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Oekonux als identifikatorisches Projekt? (was: [ox] Oekonux als Projekt)



Hi Liste!

BTW: Ich für meinen Teil lege den Wissen-/Informations-Thread erst mal
auf Eis. Mir scheint es wichtiger, erstmal bei der Meta-Diskussion
weiter zu kommen.

Ich glaube, ich habe jetzt ein bisschen verstanden, wo bestimmte
Energien in der Debatte herkommen. Ich nehme mal ein paar Zitate aus
verschiedenen Mails.

2 weeks (16 days) ago Hans-Gert Gräbe wrote:
Möchtest du nicht auch, dass in der Diskussion *deiner*
Überlegungen hier auf der Liste die Begriffe in *deiner* Semantik
verwendet werden, wenn sich darauf (positiv oder negativ) bezogen
wird?

6 days ago Hans-Gert Gräbe wrote:
Selbst die Frage, ob es so
was wie eine Oekonux-eigene Essenz gibt oder wir "nur" ein Zusammenhang
von Personen sind, die "gemeinsam raisonnieren" und jede(r -- von Mädels
habe ich hier übrigens lange nichts gelesen) sich danach seinen eigenen
Reim auf die Welt macht, halte ich für nicht ausgefochten.

Und dieses folgende Zitat stellvertretend für die vielen Bemerkungen
zu inside/outside:

Wenn du schon mit solchen "Medienbrüchen" deine Probleme hast, dann ist
es natürlich für mich extrem schwer dir zu vermitteln, dass ich mein
Mawi-Paper (und nicht nur dieses) *immer* inside-oekonux verstanden
habe.

Das folgende Zitat geht m.E. absolut in die richtige Richtung und
diese Mail hier verstehe ich als einen Lokalisierungsversuch:

NB: die Quelle *dieses* Schmerzes zu lokalisieren versuchen - oder ihn
überhaupt erst einmal richtig zu benennen - fände ich sehr spannend und
für Oekonux als Projekt hilfreich. Hat nach meinem Verständnis viel mit
OHA zu tun.

Was mir aber wirklich die Augen geöffnet hat, ist dieses Zitat:

5 days ago Stefan Matteikat wrote:
Ich möchte mich jedenfalls jederzeit hinstellen können
und sagen: Ich bin Oekonux!

Das bringt auf den Punkt, was auch bei Hans-Gert nach meinem Gefühl
ständig durchkommt: Oekonux als identifikatorisches Projekt. Das
Verlangen, sich mit Oekonux *als Person* identifizieren zu können.
Damit verstehe ich dann auch, warum es für Hans-Gert geradezu eine
existentielle Frage zu sein scheint, ob eines seiner
OpenTheory-Projekte inside oder outside Oekonux ist. Ja, ich verstehe
jetzt auch plötzlich, warum dieser Frage inside/outside von manchen
hier überhaupt so eine große Bedeutung zugeschrieben wird.

Zunächst meine Gefühle zu diesem Thema - auch um deutlich zu machen,
wo die Differenz liegt.

*Ich* bin jedenfalls nicht Oekonux. Ich käme offen gestanden auch
überhaupt nicht auf die Idee, so etwas auch nur ansatzweise zu
formulieren. Ich bin ich und dazu gehört sehr viel Verschiedenes, von
dem nur ein kleiner Teil in Oekonux vorkommt. Sicher gehört auch ein
bisschen Oekonux dazu - wer so viel Lebenszeit in ein Projekt steckt,
wird das nicht leugnen können. Aber weder ist das Projekt ich, noch
bin ich das Projekt.

Für mich ist das Projekt Oekonux ein nützliches Hilfsmittel, um für
mich wichtige Sachen weiter zu bringen. Insofern setze ich mich für
eine bestimmte Richtung ein und lehne andere ab. Sollte Oekonux
irgendwann nicht mehr dieses nützliche Hilfsmittel sein, dann wird es
für mich uninteressant. Das ist dann schade, aber ich verliere damit
nicht meine Identiät.

Und meine Beiträge zu Oekonux sind auch in diesem Sinne GPL-Frei: Sie
sind dazu gedacht weiter entwickelt zu werden. Insofern käme ich auch
niemals auf die Idee ein bestimmtes Thema als "meins" zu reklamieren.
Dass ich das auch für den Erkenntnisprozess für hinderlich halte und
dass eine solche Haltung letztlich meinem eigenen Interesse zuwider
läuft, hatte ich mehrfach begründet.

Daneben habe ich über Oekonux eine Menge netter und interessanter
Leute kennen gelernt. Mit diesen fühle ich mich auf einer menschlichen
Ebene durchaus verbunden.

BTW: Der Satz von StefanMa erinnert mich auch fatal an einen Ausspruch
eines Vorgesetzten von mir: "Ich bin der Bereich XY".

Sähe ich Oekonux als identifikatorisches Projekt, dann sähe die Sache
anders aus. Dann wäre mir die Frage ob einer meiner Texte inside oder
outside ist natürlich auch extrem wichtig. Aber nicht - und das ist
m.E. der entscheidende Punkt - weil eine Antwort auf die Frage
irgendwie das Projekt weiter brächte, sondern weil es was mit meiner
Identität zu tun hat.

Meine Güte, je länger ich mir das so zusammen reime, desto mehr fällt
es mir wie Schuppen von den Augen...


Ok, jetzt noch ein bisschen was zu der Frage identifikatorische
Projekte.

Ich erinnere mich, dass diese Thema in bestimmten Kreisen sehr heftig
diskutiert wird. Leider kann ich mich nicht mehr erinnern, in welchen?
Krisis? Hat da jemensch die entsprechenden Pointer? Auf jeden Fall hat
das auch was mit der Hardt/Negri'schen Transzendenz zu tun.

Aber auch so: Ich finde identifikatorische Projekte gefährlich für ein
emanzipatorisches Ziel. Wesentliches Element der Gefahr liegt in der
Entfremdung.

Wie oben schon angedeutet, kommen mit der Identifikation mit einem
Projekt schnell von dem Projekt entfremdete Ziele ins Spiel. Wenn ich
meine Identität retten muss, dann habe ich natürlich schnell ganz
eigene Ziele. Das finde ich grundsätzlich gefährlich - ganz davon
abgesehen, dass das jede Menge Konfliktpotential gibt - wie jeder
entfremdete Anspruch.

Auch gefährlich finde ich, dass ein identifikatorisches Projekt sehr
schnell zu Ideologiebildung neigt. Ein Projekt ist niemals
widerspruchsfrei - und schon gar nicht ein Projekt, dass sich
mindestens teilweise der Theoriebildung verschrieben hat. Theorie ist
immer offen, hat immer offene Enden und ist - vor allem in der Phase
der Entstehung - auch nicht notwendigerweise widerspruchsfrei.

Wenn ich das jetzt auf eine personale Identität abbilde, so
funktioniert das schlicht nicht. So viel Widerspruch in seiner
Identität nicht nur zu dulden sondern auch noch zu pflegen, schafft
kein Mensch. Was ist die logische Folge: Die widersprüchlichen Teile
werden abgestoßen, eine Ideologie entsteht. Damit ist die
Theoriebildung, das Bemühen um Verstehen also, am Ende angekommen und
weicht dem Verlangen, nach einer möglichst einheitlichen Identität.
Grenzen, die bei der Theoriebildung keine besondere Rolle spielen,
werden plötzlich zu existentiellen Fragen. Inside/Outside spielt
plötzlich die entscheidende Rolle.

Und wenn Menschen sich schon mit einem Projekt identifizieren, ist
auch der Personenkult nicht weit.

Um noch ein Beispiel zu bringen: Ein uns allen bekanntes
identifikatorisches Projekt ist die Nation. Wohin das in Deutschland
geführt hat, brauche ich nicht besonders zu erwähnen. Eine Nation ist
ein rein transzendentes Ding. Es ist damit automatisch von den
Menschen entfremdet und damit für eine emanzipatorische Perspektive
ungeeignet. Oder auch der Sozialismus ist sicher (nicht nur) in den
sog. realsozialistischen Staaten als identifikatorisches Projekt
aufgezogen worden.

Macht ja sowohl bei Nation als auch bei den sog. realsozialistischen
Staaten aus Herrschaftssicht Sinn: Identifizieren sich die Menschen
persönlich mit der transzendenten Idee, die ein Staat verkörpert, muss
ich sie nicht mehr überzeugen. Rationalität und Argumentation wird
durch ein dumpfes Zugehörigkeitsgefühl ersetzt. Bingo! Und jetzt
verstehe ich auch, warum mein Vorgesetzter versucht, den von ihm
geleiteten Bereich als identifikatorisches Projekt zu verkaufen...


Nun zur Frage, ob Oekonux ein identifikatorisches Projekt sein sollte.

Na ja, wie ich oben schon ausgeführt habe, hielte ich das für sehr
gefährlich, wenn nicht sogar für das Ende des Projekts. Theoriebildung
wäre immer schwerer möglich, da es dann vielmehr um die Bildung einer
Ideologie ginge. Auch die ganzen Fragen der Grenzziehung, die
letztlich der persönlichen Identitätsbildung dienen, sind dann
plötzlich enorm wichtig - wie zuletzt schon zu beobachten war.

Ich kann eine solche Tendenz also nicht gut heißen. M.E. muss Oekonux
ein Werkzeug bleiben.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

--
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and send out in the evening of the day it is written. It
does not take any information into account which may have
reached my mailbox since yesterday evening.

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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