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[ox-de-raw] Re: [ox-de] Re: Nochmal: gesellschaftliche Natur



Hallo Hans-Gert,

nö, ich lass mich von dir nicht auf diese Ebene ziehen. Ich mache es wie 
in Hütten: Dreistigkeiten, Unterstellungen und beliebig-assoziative 
Ko-Referate werde ich ignorieren und ansonsten in größtmöglicher 
Klarheit argumentieren.

Am Sunday 10 September 2006 20:12 schrieb Hans-Gert Gräbe:
Kannst du mir mal erklären, was du mir sagen willst? Ich frage, ob du
nicht *ein* gewisses Element in einem Diskurs unterbelichtest und
bekomme an den Kopf geworfen, dass ich *nur* dieses Element sehen
würde.

Ich habe dir nichts an den Kopf geworfen, sondern inhaltlich 
argumentiert - lies die vorausgegangene Mails. Wenn du nicht inhaltlich 
antworten willst, dann kann ich es auch nicht ändern.

Der körperliche Mensch _ist_ ein gesellschaftlicher Mensch. Aber
wie ich anderenorts
(http://www.opentheory.org/ko-kurrenz/text.phtml#2.1.2) lesen
musste, bist du gar nicht dieser Meinung.

Wie bitte? Was liest du da raus?

Du meinst wohl "wo". Aus diesem Satz der o.g. Referenz: "Das Individuum 
ist daher nicht das gesellschaftliche Wesen, sondern nie etwas anderes 
als die Einzelinstanz einer Gemeinschaft."

Dann sag das doch gleich. Damit fällst du aber noch hinter Jac
zurück, der das nur für die erste Lebenszeit so sieht.

Ah und knall-bumm, noch eine Wertung nachgeschoben, nicht des
unverstandenen Arguments sondern der Person selbst.

Du psychologisierst. Setz dich mit den Argumenten auseinander.

Sorry Stefan, mit mir bitte nicht. Ich kenne dieses Alphatier-Gebeiße

Offensichtlich, du führst es gerade vor.

... weil der Übergang in Richtung einer FG - wie ich ihn derzeit
verstehe - eine (tiefenpsychologisch angelegte) Psychotherapie für
einen ausreichenden Anteil von *Akteuren in dieser* Gesellschaft
einschließt. Was ja auch nicht anders sein kann, denn "diese
Gesellschaft macht krank" (W. Reich).

Zunächst zum Zitat: Metaphorisch genommen wird dir niemand
widersprechen, ernsthaft genommen ist so eine Aussage leer. Diese
Gesellschaft "macht" gar nichts. Sie stellt für uns alle
Handlungsbedingung dar, zu der wir uns verhalten - jede und jeder
Einzelne. Was da raus kommt, ist nicht vorgegeben. Manche werden
krank, andere nicht.

Du scheinst mit diesem Gedanken so gar nichts anfangen zu können.

Und du scheinst kein Interesse zu haben, inhaltlich zu schreiben.

Obwohl du sicher derjenige hier auf der Liste bist, der
psychologische Aspekte am intensivsten studiert hat.  Deine Quelle
ist Holzkamp und ich verstehe bis heute nicht dessen Verhältnis zur
Psychoanalyse. D.h., ich verstehe eigentlich immer besser, dass es
sich um ein Nicht-Verhältnis - insbesondere zu der mit dem Namen
Wilhelm Reich verbundenen
Fortschreibung in marxistischer Tradition - gehandelt haben muss,

Das ist ein anderes Thema. Möchtest du das Verhältnis von Holzkamp zur 
Psychoanalyse diskutieren?

Diese Ansätze, erstmal die Leute (und sich selbst) zu therapieren,
hatten wir doch schon 68ff, in allen Inkarnationen. Oh nee, bitte
nicht noch mal.

Ist das ein Argument pro tabula rasa? Wie wäre es, auch *diese* Dinge
erst einmal aufzuarbeiten und zu *analysieren*, welche Keime da

Na bitte, dann tu das. Ich sagte nur deutlich aus, dass ich daran kein 
Interesse habe und dass ich die Idee einer "kollektiven Selbsttherapie" 
für verfehlt halte, weil sie im Kern eine Psychologisierung 
gesellschaftlicher Phänomene bedeutet. Warum du auf diesen Trip 
verfällst, ist mir aber erst klar geworden, als du in für mich 
wahrnehmbarer Klarheit angefangen hast, die Wertform zu heiligen. Mehr 
dazu unten.

Vielleicht bedarf es - wie stets in der Psychotherapie - auch bei
dieser "kollektiven Selbsttherapie" einiger Geduld und eines zweiten
(heute) und vielleicht auch dritten und vierten Anlaufs?

Geduld ist immer gut - dafür ist keine Psychotherapie erforderlich.

Etwa "je meine Selbstentfaltung" - weil du dabei die Entfaltungen
getrennt denkst.

Gerade nicht - wie kommst du darauf? Das "je" zeigt das
verallgemeinerte "ich" an.

Annette und du hatten die kategoriale Ebene ja dankenswerter Weise
noch mal deutlich auseinandergepuzzelt. Es ist das konkret-allgemeine
"ich", die "ich-Schablone", aus der "je ich" und "je meine
Selbstentfaltung" in Analogie zur Objektinstanziierung entspringen.
Wie schwierig Interaktionen zwischen Objekten - besonders zwischen
Instanzen derselben Klasse - zu programmieren sind, brauche ich einem
Informatiker sicher nicht zu erläutern. Wieso meinst du, dass
derartige intersubjektive Interaktionen in deinen Überlegungen zu "je
meine Selbstentfaltung" mit den Instanzen quasi automatisch
mitgedacht sind?

Eine Psychologisierung halte ich genauso inadäquat wie eine 
informatische Analogiebildung. Trotzdem der Versuch einer Antwort:
Das konkret-allgemeine "ich" _ist_ das "je ich". Weil ich vermute, dass 
diese kurze Antwort - obwohl vollständig - nicht ausreicht, dazu ein 
paar Erläuterungen.

Mit diesen allgemeinen "ichs" ist generell "unsereiner" vom Standpunkt 
erster Person gemeint. Dieser allgemeine Standpunkt erster Person ist 
je mein Standpunkt als Subjekt, der den Standpunkt aller anderen als 
Subjekte mit einschließt. Sofern der Standpunkt erster Person nicht 
hintergangen, der Subjektstandpunkt des Anderen also nicht negiert, 
sondern voll akzeptiert wird, ist das Verhältnis zwischen diesen ein 
intersubjektives. Ein instrumentelles Verhältnis hingegen liegt vor, 
wenn der Subjektstandpunkt hintergangen oder negiert wird, der Andere 
also nicht wie "meinereiner", sondern als Objekt von Standpunkt dritter 
Person behandelt wird. Erst hier, bei Instrumentalbeziehungen, kommt es 
zu Objektverhältnissen. Deswegen ist die "Analogie zur 
Objektinstanziierung" nicht angebracht.

In Bezug auf die Selbstentfaltung wird diese Reflexivität der 
allgemeinen "ichs" im Oekonux-Diskurs sogar explizit ausgedrückt: Die 
Entfaltung des Einzelnen setzt die Entfaltung aller Anderen voraus - 
und umgekehrt. Was aus Sicht von Herrschaftsverhältnissen wie eine 
revolutionäre Forderung aussieht (nicht zufällig steht ein ähnlicher 
Satz im kommunistischen Manifest als soziale Utopie), ist aus Sicht der 
Kritischen Psychologie ein Selbstverständlichkeit, sofern es sich um 
intersubjektive und nicht instrumentelle Beziehungen handelt. 
Dieses "Selbstverständliche" (oder "Einfache" wie Brecht es nannte) ist 
aber schwer zu machen. Und zwar, möchte ich anfügen, weil Brecht und 
nach meiner Wahrnehmung auch du nicht verstanden haben, was 
Vergesellschaftung über die Wertabstraktion, über ein entfremdendes 
Drittes, wirklich bedeutet. Während Brecht und Genossen noch meinten, 
man müsse Verfügung über den Wert-Prozess erlangen, um ihn im guten 
Sinne verwenden zu können, erklärst du kurzerhand die Wertform zur 
zivilisatorischen Potenz ersten Ranges - und das heute! Brecht und Co 
muss man die Fehleinschätzung zugestehen: Sie haben es nicht besser 
wissen können. Du hingegen könntest es besser wissen.

Und weil die Wertabstraktion an buchstäblich allem klebt, was wir 
anfassen oder auch nur denken, mutet es mir grotesk an, diese 
einerseits in den Himmel zu heben und gleichzeitig die Individuen per 
Psychotherapie zu verbessern trachtest. Grotesk und gruselig. Präventiv 
schreibe ich schon mal dazu: Ja, das ist eine Bewertung, Hans-Gert, und 
ja, sie ist von mir.

Diesen "Mechanismus" habe ich anderenorts "Inklusionslogik" genannt
(zum Beispiel in Chemnitz, wenn du dich erinnerst): Es gibt keinen
anderen Weg, als über die progressive Integration Anderer
voranzukommen. Um diese "Anderen" wird gewissermaßen "konkurriert",
einfach weil es die "Werthebel" nicht gibt (den du unbedingt retten
willst). Das ist genau das Gegenteil der allgegenwärtigen
Exklusionslogik sonst, die ich wohl nicht weiter beschreiben muss.

In dieser Lesart machst du aber die Anderen zu Instrumenten deines
Selbst.

Nein. Siehe oben.

Wo ist der Mittelpunkt dieses Systems? Im "je selbst" der 
sich "je selbstentfaltenden Individuen"?

Ja. Der je individuelle Mensch ist Mittelpunkt und einzig gültiges 
Intentionalitätszentrum. Bleibt die Frage nach der gesellschaftlichen 
Vermittlung dieser sich "je selbstentfaltenden Individuen".

Statt alle anderen von *je 
meinem* Eigentum auszuschließen will ich nun alle (bzw. möglichst
viele) für *je meine* Ideen begeistern? Meinst du, ein solcher
kollektiver Egozentrismus kann je funktionieren?

Ja. Wobei ich statt "Egozentrismus" besser "Entfaltung von 
Individualität" verwende, weil "Egozentrismus" gewöhnlich nur im Modus 
von Instrumentalbeziehungen gedacht wird. Versuche es im Modus 
intersubjektiver Beziehungen zu denken, und es geht auf.

Ist hier nicht noch mindestens 
eine weitere Denkleistung ähnlich der des Übergangs vom
geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild nötig?

Das verstehe ich nicht.

es geht um den gesellschaftlichen Menschen, der den je gegebenen
Möglichkeitsraum nutzt und ggf. erweitert - für sich und _damit_
für alle Anderen.

Du scheinst hier einen gewissen Automatismus ("und _damit_ für alle
Anderen") zu sehen.

Du magst es "Automatismus" nennen, aber das trifft es nicht. Ich habe 
versucht, es als Modus von Beziehungen zu formulieren. Kein "Modus" 
stellt sich hierbei automatisch ein. Unter Bedingungen, unten denen je 
ich mich nur behaupten kann wenn ich mich auf Kosten anderer 
durchsetze, ist der Modus der Instrumentalbeziehungen nahegelegt - und 
zwar mit beträchtlicher Wucht. Es ist nicht einfach, diesen "Modus" 
aufzugeben und er ist schon gar nicht herbeitherapierbar. Vielmehr geht 
es darum, Bedingungen zu schaffen, unter denen es subjektiv nicht mehr 
funktional ist, den anderen zum Objekt und zum Instrument des eigenen 
Fortkommens zu machen. Gesetzt solche Bedingungen sind vorhanden, ist 
damit immer noch kein Automatismus gegeben. Es werden nun "nur" 
intersubjektive Beziehungen "nahegelegt", um sich zu entfalten, weil es 
anders nicht geht (jedenfalls nicht dauerhaft).

Aber die "je gegebenen Möglichkeitsräume" 
existieren doch con-current, in der gleichen Raum-Zeit, was zu
Interessen- und Gestaltungskonflikten führt, die bearbeitet werden
müssen. Und wird nicht "New Culture", das sinnvolle und nachhaltige
Gestalten dieser Interaktionsformen, zum Hauptfeld gesellschaftlicher
Auseinandersetzung? Geht es also weniger um die Menschen als um die
Zwischenräume (genauer: Relationen) zwischen ihnen?

Ja, um die Beziehungen, wie dargestellt.

Zu Hütten:

Nö, dazu sag ich nix mehr. Sich unterschiedliche Wahrnehmungen 
vorzuhalten, bringt gar nichts. Nimm es doch einfach mal hin.

Soviel zum Thema "ausbeuterisches Verhalten" - was ja der analytische
Ausgangspunkt dieser "Empirieauswertung" war. Will ich mal explizit
nachschieben, denn es geht mir nicht um das Begleichen von
Rechnungen, sondern um die Anaylse unserer eigenen Praxis.

Deine *Analyse* ist *natürlich* die wahre, schon klar...

Braucht wohl noch viel Geduld, bis du begreifst, dass ich damit
nichts anderes als die Ausbreitungsform von "New Culture" meine.

Fang doch einfach mal bei dir an.

Die Sozialisationsthese halte ich für inadäquat, um die wirklichen
Probleme auf den Begriff zu bekommen. Aber sie ist weit verbreitet.
Darauf kannst du in der Tat mit deiner "triviale Annahme" bauen.

These? Das ist für mich ein empirisch bestens untermauerter *Fakt*. 

Dann nimm mal diesen "Fakt" und kontrastiere ihn mit deinen eigenen 
Ansprüchen:

* Ständig Konsistenz der eigenen Argumentation hinterfragen, was
permanente Selbstreflexion einschließt;
* Annahme einer besonderen Rolle von wem auch immer ist obsolet;
* Alles steckt so voller Lüge, dass es schwer ist, zum wahren Kern
vorzudringen. Richtschnur können *konkrete* Utopien sein.
* Die Formfrage ist ein wichtiger Teilaspekt der Zielfrage;
* Bruchstellen suchen.

Neues Thema, gleicher Kontext:

Und die Sozialismusversuche des 20. Jahrhunderts, die ja alle
angetreten waren mit dem Anspruch, diese Wertform zu überwinden,

Das stimmt doch gar nicht. Der Anspruch wurde gerade nicht
vertreten. Stattdessen betrieb der Sozialismus eine bloße
Adjektivierung der bürgerlichen Kategorien: sozialistisches Geld,
sozialistische Waren, sozialistische Arbeit, sozialistischer Staat
etc.

Ah ja? Gibt es vielleicht einen Unterschied zwischen den Konzepten,
mit denen diese Versuche *angetreten* sind und was und wie sie sich
dann im Laufe der Entwicklung versucht haben zu "drehen"? Waren die
NÖP der 20er Jahre in Sowjetrussland oder die NÖS in der DDR der 60er
Jahre die Konzepte, mit denen die jeweiligen Sozialismusversuche
*angetreten* sind? Oder schon Ergebnis dessen, dass sie gemerkt
haben, dass ihre Visionen ohne Wertform Kappes sind.

Dass du das so auswertest, ist konsistent: Die geheiligte Wertform, die 
zivilisatorische Potenz ersten Ranges, kann als Quasi-Natur gar nicht 
in Frage gestellt werden. Schlicht falsch ist jedoch die Behauptung, 
dass vor NÖP/NÖS die Wertform in Frage gestellt worden sei. Es gab 
dafür keinen angemessenen Begriff, und es gab diesen Anspruch auch gar 
nicht, den man dann qua "Reform" erst durch "Einsicht" hätte aufgeben 
müssen. Vielmehr war völlig klar, dass die Armutsgesellschaften erst 
einmal (mit aller Gewalt und unter riesigen Opfern) die Wertproduktion 
in Gang bringen mussten, damit die Leute schlicht nicht verhungern. 
Diesen Prozeß hat Robert Kurz treffend als (gescheiterte) "nachholende 
Modernisierung" bezeichnet.

Dass sich 
übrigens auch Rubens Kritik gerade aus *dieser* Erfahrung profund
speist, sei nur in Parenthese bemerkt.

Im Wortsinne finde ich es pervers - wenn auch argumentativ konsequent - 
daraus eine Rechtfertigung, ja, Naturalisierung der Wertform 
abzuleiten.

Und meinst du, dass sich Uli Weiß auf seiner noch immer Suche nach
einer Vision ohne Wertform von Ungefähr im Kreis dreht? Und dass
Heinz P. (Verweis: wiki-de:/HGG/WAK-Debatte) als eine der ersten
Kritiken äußert, "dass die gesellschaftliche Funktion von Wert im
Kapitalismus in einer neuen Gesellschaft nicht ersatzlos aufgehoben
werden *kann*" (Hervorhebung - hgg)?

Das ist völlig nachvollziehbar, dass auch Heinz P. genauso wie du und 
Ruben und die wahrscheinlich übergroße Mehrheit der Ossis (die das 
überhaupt noch interessiert) so argumentieren. Es ist - und das wurde 
von Seiten der unterschiedlichen Richtungen der Wertkritik bis in die 
kleinsten Winkelzüge ausargumentiert - trotzdem nicht haltbar. Es ist 
menschlich und aus der Geschichte der Theorieentwicklung im Osten 
völlig nachvollziehbar, aber trotzdem falsch. (Ja, ja, das ist _meine_ 
Meinung etc. pp.)

Wäre es nicht sinnvoll, sich mit diesen Argumenten
auseinanderzusetzen oder, wenn sich das schon jenseits deiner
Vorstellungswelt abspielt, es wenigstens als Denkansatz wohlwollend
zu tolerieren? Auch innerhalb der Oekonux-Welt?

Ich habe keine Denkansätze wohlwollend zu tolerieren - aus welcher 
patriarchalen Position heraus sollte ich das denn tun? Das steht mir 
überhaupt nicht zu. Ich kann dir Respekt erweisen, indem ich dir klar 
sage, was ich davon halte. Und btw: Es klingt witzig in meinen Ohren, 
wenn du als Zivilisationsexperte der Wertform im Chor der uniformen 
Mehrheit dich vor mich hinstellst, dich als Opfer gerierst und von mir, 
der ich eine ausgewiesene Minderheitsposition vertrete, Toleranz 
forderst.

Ciao,
Stefan

-- 
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