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Re: [ox] Text- versus Software-Lizensierung



Hallo Thomas,

Thomas U. Grüttmüller wrote:
Der wichtigste Punkt ist die freie Kopierbarkeit und Weiterverbreitbarkeit 
(ohne Änderung). Dieser Punkt fehlt bei den meisten proprietären Texten, was 
zur Folge hat, daß man Exemplare nur gegen Bezahlung oder gar nicht erhält. 
Auch bei Texten, die kostenlos im Internet zugänglich sind, ist dieser Punkt 
wichtig, denn der Rechteinhaber könnte sie jederzeit von seinem Server 
nehmen, und dann wären sie eben nicht mehr zugänglich.

Dieses Recht auf Kopieren und Verbreiten ohne Änderung reicht aber nicht aus. 
Es ermöglicht z.B. nicht die Kürzung, weil das bereits eine Änderung ist. 
Also bleibt, wenn man von einem 300-Seiten-Werk nur drei Seiten braucht, 
wieder nur der umständliche Weg über das Zitatrecht, und dafür ist die 
zitierte Menge dann eventuell doch schon zu viel.

Das ist allerdings ein Bereich, in welchem jahrhundertelange praktische
Erfahrungen im Umgang mit diesen Fragen vorliegen, nämlich im Bereich
der Wissenschaften. Und an diesen Erfahrungen ändert sich mit digitalen
Möglichkeiten mE in *dieser* Richtung wenig. Wenn ein Text erst einmal
gedruckt und verbreitet war, dann war es schon immer extrem schwierig,
der ganzen Auflage habhaft zu werden und sie einzustampfen. Das gleiche
gilt heute bei Texten, die ein Autor ins Netz stellt, egal unter welchen
Konditionen. Wenn er nicht harte technische Vorkehrungen gegen das
Herunterladen getroffen hat und es sich "lohnt", eine eigene lokale
Kopie zu ziehen, um der Gefahr der (wie auch immer zustande gekommenen)
 Unzugänglichkeit zu entgehen, dann wird das sicher gemacht. Etwas ins
Netz stellen heißt, es publik zu machen mit allen praktischen
Konsequenzen, die es hat, eine Taube aus dem Dachbodenfenster entfliegen
zu lassen.

Und rechtliche Verbote machen ein solches Druckwerk dann eher noch
interessanter. Juristische Instrumente haben also in diesem Bereich
schon immer nur beschränkte Durchsetzungskraft entfaltet, nämlich nur
dann, wenn ein Kasus publik (gemacht) wurde. Siehe etwa krisis vs krisis.

Ebenso gibt es massenhaft Instrumente, um kleinere Teile, Rezensionen,
Kürzungen, Presespiegel, Exzerpte etc. von längeren Texten zu erstellen
und in (wenigstens beschränkten - etwa im Rahmen eines Lehrbetriebs)
Umlauf zu bringen. Auch da hat der Autor nur sehr begrenzten Einfluss
drauf.

Auch "Dieser Punkt fehlt bei den meisten proprietären Texten" ist eine
nur bedingt richtige Aussage, denn sobald sie gedruckt und im Vertrieb
sind, haben zB Bibliotheken diese Texte und jede(r) kann sie sich dort
(theoretisch) ausleihen und "aneignen" ohne sie zu "besitzen". Dass das
keine Rhetorik ist, siehst du am Google Print Projekt, wo genau an
dieser Stellung der Bibliotheken angesetzt wird. Die Texte (Millionen
von Büchern!) wurden bzw. werden digitalisiert und stehen dann für eine
digitale Ausleihe zur Verfügung. Das dürfen derzeit (mglw.) nur die
Bibliotheken und Google muss sich auf die Zugänglichkeit einzelner
Textteile (eben "fair use") beschränken. Steht außerdem unter starkem
juristischem Druck (aber dafür hat Google auch einiges Kapital eingeräumt).

Alles extrem ambivalent - keine Frage. Zeigt aber doch, dass hier *sehr*
potente Player am Werke sind, um die "Regeln" zugunsten von mehr
freizügiger Zugänglichkeit aufzubohren. Die juristischen Rahmen sind
also nichts Statisches, das nur der Interpretation bedarf, sondern
Gegenstand harter Auseinandersetzungen um deren Gestaltung. Mit sehr
unterschiedlichen Gestaltungsansprüchen (ich halte an dem Wort fest) und
-möglichkeiten, wobei instrumentelle Machtformen auf der einen Seite und
kreative Machtformen auf der anderen Seite wie bei (Holloway)
beschrieben aufeinanderprallen.

Mehr dazu auch in einem neuen Text von mir:
http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/projekte/infopapers/wisos-05.pdf

Ansonsten ist die Differenz zwischen freiem und nicht-freiem Inhalt
im Fall von Text i.A. aber doch deutlich unbedeutender, als im Fall
von Code, oder?

Diese Einschätzung finde ich fatal und im Hinblick auf das Oekonux-Thema nicht 
besonders konstruktiv....

Zustimmung, denn wenn wir über freie Modi nachdenken, dann ist sicher
zwischen OpenAccess und OpenContent zu unterscheiden, so wie wir
zwischen einfach und doppelt freier Software unterscheiden.

Viele Grüße, HGG

-- 

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
  Augustusplatz, D-04109 Leipzig, Raum 5-53	
  tel. : +49 341 97 32248
  email: graebe informatik.uni-leipzig.de
  Home Page: http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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