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[ox] "Digitalisierte Musik zwischen Raubkopie und gesellschaftlicher Alternative"



Hi Liste!

So, ich habe mir mal ausführlich Gedanken gemacht über das, was ich
auf der "copy kills (music kills) capitalism" so erzählen will. Na ja,
sagen wir was ich erzählen würde, wenn ich die Zeit dafür zur
Verfügung hätte ;-) .

Bitte seht euch das nochmal sehr kritisch an. Insbesondere würde mich
eure Meinung zu den unten geäußerten Positionen zu DRM und P2P
interessieren. Ich könnte mir vorstellen, dass die ziemlich kontrovers
sind.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

PS: Vortragsunterlagen gibt's auch in Englisch, schicke ich die Tage
noch an `list-en'.

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Digitalisierte Musik zwischen Raubkopie und gesellschaftlicher Alternative
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Stefan Merten

Hintergrund: Oekonux
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Freie Software als Keimform
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     Oekonux nimmt Freie Software (aka Open Source) als Ausgangspunkt

     Sehr kurz gefasster Überblick über die Theorie

o    1. Grundlage: Selbstentfaltung

          Basis der Produktionsweise

     o    Wesentlich: Kreative Entfaltung

o    2. Grundlage: Digitale Kopie

          Neue Technologie

          Internet als globale Fernkopiereinrichtung

     o    Schafft Überfluss von Informationsgütern

               Überfluss ist Feind der Knappheit

               Stellt Wareneigenschaft nachhaltig in Frage

o    Erfolg durch Qualität

          Produktionsweise ist dafür Voraussetzung

          Produktionsweise funktioniert nicht unter
          Entfremdungsbedingungen wie z.B. Lohnarbeit

          Freie Software ist höchstens zerstörbar aber nicht
          integrierbar

o    Keimform für eine gesellschaftliche Alternative

          Freie Software weist über Tauschgesellschaft hinaus

          Produktionsweise für viele (alle?) kreativen Leistungen
          sinnvoll

http://www.oekonux.de/

Freie Software und Musik
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Selbstentfaltung in der Musik
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o    Ähnlichkeiten zu Freier Software

     o    Individuelle Motivation

               Führt bei Musik zu erheblichen Investitionen in
               Instrumente, Equipment und Ausbildung

     o    Kreativer Ausdruck

o    Unterschiede zu Freier Software

     o    KünstlerInnensubjekt vs. Free-Software-Community

               Bürgerlicher Kunstbegriff stellt Individuum in den
               Mittelpunkt

               Zweifelhaft, da Neues immer auf gesellschaftlichem
               Boden entstanden

     o    Patches sind nicht üblich

               Jedoch: Moderne Musikformen beruhen darauf

               Was entspricht bei Musik den Quellen?

     o    MusikerInnen verdienen meist wenig/kein Geld mit Musik!

               Viele Freie-Software-EntwicklerInnen verdienen auch in
               diesem Bereich Geld

               900 Personen in Großbritannien leben vom Komponieren

               Die wenigsten gerieten also in eine Notlage wenn sie
               weniger Geld für ihre Musik bekämen

Selbstentfaltung ist Grundlage auch für Musik

Verwertung in der Musik
-----------------------

o    Ähnlichkeiten zu Software

     o    Digitales Produkt

               Unterliegt deswegen den Eigenschaften der digitalen
               Kopie

               Insbesondere: Ersetzt Knappheit materieller Träger
               durch globalen Überfluss

     o    Verstoß gegen Copyright durch "Raubkopien" und P2P

               Nicht bei Freier Software!

               Nicht bei Freier Musik!

     o    Konzerte als Dienstleistung

               Konzerte sind als Live-Event nicht digitalisierbar

               Es gibt viele Dienstleister rund um Freie Software

     o    Etablierte Verwerter

               Software-Industrie verwertet Software

               Musikindustrie verwertet Musik

               Verwerter sind nicht identisch mit den Kreativen

o    Unterschiede zu Software

     o    Privatkopie / Verwertungsgesellschaften

     o    Nutzungslizenz auf Werkbasis

               Ist bei Software immer üblich gewesen

               War bei Musik unnötig, da Verknappung über die Bindung
               an Tonträger funktionierte

Verwerter haben ein Problem - nicht die Kreativen

DRM, P2P, CC, CF
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DRM (Digital Rights/Restriction Management)
-------------------------------------------

     Kopierschutz bzw. Abspielverhinderung

     Vor allem aber: Weitreichende Pläne für Computer

o    Ziel: Durchsetzung von Verwertungsinteressen mittels Technologie

          Ist also vor allem im Interesse der Musikindustrie

          Staat als klassischer Hüter von Verwertungsinteressen nur am
          Rande im Spiel

     o    Im Rahmen von Marktwirtschaft unproblematisch

               Verwertungsinteressen müssen in der Marktwirtschaft
               geschützt werden

               Kommt ohne direkten Zwang aus

     o    Gerechter als Verwertungsgesellschaften

               Verwertungsgesellschaften waren in der analogen Ära
               sinnvoll, da individuelle Abrechnung von Werknutzung
               dort nicht möglich

               DRM kann zielgenauer sein als Messmethoden von
               Verwertungsgesellschaften

o    Probleme heutiger DRM-Ansätze

     o    Tendenziell soll jede einzelne Werknutzung exakt überwacht
          werden

               Tiefer Eingriff in die Privatsphäre

               BigBrother

     o    Mit TCPA wird das Prinzip des Computers massiv beschnitten

               Seine Stärke ist gerade die universelle digitale Kopie

     o    Beachten Schrankenregelungen nicht ausreichend

               Privatkopie, Wissenschaft, Bildung

Warum nicht unbedenkliche DRM-Formen?

          Wäre die marktwirtschaftliche Lösung mit individueller
          Abrechnung

          Apple iTunes zeigt, dass Erfolg damit möglich ist

P2P (Peer to Peer)
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     D.h. "Tausch"börsen wie Kazaa, eDonkey, etc. pp.

     Dort wird i.d.R. nicht wirklich getauscht

o    System zur Verschleierung illegaler Kopien

          Zumindest für Musik wäre es viel einfacher dicke, zentrale
          Server zu haben

o    Funktioniert als Distribution, weil Bekanntmachung in anderer
     Sphäre angesiedelt ist

          MTV, Radio und Co übernehmen die Bekanntmachung der Produkte
          der Musikindustrie

          Eindeutigkeit, die zum Suchen nötig ist, ist über einfaches
          Namensschema (Interpret, Titel) gegeben

          Fehlt für Freie Musik weitgehend

          MTV, Radio und Co könnten dies grundsätzlich ändern

o    Freie Musik / Freier Content käme ohne P2P aus

          Distribution und Bekanntmachung ähnlich wie bei Freier
          Software

          Wiki-ähnliche Systeme könnten Publishing für alle zur
          Verfügung stellen

          Netlabels sorgen (schon heute) für Auswahl /
          Qualitätskontrolle

P2P ist für Freien Content überflüssig

          Freie Software ist ein gutes Beispiel dafür

          Auch hier staunen Marketing-Leute über die Bekanntheit ohne
          Werbung

CC (CreativeCommons)
--------------------

o    Lizenzen für "Some rights reserved"

     o    Attribution

     o    Noncommercial

     o    No Derivative works

     o    Share Alike

          GPL entspricht SA+BY

o    Große Bewegung mit gutem "Marketing"
     (http://creativecommons.org/)

          Gelten für alle Inhalte

          Werden an die nationalen Rechtssysteme angepasst

o    Noncommercial hilft dem Opus-Magnus-Gedanken

          "Ich trage gerne etwas bei, wenn es nicht kommerziell (aka
          entfremdet) genutzt werden kann"

CreativeCommons begünstigen Übertragung der Idee Freier Software

          Dürfte keine Initiative geben, die dies erfolgreicher
          betreibt

CF (Content-Flatrate) / P2P-Steuer
----------------------------------

o    Abgabe auf Internet-Anschlüsse

o    Umverteilung an UrheberInnen von P2P-Inhalten

o    Legalisiert damit P2P von Material unter Copyright

o    (Neue) Verwertungsgesellschaften als Umverteiler (VG-Online)

          Verwertungsgesellschaft für Musik ist bisher GEMA

          Verwertungsgesellschaft für Text ist bisher VG Wort

          Verwertungsgesellschaften entstanden wegen der Unmöglichkeit
          der individuellen Abrechnung analoger Kopien

De facto: Pauschale Steuer für Internetnutzung

          Muss staatlich durchgesetzt werden

          Ist nicht leistungsbezogen

Zur Kritik der P2P-Steuer (1/2)
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     Hier gäbe es viel zu sagen...

o    Zahlreiche praktische Probleme

     o    Gerechte Aufteilung der erhobenen Gelder?

               Bei verschiedenen Medien

     o    Wo sollen die Schranken sein?

               Jede Web-Seite anmeldbar?

               Proprietäre Software?

               Tiefer liegendes Problem: Digitale Kopie ist universell

     o    Kommt wie DRM nicht ohne Messungen aus

               Messungen ohne DRM-Methoden sind immer falsch

     o    Internationale Nutzung vs. nationale Verwertungsgesellschaft

o    Probleme mit der "Kompensation" / Geldversorgung

     o    Für die UrheberInnen würde sich nichts ändern

               Zumindest wenn System sich nicht fundamental von GEMA
               und Co. unterscheidet

               Verlage und Verwertungsgesellschaften kassieren
               trotzdem

               Geldversorgung findet bisher schon nicht statt

               Fundamentales Problem: UrheberInnen leben in einem
               hochkonkurrenten Raum, der durch die P2P-Steuer nicht
               verschwindet

     o    Pauschale Besteuerung ist ungerecht

               Zusammenhang zwischen allgemeiner Internet-Nutzung und
               P2P ist viel schwächer als bei CompactCassetten

     o    Andere Bezahlsysteme wären einfacher und gerechter
          (Street-Musician-Modell)

               KonsumentIn bezahlt UrheberIn direkt

               Individuelle Abrechnung ist gerechter

Viele Probleme und wenig Nutzen

Zur Kritik der P2P-Steuer (2/2)
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o    Subtile Wirkungen

     o    Einstieg in die lange befürchtete Kommerzialisierung des
          Internet

               Bisher gibt es relativ klare Unterscheidung zwischen
               Freien und kommerziellen Inhalten

               Damit unterlägen tendenziell alle Inhalte der
               Kommerzialisierung

     o    An Freiheit orientierten UrheberInnen werden geschwächt

               Nicht wenige MusikerInnen sind für P2P etc.

o    Fehlanzeigen

     o    Verhindert DRM nicht

               DRM ist deswegen ja noch nicht verboten

               Besonders pikant: Dies ist ein offizielles Ziel der
               P2P-Steuer!

     o    Bricht nicht mit der DRM-Logik

               Stellt nur von individuell auf steuerfinanziert um

     o    Stärkt Freie Inhalte nicht

               Es gibt keine "unkompensierten" Inhalte mehr - selbst
               wenn dies von den UrheberInnen gewünscht ist

               Verwischt für KonsumentInnen Unterschied zwischen
               Freien und restriktiven Gütern

               Bewusstsein für Copyright-Problematik wird in der
               Praxis verhindert ("Ich darf es doch jetzt sogar legal
               kopieren - was interessiert mich da noch Copyright?")

Viele grundsätzliche Probleme

Alternative Perspektiven
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Utopische Oekonux-Perspektive
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     Wichtig für eine politische Orientierung

o    Geldversorgung überflüssig machen

          Selbstentfaltung als zentralen Grund für Urheberschaft

o    Verknappung von Informationsgütern abschaffen

          Ist nicht materiell begründet

          Ist nicht gerechtfertigt, da es keine genialen
          Informationsgüter gibt

o    Verwertung ist kein überhistorisches Recht der UrheberInnen

          So etwas wird gesellschaftlich entschieden und kann sich
          ändern

          Auch die Produktion außerhalb der Zünfte war illegal und
          dennoch ein Anfang der bürgerlichen Gesellschaft

o    Qualität ist unter Bedingungen der Selbstentfaltung höher

          Kein Schielen auf Verwertungsinteresse nötig wenn es kein
          Verwertungsinteresse gibt

          Freie Software hat sich genau wegen dieser Qualität
          durchgesetzt

Langfristig-utopische Perspektive ist klar :-)

          Einfach aushalten?

Realpolitische Perspektive
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o    Wie weit kommt DRM überhaupt?

     o    Technische Umsetzung schwierig

               TPM, TCPA

               Redesign des Computers an sich

     o    Politische Umsetzung ist begrenzt

               Privatkopie

     o    Akzeptanz ist bescheiden

               Un-CD-Kampagne der c't

               Verbreitet fehlendes Unrechtsbewusstsein

               Nachvollziehbar, da niemensch etwas weg genommen wird,
               da Informationsgüter sich durch Kopie vermehren

o    Sinnvolles Handeln

     o    Keine P2P-Steuer

               Verwischung der Grenzen zwischen alter und neuer Welt
               ist der beste Weg der Integration einer Keimform!

               Setzt durch, was der Musikindustrie nicht gelingen will

     o    Koexistenz von DRM und Freien Inhalten ermöglichen

     o    Stärkung Freier Lizenzen wie CreativeCommons

Sinnvolles Handeln scheint möglich

Reform oder Revolution?
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     Alte Frage für Linke

     Diesmal mit echter Substanz

o    P2P-Steuer trägt alle Züge einer sozialdemokratischen Lösung

     o    Bricht dem Neuen die Spitze ab

     o    Integriert es in das Alte

     o    Verhindert eine neue Entwicklung

o    Copyright-System ungeeignet für Geldversorgung?

          Zumindest unter digitalen Bedingungen

          Ganz neues System der Geldversorgung für die Kreativen?

o    Ist Musik / P2P / Musikindustrie so wichtig?

          Freie Wissenschaft ist für die Produktivkraftentwicklung
          viel zentraler

Sind wir vielleicht zu ungeduldig?

          Die Grundlagen für eine fundamentale Veränderung sind da

          Aber jede Veränderung braucht Zeit




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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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