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Anti-Rivalry nicht-materieller Gueter, und Re[i]: [ox-de] Nochmal: gesellschaftliche Natur



Guten Tag allerseits,

Die mail mag lang geworden sein und wirr klingen, aber ich will
mich nicht nur über das Thema Allgemeinplätze unterhalten... Auch
wenn das gerade der Auslöser war ;-)

Die Rolle und Bedeutung des ``rivalisierenden'' oder
``nicht-rivalisierenden'' oder ``anti-rivalisierenden'' Charakters
von Gütern und Produktion hat mein Interesse geweckt...

Aber erstmal die eher persönlichen Erwiderung an Dich, Jacob:

Jac (2006-08-13 05:23 [PHONE NUMBER REMOVED]):
Am Donnerstag, 10. August 2006 23:00 schrieb El Casi:
Ich halte die Darstellung, daß Kindern, welchen Respekt entgegen
gebracht wird und die durch diesen Respekt Vertrauen in ihre
Lebendigkeit und ihre Fähigkeiten entwickeln können, für eine
konkrete Antwort.

Das halte ich nämlich für einen Allgemeinplatz.

Wäre dies ein Allgemeinplatz, würden nicht rund 3 000 Fälle totge-
schlagener Kinder - bis zum Säugling - jedes Jahr den Gerichten
bekannt und es gäbe keine über Jahrhunderte  gehende Praxis, aus
Gründen der Erziehung Kinder zu schlagen.

Ich fürchte (und bin mir ziemlich sicher), Du machst Dir hier ein
falsches Bild von den Teilnehmern und Abonnenten dieser Liste.
Die Leute, die Du offenbar erreichen willst, mußt Du m.E. auf
einem anderen Kanal suchen.

Bis auf kleine, dem psychiatrischen Symptom für Geisteskrankheit
des 'Alternativen Lebenswandel' zuzurechnende Initiativen und
Gruppen erfahren Kinder im Kapitalismus keinen Respekt.

"keinen Respekt" -- ist das nicht wieder so eine hoffnungslos
undifferenzierte Aussage, die nur darauf abzielt, Menschen in gute
und böse einzuteilen -- solche, die sich ebenfalls mit dieser
Spielart von Schwarz-Weiß-Malerei zufrieden geben, und solche, die
es aus verschiedenen Gründen nicht tun?  ``Wer nicht für uns ist,
ist gegen uns!''  

Falls Du schlicht der gegenteiligen Ansicht bist, lohnt sich für
mich eine Fortsetzung des Dialoges nicht.

Daß Adam und Eva nicht die Ur-Eltern des menschlichen Geschlechts
sind, halte ich auch für einen Gemeinplatz, obwohl ich weiß daß
das Millionen von Menschen anders sehen, möglicherweise auch nur,
weil sie diese konkrete Frage eigentlich gar nicht interessiert.

Und wenn sich der Dialog mit Menschen für Dich nicht lohnt, die
andere Hobbies und Probleme haben als Indianer-Romantik, dann
hättest Du wirklich an der Bezeichnung der Liste ablesen können,
daß sich Dein Abonnement hier nicht lohnen könnte.

Und Du meinst, gescheiter als Marcuse und Habermas zu sein, die
Marx Scheitern schlüssig begründen?

Ich halte mich auch nicht für gescheiter als Aristoteles oder
Kopernikus und bin trotzdem anderer Ansicht als sie, was das
Zentrum des Universums betrifft.  Übrigens überrascht mich dieses
Autoritäten-Argument aus Deinem Mund, weil es nicht zu Deiner
sonstigen Argumentation zu passen scheint.

Wenn man in den Werken (oder mails) anderer nur die Bestätigung
der eigenen Ansichten oder Einsichten sucht, dann wird man
sicherlich viel Spaß daran finden, andere des Scheiterns zu
überführen.  Das entspricht schlicht nicht meiner Art der
Auseinandersetzung mit der Welt und mit anderer Leute Gedanken
über diese.  Das Konstatieren eines Scheiterns beinhaltet immer
die Definition des nicht erreichten Anliegens, die Unterstellung
eines Ziels.  Das kann eine sehr gescheite Unterstellung sein,
aber sie läßt, m.E. immer Raum für abweichende Sichtweisen.  Da
ich Marx (im Gegensatz zu Dir) nicht für einen Monokausalisten
haltte, macht die von Dir getroffene Aussage für mich nur einen
Sinn als Ausdruck für die Art Deiner Auseinandersetzung mit Marx
(nämlich eine monokausal-orientierte), die sich übrigens in meinen
Augen sehr von der Marcuses unterscheidet -- wahrscheinlich
rezipieren wir aber einfach auch diesen sehr unterschiedlich.  So
wie offensichtlich uns selbst, also Du Dich und ich mich und Du
mich und ich Dich.  Wie HGG nicht müde wird zu betonen, dürfte so
eine Konstellation eher die Regel als die Ausnahme sein.  Die
Frage ist also: wie groß ist die Toleranz für
Meinungsverschiedenheiten bei gemeinsamen Aktivitäten?  

Man könnte glatt fragen, ob dies nicht eine relevante Frage im
Zusammenhang mit der angeblichen Nicht-Rivalität von "virtuellen"
Gütern ist:  Software ist genauso wie wissenschaftliche Werke und
viele Arten von Kunst so gut wie kostenlos reproduzierbar, wenn
man von den eindeutig politisch motivierten Einschränkungen einmal
absieht.  Wenn ich das richtig verstanden habe, dann drückt sich
die Anti-Rivalität des Nutznießen-Könnens eines Gutes sich darin
aus, daß je mehr Menschen sich dieses Gut aneignen, desto höher
ist sein Nutzen für diese Menschen.  Das Verhältnis kehrt sich
also um: nicht mehr die Nutznießer sind Rivalen im Verbrauch,
sondern die sogenannten anti-rivalisierenden Güter sind Rivalen im
Gewinnen von Nutznießern, Benutzern, Konsumenten, Anhängern -- und
dadurch auch von Produzenten.  Der Spruch, Wettbewerb belebe das
Geschäft, scheint also seinen Sinn zu verändern:  Während der
Wettbewerb (die Konkurrenz) bei klassischen Waren dem Konsumenten
zu gute kommt (angeblich bzw. kurzfristig und einseitig gesehen),
scheint das bei den sogenannten anti-rivalen Gütern nicht
unbedingt der Fall zu sein:  Wenn sich zwei rivalisierende
Software-Projekte nicht gegenseitig befruchten können, dann
bedeutet die Teilung der Benutzer/Konsumenten/Produzenten... in
zwei (oder mehr) Lager, eine Verlangsamung der Entwicklung für
alle, also einen relativen Nutzensverlust -- und zwar für alle
Seiten: sowohl für die Konsumenten/Benutzer-Seite als auch für die
Produzentenseite.

Ebenso verhält es sich mit der Ideen-Produktion im allgemeinen:
wenn bspw. Theorie-Entwicklungen miteinander konkurrieren in dem
Sinne, daß sie zu einem beträchtlichen Teil der aufgewendeten Zeit
damit beschäftigt sind, anderer Entwicklungen Scheitern zu
konstatieren oder zu prognostizieren, nur um ihre Anhängerschaft
zu vergrößern oder zu halten und damit ihr Überleben zu sicherrn,
dann hält sich der ``anti-rivale'' Nutzen dieser Ideenproduktion
in äußerst engen Grenzen.  Und ab einem gewissen Grad kann man
bestimmt sogar Kontraproduktivität solcher Art von Umgang mit
sogenannten anti-rivalen Gütern diagnostizieren.

Interessant ist hier für mich, daß diese Art der Fixierung auf die
kontraproduktive Seite ideeller Produktion in verschiedenen
Sphären verschieden stark ausgeprägt zu sein scheint -- oder
täusche ich mich?

Selbst die (zeitweise) heißesten Rivalitäten anti-rivaler
Software-Produkte, scheinen nicht halb so lähmende Auswirkungen zu
haben, wie die ideologischen Grabenkämpfe im Bereich der
Gesellschaftstheorien.  Mir scheint, daß die Rivalitäten zwischen
KDE und Gnome, Vim und Emacs, Emacs und XEmacs zwar wahrgenommen,
aber nicht zu aktiven Hemmschuhen werden.  Auch im Feld der
Distributionen hat die Rivalität zwar mitunter ideologische Züge
und das kann mitunter kontraproduktive Dimensionen annehmen...
(*BSD vs. Linux..., Debian-Derivate vs. Debian, etc.).  Aber das
scheint mir längst nicht so dominant zu sein, wie die Rivalität
unter sogenannten politischen Gruppierungen oder gesellschaftlich
interessierten Theoretikern und Arbeitsgruppen und so weiter.
Auch in dieser Liste scheint m.E. so eine Auseinandersetzung zu
laufen: Stefan Merten will in Oekonux so etwas wie *ein Projekt*
sehen, welches an *einem Produkt* arbeitet, auch wenn sich dieses
eher als ein Strom von Erkenntnissen oder so darstellen muß. --
HGG hinwiderum möchte ein Feld zur Zusammenarbeit und zum
Austausch sehen: also einen Tummelplatz, der die ``Rivalität'' von
verschiedenen Ansätzen produktiv nutzbar macht. 

[ StefanMn, HGG: bitte korrigiert mich wohlollend, wenn Ihr Euch
 von mir verleumdet und falsch eingeschätzt fühlt -- das ist nicht
 meine Absicht ;-)]

Das Problem bei diesem Zwiespalt könnte sein, daß es zu wenig
Räume für die projekt-artige Theorieentwicklung gibt, und zu viel
Bedürfnis danach, und zu hohe Ansprüche an deren Voraussetzungen:
das klingt hier manchmal so, als würden alle Entwickler von Text-
oder Dokumenten-Editoren dieselbe Mailing-Liste benutzen, ohne es
zu merken.  Sie würden sich wahrscheinlich auch permanent in
Fetzen zerreiben, da sie, obzwar alle mit der Bearbeitung von
``Text'' beschäftigt, sehr unterschiedliche konkrete Ziele
verfolgen und umsetzen wollen... Andererseits kann die
Kommunikation zwischen den Teilnehmern dieser verschiedenen
Projekte bestimmt auch die Entwicklung jedes einzelnen Projekts
befördern -- vorausgesetzt, daß die Verschiedenheit der konkreten
Interessen und Kontexte gerade als Grund der Kommunikation
akzeptiert ist, und nicht bei jedem zu-Tage-Treten zu verbissenen
Überzeugungsversuchen oder/und Kommunikationsabbruchdrohungen
führt.  Die Produktion ``anti-rivalisierender'' Güter funktioniert
nur dann gut, wenn sich nicht-rivalisierend von statten geht.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Grad des Rivalisierens und
dem Mangel an praktischer, umsetzungsorientierter Relevanz?  Mir
scheint, daß Ideologien, die vorwiegend die Benennung von
Mißständen verfolgen, und nicht die Behebung derselben, zu
stärkerer Militanz neigen, zu Rechthaberei nicht mehr im
theoretischen Sinne, sondern im ideologischen.  Die Irrelevanz
bestimmter Ideoligie für die Freie-Software-Produktion scheint mir
eine wesentliche Voraussetzung dafür zu sein, daß diese so gut
funktioniert.  Und trotzdem läßt sich auch politische Ideologie
nicht völlig ausklammern -- aber sie hat den Vorteil, daß die
Arbeit eines Entwicklers auch unabhängig von (politisch-)
ideologischer Übereinstimmung geschätzt oder kritisiert werden
kann -- weil sie nämlich auch (in einem gewissen Maß) unabhängig
davon praktisch nützlich sein kann.

Gruß,
El Casi.
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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