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Re: [ox] Wissens- und/oder Informationsgesellschaft?



Hi Liste!

Last week (9 days ago) Stephan Eissler wrote:
Was hier zu diesem Topic abläuft hat streng genommen tatsächlich wenig mit
einer Diskussion zu tun. Eine Diskussion besteht nicht nur aus der Absonderung
von Meinung. Eine Diskussion braucht auch immer einen methodischen und
konzeptionellen Rahmen, damit sie nicht nur Selbstzweck bleibt (oder eben
blablabla...). Ein solcher methodischer und konzeptioneller Rahmen kann sich
natürlich im Laufe der Diskussion auch immer verändern, wichtig ist jedoch,
dass sich die Teilnehmer der Diskussion auf einen solchen Rahmen verständigen
und sich dieses Rahmens auch immer wieder vergewissern.

Na ja, wir befinden uns hier halt auch nicht in einem Seminar, sondern
in einer freiwilligen Mailing-Liste. Und verglichen mit manch anderer
Mailing-Listen finde ich, dass es hier doch sehr diszipliniert zugeht.
Und übrigens: Ungeduld ist kein guter Ratgeber - manche Themen müssen
erfahrungsgemäß jahrelang gewälzt werden, bis sie ein befriedigendes
Ergebnis finden.

Aber ich würde dir zustimmen, dass ein wenig mehr Struktur der Debatte
gut tun würde. Dazu der Rest der Mail.

Mein Vorschlag für ein systematisches Vorgehen wäre also folgender:

Motivation:   (=> unser `eigentliches Erkenntnisinteresse')
##########
Wir können vermutlich immerhin schon einmal den Zweck festhalten, zu dem wir
ein begriffliches Konzept für das entwickeln wollen, was wir in der weiteren
Diskussion als `Information' bezeichnen:
(a) Ein gemeinsamer Begriff  für `Information' soll uns bei der Diskussion
`Informations- und/oder Wissensgesellschaft?' weiterhelfen.

Und ein gemeinsamer Begriff von `Wissen'. In beiden Fällen kann das
bedeuten, den jeweilig einheitlich scheinenden Begriff zu
dekonstruieren und womöglich ganz unterschiedliche Bausteine zu
erhalten.

Wobei das "gemeinsam" hier nur für Verständniszwecke im Rahmen der
Debatte benötigt wird. Was die ListenteilnehmerInnen ansonsten
darunter verstehen ist ihre Sache.

(b) Unser Untersuchungsgegenstand ist demnach: Gesellschaft, sowie
gesellschaftliche Veränderungen und ihre Ursachen'

Ich würde dem nicht widersprechen, würde es aber enger fassen. In
einer Oekonux-Debatte sollte es im engeren Sinne darum gehen, an Hand
der Begriffe Wissen und Information genauer heraus zu kristallisieren,
ob auf diesen Sektoren derzeit epochale Umbrüche ablaufen, die eine
neue Gesellschaftsformation möglich machen. Wohl gemerkt: "Ob" - und
bei dieser Fragestellung natürlich auch mit welchem der beiden
Begriffe. Das "Wie" ist m.E. dabei erstmal zweitrangig - wiewohl es
bei der Klärung sicher eine Rolle spielt und mehr als genug Stoff für
eine eigene Debatte gibt.

Rückfrage an die Liste: Gibt es wesentlich andere Motivationen? Wenn
ja, könnten wir die vielleicht in einen eigenen Thread auslagern.

Erster zu klärender Punkt wäre demnach:
#######################################
Wollen wir davon ausgehen, dass es
(a) bestimmte Eigenschaften von Entitäten sind, die diese Entitäten zu
Informationen machen? Können wir also alleine dadurch, dass wir Entitäten und
ihre Eigenschaften betrachten, (i) diese Entitäten in Informationen und
Nicht-Informationen klassifizieren, sowie (ii) bei den Entitäten, die wir als
Informationen klassifiziert haben, alleine aufgrund ihrer Eigenschaften sagen,
um was für Informationen es sich dabei handelt?

Oder wollen wir davon ausgehen, dass
(b) NICHT von den Entitäten selbst abhängt, ob es sich bei der Entität um eine
Information handelt oder nicht (und falls ja: um was für eine Information es
sich dabei handelt), sondern es sich hierbei um eine relationale Eigenschaft
handelt: Ob eine Entität eine Information ist oder nicht (und falls ja: was
für eine Information) lässt sich für diese Entität nur in Relation zu einem
Bezugssystem sinnvoll beantworten.

M.a.W.: Welchen Charakter hat der Begriff Information eigentlich. Ist
es eine dingliche Eigenschaft, die wir irgendwelchen Entitäten
zuschreiben - dein (a) - oder macht der Begriff nur in einem
Verhältnis zu einem Bezugssystem Sinn - dein (b).

Um es an ein paar Beispielen zu exemplifizieren:

* Ist ein Buch *an sich* schon Information? Das wäre dann die
  dingliche Eigenschaft.

  Oder macht es erst im Zusammenhang mit einem lesenden Bezugssystem
  Sinn von Information zu sprechen. Das wäre dann der
  Verhältnisbegriff.

* Ist ein bewölkter Himmel *an sich* schon Information? Also dinglich.

  Oder ist ein bewölkter Himmel nur im Zusammenhang mit einem ihn
  betrachtenden Bezugssystem - z.B. einem Menschen auf Reisen - eine
  Information. Also der Verhältnisbegriff.

* Ist ein Computer-Programm *an sich* schon Information. Also
  dinglich.

  Oder ist ein Computer-Programm nur dann Information, wenn es einen
  Computer gibt, auf dem es ablaufen kann. Also der Verhältnisbegriff.

Für mich macht nach der bisherigen Debatte überhaupt nur der
Verhältnisbegriff Sinn. Wenn der Verhältnisbegriff von Information
gewählt wird, dann ist es klar, dass der Inhalt der Information eben
auch keine dingliche Eigenschaft ist, sondern vom Zusammenspiel des
Bezugssystems mit den Daten abhängt.

Und auch das soll nicht unterschlagen werden: `Daten' habe ich als
Begriff hier auch noch eben eingeführt. Sie würde ich momentan als das
bezeichnen, was das Bezugssystem aufnimmt und aus denen es Information
gewinnt. Wichtig dabei: Daten und Information sind völlig
unterschiedliche Kategorien. Information kann also nie eine bestimmte
Sorte Daten sein - sie kann nur daraus gewonnen werden.

Ebenfalls wichtig: Der stoffliche Aspekt von Daten, also ihre
Repräsentation in der dinglichen Welt, spielt für den betrachteten
Prozess hierbei nur eine untergeordnete Rolle. Würden wir diese
Einschränkung nicht machen, so würde jeder x-beliebige
Stoffwechselprozess in den Informationsbegriff fallen.

Nicht ganz uninteressant in diesem Zusammenhang wäre die Frage, welche
Anhaltspunkte uns für die Standpunkte (a) und (b) denn eigentlich die Empirie
liefert...  ;)

Kann sie nicht, da es sich an sich nicht um empirische Phänomene
handelt, sondern um deren Interpretation.

FALLS wir uns in diesem Punkt darauf verständigen könnten, dass und warum die
Antwort sinnvoller Weise (b) lauten muss, wäre die nächste zu klärende Frage

Rückfrage an die Liste: Gibt es für den Rahmen der Debatte harten
Widerspruch zu der Information als Verhältnisbegriff? Dann müssen wir
das denke ich erst klären.

Zweiter zu klärender Punkt:
###########################
Ausgehend von der Annahme, dass von einer relationalen Eigenschaft die Rede
ist, wenn im Zusammenhang mit einer Entität von `Information' gesprochen wird:
Welche sinnvollen Vorgehensweisen sind ganz grundsätzlich denkbar, um das
begriffliche Konzept `Information' zu präzisieren?

Mein Vorschlag wäre hier folgender:
Ganz grundsätzlich lassen sich zwei aufeinander aufbauende Vorgehensweisen
unterscheiden, entlang derer das begriffliche Konzept `Information' präzisiert
werden kann:
(a) Man kann analysieren, auf welche Weise bestimmte Entitäten für einen
bestimmten "Typus eines Bezugssystems" (etwa für eine biologische Zelle, ein
kognitives System oder ein IKT-System) zu Information werden kann.
(b) Man kann diese Analyse, die unter (a) beschrieben wurde, für alle
verschiedenen Typen von Bezugssystemen durchführen und dann versuchen, aus
diesen Analysen allgemeine Aussagen abzuleiten, die (i) auf alle
unterschiedlichen Typen von Bezugssysteme zutreffen und (ii) auf die
unterschiedlichen Prozesse zutreffen, die in den unterschiedlichen Typen von
Bezugssystemen ablaufen, durch die Entitäten für diese Systeme jeweils zu
Informationen werden.
Unter Umständen gäbe es hier aber noch alternative Vorschläge, die zu erörtern
wären...?

(a) finde ich für die Oekonux-Debatte nicht so prickelnd, da wir -
wenn ich deinen Vorschlag richtig verstehe - dann sehr schnell in
einer Reihe von Fachdebatten wären. Z.B. wie läuft genau die
Proteinsynthese auf Grund einer DNA ab.

(b) scheint mir schon interessanter in folgender Hinsicht: Information
als Verhältnisbegriff zwischen Daten und einem Bezugssystem ist noch
zu unterbestimmt, um einen sinnvollen Begriff zu liefern, der auch was
unterscheidet.

Die richtige Frage wäre für mich: Welche Relevanz hat die Information
für das Bezugssystem? Was mir bisher am treffendsten erscheint ist:
Die Information wird genutzt um Handlung zu steuern, um im Rahmen
einer irgendwie gearteten Freiheit Handlungsmöglichkeiten auszuwählen.

Rückfrage an die Liste: Ist dieser Bezug zur Handlung nachvollziehbar
/ adäquat / Blödsinn? Was könnten ggf. bessere nähere Bestimmungen
sein von Information sein?

Dritter zu klärender Punkt:
###########################
Welche der oben skizzierten grundsätzlich möglichen und grundsätzlich
sinnvollen Vorgehensweisen  ist für UNS HIER AUF DER LISTE überhaupt sinnvoll,
wenn man `unser eigentliches Erkenntnisinteresse'  berücksichtigt (wenn  man
also das berücksichtigt, weswegen wir uns um einen gemeinsamen
Informationsbegriff bemühen)?
(A) Ist es sinnvoll nur auf der Ebene vorzugehen, die oben unter (a)
vorgestellt wurde? Falls dem so wäre, ergäbe sich daraus automatisch die
nächste Frage: (1) Gibt es einen bestimmten Typus von Bezugssystemen, auf das
wir uns - vor dem Hintergrund unseres eigentlichen Erkenntnisinteresses -
konzentrieren können/sollten? (2) Sind es verschiedene Typen von
Bezugssystemen, die für uns - vor dem Hintergrund unseres eigentlichen
Erkenntnisinteresses - relevant sind [anders gesagt: Wenn wir uns - vor dem
Hintergrund unseres eingentlichen Erkenntnisinteresses - mit dem Begriff
Information beschäftigen, ist dann letztlich nur die Auseinandersetzung mit
menschlichen kognitiven Systemen relevant (zur Analyse der Frage, auf welche
Weise Entitäten für menschliche kognitive Systeme zu Informationen werden),
oder  müssen wir uns beispielsweise auch mit IKT-Systemen auseinandersetzen?]
(B) Ist es - vor dem Hintergrund unseres eigentlichen Erkenntnisinteresses -
sinnvoll, auch auf der Ebene vorzugehen, die oben unter (b) vorgestellt wurde?

Hier kommen jetzt die (a)s und (b)s leider etwas durcheinander :-/ .

Eine Spezialität des Oekonux-Diskurses ist es dabei, soziale und
technische Aspekte gemeinsam zu betrachten. Oder um es anders
auszudrücken: Die ganze Bandbreite der Produktivkraftentwicklung.
Insbesondere ginge es also auch darum, welche subtilen
gesellschaftlichen Wirkung fundamentale Änderungen in der Technik
haben können.

Dazu müssten wir eben im Hinblick auf unser Erkenntnisinteresse
verschiedene Bezugssysteme zulassen und schauen, ob die
Informationsverarbeitung im Bezugssystem Computer evt. eine historisch
neue Qualität darstellt. Dass ist erstmal ganz unabhängig von dem
Menschen *als Bezugssystem im Informationsbegriff* es ist aber höchst
relevant für die über Menschen definierte Gesellschaftsformation.

Beschränken wir uns dagegen auf Menschen als informationsverarbeitende
Systeme, dann können wir den Effekt anderer informationsverarbeitender
Systeme auf menschliche Gesellschaften gar nicht betrachten. Deswegen
wäre das für mich ein No-No.

Rückfrage an die Liste: Gibt es Gründe dagegen, die Betrachtungen auf
alle informationsverarbeitenden Systeme im obigen Sinne auszudehnen?

Weitere zu klärende Punkte
##########################

Die ganze Definitionsarbeit müsste für den Begriff `Wissen' nochmal
durchgespielt werden.

Rückfrage an die Liste: Was müsste zunächst noch geklärt werden um
eine eingermaßen belastbare begriffliche Grundlage zu haben?


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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