[ox] "Digitalisierte Musik zwischen Raubkopie und gesellschaftlicher Alternative"
- From: Stefan Merten <smerten oekonux.de>
- Date: Thu, 13 Jan 2005 09:21:11 +0100
Hi Liste!
So, ich habe mir mal ausführlich Gedanken gemacht über das, was ich
auf der "copy kills (music kills) capitalism" so erzählen will. Na ja,
sagen wir was ich erzählen würde, wenn ich die Zeit dafür zur
Verfügung hätte ;-) .
Bitte seht euch das nochmal sehr kritisch an. Insbesondere würde mich
eure Meinung zu den unten geäußerten Positionen zu DRM und P2P
interessieren. Ich könnte mir vorstellen, dass die ziemlich kontrovers
sind.
Mit Freien Grüßen
Stefan
PS: Vortragsunterlagen gibt's auch in Englisch, schicke ich die Tage
noch an `list-en'.
--- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< ---
Digitalisierte Musik zwischen Raubkopie und gesellschaftlicher Alternative
==========================================================================
Stefan Merten
Hintergrund: Oekonux
====================
Freie Software als Keimform
---------------------------
Oekonux nimmt Freie Software (aka Open Source) als Ausgangspunkt
Sehr kurz gefasster Überblick über die Theorie
o 1. Grundlage: Selbstentfaltung
Basis der Produktionsweise
o Wesentlich: Kreative Entfaltung
o 2. Grundlage: Digitale Kopie
Neue Technologie
Internet als globale Fernkopiereinrichtung
o Schafft Überfluss von Informationsgütern
Überfluss ist Feind der Knappheit
Stellt Wareneigenschaft nachhaltig in Frage
o Erfolg durch Qualität
Produktionsweise ist dafür Voraussetzung
Produktionsweise funktioniert nicht unter
Entfremdungsbedingungen wie z.B. Lohnarbeit
Freie Software ist höchstens zerstörbar aber nicht
integrierbar
o Keimform für eine gesellschaftliche Alternative
Freie Software weist über Tauschgesellschaft hinaus
Produktionsweise für viele (alle?) kreativen Leistungen
sinnvoll
http://www.oekonux.de/
Freie Software und Musik
========================
Selbstentfaltung in der Musik
-----------------------------
o Ähnlichkeiten zu Freier Software
o Individuelle Motivation
Führt bei Musik zu erheblichen Investitionen in
Instrumente, Equipment und Ausbildung
o Kreativer Ausdruck
o Unterschiede zu Freier Software
o KünstlerInnensubjekt vs. Free-Software-Community
Bürgerlicher Kunstbegriff stellt Individuum in den
Mittelpunkt
Zweifelhaft, da Neues immer auf gesellschaftlichem
Boden entstanden
o Patches sind nicht üblich
Jedoch: Moderne Musikformen beruhen darauf
Was entspricht bei Musik den Quellen?
o MusikerInnen verdienen meist wenig/kein Geld mit Musik!
Viele Freie-Software-EntwicklerInnen verdienen auch in
diesem Bereich Geld
900 Personen in Großbritannien leben vom Komponieren
Die wenigsten gerieten also in eine Notlage wenn sie
weniger Geld für ihre Musik bekämen
Selbstentfaltung ist Grundlage auch für Musik
Verwertung in der Musik
-----------------------
o Ähnlichkeiten zu Software
o Digitales Produkt
Unterliegt deswegen den Eigenschaften der digitalen
Kopie
Insbesondere: Ersetzt Knappheit materieller Träger
durch globalen Überfluss
o Verstoß gegen Copyright durch "Raubkopien" und P2P
Nicht bei Freier Software!
Nicht bei Freier Musik!
o Konzerte als Dienstleistung
Konzerte sind als Live-Event nicht digitalisierbar
Es gibt viele Dienstleister rund um Freie Software
o Etablierte Verwerter
Software-Industrie verwertet Software
Musikindustrie verwertet Musik
Verwerter sind nicht identisch mit den Kreativen
o Unterschiede zu Software
o Privatkopie / Verwertungsgesellschaften
o Nutzungslizenz auf Werkbasis
Ist bei Software immer üblich gewesen
War bei Musik unnötig, da Verknappung über die Bindung
an Tonträger funktionierte
Verwerter haben ein Problem - nicht die Kreativen
DRM, P2P, CC, CF
================
DRM (Digital Rights/Restriction Management)
-------------------------------------------
Kopierschutz bzw. Abspielverhinderung
Vor allem aber: Weitreichende Pläne für Computer
o Ziel: Durchsetzung von Verwertungsinteressen mittels Technologie
Ist also vor allem im Interesse der Musikindustrie
Staat als klassischer Hüter von Verwertungsinteressen nur am
Rande im Spiel
o Im Rahmen von Marktwirtschaft unproblematisch
Verwertungsinteressen müssen in der Marktwirtschaft
geschützt werden
Kommt ohne direkten Zwang aus
o Gerechter als Verwertungsgesellschaften
Verwertungsgesellschaften waren in der analogen Ära
sinnvoll, da individuelle Abrechnung von Werknutzung
dort nicht möglich
DRM kann zielgenauer sein als Messmethoden von
Verwertungsgesellschaften
o Probleme heutiger DRM-Ansätze
o Tendenziell soll jede einzelne Werknutzung exakt überwacht
werden
Tiefer Eingriff in die Privatsphäre
BigBrother
o Mit TCPA wird das Prinzip des Computers massiv beschnitten
Seine Stärke ist gerade die universelle digitale Kopie
o Beachten Schrankenregelungen nicht ausreichend
Privatkopie, Wissenschaft, Bildung
Warum nicht unbedenkliche DRM-Formen?
Wäre die marktwirtschaftliche Lösung mit individueller
Abrechnung
Apple iTunes zeigt, dass Erfolg damit möglich ist
P2P (Peer to Peer)
------------------
D.h. "Tausch"börsen wie Kazaa, eDonkey, etc. pp.
Dort wird i.d.R. nicht wirklich getauscht
o System zur Verschleierung illegaler Kopien
Zumindest für Musik wäre es viel einfacher dicke, zentrale
Server zu haben
o Funktioniert als Distribution, weil Bekanntmachung in anderer
Sphäre angesiedelt ist
MTV, Radio und Co übernehmen die Bekanntmachung der Produkte
der Musikindustrie
Eindeutigkeit, die zum Suchen nötig ist, ist über einfaches
Namensschema (Interpret, Titel) gegeben
Fehlt für Freie Musik weitgehend
MTV, Radio und Co könnten dies grundsätzlich ändern
o Freie Musik / Freier Content käme ohne P2P aus
Distribution und Bekanntmachung ähnlich wie bei Freier
Software
Wiki-ähnliche Systeme könnten Publishing für alle zur
Verfügung stellen
Netlabels sorgen (schon heute) für Auswahl /
Qualitätskontrolle
P2P ist für Freien Content überflüssig
Freie Software ist ein gutes Beispiel dafür
Auch hier staunen Marketing-Leute über die Bekanntheit ohne
Werbung
CC (CreativeCommons)
--------------------
o Lizenzen für "Some rights reserved"
o Attribution
o Noncommercial
o No Derivative works
o Share Alike
GPL entspricht SA+BY
o Große Bewegung mit gutem "Marketing"
(http://creativecommons.org/)
Gelten für alle Inhalte
Werden an die nationalen Rechtssysteme angepasst
o Noncommercial hilft dem Opus-Magnus-Gedanken
"Ich trage gerne etwas bei, wenn es nicht kommerziell (aka
entfremdet) genutzt werden kann"
CreativeCommons begünstigen Übertragung der Idee Freier Software
Dürfte keine Initiative geben, die dies erfolgreicher
betreibt
CF (Content-Flatrate) / P2P-Steuer
----------------------------------
o Abgabe auf Internet-Anschlüsse
o Umverteilung an UrheberInnen von P2P-Inhalten
o Legalisiert damit P2P von Material unter Copyright
o (Neue) Verwertungsgesellschaften als Umverteiler (VG-Online)
Verwertungsgesellschaft für Musik ist bisher GEMA
Verwertungsgesellschaft für Text ist bisher VG Wort
Verwertungsgesellschaften entstanden wegen der Unmöglichkeit
der individuellen Abrechnung analoger Kopien
De facto: Pauschale Steuer für Internetnutzung
Muss staatlich durchgesetzt werden
Ist nicht leistungsbezogen
Zur Kritik der P2P-Steuer (1/2)
-------------------------------
Hier gäbe es viel zu sagen...
o Zahlreiche praktische Probleme
o Gerechte Aufteilung der erhobenen Gelder?
Bei verschiedenen Medien
o Wo sollen die Schranken sein?
Jede Web-Seite anmeldbar?
Proprietäre Software?
Tiefer liegendes Problem: Digitale Kopie ist universell
o Kommt wie DRM nicht ohne Messungen aus
Messungen ohne DRM-Methoden sind immer falsch
o Internationale Nutzung vs. nationale Verwertungsgesellschaft
o Probleme mit der "Kompensation" / Geldversorgung
o Für die UrheberInnen würde sich nichts ändern
Zumindest wenn System sich nicht fundamental von GEMA
und Co. unterscheidet
Verlage und Verwertungsgesellschaften kassieren
trotzdem
Geldversorgung findet bisher schon nicht statt
Fundamentales Problem: UrheberInnen leben in einem
hochkonkurrenten Raum, der durch die P2P-Steuer nicht
verschwindet
o Pauschale Besteuerung ist ungerecht
Zusammenhang zwischen allgemeiner Internet-Nutzung und
P2P ist viel schwächer als bei CompactCassetten
o Andere Bezahlsysteme wären einfacher und gerechter
(Street-Musician-Modell)
KonsumentIn bezahlt UrheberIn direkt
Individuelle Abrechnung ist gerechter
Viele Probleme und wenig Nutzen
Zur Kritik der P2P-Steuer (2/2)
-------------------------------
o Subtile Wirkungen
o Einstieg in die lange befürchtete Kommerzialisierung des
Internet
Bisher gibt es relativ klare Unterscheidung zwischen
Freien und kommerziellen Inhalten
Damit unterlägen tendenziell alle Inhalte der
Kommerzialisierung
o An Freiheit orientierten UrheberInnen werden geschwächt
Nicht wenige MusikerInnen sind für P2P etc.
o Fehlanzeigen
o Verhindert DRM nicht
DRM ist deswegen ja noch nicht verboten
Besonders pikant: Dies ist ein offizielles Ziel der
P2P-Steuer!
o Bricht nicht mit der DRM-Logik
Stellt nur von individuell auf steuerfinanziert um
o Stärkt Freie Inhalte nicht
Es gibt keine "unkompensierten" Inhalte mehr - selbst
wenn dies von den UrheberInnen gewünscht ist
Verwischt für KonsumentInnen Unterschied zwischen
Freien und restriktiven Gütern
Bewusstsein für Copyright-Problematik wird in der
Praxis verhindert ("Ich darf es doch jetzt sogar legal
kopieren - was interessiert mich da noch Copyright?")
Viele grundsätzliche Probleme
Alternative Perspektiven
========================
Utopische Oekonux-Perspektive
-----------------------------
Wichtig für eine politische Orientierung
o Geldversorgung überflüssig machen
Selbstentfaltung als zentralen Grund für Urheberschaft
o Verknappung von Informationsgütern abschaffen
Ist nicht materiell begründet
Ist nicht gerechtfertigt, da es keine genialen
Informationsgüter gibt
o Verwertung ist kein überhistorisches Recht der UrheberInnen
So etwas wird gesellschaftlich entschieden und kann sich
ändern
Auch die Produktion außerhalb der Zünfte war illegal und
dennoch ein Anfang der bürgerlichen Gesellschaft
o Qualität ist unter Bedingungen der Selbstentfaltung höher
Kein Schielen auf Verwertungsinteresse nötig wenn es kein
Verwertungsinteresse gibt
Freie Software hat sich genau wegen dieser Qualität
durchgesetzt
Langfristig-utopische Perspektive ist klar :-)
Einfach aushalten?
Realpolitische Perspektive
--------------------------
o Wie weit kommt DRM überhaupt?
o Technische Umsetzung schwierig
TPM, TCPA
Redesign des Computers an sich
o Politische Umsetzung ist begrenzt
Privatkopie
o Akzeptanz ist bescheiden
Un-CD-Kampagne der c't
Verbreitet fehlendes Unrechtsbewusstsein
Nachvollziehbar, da niemensch etwas weg genommen wird,
da Informationsgüter sich durch Kopie vermehren
o Sinnvolles Handeln
o Keine P2P-Steuer
Verwischung der Grenzen zwischen alter und neuer Welt
ist der beste Weg der Integration einer Keimform!
Setzt durch, was der Musikindustrie nicht gelingen will
o Koexistenz von DRM und Freien Inhalten ermöglichen
o Stärkung Freier Lizenzen wie CreativeCommons
Sinnvolles Handeln scheint möglich
Reform oder Revolution?
-----------------------
Alte Frage für Linke
Diesmal mit echter Substanz
o P2P-Steuer trägt alle Züge einer sozialdemokratischen Lösung
o Bricht dem Neuen die Spitze ab
o Integriert es in das Alte
o Verhindert eine neue Entwicklung
o Copyright-System ungeeignet für Geldversorgung?
Zumindest unter digitalen Bedingungen
Ganz neues System der Geldversorgung für die Kreativen?
o Ist Musik / P2P / Musikindustrie so wichtig?
Freie Wissenschaft ist für die Produktivkraftentwicklung
viel zentraler
Sind wir vielleicht zu ungeduldig?
Die Grundlagen für eine fundamentale Veränderung sind da
Aber jede Veränderung braucht Zeit
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de