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Re: [ox] Ahnung und Bewusstsein



Hi Stefan!

Vielleicht sollten alle Stefans auf dieser Liste etwas bodennaher
schreiben ;-) .

7 days ago Stefan Meretz wrote:
Ich meine drei Fragenkreise zu erkennen:
1. Ist die geahnte "Sache" *da* oder nur Zuschreibung?
2. Wie wird aus Ahnung Bewußtsein?
3. Wovon hängt die Richtung der Entwicklung ab?

Zum Beantworten brauche ich zwei Voraussetzungen:
A. Individuelles Handeln: Menschliches Handeln ist nicht
determiniert, sondern frei - klarerdings im Rahmen der
Bedingungen. Die Bedingungen sind nicht unmittelbare
Handlungsauslöser etwa analog zum Computerprogramm:
if Bedingung then Handlung, sondern sie sind die Prämissen
unseres Handelns. Kurz: Handeln ist nicht bedingt, sondern
begründet (und über Gründe läßt sich trefflich streiten, denn
sie sind subjektiv).
B. Geschichte: Begründetes Handeln der Individuen
bedeutet gesellschaftlich nicht Beliebigkeit der historischen
Entwicklung. Gründe sind immer auch potentiell gemeinsame
Gründe oder Interessen, die kollektiv überindividuell
wirksam werden - immer in Auseinandersetzung mit den
Bedingungen, die wiederum durch das Handeln verändert
werden. Der durchschnittlich-gesellschaftliche Effekt des
Handelns bringt gesellschaftlich historisch-logische
Entwicklungsformen hervor, die rekonstruierbar und
- versuchsweise - antizipierbar sind.

Zu 1.: Ist die geahnte "Sache" *da* oder nur Zuschreibung?
Eine Frage der Erkenntnis. Mit A. sage ich nun, daß Verhalten
von Individuen *von außen* nicht ergründbar ist (auch wenn
traditionelle Psychologie genau das versucht). Anders auf
überindividueller, gesellschaftlicher Ebene: Hier kann ich
Entwicklungslogiken rekonstruieren, so ich über die
angemessenen analytische Zugriffe verfüge. Dabei kann ich
Fehler machen, aber prinzipiell ist ein Erkennen möglich
auch ohne eine bewußte Versprachlichung durch die Akteure.

Zu deutsch: "Objektiv" kann etwas da sein, was von den Subjekten noch
nicht wahrgenommen wird. D.h. z.B. die Nazis können Scheiße sein, auch
wenn Millionen Deutsche anderer Ansicht waren - um's mal sehr
{pl,dr}astisch auzudrücken ;-) .

Zu 2. Wie wird aus Ahnung Bewußtsein?
Will ich da auch individuell ran, dann kann nicht das nur
_mit_ den Akteuren machen, oder es _selbst_ machen (sofern
ich Akteur bin), jedenfalls nicht *von außen*. Wenn das
Erkennen über "Spaß", "Lernen" etc. hinaus gehen soll, also
Allgemeines im Besonderen erkennen will, dann geht das nur
über das gemeinsame Entwickeln der oben genannten
analytischen Begriffe. Bewußtwerden ist folglich eine Art
Selbsterkenntnis mit Hilfe angemessener Denkmittel.

D.h. irgendwann müßten die Gnu/Linux-Leute sich schon mal sich ein
anderes Instrumentarium zulegen - denke ich auch. Allerdings wird dies
sicher - wenn es denn kommt - sicher weniger theoretisch und mehr
bewegungsorientiert sein.

Da würden mich konkrete Beispiele interessieren. Momentan geht der
Diskurs ja eher in die andere Richtung: Wie verdammt nochmal läßt sich
Gnu/Linux mit kapitalistischer Logik erklären.

Zu 3. Wovon hängt die Richtung der Entwicklung ab?
Du schreibst "...weil doch das was *ist*, jenes bestimmt,
was kommt und nicht umgedreht... ". Kommt drauf an, was
Du mit "bestimmt" meinst. Wenn Du das im Sinne von
Voraussetzungen für die weitere gesellschaftliche
Entwicklung meinst, dann ok. Wenn Du das aber im Sinne
einer Determination unabhängig vom Handeln der Menschen
siehst, dann nein. Wieso "nein", wo ich doch von historisch-
logischen Entwicklungsformen sprach? Das hängt vom
Abstraktionsgrad ab, also von der Ebene der
Verallgemeinerung, auf der jedes Besondere im Allgemeinen
aufgehoben ist. Finde ich diese Ebene, dann habe ich ein
wirkungsvolles Analyseinstrument in der Hand (letztlich
dreht sich Wissenschaft genau um ein solches Finden, auch
wenn das oft *nicht bewußt* ist). Ich selbst, das hast Du
ja nun schon zur Genüge mitbekommen, bringe den
analytischen Begriff der Produktivkraftentwicklung ein.
Mit diesem Begriff meine ich ich gesellschaftliche
Entwicklungslogik überindividuell darstellen zu können,
in die die Besonderheiten (wie Linux - puh, der Bogen ist
endlich da!) schadlos eingehen können. Und mit dem
Begriff meine ich dann auch Richtungen der Entwicklung
erkennen zu können. Jetzt habe ich die Frage nicht
inhaltlich, sondern nur erkenntnistheoretisch beantwortet,
aber dabei belasse ich es jetzt.

Ah ja ;-) ...


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan





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