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Aufgaben von Kritik in der fundamentalen Krise Das folgende Referat gliedert sich in 3 Teile: 1. Was ist Kritik, was soll Kritik 2. Perspektive einer befreiten Gesellschaft 3. Anknüpfungspunkte einer möglichen gesellschaftlichen Praxis 1. Was ist Kritik, was soll Kritik Oft ist zu hören, dass alles politisch sei, dass man sozusagen gar kein unpolitisches Leben führen könne, weil der Mensch in den Verhältnissen und auch in der Form Politik gefangen wäre. Wir denken dass ist Schwachfug. Wäre das der Fall, wäre Gesellschaftskritik tot und man könnte gar kein Unbehagen an der Gesellschaft ausdrücken. Man könnte auch kein kritisches Bewusstsein entwickeln und äußern. Kritik ist, den (seinen) Gegenstand (der Analyse) theoretisch und praktisch unmöglich zu machen. Man kommt dabei nicht drum herum, die kapitalistischen Verhältnisse zu analysieren, so wie es Karl Marx getan hat. Im Unterschied zur wissenschaftlichen Erkenntnis ist kritische Gesellschaftswissenschaft mit dem Ziel verbunden, die kapitalistische Gesellschaft zu überwinden. Marx vernichtet im Kapital Band I bis III den Gegenstand der Politischen Ökonomie durch seine Erkenntnis, dass die kapitalistische Produktionsweise an ihren eigenen Gesetzen scheitern wird. Entgegen den Vorstellungen einer „natürlichen“ kapitalistischen Wirtschaftsordnung deontologisiert er die warenproduzierende Gesellschaft und betreibt damit Ideologiekritik. Kritische Gesellschaftsanalyse auf Basis von Ökonomiekritik kommt notwendigerweise zu der Erkenntnis, dass sich das warenproduzierende System aufgrund seiner inneren Widersprüche in seiner fundamentalen Krise befindet. Wir stellen uns die heutige Situation metaphorisch ähnlich der eines sinkenden Schiffes vor: das warenproduzierende Patriarchat macht sich nach eigenen Kriterien „unrentabel“ (R. Kurz) und somit unmöglich. Kritik denkt seine Logik weiter und zeigt diese zu Ende gedacht auf, lässt ihren Gegenstand also gegen den Baum laufen, im Fall des Schiffes: sinken. Menschen können ihre Reproduktion nicht mehr sichern, Ideologien wie Antisemitismus und Rassismus greifen verstärkt und aggressiv um sich, Barbarisierungstendenzen machen sich breit – wenn Menschen unter den Bedingungen kapitalistischer Vergesellschaftung um ihr Überleben kämpfen müssen, kann man nicht mehr genau sagen, welcher Mittel sie sich bedienen. Wir haben, entgegen einiger Vorwürfe gegen uns, Angst vor solchen Situationen. Wenn wir Nachrichten sehen, Zeitung lesen, Menschen immer sinnlosere Dinge tun oder wir immer weniger Kohle zur Verfügung haben, sehen wir das tagespolitische Geschehen in genau diesem Kontext (das ist das was wir unter Krisenbewusstsein verstehen). In einer solchen Situation kann man sich nur noch (Vorsicht, Witz!) hemmungslos besaufen, oder anfangen, ein neues, seetüchtiges Schiff zu bauen. Es bleiben nicht viele Alternativen, denn die „finale Krise richtet nichts, sie richtet nur hin“ (Franz Schandl). Aufgabe von Kritik ist nicht nur die Analyse auf der theoretischen Ebene und das vernichtende Urteil über die herrschende Gesellschaftsordnung, sondern auch eine emanzipatorische Praxis zu entwickeln. „Von einer emanzipatorischen Praxis ist zu sprechen, wenn es gelingt, Menschen gegen ihre Charaktermasken zu mobilisieren, das heißt die innere Front der Staatsbürger, Arbeiter, Wähler, Unternehmer, Rechtspersonen, Käufer, Verkäufer, Konsumenten, etc. aufzubrechen und den Panzer des falschen Ich zu sprengen (...). Transvolution beginnt, wo Subjekte gegen ihre Subjekthaftigkeit rebellieren (...), sich selber nicht mehr mit ihren objektiven Rollen identifizieren, sondern versuchen, sich von diesen ideell, aber auch reell abzusetzen. Sicher gibt es keinen Knopf, den Automaten auszuschalten, aber schon der bewusste Widerstand gegen seinen Ablauf sollte Motivation sein.“ (Schandl, „Der postmoderne Kreuzzug“) Kritik kann nicht warten, bis das Schiff untergeht, um dann den Ertrinkenden „mal was zu erklären“, sondern muss dazu anstossen, ein neues seetüchtiges Schiff zu entwickeln. Sie muss also die Menschen befähigen, sich von den Fetischverhältnissen und von den Formen, in die sie gepresst sind zu befreien. Es muss sie ankotzen, Männer, Frauen, Schuster oder Fischer zu sein, nur weil sie schustern oder fischen wollen. 2. Perspektive einer befreiten Gesellschaft Als einzige und notwendige Perspektive bleibt uns die Überwindung der herrschenden Verhältnisse hin zu einer „befreiten Gesellschaft“. Diese defninieren wir nach Marx als „Ende der Vorgeschichte der Menschheit“, weil dann erst die Menschheit nicht mehr in Fetischverhältnissen verhaftet ist und anfangen kann, ihre Geschichte selbst zu schreiben. Sie (die befreite Gesellschaft) ist keine Utopie, sondern negativ aus dem Bestehenden entwickelbar. Wir leben heute in der Phase der fundamentalen Krise des Kapitalismus – und anders, als zu Marxens Zeiten, dem Entwürfe einer besseren Welt als suspekt erscheinen mochten, wird das Aufzeigen einer Perspketive jenseits von Markt und Staat heute direkt unsere Aufgabe sein. Ein Bilderverbot halten wir für fatal, denn eine kommunistische Gesellschaft fällt nicht vom Himmel, läßt sich also nicht mit einem Fingerschnipp herbeizaubern, sondern kann sich nur im Bewußtsein der Menschen entwickeln und und durch deren Handeln realisieren. Die befreite Gesellschaft ist kein Ding, über das sich nichts aussagen läßt – aus der Negation des Bestehnden läßt sie sich umschreiben als „Verein freier Individuen“ (R. Kurz), als ein weltweiter freiwilliger Zusammenschluß von Menschen, die die Befriedigung ihrer Bedürfnisse selber gestalten, und zwar nicht über Geld vermittelt und nicht als Mann und Frau. Fernab von Rationalität, die im kantschen Sinne im krassen Kontrast zu Sinnlichkeit steht, muss eine „sinnliche Vernunft“ im Umgang untereinander und im Umgang mit den natürlichen Ressourcen entwickelt werden. Gesellschaftliche Emanzipation muss sich auch vom Subjekt befreien. Subjekt sein heisst, für jemand anderes Objekt zu sein, man ist Subjekt stets nur im Verhältnis zu einem Objekt - ob dieses Objekt nun eine andere Person, oder natürliche Ressourcen sind. Solange die Subjekt-Objekt bestehen bleibt, bestehen auch Herrschaft und Untersdrückung. Oder anders: unter Kommunismus verstehen wir, Subjekt und Objekt zu überwinden, als notwendigen Bruch mit den fetischistischen Verhältnissen. Das Ende des Subjekts ist der Beginn des selbstbestimmten Individuums. Es nützt nichts, in der finalen Krise das Subjekt hochzuhalten, man kann sich als bürgerliches Subjekt in der Krise nicht zurück halten, tickt aus und dreht durch. In der bürgerlichen Gesellschaft werden die Menschen zugerichtet und müssen sich nach gesellschaftlichen Normen und Regeln unter Kontrolle halten, können das aber nicht, wenn diese bürgerliche Gesellschaft selbst zusammen bricht. Kontrolle und Chaos bilden die beiden Pole, die am bürgerlichen Subjekt zerren. Gesellschaftliche Befreiung kann nur als soziale und nicht politische Revolution erfolgen. Die Oktoberrevolution 1917 in Russland und die nachfolgenden politischen Umwälzungsprozesse stellten nur die Machtfrage und nicht die Systemfrage. Soziale Revolution ändert die Gesellschaft und die Beziehungen der Menschen untereinander. Sie heisst Kommunismus, der „kein Zustand [ist], sondern die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.“ (Dt. Ideoloie, Kalle und Freddy) Sie ist ein langer Denk- und Lernprozess und ein schrittweises Ausbrechen aus den Verhältnissen. 3. Anknüpfungspunkte einer möglichen gesellschaftlichen Praxis Ich komme zu den Anknüpfungspunkten einer möglichen (und notwendigen!) gesellschaftlichen Praxis. Komunistische Kritik und damit emanzipatorische Praxis muß auf allen Ebenen ansetzen, auf denen das warenproduzierende Patriarchat in seine fundamentale Krise gerät: auf der Ebene der gesellschaftlichen Reproduktion, auf der Ebene des Mensch-Natur-Verhältnisses und der Ebene von Produktion und Arbeit. An diesen gesellschaftlichen Konfliktlinien gilt es zu intervenieren und zu agieren. Dabei läßt sich nur an bestehendem Unbehagen kritisch anknüpfen und dieses begrifflich fassen – dort, wo Menschen ihr konkretes Leiden an den Verhältnissen äußern. Im Folgenden soll dies im Beispiel der „sozialen Frage“ verdeutlicht werden: tagespolitische Ereignisse wie Agenda 2010, Hartz, und der fortschreitende Abbau von Sozialversorgung zeigen, dass sich das in die Krise geratene System die überflüssigen Arbeitskräfte nicht mehr ohne Weiteres versogen kann. Auf der Basis einer ökonomischen Analyse der Verhältnisse kann aufgezeigt werden, dass es in kapitalistischer Produktion nicht um menschliche Bedürfnisse und darum, was produziert wird, geht, sondern dass produziert wird, und darum, immer mehr zu produzieren. Es wird nicht qualitativ, sondern quantitativ produziert, es geht nicht um den Inhalt, sondern um die Form, das abstrakte Prinzip des selbstverwertenden Werts. Die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse ist, wenn es prinzipiell nur darum geht, zu produzieren und das zu produziern was sich zu Geld machen lässt, abfälliges Nebenprodukt. Der Sozialstaat steckt in der Krise - es wird keinen sozial verträglichen Kapitalismus mehr geben. Für viele, v.a. in der Peripherie hates diesen ohnehin nie gegeben. Nun kommt aber selbst im kapitaliostischen Zentrum die Einsicht, daß soziale Sicherungssysteme immer weniger haltbar sind. "Zum ersten Mal ist die Masse der Menschen ... materiell nicht mehr notwendig und wirtschaftlich erst recht nicht mehr." (Terror der Ökonpomie, Viviane Forrster) Doch es regt sich nur wenig Widerstand dagegen - v.a. in Deutschland ist kollektives Schweigen angesagt, während sich in Frankreich, England und Italien LehrerInnen mit Bullen prügeln und Schulen besetzen,in Frankreich hunderttausende Menschen auf der Straße gehen gegen die Rentenreform... In Deutschland hingegen fallen die Gewerkschaften nach und nach um und beenden lieber vorzeitig ihre Streiks, als die "Sozialpartnerschaft" von "unten" aufzukündigen. Dabei herrschen neue Bedingungen für soziale Proteste: Anders als noch bis in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein sind die Grenzen des alten Bezugssystems objektiv erreicht - es gibt keinen Rückenwind mehr für dessen Kategorien. Im Gegensatz dazu wird das Festhalten an den zusammenbrechenden Kategorien (Arbeit, Ware, Wert ...) festgehalten - ein Fundamentalismus der Kategorien und Werte greift um sich, Krisenleugnung und Krisenverdrängung sind allgemein, die Politikillussion durchherrscht die ganze Gesellschaft. Soziale Bewegungen können Forderungen, wie mehr Sozi-Kohle, an den Staat stellen, solange sie sich dessen bewusst sind, dass er diese in seiner Krise nicht erfüllen kann. Solange sie sich dessen nicht bewusst sind und die Organisation der Gesellschaft in die Hand des Staates legen und nicht in die eigene, müssen sie kritisiert – aber als Menschen mit ihren Problemen ernst genommen werden. Hier muß radikale Kritik ansetzen: Die Politikillussion zerstören und die Inhalte radikalisieren - die Form sprengen, in der die Proteste gefangen bleiben (notwendig falsches Bewußtsein). Die soziale Frage erhält eine Brisanz von neuer Qualität für das System! Soziale Kämpfe bekommen wieder einen Sinn: In dem Maße, in dem die fundamentale Krise der warenproduzuierenden Gesellschaft voranschreitet, müssen grundlegende soziale Forderungen letztendlich systemtransformierenden Charakter besitzen, da sie nicht mehr im Bestehenden einzulösen sind. Das Ziel kommunistischer Kritik muß es sein, Rahmenbedingungen für Kritik zu schaffen, in denen sich die Menschen, die sich ihres konkreten Leidens an den Verhältnissen bewußt geworden sind, sich weiterhin bewußt werden, daß nur eine emanzipatorische Aufhebung der herrschenden Verhältnisse das Ende ihrer einzelnen, konkreten Leiden bedeuten kann. Ares / Lilian -- NEU FÜR ALLE - GMX MediaCenter - für Fotos, Musik, Dateien... 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