen waere eigentlich auch mal
ganz schoen und sicher auch einen Artikel/Vortrag wert. Die
Andeutungen in Rainer Fischbachs genannten Artikel hierzu waren aber
auch schon mal sehr spannend.

Das finde ich auch. Ich erhalte immer wieder (v.a. über
kritische-informatik.de) begeisterte Mail von Menschen, die ESR als
erklärenden Zugang zur Freien Software entdecken. ESR ist halt so
schrecklich kompatibel zum Kapitalismus und geriert sich trotzdem als
"Revolutionär".

In der neuesten Datenschleuder, der Zeitung des Chaos Computer Clubs,
wird sein Buch auch sehr gelobt: "zusaetzlich zu seiner technischen
qualifikation als langjaehriger hacker [... erweist sich esr] als
scharfer beobachter, dessen sprache seinen analysen in klarheit,
praezision und intelligenz um nichts nachsteht."


P.S. Stefan Merten und ich waren jetzt die Tage in Thüringen zu einem
Workshop. Ich möchte hier nur rüberbringen, dass das Interesse an dem
Oekonux-Thema gerade auch ausserhalb der informatischen Kreise
riesengross ist. Gleichzeitig ist das Wissen über Freie Software und
ihrer allgemeinen Konsequenzen sehr gering.

Was fuer Leute waren das denn dort?


Alles Gute,
Christian Sievers

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http://www.oekonux.de/



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