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Re: [ox-de] Vorstellung - neu im Club



Hi Ludger und alle!

Ein herzliches Willkommen auch erstmal von dir. Und auch vielen Dank
für deine Ausführungen. Ich freue mich immer, wenn Leute auch ohne
Oekonux-Hintergrund zu den Erkenntnissen kommen, die wir hier seit
geraumer Zeit entwickeln. Das zeigt mir immer mal wieder, dass wir
hier nicht so ganz falsch liegen können :-) .

Ein paar Anmerkungen.

2 days ago Ludger Eversmann t-online de wrote:
Eine besondere Brisanz erhielt
dieses an sich rein wissenschaftstheoretische Thema durch den Umstand,
dass einer der Gründerväter der Wirtschaftsinformatik in Deutschland,
Prof. Peter Mertens (inzwischen emeritiert) 1995 hierzu den Vorschlag
gemacht hatte, das Wissenschaftsziel der Wirtschaftsinformatik solle
"die Vollautomation des Betriebes" sein, er plädierte also für die
Zielvision einer Maximierung bzw. Komplettierung der erreichbaren
Automationsgrade in der betrieblichen Fertigung in ganzen
Volkswirtschaften.

Mein moralischer Anspruch an dieser Stelle ist: Eine Arbeit, die von
einer Maschine ausgeführt werden kann, ist menschenunwürdig.

zeigt sich bei genauerer
Betrachtung, dass die unterliegende,  generalisierbare Tendenz der
nicht nur die fortschreitende Automation, also Maschinisierung von
menschlicher Arbeit ist, sondern simultan und ebenso sehr die
Flexibilisierung der automatisierten Produktionsprozesse,

Ja. Ich würde es so formulieren: Der Informationsanteil auch in der
materiellen Produktion wird größer. Individualisierung in der
industriellen Produktion ist ja nur durch weitere Informatisierung zu
erreichen.

d. h. als
denkbares "Perfectissimum" einer solchen Entwicklung der Automation
von Arbeit erscheint dann als vorstellbarer Kulminationspunkt
nicht ein vollautomatisierter Betrieb, der ein bestimmtes, gegebenes
Produktsortiment dann vollautomatisiert herstellen und am Markt
absetzen kann, sondern ein universaler Produktionsautomat,

Dazu bin ich wahrscheinlich zu wenig Maschinenbauer, aber ich würde
denken, dass die Sachlogik materieller, industrieller Produktion
solche Universalität - diesseits von Star Trek - nur für bestimmte
Produkte sinnvoll macht. Aber das ist kein Widerspruch. Ob der Fabber
jetzt unter meinen Schreibtisch passt oder eine Fabrikhalle füllt ist
aus theoretischer Sicht egal.

der aber
dann volkswirtschaftlich sinnvoll und nutzbringend nur als im Besitz
des Konsumenten selber befindlich gedacht werden kann, der damit dann
eben zum Prosumenten würde: die Rollen von Produzent und Konsument
würden in diesem Augenblick, mit dem Verfügbarhaben eines solchen
universalen Produktionsautomaten eben ineinander verschmilzen.

Na ja, in gewisser Weise sind wir ja alle immer schon Prosumenten: Wir
produzieren und konsumieren - halt nicht das gleiche Produkt. Und die
Arbeitsteilung, die wir heute haben, ist ja auch nicht wegzudenken -
warum auch. Also wird es immer Leute geben, die das produzieren was
ich konsumiere.

Und das ist ja auch erstmal kein Problem. In der Freien Software und
bei Wikipedia kann ich mich auch darauf verlassen, dass andere
nützliche Dinge produzieren, die ich dann nutzen kann.

Volkswirtschaftlich weittragend ist dann auch die Einsicht, dass in
dem Augenblick ja auch der volkswirtschaftliche Akt des Tauschens sich
erübrigen würde: es entfallen dann Spezialisierung und deren
wertschöpfende Effekte, denn voraussetzungsgemäss sind universale
Produktionsautomaten zu jeder vorstellbaren Spezialisierung fähig, der
eine wie der andere... 

Ich denke nicht, dass die Spezialisierung entfällt - eher im
Gegenteil. Auf der verfügbaren produktiven Basis ist ja aufzubauen und
die Komplexität eben dieser Basis erfordert ja heute schon
SpezialistInnen. Das wird eher mehr werden.

Auch der Aspekt der Selbstentfaltung, den wir bei Oekonux für sehr
wichtig halten, spielt hier eine wichtige Rolle. Warum machen diese
Leute denn das? Da sie nicht (strukturell) gezwungen werden, müssen
sie je eigene Gründe haben, die wir Selbstentfaltung nennen. Platt
gesagt: Spaß an der Arbeit. Spezialisierung kann hier einen wichtigen
Beitrag leisten. Einigen Menschen machen ja Sachen Spaß, die sie schon
gut können, die aber gleichzeitig noch eine Herausforderung bieten.
Das ist der Weg in eine tiefere Spezialisierung.

möglicherweise so weit, dass das Geld selber aus Tausch-
und Wertaufbewahrungsmittel eines Tages überflüssig wird. 

Sogar ganz bestimmt. Mal mit Marx'schem Hintergrund gesprochen: Wenn
die abstrakte Arbeit verschwindet, dann gibt es auch keinen Grund mehr
diese in Geld zu kodieren. Praktisch zu sehen im Kern von Peer
Production.

Nun ist es natürlich so, dass eine vollkommene universale
Replikationsmaschine, die sich auch noch selbst replizieren und
traumhafte Kapazitäten und Fertigungseigenschaften besitzt, nicht mal
eben vom Himmel fällt, hier befindet sich die Gesellschaft mit allen
ihren materiellen und geistigen Ressourcen in einem langsamen und
mühevollen Prozess des Wandels, und dieser Prozess wird sicher auch
anhalten, wenn die dominierenden Organisationsprinzipien des
Wirtschaftens schon nicht mehr Märkte, Geld und Waren sind. 

Eine post-kapitalistische Gesellschaft - genauer: eine
Post-Tauschgesellschaft - wird die vorgefundene Basis nach und nach
umbauen müssen. Sie wird quasi den in die Produktionsmittel
eingewobenen Kapitalismus ersetzen müssen. Platt: Produktionsmittel
müssen Spaßmaschinen werden.

Ansonsten könnte natürlich als Denkmodell nach der großen Revolution
( ;-) ) erstmal alles so weiter gehen wie bisher. Und dann könnte
iterativ umgebaut werden. So ist das eigentlich immer (erfolgreich)
gelaufen und wir sehen ja heute schon die Frühformen davon.

Und zur Beschreibung dessen, wie künftig einmal wertschöpfende
Prozesse organisiert sein sollen, wie Menschen miteinander in
Beziehung treten, um kulturell wertvolle, nutzenstiftende Leistungen
zu erbringen, da finde ich die hier entstandene Debatte um Ökonux-
Prinzipien (nenne ich sie jetzt mal...) sehr spannend und interessant,
und würde mich daher sehr gerne an dieser Debatte beteiligen. 

Na ja, mit der (abstrakten) Wertschöpfung haben wir es hier nicht so.
Aber der Gebrauchswert ist natürlich wichtig.

Ansonsten findet eine ruhige aber stetige Debatte auch und vor allem
auf der englischen Mailing-Liste des Projekts statt:

    http://www.oekonux.org/list-en/

Ganz hilfreich finde ich in diesem Zusammenhang die Einsicht, dass die
Probleme der aktuellen Weltwirtschaft (aktuell noch immer etwa
Finanzkrise, die nächste Krise (US-Hypothekenmarkt) scheint sich schon
anzubahnen...) im Kern Probleme einer reifen, und durchaus eben auch
erfolgreichen Entwicklung der Industrialisierung der entwickelten
Industriestaaten sind (rein wirtschaftlich gesehen: was die
Ausstattung der Gesellschaften mit Gütern und Dienstleistungen
angeht). Es ist im Kern ein Sättigungsproblem, das Problem sehr vieler
weltweit gesättigter Märkte, daher fehlender produktiver
Investitionsmöglichkeiten, und daher diese immer unseliger und
verhängnisvoller werdende Tendenz zu unproduktiven, rein spekulativen,
teilweise ja schon regelrecht betrügerischen Investitionen und
Initiativen (siehe das Engagement von Goldman Sachs in Griechenland z
B...). 

Mit einem Wort: Der Kapitalismus ist zu reich geworden.

Ich bin also sehr dezidiert der Meinung, dass aktuell dringend ein
Entwurf einer post-kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft
geschaffen werden muss, um eine gangbare, tragfähige und belastbare
Architektur zukünftiger Gesellschafts- und
Wertschöpfungsgemeinschaften zu besitzen, sowie ferner auch (bzw.
mindestens ebenso wichtig) dass auch technisch die Entwicklung in
Richtung Schaffung von öffentlich nutzbaren Produktionskapazitäten
voran getrieben wird,

Die Frage des Besitzes großer Produktionsmittel finde ich auch sehr
interessant. Hochgerechnet von heutiger Peer Production müssten auch
große Produktionsmittel im Besitz der jeweiligen Produktivgruppe sein.
Aber ob das gut ist?

Viele interessante Fragen zu diesem Themenkomplex sind übrigens auch
auf

	http://en.wiki.oekonux.org/Oekonux/DrawingBoard

gesammelt.

denn die soziale Absicherung auf dem bisher
verfolgten Weg der Schaffung von Wachstum und damit sekundär von
Arbeitsplätzen und damit von gesichertem Einkommen, wird offenbar
zunehmend absurd und fragil. 

Definitiv. An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass die Peer
Production schon heute die Rechnung senkt.

Die demnächst sich ankündigende Gründung eines weiteren FabLab in der
Welt (FabLab St. Pauli, Hamburg) finde ich da sehr viel versprechend! 

Wenn du dazu was berichten kannst, würden wir uns alle freuen. Es ist
wichtig für Oekonux die Realität weiter zu beobachten. Nur so lässt
sich überprüfen, ob die theoretischen Überlegungen passen.


						Grüße

						Stefan


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