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Re: [ox] Noch mal zur Freien Gesellschaft



Hallo Lars,

Am Montag, 8. Mai 2006 06:22 schrieb Lars Strojny:
Naja, wenn du Entfremdung benutzt und sich der Sinn a) nicht aus dem
Kontext ergibt und b) keine allgemein gebräuchliche Definition vorhanden
ist, dann ist der Terminus Floskel überaus korrekt. Interessiere mich
übrigen noch immer für die von dir gesetzte Bedeutung hier.

Leider ist das nicht mit drei Worten definiert.

Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, daß der zwingende Charakter der heutigen
kapitalistischen Herrschaft nicht allein darin begründet sein kann, welche
sozial-ökonomische Struktur vorliegt, sondern daß jegliche Herrschaft - auch
die des Kapitales - von den Beherrschten begrüßt, mitgetragen und hinsicht-
lich ihrer Werte und Paradigmen geteilt werden muß, wenn sie dauerhaft sein
soll.

Entfremdung findet im Prozess der Annahme des Machtmodelles als Blaupause 
sozialer Beziehungen statt, dann, wenn Klein-Jacob oder Klein-Lars in der Ge-
stalt ihrer Eltern oder Erzieher zum ersten Mal mit Herrschaft in Berührung
kommen. Diese Begegnung zwischen Klein-Jacob oder Klein-Lars und ihrer
unmittelbaren Selbsterfahrung und der Wahrnehmung ihrer Erzieher der Wirk-
lichkeit von Klein-Jacob oder Klein-Lars stürzt beide in eine existentielle 
Krise,  entweder in tiefer Depression dem plötzlichen Kindstod zu verfallen
oder aber die Wahrnehmung der Eltern bzw. Erzieher der eigenen Realität
von Klein-Jacob oder Klein-Lars als eigene Wahrnehmung zu verinnerlichen
und mit dieser gegen die eigene Lebendigkeit und Autonomie - als Einklang mit
allen Gefühlen und Bedürfnissen - vorzugehen. Diese Krise ist darin begründet,
daß die Erziehenden dem Kind die Befriedigung von Bedürfnissen (z.B. in der 
Reinlichkeitserziehung) versagen, vorgeben, daß weitere Leben und die Be-
dürfnisse ihrer Zöglinge besser zu kennen als die Zöglinge selbst und in
diesem angeblichen Wissen einen pädagogischen Handlungsbedarf sehen.

Der Ausweg aus dieser Krise und das spätere Meiden aller an diese Ohnmacht 
und Hilflosigkeit erinnernden Situationen liegt darin, sich Macht bzw. eigene 
Bedeutung, Größe, Erfolg, Stärke, Höherwertigkeit als andere anzueignen, die 
in Opposition zur Schwäche, Ohnmacht und Hilflosigkeit definiert sind. Ein
Ausweg besteht im späteren Leben darin, sich mit der eigenen Ohnmacht
und Hilflosigkeit sowie der erlernten Angst davor zu konfrontieren, um
zu erfahren, daß beide einen als Erwachsenen nicht mehr umbringen
können.

Klein-Jacob und Klein-Lars haben gelernt, nicht ihre innere Autonomie
zum Ausgangspunkt ihrer Persönlichkeit zu machen, sondern die fremde,
äußere Wahrnehmung ihrer Wirklichkeit durch ihre Eltern und Erzieher,
der sie sich so gut wie möglich anzupassen haben, um wenigstens einen
Teil ihrer Bedürfnisse dann, wenn es ihre Eltern oder Erzieher für not-
wendig erachten, befriedigt zu bekommen. Ihre Persönlichkeit ist, solange
ihnen ihre Spaltung nicht bewußt wird, nicht in ihrer Autonomie verankert,
kann also jederzeit im Prozess des Wahnsinns durch eine ebenso virtuelle
Persönlichkeit verdrängt oder ergänzt werden. Lebendigkeit besteht weit-
gehend nicht im eigenen inneren Erleben, sondern darin, sich durch die
Teilnahme am äußeren Spektakel lebendig zu fühlen. 

Das Kapital bzw.der Kapitalismus nutzt diese Zurichtung der Persönlich- 
keitsentwicklung durch sein Warenangebot, sich durch Konsum, durch 
den Reiz des Neuen und schließlich durch den Wechsel der Waren und Moden 
selbst lebendig zu fühlen. Gleichzeitig stellt er eine Hierarchie zwecks 
Aufstieg (Bedeutung, Erfolg etc.) und einen Markt äußerer Religionen, 
Dogmen, Weltanschauungen und fixen Ideen zur Orientierung zur Ver-
fügung.

Gruss,
Jacob
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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