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[chox] Was ist Krisenbewusstsein?



Was ist Krisenbewusstsein?

Ein Beitrag zur Neuformierung sozialer Kritik

Die Zeitschrift „Wirtschaftswoche“, Frontblatt des deutschen
Neoliberalismus meldet in Nr. 17: „Das Hartzkonzept greift bisher
nicht“. Die notgedrungenen Arbeitskraftverkäufer, gemeinhin als
„Arbeitnehmer“ falsch bezeichnet, werden nun womöglich zu weiteren Brutalitäten
gezwungen werden. 

Denn kein Hartzkonzept der Welt wird die Arbeitslosigkeit stoppen. Das
Problem besteht nicht in einer schlechten, weil bürokratischen Vermittlung von
Arbeitssuchenden. Es besteht schlichtweg darin, dass immer weniger Arbeitsplätze
zu bekommen sind. „Im ersten Quartal dieses Jahres strichen die Firmen
durchschnittlich 62 000 Arbeitsplätze pro Monat. 2002 lag der monatliche
Arbeitsplatzverlust erst bei 22 000. INVESCO-Ökonom Krämer rechnet daher mit
einem Anstieg der saisonbereinigten Arbeitslosenzahl auf mehr als 4,8 Millionen
bis Ende 2004 [zum Vergleich: heute sind es 4,4 Millionen]… Jeder
dritte berufstätige Bundesbürger fürchtet um seinen Job“ (Wirtschaftswoche
17, S. 24). Infolge der mikroelektronischen Rationalisierung und somit
zunehmender Ersetzung der Ware Arbeitskraft wird ihr Verkauf bald so attraktiv sein,
wie heute der von Postkutschen (Krisis: Manifest gegen die Arbeit). Nichts
und niemand wird die Automatisierung und Computerisierung der Produktion
aufhalten. Dabei ist dies auch überhaupt nicht wünschenswert. Jahrhundelang ist es
ein großer Traum der Menschheit gewesen, sich anstrengende, missliche,
krankmachende aber trotzdem notwendige Tätigkeiten dadurch vom Leibe zu halten,
dass man sie durch automatisch funktionierende Geräte verrichten lässt. 

Heute ist dieser Traum absurder weise zum Alptraum geworden: Mikroelektronik
und kybernetische Steuerung ermöglichen es, menschliche Tätigkeit, dort wo
es erwünscht ist, weitgehend einzusparen. 
Doch diese große Errungenschaft kommt heute nicht den Menschen in dieser
Gesellschaft zugute. Denn: die kapitalistische Wirtschaft funktioniert weiterhin
auf der Vernutzung menschlicher Arbeitskraft. Sie ist nicht in der Lage,
sich den neuen ökonomischen Bedingungen anzupassen. Damit ist sie heute restlos
unzeitgemäß, überholt und abgetakelt. Schon immer brutal und rücksichtslos,
geht sie heute zunehmend in eine einzige Krisenmisere und Misswirtschaft über.
Sie wird nach eigenen Kriterien unrentabel: Arbeitsplätze kosten heute den
Staat mehr Geld, als er Steuern von den entsprechenden Unternehmen einholen
kann. Die „Marktwirtschaft“ vermag den inneren Widerspruch einer
Arbeitsgesellschaft, die sich selbst durch fortschreitende Rationalisierung das
Wasser abgräbt, nicht auszuhalten: so sägt sie weiterhin unermüdlich am Ast
auf dem sie selbst sitzt. 

Daher besteht innerhalb der bestehenden Wirtschaftsweise keinerlei Hoffnung
und Zukunftsperspektive: »No future« wäre die einzig stimmige Losung des
Kapitalismus von heute. Wir sprechen daher von einer finalen Krise, sprich dem
absoluten Ende, der endgültigen und fundamentalen Schranke, an die die
kapitalistische Produktion heute gelangt ist.

„Erst wenn die Menschheit versteht, dass es auf dem bisherigen Weg
keine Hoffnung mehr gibt, wird sie in die Lage versetzt, endlich zu
handeln“ (Rieseberg: Arbeit bis zum Untergang). Angesichts des
Selbstabschaffungsprozesses der Arbeit schlittert die Menschheit in eine unkalkulierbare Misere
hinein: „Soziale Härte hat es immer gegeben, aber sie stieß immer auf
Grenzen, weil die von den Menschen geleistete Arbeit für diejenigen, die über
die Macht verfügten, unentbehrlich war. Das ist sie heute nicht mehr, im
Gegenteil, sie ist lästig geworden. Und so brechen die Grenzen zusammen. Verstehen
wir, was das bedeutet? Nie zuvor war das Überleben der Menschheit derart
bedroht. … bislang gab es für die Menschheit immer eine sichere Garantie:
Arbeit war … für die Produktion … immer lebenswichtig…. Zum
ersten Mal ist die Masse der Menschen… materiell nicht mehr notwendig
und wirtschaftlich erst recht nicht. ... Die Menschen sind von keinem
öffentlichen Nutzen mehr“ (Viviane Forrester: Der Terror der Ökonomie).

Die Frage nach einer Überwindung der Arbeit im Interesse der Menschen wird
daher heute zu einem Dreh- und Angelpunkt von sozialer Kritik. Werden Menschen
weiterhin nur am Leben erhalten, wenn sie von einem Unternehmen eingestellt
werden, so wird sich bald niemand mehr finden, der das Überleben garantiert.
Schickt sich die Arbeitsgesellschaft an, sich die Menschen vom Halse zu
schaffen, weil sie sie nicht mehr braucht, dann müssen die Menschen dazu
übergehen, sich die Arbeitsgesellschaft vom Halse zu werfen, weil sie sie nicht
brauchen. Ein Drittes gibt es nicht. 

Die schwindende Arbeit hinterlässt zunehmende Löcher in den Kassen der
Staaten. „Deutschland droht 2003 das dritte Jahr wirtschaftlicher
Stagnation. Kaum eine Branche, die von der Wirtschaftskrise nicht betroffen wäre. ..
selbst der Dienstleistungssektor schrumpft“ (Wirtschaftswoche 17. S.24).
„Die Chancen für einen Aufschwung stehen schlecht. Nullwachstum und
steigende Arbeitslosigkeit reißen immer größere Löcher in die öffentlichen
Kassen“ (ebenda: 22). „Die schlappe Konjunktur und die steigende
Arbeitslosigkeit reißen auch in die Staatsfinanzen Löcher“ (ebenda: 24). Die
Staatsverschuldung wächst immens. Das dieser Trend weitergehen wird, ist
unbestritten. So werden im nächsten Jahrzehnt vermutlich sämtliche sozialen und
ökologischen Sicherungsmaßnahmen geschliffen. Für Arbeitslosen- und
Sozialhilfe wird kein Geld mehr vorhanden sein, die Arbeitsplätze werden einer immer
kleineren Minderheit „zugute“ kommen, die letzten Fleckchen Natur
werden eingeebnet und zubetoniert, weil vielleicht doch noch null bis ein
Arbeitsplatz dranhängen.

Daher muss ein konsequentes Abseilen aus diesem System gedacht und
verwirklicht werden. Es muss dabei um eine neue Gesellschaft gehen, die den
unheilvollen Kreislauf durchbricht, der heute auf der Menschheit wie ein bleischwerer
Alpdruck lastet und sie in den Abgrund zu treiben droht: Arbeiten gehen, um
Geld zu kriegen, um Waren zu kaufen. Stattdessen böte sich eine auf direkter
Bedürfnisbefriedigung gründende Gesellschaft an: Menschen produzieren dass, was
sie brauchen, in gemeinsamer Absprache selbst. Menschen, die Brötchen
benötigen, assoziieren sich mit solchen, die welche backen können und treten ohne
Vermittlung durch Arbeit, Ware und Geld zueinander. Wir nennen das
„Kommunismus“ bzw. einen „Verein freier Individuen“, andere
vielleicht auch „Sozialismus“, „Anarchismus“ oder
„befreite Gesellschaft“. Einigkeit brauchen wir nicht im Wort dafür,
sondern nur in der negativen Abgrenzung: gegen Arbeit, Ware, Geld, Kapital,
Markt, Handel, Nation und Staat. Dieser „Verein freier Individuen“
kann kein „Zurück auf die Bäume gehen“ darstellen. Vielmehr wäre
eine „mikroelektronische Naturalwirtschaft“ denkbar.
Naturalwirtschaft in dem Sinne, dass Menschen sich nötige Produkte herstellen und verteilen
– aber eben auf einer hochkomplexen technischen und wissenschaftlichen
Grundlage. Niemand muss sich alles direkt herstellen, sondern kann über jene
Bereiche der Gesellschaft, die ihn betreffen, bestimmen. Jeder hat Zugriff
auf jenen bestimmten gesellschaftlichen Teilbereich, der ihn mittelbar oder
unmittelbar betrifft. Über Unstimmigkeiten und Meinungsverschiedenheiten wird
eine umfassende gesellschaftliche Debatte geführt. Keine Demokratie, in der
Menschen entscheiden, wer sie regiert, sondern Kommunismus: in dem Menschen
bestimmen, was sie wirklich betrifft, nämlich wie sie produzieren und wie das
produziert wird, was sie verbrauchen wollen.

Vor diesem Hintergrund bekommen soziale Kämpfe heute wieder einen Sinn
– und können nicht nur Kämpfe darum sein, wie viel Lohn die Angestellten
eines Betriebes weniger bekommen, wie viel Tage Urlaub weniger, wie viel
„Einsparungen“ und „Reformen“ mehr sie über sich ergehen
lassen müssen. Wir setzen uns ein für die Aufkündigung der Sozialpartnerschaft
„von unten“ – so wie sie „von oben“ längst
aufgekündigt wurde. Wir setzen uns ein für eine knallharte und aggressive
Interessendurchsetzung gegen Staat und Markt. Kein „Gürtel enger
schnallen“, keine „Sparmaßnahmen“, keine „Reformen“ für Staat
und „günstige Standortbedingungen“. Für bedingungslosen
„Materialismus“! Denkt nur ans „Materielle“! Vor dem
Hintergrund einer neuen sozialen Perspektive könnten soziale Kämpfe um materielle
Interessen in der jetzigen Gesellschaft effektiver und Ziel gerichteter geführt
werden. Krisenbewusstsein bedeutet: zu erkennen, dass heute selbst die
Erreichung minimaler Forderungen (keine Verramschung der Bildungsangebote, keine
tiefgehenden Einschnitte ins Gesundheitswesen, ausreichend Lebensmittel für
alle, Entschuldung von Drittweltländern) – nur über einen weit reichenden
und tief gehenden gesamt-gesellschaftlichen Umbruch durchgesetzt werden
können.

Ihr findet unsere Ideen eigentlich ganz nett aber doch
„utopisch“ und so gar nicht „realistisch“? Dann müssen wir jetzt noch mal
Klartext reden: „Utopisten“ und „weltfremde Spinner“
sind jene, die dem kapitalistischen System heute noch Zukunftschancen
einräumen. Jene, die denken, es könne sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen.
Jene, die meinen, es gäbe irgendwann mal wieder Arbeitsplätze. Jene, die
meinen, dass man „das mit der Umwelt“ schon „in den Griff
kriegt“, „irgendwie“. Realistisch sind jene, die sagen, dass das
nicht mehr geht und dass wir uns jetzt aus dem kapitalistischen System
verabschieden müssen. Realistisch sind jene, die erkennen, dass die Menschheit
heute vor der Wahl zwischen Kommunismus und Barbarei steht. Das sei schon früher
gesagt worden? Na dann habt Ihr ja ein treffendes Argument gefunden, Euch
nicht mit unseren Begründungen auseinanderzusetzen, warum es jetzt an der
Tagesordnung ist.

Gegen Hartzkonzept, Arbeitsförderung, marktwirtschaftliche Misswirtschaft
und weitere kapitalistische Experimente!



ein Beitrag der Wertkritischen Kommunisten Leipzig

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