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Re: [ox] Paper Linux-ist-wertlos



Hallo,

das Posting meines Linuxtag-Papers traf noch mitten in die Welle der
spannenden Debaten und Verästelungen der GPL-Gesellschaftsdiskussionen,
so das die Aufmerksamkeitskapazität der Liste wohl ziemlich erschöpft
war. Na ja, oder es war langweilig, zumindest ist der "utopische Gehalt"
in der Tat geringer.

Trotzdem würde mich Eure Meinung zu meiner These interessieren, nach der
Bürgerrechtsliberalismus von Stallman und der Wirtschaftsliberalismus
von Raymond zwei Seiten der gleichen Medaillie sind.

Diese These resp. Konsequenz ist m.E. deswegen traurig, weil sich RMS
wirklich primär als politischer Mensch versteht (eben nicht als
Wirtschaftssubjekt) und auch eine bestimmte Utopie voranbringen möchte,
die ich sehr gut finde. Schnipp aus meinem Paper:

RMS formuliert seine Vision gesellschaftlichen Zusammenlebens im
GNU-Manifest von 1984 so:
"Auf lange Sicht ist das Freigeben von Programmen ein Schritt in
Richtung einer Welt ohne Mangel, in der niemand hart arbeiten muß, um
sein Leben zu bestreiten. Die Menschen werden frei sein, sich
Aktivitäten zu widmen, die Freude machen, zum Beispiel Programmieren,
nachdem sie zehn Stunden pro Woche mit notwendigen Aufgaben wie
Verwaltung, Familienberatung, Reparatur von Robotern und der Beobachtung
von Asteroiden verbracht haben. Es wird keine Notwendigkeit geben, von
Programmierung zu leben." (Stallman 1984: Das GNU-Manifest).

Diese Passage meinst Du, Thomas, wahrscheinlich (in Deiner Mail "Re:
[ox] Re: Materialisationen" von heute).

Zu Christian vom 4.4.

Christian Sievers schrieb:

Hallo, ich finde das Papier sehr interessant. Ich bin nur gespannt,
wie Leute auf Linux-Tagen reagieren, wenn man ihnen (nicht nur bei
diesem Beitrag) so viel Kapitalismustheorie vorsetzt, und dabei
teilweise ueber laengere Strecken gar nicht mehr von GNU/Linux
spricht.

Darauf bin ich auch gespannt. Ich habe hin und her überlegt, ob ich den
Begriff "Kapitalismus" durch den unverfänglicheren Begriff
"MArktwirtschaft" (oder sowas) ersetzen sollten - einfach weil
"Kapitalismus" noch immer als Kampfbegriff "von früher" empfunden wird.
Andererseits verwenden eben Kapitalisten diesen Begriff selbst (ich
erinnere an die Tagung "Die Zukunft des Kapitalismus im 21.
Jahrhundert", von der Deutschen Bank, glaube ich).

Der Begriff der konkreten Arbeit gefaellt mir nicht sehr:

Das ist mit Freier Software anders. Der erste Antrieb Freier Software
ist die Nützlichkeit. Der erste Konsument ist der Produzent. Es tritt
kein Tausch und kein Geld dazwischen, es zählt nur eine Frage: Macht die
Software das, was ich will. Da die Bedürfnisse der Menschen keine
zufälligen sind, entstehen freie Softwareprojekte. Auch hier geht es
nicht um Geld, sondern um das Produkt. Es gibt keine größere
Antriebskraft als die individuelle Interessiertheit an meinem guten
nützlichen Produkt. Diese Arbeit nenne ich konkrete Arbeit.

Das erinnert mich zu sehr an den marx'schen Begriff der konkreten
Arbeit. Man muss zwar seine Begriffe nicht nehmen, aber wenn man schon
mit Gebrauchs- und Tauschwert ankommt, sollte man vielleicht doch
konsequent bleiben. Das heisst zunaechst, die entfremdete Lohnarbeit
nicht nur als abstrakte Arbeit zu begreifen (als solche schafft sie
Tauschwert), sondern zugleich auch von nuetzlicher Arbeit zu sprechen,
Marx schreibt oft sogar von konkret nuetzlicher Arbeit, die dann eben
entweder Tischlerarbeit oder Baeckerarbeit oder Programmierarbeit ist
und entsprechende Gebrauchswerte erzeugt. Lohnarbeit ist eben nicht
nur abstrakte Arbeit, sondern erscheint in einer konkret nuetzlichen
Form.

Ich habe Deinen Punkt nicht verstanden. Ich meinte, den marxschen
Begriff der konkreten Arbeit verwendet zu haben. Es gab ja hier in der
Liste eine Debatte um das Verhältnis von Gebrauchswert und Tauschwert
beim Produkt, wobei festgestellt wurde, dass der Gebrauchswert bei der
Verwertung nur insofern interessiert, als darüber der Tauschwert
realisiert werden _kann_. "Kann" heisst eben, dass auch Scheisse ohne
Gebrauchswert verwertet würde, wenn es geht.

Für den Arbeitenden - die andere Seite des gleichen Prozesses - geht's
hingegen _nur_ um abstrakte Arbeit in der Lohnarbeit. Daher kommt der
Entfremdungsbegriff (den ich im Paper nicht verwende). Genau hier
unterscheidet sich Freie Software in der Herstellung von
Kommerz-Software: Es handelt sich um konkret-nützliche Arbeit, um
"nicht-entfremdete Arbeit". IMHO ;-)

Was hier gemeint ist, koennte vielleicht besser als freie oder
freiwillige Arbeit bezeichnet werden.

Ja, könnte man ergänzend dranhängen, wobei es mir eben nicht um die
"Freiwillige Feuerwehr" oder die "Modelleisenbahn" geht.

[11] Eine Diskussion der von ESR verwendeten ökonomischen Kategorien
sowie seiner Spekulationen über die Motivation der Hacker
("Geschenkökonomie") kann ich hier nicht vornehmen. Insbesondere die von
ESR dargelegten ökonomischen Kategorien sind haarsträubend. So
vertauscht er Gebrauchswert und (Tausch-)Wert sowie Wert und Preis nach
Belieben. Das tut der Eloquenz seines Plädoyers für die Re-Integration
Freier Software in die kybernetische Wert-Verwertungsmaschine keinen
Abbruch. Zum Thema "Geschenkökonomie" vgl. Fischbach 1999.

Eine fundierte Erwiderung zu ESRs Thesen waere eigentlich auch mal
ganz schoen und sicher auch einen Artikel/Vortrag wert. Die
Andeutungen in Rainer Fischbachs genannten Artikel hierzu waren aber
auch schon mal sehr spannend.

Das finde ich auch. Ich erhalte immer wieder (v.a. über
kritische-informatik.de) begeisterte Mail von Menschen, die ESR als
erklärenden Zugang zur Freien Software entdecken. ESR ist halt so
schrecklich kompatibel zum Kapitalismus und geriert sich trotzdem als
"Revolutionär".

Ciao,
Stefan

P.S. Stefan Merten und ich waren jetzt die Tage in Thüringen zu einem
Workshop. Ich möchte hier nur rüberbringen, dass das Interesse an dem
Oekonux-Thema gerade auch ausserhalb der informatischen Kreise
riesengross ist. Gleichzeitig ist das Wissen über Freie Software und
ihrer allgemeinen Konsequenzen sehr gering.

-- 
  Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
  HA II, Abteilung Datenverarbeitung
  Kanzlerstr. 8, 40472 Duesseldorf
--
  stefan.meretz hbv.org
  maintaining: http://www.hbv.org
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