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Re: [ox-de] Forschungsprogramm Keimform



Hallo Stefan,

Danke für die doch deutliche Klarstellung, was *du* mit dem
"Keimform"-Begriff verbindest.

mir scheint, dass über den Begriff Keimform vs. Keimform_en_ andere 
Fragen ausgetragen werden als eben jene nach der theoretischen 
Fundierung eines Begriffs.

Ja, das sehe ich auch so. Den Grund, den ich dafür sehe, hast du genannt

Freie Software _ist_ nicht eine Keimform, sondern weist Merkmale
auf, die eine qualitativ neue Form der Vergesellschaftung hindeuten -
nur insofern "ist" Freie Software eine Keimform.

Insofern steht nach meinem Verständnis "Keimform" in der Oekonux-Debatte
für deutlich mehr als du es hier aufreißt; nämlich als Synonym für
"qualitativ neue Form der Vergesellschaftung", über deren Wesen unsere
Meinungen sehr weit auseinandergehen. Ich weiß deshalb nicht, ob du
durch den Versuch einer abstrakt-kategorialen terminologischen Schärfung
den "Geist" wirklich wieder in die Flasche zurückbekommst - formuliere
ich mal vorsichtig.  Gleichwohl halte ich eine solche terminologische
Schärfung auf der begrifflichen Ebene - jenseits der Frage nach den
Benennungen - für sehr wünschenswert. *Delikate* Sache also - in der
Semantik des Worts "delikat", die sich dir aus dem Archiv (Debatte
zwischen Stefan Merten und mir vor einem Jahr) sicher erschließt, füge
ich sicherheitshalber hinzu.

Dass es dabei auf Oekonux nicht vordergründig um die "Keimform" (Form),
sondern um die "qualitativ neue Form der Vergesellschaftung" (Inhalt)
geht - predige ich seit Jahren in leidiger Kontroverse auch mit dir -
und du und Annette sagen es ja eigentlich auch:

Ja, du hast den Dreh- und Angelpunkt erfasst. Aber auch schon Annette
hat begründet, warum aus von der _immanenten Bewegung_ des
Gegenstandes ausgehend möglich sein kann (wenn auch sicher nicht
einfach):

Am Friday 11 August 2006 14:42 schrieb Annette Schlemm:
Es geht um die innere Struktur der neuen Gesellschaft, die ihr
immanente Wechselwirkung der Bestimmungen, wodurch sie sich (in
Wechselwirkungen) auszeichnet.

---------------

Der Begriff "Keimform" ist eine Kategorie ... sind Kategorien
analytische Denkmittel, um solche einzelnen Sachverhalte in ihrer
Bestimmtheit und ihren Beziehungen zu anderen einzelnen Sachverhalten
erkennen zu können. Kategorien bezeichnen _keine_ dinglichen
Instanzen, sondern sie bezeichnen Denkformen, nein, mehr noch, sie
_sind_ Denkformen.

... Mit Hilfe dieser Kategorie können wir durchaus unterschiedliche 
realhistorische früheste Formen einer qualitativ anderen Form der 
Vergesellschaftung erkennen ... Diese unterschiedlichen einzelnen
Erscheinungsformen sind - so sie mit dem analytischen Begriff der
"Keimform" erfasst werden können - wesensmäßig identisch, wenn auch
in ihrer konkreten Erscheinung verschieden: Sie gehören zum 
_gleichen_ Konkret-Allgemeinen, sie verweisen in ihrer 
Entwicklunglogik auf die _gleiche_ neue Form der Vergesellschaftung. 

Sie sind wesensmäßig identisch nur in Bezug auf *diese Realabstraktion*,
denn jeder solchen Realabstraktion geht auf der Ebene des je Konkreten
ein Prozess des Ausblendens des "Unwesentlichen" voraus. Erst *nach*
diesem Ausblenden (bzw. eng mit ihm verwoben) ist überhaupt so was wie
"Realabstraktion" möglich. Insofern machst du hier einen Kurzschluss,
wenn du aus "gleicher Keimförmigkeit" als kategorial-abstraktem Begriff
auf "gleiche neue Form der Vergesellschaftung" schließt. Damit *setzt*
du implizit zugleich - auf dem Hintergrund der Oekonuxdebatte extrem
problematisch - (d)eine spezielle Sicht auf diese "neue Form der
Vergesellschaftung" als die *prioritäre*.

Weiter Franz:
... Ein wenig weiter nördlich und ein wenig später bilden sich
freie schweizerische Bauernrepubliken mit demokratischer 
Verfaßtheit. Hier entwickelt sich auch die Calvinistische Ethik.
Auch eine Keimform. Die Keimformen sind verschieden, sie wirken
zusammen, sie stoßen aufeinander. eine hegemoniefähige
gesellschaftliche Entwicklung kann meines Erachtens das Amalgam
verschiedener Formen sein. ...

Ich glaube, dass du mit der Analogie nicht richtig liegst. Du nimmst 
hier zwei Vorformen (es gibt noch sehr viel mehr), die schließlich in 
die bürgerliche Form eingeflossen sind, und erklärst diese beide zur 
Keimform. 

Stefan, hier wirst du dir selbst untreu. Wenn "Keimform" eine
konkret-allgemeine Realabstraktion ist, also so was wie eine Schablone,
die auf verschiedene realweltliche Phänomene (auch Formen) gelegt werden
kann, dann *kann* das, was Franz hier anspricht, höchstens eine Form
sein, die keimförmigen Charakter *hat*.

"Keimform" ist ja kein Begriff, mit dem die (real-konkrete) Form eines
Vergesellschaftungsprozesses erfasst werden soll, sondern die Form
dieser Form in einem gewissen Entwicklungsstadium.  Über die Frage,
welche real-konkreten Vorformen schließlich in der real-konkreten
bürgerlichen Form wie aufgehen, sagt sie überhaupt nichts aus und *kann*
sie - da es um die Form der Form und nicht den Inhalt der Form geht -
auch nichts aussagen.

Keimform_en_ im Sinne von Franz meint also nach meinem Verständnis die
real-konkreten Form_en_, deren keimförmiger Charakter mit den in deinem
Forschungsprogramm zu entwickelnden Analysewerkzeugen festgestellt
werden kann.

Dazu mache ich mit dieser Mail einen Vorschlag: Keimform als Einzahl,
weil Kategorie. Aber: keine konkrete Erscheinung _ist_ Keimform,
sondern hat sich am Keimformbegriff zu bewähren, der sich erst in der
Entwicklung befindet.

Sehr vernünftiger Vorschlag, den ich um folgenden Gedanken erweitern
möchte: jede real-konkrete Form, die auf diese Weise identifiziert
wurde, als "ein Keim einer qualitativ neuen Form der Vergesellschaftung"
(hier inhärent also Plural) zu bezeichnen, was paradigmatisch bedeutet,
die Bewegung hin zu dieser neuen Form als perspektivisch großen Strom zu
denken, der aus vielen kleinen Bächen zusammenläuft.

Das macht die Angelegenheit auch von einem evolutionären Standpunkt
 plausibler: Formen entwickeln sich weiter in Interaktion mit der 
Umwelt, sie werden komplexer, lebensfähiger. Das gilt meines 
Erachtens auch für Gesellschaftsformen.

Dabei vergisst du die qualitativen Übergänge - und genau darum geht es 
bei der "Keimform".

Stefan, das verstehe ich nicht. Nach meinem Verständnis gibt es
wenigstens zwei Arten von qualitätiven Übergängen. Der erste ist,
<Metapher>warum das meiste Wasser jetzt nicht mehr nördlich, sondern
südlich der Alpen runterkommt</Metapher> - also im Sinne von Holzkamp
Identifikation der beiden Dominanzen, zwischen denen der Wechsel
erfolgt, und der Gründe für diesen Wechsel - und <Metapher>wie aus den
vielen Bergbächen so was wie der Po wird und ob die Etsch mit
dazuzurechnen ist oder nicht</Metapher> - wie also aus
den *verschiedenen* Keimen oder Quellen schließlich die neue dominante
Form wird.

Viele Grüße, hgg

-- 

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
  Augustusplatz, D-04109 Leipzig, Raum 5-53	
  tel. : +49 341 97 32248
  email: graebe informatik.uni-leipzig.de
  Home Page: http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe

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