Message 11927 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT11910 Message: 124/137 L1 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Reset ox - Fragen, die gestellt werden müssen



Hallo Stefan, hallo alle,

Zitat von Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org>:
Weder-noch ist meine Antwort: Nicht schließen, aber auch nicht so
weitermachen. Mein Vorschlag ist, dass wir uns einen Reset gönnen, und
uns eine Reihe von Fragen stellen. Die erste Frage, die wir uns stellen
sollten, ist die nach den Fragen, die wir uns stellen müssen;-)

Danke für diesen konstruktiven Beitrag! Nur schade dass noch niemand
inhaltlich auf deine Fragen geantwortet hat. Ich werd jetzt mal den Anfang
machen, in der Hoffnung nicht der einzige zu bleiben...

1. Welches Ziel wünsche ich mir für Oekonux?

Das Ziel, das mir bei Aktivitäten in diese Richtung vorschwebt, ist in
http://www.freie-gesellschaft.de/wiki/Infotext ganz gut beschrieben:

"Freie-Software-Projekte wie GNU, Linux und Firefox machen es seit
Jahrzehnten vor: Menschen arbeiten aus eigenem Antrieb, ohne durch Chefs
oder die Notwendigkeit zum Geldverdienen dazu gezwungen zu sein, an einem
gemeinsamen Projekt, und stellen die Ergebnisse ihrer Arbeit allen frei
zur Verfügung, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. [...]

Wie könnte eine Gesellschaft aussehen, die ähnliche Prinzipien auch in
Bezug auf die physische Welt anwendet, und wie kommen wir einer solchen
'Freien' Gesellschaft näher? 'Frei' soll sich hierbei nicht nur auf
Produkte beziehen (im Sinne der bei Freier Software gewährten Freiheiten),
sondern auch auf freie und selbstbestimmte Zusammenarbeit."

2. Welche Erwartungen habe ich an das Projekt Oekonux?

Dass es zur die Klärung dieser und verwandter Fragen beiträgt, und
idealerweise die Gesellschaft in diese Richtung voranbringt.

3. Was sehe ich für Defizite bei Oekonux?

Ich sehe mehrere, teilweise zusammenhängende Probleme:

Defizit 1 und das wohl schwerste Problem bei Oekonux scheint mir zu sein,
dass es sich zu sehr auf Freie Software und Freie Inhalte konzentriert
(die frei kopierbar sind) und deshalb nicht in der Lage ist, den Sprung zu
materiellen (= nicht-kopierbaren) Dingen zu machen (Bennis berühmte
Brötchenfrage). Der Name "GPL-Gesellschaft" bringt das Problem
unfreiwillig ganz gut auf den Punkt, denn die GPL garantiert primär 2
Dinge: (a) dass das Werk nach Belieben kopiert werden kann und (b) dass es
nach Belieben verändert werden kann (und das Copyleft-Prinzip stellt dann
sicher, dass diese Rechte auch allen Nutzer/innen kopierter und geänderter
Versionen erhalten bleiben). Nun sind materielle Dinge aber weder frei
kopierbar noch beliebig veränderbar, deshalb ist die im Namen
"GPL-Gesellschaft" implizierte Hoffnung, gerade diese 2 Garantien für
sämtliche Güter einer Gesellschaft gewähren zu können, eine Illusion.

Oekonux drückt sich vor diesem Sprung zur Produktion und Verteilung
physischer Güter und den damit anfallenden Allokationsproblemen seit Jahren,
üblicherweise mit einer von zwei Ausreden:

* Dass in der heutigen Produktion der immaterielle Anteil an Gütern immer
  wichtiger wird, während der "Materieanteil" an Bedeutung verliert. Das
  ist aber keine Lösung, denn selbst wenn der materielle Anteil geringer
  wird, völlig verschwinden kann er nicht, deshalb kommt man so um das
  Problem nicht herum.

* Dass man ja "nur" einen "Personal Fabricator" entwickeln müsse, um dann
  materielle Dinge ebenso frei kopieren zu können wie immaterielle. Das
  bedeutet aber eine Kapitulationserklärung, da dann heute die von Oekonux
  angestrebte Gesellschaft eben nicht möglich wäre und sich dies erst dann
  ändern würde, wenn und falls irgendwann tatsächlich ein Fabricator
  entwickelt und allgemein verfügbar sein sollte. Selbst dann wäre das
  Problem natürlich nicht gelöst, da die für einen Fabricator benötigten
  Rohstoffe und der auf der Erde verfügbare Raum materiell sind und nicht
  ihrerseits "repliziert" werden können.


Defizit 2 ist damit verwandt, nämlich dass Oekonux sich so sehr und
so ausschließlich auf Freie Software & Co. stützt, dass andere Aspekte
einer Freien/GPL-Gesellschaft, die in dieser Szene nicht schon "gelöst"
wurden, kaum eine Chance haben (ignorieren oder "die FS-Bewegung macht das
aber nicht so" sind dann die typischen Reaktionen, statt sich zu fragen, ob
das für die Freie/GPL-Gesellschaft möglich/sinnvoll/wünschenswert wäre).
Aus dem selben Grund gibt es auch kaum kritische Reflexion der Szene
(z.B. "Warum ist FS eine nahezu reine Männerwelt?").


Defizit 3 besteht darin, dass ox zunehmend versucht, sich als
(sozial)wissenschaftliches Projekt zu definieren, aber einerseits diesem
Anspruch mangels einschlägiger Vorkenntnisse der Teilnehmenden und mangels
Ressourcen nicht gerecht werden kann (alle interessanten Studien und
Untersuchungen zu FS, die ich kenne, sind außerhalb des ox-Kontexts
entstanden) und dadurch andererseits die Möglichkeit zum eigenen
gestalterisch Tätigwerden verliert (wer etwas untersuchen will, darf ja
sein Forschungsgebiet nicht selbst beeinflussen).


Diese Defizite führen zusammen dazu, dass Oekonux mittlerweile nicht mehr
sonderlich viel zu tun hat: zu immateriellen Projekten ist das meiste
Interessante schon gesagt werden, an die materielle Produktion und andere
in der Szene ungelöste Fragen traut man sich nicht heran, also man muss
warten ob sich etwas Neues tut und kann (oder will) nicht selbst aktiv
werden. Deshalb hat sich das Projekt totgelaufen und dreht sich seit
einiger Zeit mehr oder weniger im Kreis. (Das gilt übrigens nicht nur für
den
deutschen, sondern wohl auch für den englischen Teil, jedenfalls kann ich
mich nicht erinnert, dort in letzter Zeit viel gelesen zu haben, was nicht
in ähnlicher Form auch schon vor Jahren hier oder dort behandelt wurde --
auf ox-en fällt die Stagnation nur nicht so auf, weil man dort wenigstens
on-topic geblieben ist.)


Die ersten beiden Defizite führen noch zu einem 4., nämlich dass Oekonux
letztlich bei einer verkürzten Kapitalismuskritik stehen bleibt, wie sie
in den Freie-Software|Inhalte-Bewegungen üblich ist. Da werden Phänomene
analysiert und kritisiert, die im immateriellen Bereich auftreten, ohne zu
bemerken, dass es sich nur um Übertragungen aus dem materiellen Bereich
handelt, die innerhalb der kapitalistischen Logik durchaus konsequent
sind. Z.B. wenn das "Geistige Eigentum" vom "Eigentum" abgetrennt wird mit
der Behauptung, das eine wäre schlecht (und man solle deshalb diesen
Begriff meiden -- Stallman), das andere aber gut (oder zumindest ok),
statt zu bemerken, dass der eine Begriff nicht mehr und nicht weniger
gesellschaftlich konstruiert ist als der andere auch und es sich nur um 2
Seiten ein- und derselben kapitalistischen Medaille handelt. Dazu hat
Holger mal was geschrieben:
http://de.wiki.oekonux.org/HolgerWeiss/GeistigesEigentum ; und Sabine Nuss
setzt sich in ihrer (wohl leider noch nicht veröffentlichten) Diss. damit
und mit der historischen Relativität des Begriffs "Eigentum" sehr
detailliert auseinander.


4. Welches Potenzial sehe ich bei Oekonux?
+
5. Welche Verbesserungsvorschläge habe ich für Oekonux?

Mein Eindruck (der aber falsch sein mag) war bislang, dass die oben
beschriebenen Defizite (aus meiner Sicht) von vielen anderen hier nicht
als Defizite ("Bugs"), sondern als "Features", d.h. als durchaus
sinnvolles Profil von Oekonux gesehen werden, und deshalb nicht heilbar
sind, weil der Wille zur Heilung fehlt. Dass war für mich der Grund, mich
erstmal ins Freie-Gesellschaft-Wiki zurückzuziehen und lieber dort zu
werkeln, wo diese Selbstbeschränkungen entfallen.

Sollte dieser Eindruck falsch sein, würds mich natürlich freuen.


6. Welche Hilfsmittel (Werkzeuge, Medien, Kommunikationsformen etc.)
vermisse ich bei Oekonux?

Ich halte momentan die inhaltlichen Defizite für bedeutsamer als
evt. Optimierungen der Form. Blog wär nicht schlecht, mehr
Real-Life-Treffen wären auch nicht schlecht, aber das ist alles
vergleichsweise unwichtig.


7. Welche Fragen will ich diskutiert sehen bei Oekonux?

Siehe oben.

Ciao
Christian


-- 
Freie Gesellschaft: http://www.freie-gesellschaft.de/wiki/Hauptseite
--
Die Arbeit ist etwas Unnatürliches. Die Faulheit allein ist göttlich.
        -- Anatole France

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



[English translation]
Thread: oxdeT11910 Message: 124/137 L1 [In index]
Message 11927 [Homepage] [Navigation]