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[ox] Toyotismus



Hi Sabine und alle,

es stand noch das Thema Toyotismus aus. Ein paar
Worte dazu:

1. Linux steht für die Spitze der PK-Entwicklung im
toyotistischen Kapitalismus

....erklär mal bitte ganz kurz was das genau ist,
"toyotistischer Kapitalismus"? 

Der Toyotismus hat wesentlich den Fordismus abgelöst
und ist u.a. durch eine andere Form der Arbeitsorganisation
gekennzeichnet (z.B. Gruppenarbeit und Flexibilisierung
anstatt starres Fließband). Schon dort sind also Elemente zu
finden, die uns in der Gnu/Linux-Entwicklung in reiner und
geballter Form wieder begegnen. Allerdings konnten sie im
Kapitalismus eben nur begrenzt umgesetzt werden.

Der Fordismus (und Taylorismus) hatte als Programm a) den
möglichst vollständigen Ausschluß der Subjektivität aus der
unmittelbaren Produktion und b) der möglichst vollständigen
Vergegenständlichung des idealen Produktionsalgorithmus.
In Inkarnation von beidem war das Fließband: Hier war dem
Arbeiter vorgegeben, was es wie zu tun hatte. Jeder Handgriff
war vorgedacht, und der gesamte Produktionsprozeß als
(angenäherter) idealer Algorithmus konzipiert.

Weil b) ab Mitte der 70er zu starr wurde, mußte mit dem
Dogma von a) aufgeräumt werden. Der aktuelle Ansatz läßt
sich ganz grob so skizzieren: a) Mit Hilfe verschiedener
Tricks soll die Subjektivität als Produktivitätsquelle wieder
in die Produktion gelockt werden (das Indiz waren unsere
Berge von Managementliteratur vor einigen Mails). Im Kern
soll der _unüberbrückbare_ Widerspruch zwischen
Selbstentfaltung und Fremdbestimmung doch überbrückt
werden. Das ist die Begrenztheit, von der Stefan Mn. oben
schreibt. b) Der Übergang von der festen zur flexiblen
Produktion fällt historisch zusammen mit dem Übergang
von der Hardwareorientierung zur Softwareorientierung in
den 70ern. Ziel war die *feste* Implementierung der
*Flexibilität* als Eigenschaft des Produktionsprozesses, oder
anders formuliert: Es ging um den Übergang von der
Algorithmisierung der Produktionsprozesse zur
Algorithmisierung der _Änderbarkeit_ der 
Produktionsprozesse. Doch mit der Algorithmisierung der
Algorithmisierung wurde kein wirklicher Ausweg geschaffen,
denn leider mußte man feststellen, daß Software zwar 
*änderbarer* als Hardware ist, sich dennoch auch 
verfestigen kann wie Beton. Ein berühmtes Bsp. solcher 
betonartigen fest-flexiblen Produktionskontroll-SW
ist SAP. SAP ist im Kern fordistisch.

Wenn über b) (die Technik und die Wissenschaft) keine
qualitative Lösung gebracht werden kann, bleibt nur a), die
Selbstentfaltung des Menschen. Die Linux-Basar-Projekte
zeigen eine Idee davon , wie?s gehen kann, wenn der
Mensch sich *an und für sich* entfaltet.

Was meinst Du nun mit immanenten Grenzen. Hat nicht
Rainer neulich erzählt, es gäbe schon Wege, in irgendeiner 
Form zu messen, welcher Programmierer sich wie sehr an
einem Produkt beteiligt hat, ich weiß nicht mehr wie 
genau, aber wenn schon solche Gedanken im Äther
rumschwirren, ...ick hör 'se trapsen, die Verwertung.... ;-)

Immanente Grenzen sind das, was ich mit dem 
"_unüberbrückbarem_ Widerspruch zwischen Selbstentfaltung
und Fremdbestimmung" oben anführte. Die Meßbarkeit
von SW-Herstellung ist unwichtig, sie entscheidet nicht darüber,
ob eine Software Ware (für die Verwertung) ist oder nicht. 
Stefan Mn. hat hierzu Richtiges sehr anschaulich geschrieben.

Und noch einen:

Stefan Meretz schrieb:
Linux steht für die Spitze der PK-Entwicklung im 
toyotistischen Kapitalismus

Das war eines der Argumente für eine Nicht-Vergleichbarkeit
von Linux mit einem Hobby oder Bürgerarbeit oder 
Hausfrauen-Job oder so...nun nochmal hinterhergefragt....
Linux ist nicht zu vergleichen mit Hobby, weil es mittels 
einer sehr modernen - der modernsten - Produktionsweise
entsteht?????? Das hieße, zu sagen, daß die Art und Weise der 
Produktion definitionsbestimmend ist dafür, ob es sich um ein 
Hobby, ein ehrenamtliches Tun, eine unbezahlte Arbeit und so
weiter handelt oder nicht. Ist das so? Denk ich nicht. Eigentlich.

"...während ein Bastelhobby oder Billiard eher die 
Handwerker-Periode des Kapitalismus repräsentiert." geht das
angefangene Zitat weiter. Ich finde es eigentlich nicht wichtig,
wie das Kind genannt wird. Von mir aus nenn? Linux Hobby.
Entscheidend ist, wofür das jeweilige *Hobby*, das ja im 
*Reich der Freiheit* (der Freizeit) entsteht, steht. Und da
sage ich: Segelflugzeug bauen steht für die vergangene 
Handwerker-Periode des Kapitalismus (=keine weiterführende
Potenz) und Basar-Linux-Entwicklung steht für den
Toyotismus, mehr noch, es weisst über diesen in Elementen
hinaus. Mir geht es also nicht um die richtige sprachliche
*Definition*, sondern darum, was in der jeweiligen Art zu
produzieren an Potenzen drinsteckt.

Bye,
Stefan

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  Stefan Meretz, Duesseldorf
  Web: http://www.kritische-informatik.de
  stefan.meretz kritische-informatik.de
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