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Re: [ox-de] Re: Wozu Autarkie?



Hi Ludger und alle!

@Ludger: Es wäre übrigens ausgesprochen hilfreich, wenn du deinem
Mailer mal standardgemäße Replies beibiegen könntest. Mehr zu diesem
Thema siehe http://learn.to/quote.

@Ludger: Ich stimme dir in Vielem zu - kommentiere ich hier nicht
weiter.

Ich klinke mich nochmal in diesen Thread ein, weil es aus meiner Sicht
hier eine Denkblockade gibt - die ich gerne auflösen will. Mal vorweg
kurz auf den Punkt gebracht: Bei der arbeitsteiligen Produktionsweise,
ohne die eine menschliche Gesellschaft heute nicht mehr gedacht werden
kann, ist ein Güter(!)fluss unabdingbar - dieser kann scheinbar nur
über (entfremdeten) Tausch, also als Waren(!)fluss gedacht werden. Oder
man vermeidet die Arbeitsteilung durch zumindest materielle Autarkie
mittels individualisierter Produktionsmaschinen.

Für mich sind das zwei Extreme, die beide nicht funktionieren. Hier
würde ich gerne das KnowHow von Leuten haben, die von materieller
Produktion wirklich was verstehen - also von Maschinenbauern -, die
uns auf der *Sachebene* sagen können, was sinnvoll ist und was nicht.
Jedenfalls geht nicht alles dezentral und schon gar nicht unter
ökologischen Aspekten (Stichwort Stahl) - also kann Autarkie höchstens
ein Teilaspekt sein.

Um auch mal wieder einen Blick in die Realität der Peer Production zu
werfen. Zentrales Element der Produktion ist ja auch das KnowHow der
ProduzentInnen. Das ist natürlich auch in einzelnen Köpfen
konzentriert und nicht feinverteilt. Ok, durch digitale Kopie kann ich
mir deren Produkt zu eigen machen - insofern hinkt der Vergleich. Ich
lasse ihn trotzdem mal zur Weiterentwicklung hier stehen.

Ich gehe mal auf zwei Mails aus verschiedenen Threads hier ein.

2 weeks (17 days) ago Ludger Eversmann t-online de wrote:
Weiss ich ja gar nicht wo ich anfangen soll. Eine Frage wär zum
Beispiel: sage ich Sachen, die gewissermassen ja auch Theoriestücke
sind, oder sage ich erst mal was dazu ob und wie Theorie überhaupt
gefragt und gebraucht ist?

Ich glaube wir können festhalten, dass Theorie heute eine aussterbende
Gattung ist ;-)-: - zumal im politischen Diskurs. Möglicherweise ist
es genau diese Theorielosigkeit, die dieser Zivilisation den Todesstoß
versetzt...

und ich finde ja auch Christians Slogan
"Beitragen statt Tauschen" genau mit dem Nagel auf den Kopf also
jedenfalls genau getroffen, Punktlandung, das ist genau der Punkt,
finde ich, und daraus kann man - theoretisch - den ganzen Rest
eigentlich entwickeln und ableiten,

Da bin ich anderer Ansicht. Das impliziert ja, dass im Kapitalismus
nichts beigetragen würde - und das stimmt ja nicht. Letztlich wird bei
Christian genauso wie im Kapitalismus abstrakte Arbeit beigetragen.

"Hier gibt es sogar zwei Fronten. Die immer weniger notwendige
menschliche Arbeitskraft ist die eine. Aber die immer schlechter zu
unterbindende Ausreichendheit tötet die Knappheit praktisch. Und ohne
Knappheit keine Ware."

Was die Knappheit tötet ist sogenannte Marktsättigung. Da gibt es ja
die Gossenschen Sättigungsgesetze. Die Neo-Klassiker bestreiten das ja
dass es das geben kann - das ist ja der Kardinalstreit unter den
Ökonomen. Es gibt bis heute keine ökonomische Theorie, die sowohl
Sättigung als auch den "technischen Fortschritt" in ihr Modell
einbinden kann, wird einfach ausgeblendet. J. M. Keynes war ja einer
der ganz wenigen die das nicht gemacht haben, und der hat ja für die
1970er Jahre genau das vorausgesagt, was ja dann auch genau
eingetreten ist, und was bei Konicz sehr schön beschrieben ist:
allmähliche Marktsättigung auf den wichtigen und die Entwicklung
treibenden Märkten, und allmählich fing das damals an dass die
Prozessinnovationen ("Rationalisierungen") die Produktinnovationen
überholt haben,

Oh, ist ja interessant, das Altmeister Keynes das auch schon gesehen
hat!

ergo: Fall der Profitrate, und (relativ) immer weiter
steigende Arbeitslosigkeit, und daher immer grösserer Druck auf die
Löhne. - Keynes hat eben daraus gefolgert, dass die Rettung die immer
weiter fortschreitende Arbeitszeitverkürzung sein müsste. Ganz falsch
ist das ja m. E. nicht, aber irgendwann funktioniert das nicht mehr...

Warum auch immer genau. Fakt ist jedenfalls, dass diese durchaus
vorhandene Tendenz - die Älteren unter uns werden sich noch an
machtvolle 35h-Kampagnen incl. Arbeitskämpfen erinnern - sang- und
klanglos von den Gewerkschaften aufgegeben wurde. Oder war es der
globale Marktdruck?

Wieso ist es so wichtig dass nicht mehr getauscht wird:

"Im Kern geht es um die Verwertung von (abstrakter) Arbeit. Abstrakt
ist die Arbeit, weil sie von dem konkreten Gegenstand abgelöst ist. Es
ist egal, womit ich meine Brötchen oder meinen Profit mache.

Peer Production braucht konkrete Arbeit - es ist eben nicht egal in
welchem Peer-Production-Projekt ich mich engagiere.

Die Verwertung (abstrakter) Arbeit funktioniert immer schlechter -
weswegen die Finanzblasen aufgeblasen werden müssen. Glücklicherweise
wächst das Rettende auch..."

Abstrakt werden die Dinge die getauscht werden (Waren, also Güter und
auch die Arbeit) dadurch, dass im Moment des Tauschens, also des
Erwerbs oder Besitzwechsels von den restlichen Eigenschaften einer
Sache abstrahiert wird, und nur der Tauschwert interessiert.
[...]
Also: solange es diese hochspezialisierte Arbeitsteilung, diese
extreme gesellschaftliche Arbeitsteilung und Spezialisierung in der
Erzeugung der (meisten) wichtigen Güter und Dienstleistungen gibt,
kann man ja auf Tausch nicht verzichten - wenn der eine nichts anderes
kann als ultraharte Zahnräder herzustellen, und der andere nichts
anderes als TetraPak-Verpackungen - dann bleibt denen nichts anderes
übrig als sich auf einen grossen Markt zu stellen und zu sehen, dass
sie ihr Zeug los werden, möglichst gegen ein Tauschmittel, von dem sie
sicher sein können dass es ihnen jederzeit wieder abgenommen wird. Das
ist eben Geld.

Auf was wir wirklich nicht verzichten können, ist der Güterfluss. Wie
er organisiert ist, ist aber gesellschaftlich determiniert und damit
formbar. Aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen kannst du dir
Güterfluss offenbar nur als Warenfluss vorstellen. Warum? Die Güter in
Peer Production fließen auch als Güter und nicht als Waren - wiewohl
es ja auch proprietäre Software gibt, die durchaus als Ware gehandelt
wird. Warum *müssen* materielle Produkte als Ware fließen? Ich sehe
keinen wirklichen Grund.

Solange die ganze Produktion so läuft, dass es lauter
Spezialanbieter gibt, die darauf hoffen genau ihre "Nische" gefunden
zu haben wo sie dann "besser" (weil schneller, billiger, qualitativ
besser) sind als andere, die sich eben nicht spezialisiert haben, kann
man nichts anders machen als zu tauschen.

Unter Marktbedingungen: Ja. Jenseits davon: Nein.

Wenn man das aber nicht
machte, und jeder seinen Eigenbedarf herstellen würde, gäbe es einen
dramatischen Rückschritt und Rückfall in der Güterversorgung, wir
wären alle arm und kümmerlich gekleidet und sässen auf selbstgesägten
Sofas und müssten auf selbstgeschmiedeten Fahrrädern rumfahren... und
den ganzen Tag den Garten umgraben. (fragt Frithjof Bergmann!)

Erst wenn es diese Art von Produktion gibt, in der die Spezialisierung
nur noch eine Spezialisierung des Wissens ist, das dann irgendwo
öffentlich und "OPEN" abgelegt und ganz einfach öffentlich zugänglich
gemacht werden kann, kann man so langsam anfangen, auf den Tausch von
fertigen Waren gegen Geld zu verzichten, weil die Sachen dann eben
nicht mehr aus Fabriken mit Arbeitern und mit einer Marketing-
Abteilung und einem Finanzvorstand kommen, sondern aus solchen
Maschinen, die "selber" überhaupt kein "Fachwissen" mehr haben müssen,
sondern einfach so ein STL-File abarbeiten, das aber dieses ganze
know-how enthalten muss das notwendig ist, um irgendein taugliches
"Gut", einen Gebrauchsgegenstand, herzustellen.

Warum könnte das nicht auch graduell entstehen? Die Frage ist ja: Wie
kriegen wir die restliche lästige / nicht-selbstentfalterische /
notwendig abstrakte Arbeit da raus? Die ist es ja, die uns letztlich
ein Bein stellt. Nehmen wir mal an, jemand hätte die privaten
Produktionsmittel für die Produktion gesellschaftlich nützlicher
materieller Güter und betrachtete es als seine Selbstentfaltung, diese
zu produzieren. Dann blieben nur noch die Kosten für Rohstoffe und
Transport. Könnte das nicht ein evolutionärer Weg sein, der *nicht* in
materieller Autarkie endet?

Natürlich befinden
wir uns mit dieser Technologie ganz am Anfang, natürlich ist das alles
noch weit weg, natürlich müssen diese Maschinen gepflegt und gewartet
und vor allem auch gebaut werden,

M.a.W.: Da steckt Arbeit drin. Die Kernfrage aus meiner Sicht: Wie
wird aus abstrakter Arbeit Selbstentfaltung?

aber diese Technologie ist - finde
ich - der "Keim" sozusagen für was Neues, und m. E. genau dieses neue
Produktionsmittel das der Kapitalismus sich ausbrüten muss, um eine
neue; "höhere" Form der Organisation und Vergesellschaftung zu
verwirklichen. Das - und die Netz-Technologie zur Vergesellschaftung,
sowie natürlich die Software zur Steuerung - ist das Rettende, das
eben auch wächst, und dazu gehören dann sicher auch Menschen mit einem
"neuen" Bewustsein: die eben in der Lage sind über den Tellerrand zu
schaun, also auf das Ganze, die verantwortlich denken können, die
nicht mehr so sehr von der Furcht vor Knappheit und materiellem
Mangel geprägt sind, und daher einfach kooperativer und
selbstständiger und weniger hierarchiegläubig und sozialer "gepolt"
sind.        

Ich traue dem Bewusstsein nicht und schon gar nicht dem besseren
Menschen. Beides brauchen wir m.E. aber nicht. Die Realität und der
konkrete, praktische Nutzen von Peer Production ist schon überzeugend
genug.

Also nochmal hierzu:

"Ich denke nicht, dass jeder alles selber direkt herstellen können
muss. Ich sehe keinen fundamentalen Grund, warum es kein Verteilsystem
für materielle Güter geben darf."

Das "Selber herstellen" ist ja unter diesen Bedingungen was ganz Neues
und irgendwie ja auch nicht "selber" herstellen - man zapft ja nur ein
im Grunde öffentliches System an.

Nein. Die (gewaltsam) dezentralisierte Produktion ist natürlich ein
"selber herstellen". Ich muss mich um die ganze Wartung und Rohstoffe
und Zeug noch selbst kümmern. Das will ich doch überhaupt nicht!

2 weeks (17 days) ago Ludger Eversmann t-online de wrote:
Und dieses systemische Produktionsmittel befindet sich
(sinnvollerweise) nicht in privatem Eigentum einer einzelnen
natürlichen oder juristischen Person,

"Warum ist das sinnvoll?

Ein Problem ergibt sich m.E. vor allem dann, wenn der Eigentümer das
Produktionsmittel zu entfremdeten Zwecken wie z.B. Marktproduktion
einsetzen kann. Wenn es keinen Markt mehr gibt, dann entfiele dieser
Grund schon mal. Was bleibt dann noch als sinnvolle Begründung für den
Besitz eines Produktionsmittels? Doch wohl nur, dass man damit
sinnvolle Dinge tun will - oder?"

So ein Produktionsmittel zur Warenproduktion einzusetzen hat deshalb
keinen Sinn, weil - wenn das Produktionsmittel allgemein verfügbar ist
- niemand was produzieren kann was der andere nicht auch produzieren
kann!

Schon klar. Aber du antwortest nicht auf meine Frage.

"Wozu brauchst du Autarkie? Nicht nur das ich denke, dass die
Entwicklung der Produktivkraft alle Phasen, in denen so etwas auch nur
annhähernd sinnvoll sein könnte, lange hinter sich gelassen hat. Nein,
ich sehe auch überhaupt keinen Grund sich Autarkie zu wünschen.

Autarkie ist ein Modell aus Ideologien, in denen man von feindlichen
Mächten umzingelt war. Oder vielleicht auch in dem das bloße
Dagegensein, also die Antithese schon als Großtat gilt."

Wozu Autarkie? also eine Volkswirtschaft an sich wird ja so gedacht,
dass die autark ist, wenn man mal in theoretischer Einstellung da ran
geht, also nicht einfach die ganze Weltwirtschaft sich vorstellt,
obwohl die natürlich auch autark sein muss!

Spätestens seit der Globalisierung ist eine autarke Volkswirtschaft
eine Mangelwirtschaft. Am längsten hat das wohl mal Albanien
ausgehalten...

was wäre jetzt sozusagen die kleinste wirtschaftliche organisatorische
Einheit, die sich so - mit diesen Mitteln und nach diesen Prinzipien -
am Leben erhalten könnte?

Das ist eine Frage, die mich unter (feindlichen) Marktbedingungen
interessiert - aber unter Bedingungen von Peer Production ist diese
Einheit ein Individuum.

In der klassischen Ökonomie setzt man da die
Produktionsfaktoren voraus (Arbeit, Kapital, Rohstoffe), und da gehts
dann eben los mit den Produkten, dem Markt und den Preisen.

Und unter Peer Production?


						Grüße

						Stefan


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