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Re: [ox] Oekonux zu Tauschringen



Hi Uli und Liste!

4 months (120 days) ago ulifrank wrote:
Liebe Leute, den folgenden Artikel hatte ich schon für das
Bundestauschringtreffen 2003 geschrieben und er wurde auch in CONTRASTE
abgedruckt (s.u.).

Ich wäre an eurer Meinung interessiert und weiteren Anregungen....

Wollte ich schon länger noch ein paar Sachen dazu anmerken, jetzt kann
ich mir Zeit und Muße dazu endlich mal nehmen. Danke für den sehr
schönen Artikel :-) .

Ich zitiere nur, was ich kommentiere. Ganzer Text zum Vergleich

	http://www.oekonux.de/liste/archive/msg08566.html

Auf der Konsum-Seite nannte ich die AI-Idee: Auch
hier koenne neue Erfahrungen gemacht werden, die ueber
die Beschraenktheit der Geldlogik hinausgehen: Innerhalb des
`AI-Paradieses' koennen alle alles nutzen. Es gehoert ihnen
nichts (juristisch); aber sie koennen alles fuer
sich nutzen.

Sie können es quasi ad hoc besitzen.

Niemand ist mehr mit kassieren, bewachen,
fernhalten, anschliessen beschaeftigt.

Mit fern halten schon. Die All-Inclusive-Inseln sind halt ein
umzäuntes Gebiet, dass nur funktioniert, weil der Rest der
Gesellschaft draußen gehalten wird. Hier sehe ich auch noch einen
größeren Unterschied zu Freier Software, die diese Grenze gerade nicht
braucht.

"El barman" gibt
nur noch Getraenke aus, die Kellner fuellen das freie Buffet
auf.

M.a.W.: Wenn die durch die Geldlogik erzwungenen Tätigkeiten weg
fallen, dann bleiben die sachlich notwendigen Tätigkeiten übrig.
Würden die jetzt noch auf Basis von Selbstentfaltung getan, wäre die
Sache geritzt ;-) .

Es widerlegt das Vorurteil, dass "die Menschen" mit
konkretem Reichtum nicht umgehen koennen und deswegen ueber
knappes Geld diszipliniert werden muessen.

Guter Gedanke! Als Einwand käme mir, dass das vermutlich zwar für alle
körperbezogenen Leistungen gilt - ich kann nur essen, bis ich platze -
aber dass das nicht alles ist. Wäre mal näher zu überlegen...

Hmm... auch hier ist wohl der Entfremdungsfaktor wieder wichtig.
Körperbezogene Leistungen eignen sich nicht für Entfremdung. Wenn ich
Nahrungsmittel zum sofortigen Verzehr habe, kann ich sie nicht mehr in
interessantem Rahmen verkaufen und eine Massage, die genau ich
erhalte, kann ich auch nicht verkaufen. Früchte wären schon wieder ein
anderes Beispiel. Die könnte ich aus den All-Inclusive-Inseln
mitnehmen und draußen verkaufen.

Logik von Leistung und Gegenleistung

An dieser Stelle koennte die Tauschring-Bewegung eine
wichtige Funktion uebernehmen. Immerhin wird prinzipiell in
verschiedenen Tauschringen ja tatsaechlich wenigstens ein Teil
der Reproduktion ohne Geld versucht. Das
Modell basiert in erster Linie auf einer unmittelbaren
Vergesellschaftung, direkter Kommunikation und Verhandlungen.
Die Gruppenmitglieder sind untereinander bekannt und regeln
den Austausch ueber Bekanntschaft und
die quasi-institutionelle Garantie durch den Tauschring. Hier
fliessen Erfahrungen aus der Familie, Verwandtschaft
Freundschaftsbeziehungen, Vereinen, Nachbarschaft ein.
Allerdings fehlen dabei haeufig Werte wie
Grosszuegigkeit, Vertrauen, Liebe, Verpflichtungen, die
trotz guter Absichten eher in der traditionellen Familie
entstehen.


Stattdessen bleibt die alte Logik von Leistung und
Gegenleistung in abgemilderter Form erhalten. "Ich gebe
nur, wenn du auch etwas gibst." Jeder achtet - nicht zuletzt
durch das mehr oder weniger penibel gehandhabte
Buchungs- und Berechnungssystem - genau so aengstlich darauf,
nicht zu kurz zu kommen, genau so formal
auf "Gerechtigkeit" und Aequivalenz wie in der Geld-Oekonomie.


Da, wo diese genaue Berechnungslogik aufgelockert
oder bewusst abgelehnt wird, wie im Tauschring Wuppertal
z.B., tritt an diese Stelle eher ein moralischer Druck,
nicht zu nehmen ohne zu geben, nichts und niemand etwas
schuldig zu bleiben. Hier wird der emotionale und
kommunikative Aufwand umso hoeher. Staendig muss ich
die anderen in meine Gedankenwelt einbeziehen, meine
Beziehungen zu den anderen staendig reflektieren. Abgesehen
von diesem erhoehten Aufwand, der viele Mitglieder
schon zum Rueckzug aus Tauschringen veranlasst haben
wird, liesse sich diese "Freundschaftsloesung" gar nicht
verallgemeinern. Auf der Ebene einer hoch arbeitsteiligen
international eingebundenen Gesellschaft liesse sich
dieses Modell schon technisch nicht realisieren.

Ja. Der Hintergrund scheint mir der, dass hier einfach mit Knappheit
umgegangen wird. Das Programm kann aber nur heißen Knappheit
abzuschaffen und Begrenzungen so weit irgend möglich so zu gestalten,
dass sie die auf Selbstentfaltung bezogene Bedürfnisbefriedigung so
wenig wie möglich stören.

Auch hier erweist sich die "alte" Geldlogik als praktisch
deutlich ueberlegen. Was daran so faszinierend ist,
ist ja gerade der entlastende Mechanismus, der mich von
tausend Gedanken ueber das Funktionieren der Wirtschaft
befreit. Ich brauche nicht zu wissen, woher die Waren
kommen, wer sie unter welchen Bedingungen produzierte, was
sich irgendjemand dabei dachte, wie der Produzent oder
Verkaeufer mich sieht und ich ihn...

Nicht zu vergessen, dass dieses System auch ein irgendwie geartetes
allgemeines Äquivalent braucht - beim Kapitalismus die Arbeit. Wenn
ich mir die Fülle menschlichen Lebens so ansehe, dann ist die
Abstraktion auf ein allgemeines Äquivalent schon eine Entfremdung an
sich.

Versuche mit geldlosen Lebensbedingungen ueber einen
laengeren Zeitraum hinaus werden z.Zt. in einigen Grosskommunen
gemacht (Niederkaufungen, Longo Mai,
Waltershausen, z.T. ZEGG). Nach "aussen" (Geldlogik)
werden Gelder fuer die Lebensmittel erwirtschaftet durch
Erwerbstaetigkeit einzelner Kommunarden oder durch
den Verkauf von gemeinsam erbrachten Waren und
Dienstleistungen (Catering, Kinderbetreuung, Seminare,
Bioprodukte, Handwerks-Leistungen und Produkte). Innerhalb
der Kommune gibt es kein Geld mehr, keine Warenwirtschaft,
Abrechnungen, Tausch usw. (Wer neu eintritt, gibt sein ganzen
Vermoegen und seine Einkuenfte an
die Gemeinschaft ab). Der Nachteil hier ist, dass diese
Modelle ein starkes Zusammengehoerigkeitsgefuehl voraussetzen
und entwickeln. Es wird sehr viel diskutiert, beraten,
verwaltet, gearbeitet, also ein hoher Integrations- und
Entscheidungsfindungs-Aufwand betrieben (Gruppendynamik).
Dadurch ergeben sich eine starke Abgrenzung
nach aussen und eine hohe Verbindlichkeit nach innen:
klosteraehnliche Strukturen. Vielen Menschen ist die
Einstiegsbarriere und das staendig erforderliche hohe Niveau
an Engagement zu hoch.

Hier würde ich mich heute auch fragen, ob das unbedingt so sein muss.
Immerhin werden solche Initiativen ja auch von Leuten bewohnt, die
hohe ideologische Ansprüche haben und wo m.E. der Integrations- und
Entscheidungsfindungs-Aufwand auch deswegen sehr hoch ist. Nach meiner
Einschätzung haben die meisten Menschen aber gar nicht das Bedürfnis
nach übermäßig viel Einfluss auf das OHA-System, solange es für sie
gut funktioniert. Von daher würde ich nicht unbedingt aus diesen
Initiativen hoch rechnen.

Wenn TR-Erfahrene ihre Faehigkeiten in dieser Richtung zur
Verfuegung stellen wuerden (und dabei fuer neue
Impulse offen blieben) um PAUSCHAL-Strukturen (z.B.
"PAUSCH-Ringe") zu schaffen in denen es KEINEN
Tausch mehr zu geben brauchte, waere das ein Schritt in
die Richtung freier Konsum- und Nutzer-Gemeinschaften,
experimentell, vielfaeltig, offen: mit freiem Zugang
zu allem, was da ist, gemeinsamer Produktion von Guetern zur
freien Entnahme.

Das könnte ich mir als eine Erweiterung der Umsonstläden vorstellen.
So lange es allerdings entfremdete Nutzungsmöglichkeiten gibt - d.h.
entnehmen und zu Geld machen - muss es hier scharfe Grenzen zu anderen
Bereichen der Gesellschaft geben.

Hmm... mal überlegen. Wie wäre ein Modell ähnlich der GPL, wo
Gegenstände, die mit einem bestimmtem Siegel versehen sind, nicht mehr
verkauft werden dürfen? Juristisch wären sie dann vermutlich immer
noch Eigentum derjenigen, die das Siegel angebracht hat, der Besitz
ist jedoch beliebig. Und es darf nicht mehr verwertet werden. Müsste
sich - ähnlich wie die GPL auf das Copyright - auf die bürgerliche
Eigentumsordnung stützen. Damit wäre die entfremdete
Nutzungsmöglichkeit der Verwertung vernichtet und die
Nutzungsmöglichkeiten auf die konkreten zurück geführt. Die oben
geschilderten Probleme wären damit gelöst.

Das wäre quasi das Prinzip der GPL auf materielle Güter übertragen mit
dem Unterschied, dass nur konkrete Nutzungsmöglichkeiten erlaubt sind.
Bei Freier Software braucht es dieses Verbot nicht, da nach deren
Veröffentlichung auf Grund der Eigenschaften der digitalen Kopie die
entfremdeten Nutzungsmöglichkeiten von selbst erlöschen. Materielle
Güter sind an dieser Stelle anders und müssen deswegen anders
behandelt werden um den gleichen Effekt wie bei Freier Software zu
erzielen.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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