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Re: [ox] Reichtum in unseren kleinen Welten



Hallo Jürgen,

da habe ich nun versucht, den Wert erstmal aus diesem Thread auszuklammern, um
ihn zu Ent-Ideologisieren, und Du mogelst ihn mir wieder unter. Ich gehe 
allerdings davon aus, daß der Begriff langsam Gestalt annimmt. Wir drehen uns
mitnichten im Kreis: wir schleichen nur um den heißen Brei herum. 

Vorsicht, nur weil es natürliche Vorgänge gibt, die so arbeiten, muss es 
nicht notwendig "objektiv" sein. Objektiv geht nicht, da wir alles immer 
nur relativ bewerten können.

Ich schlage vor, die Bedeutung der Begriffe "objektiv", "natürlich",
"relativ", "fiktiv" usw. erst einmal semiotisch zu analysieren und uns
auf eine gültige anarchistische Textinterpretation zu einigen --- die 
objektiven Gesetzmäßigkeiten in der Gesellschaft sind natürlich relativ.

sondern der Reichtum im Kapitalismus ist eine _historisch spezifische Form_
gesellschaftlichen Reichtums, die an seine historisch spezifische 
_Produktionsweise_ gebunden ist. 
Mag sein, dass das "offiziell" so gesagt wird, aber für mich sind das 
nur Worthülsen. Das sagt doch gar nichts genaues aus.

"Offiziell" wird hier gar nichts gesagt. 
Aber Du hast Recht, wenn man diese Formulierung aus Postones "Zeit, Arbeit und
gesellschaftliche Herrschaft" für sich betrachtet, sagt sie möglicherweise
nicht viel aus. Andererseits leitest Du ja gerade an diesem Punkt den Wert 
her - das heißt genau das, worauf ich mit diesem Zitat hinauswollte, ohne es
vorläufig zu benennen. (Ist der Begriff also so unwichtig, wenn er sich Dir
hier aufdrängt?)

-----
Wenn ich "Produktion" höre, dann denke ich an Arbeit, Kraft, Weg, Länge, 
Zeitaufwand, etc.
Physikalisch ist Arbeit äquivalent zu Energie:
Arbeit = Energie

Für Energie gibt es verschiedene Formeln, je nach Art, aber ich nehme 
mal diese Formel hier:
Energie = Leistung * Zeit.

Analogie 1:
Könnte man da nicht sagen, dass der Wert eines Gutes gleich der Energie 
ist, die man dafür aufwenden muss?

Ich würde sagen ja. Es ist aber zu präzisieren: der _menschlichen_ Energie,
der Arbeitskraft.

Ich setze somit nun Energie mit "Wert" gleich.
Umgemünzt auf "Geld" und "Wert":
Geld hat die Eigenschaft einerseits Tauschmittel (Welle) zu sein, aber 
andererseits auch "Wert" (Teilchen) sein.

Bei Marx: Tauschwert und Gebrauchswert.

Analogie 5:
E = m * c^2
Energie ist proportional zu Masse (über den Faktor c^2).
Wo viel Masse ist, wird noch mehr Masse hingezogen (Stichwort: Gravitation).
Umgemünzt auf "Geld" und "Wert":
Wert ist proportional zu seiner Fähigkeit anderen Wert zu binden.
Dies ist das Prinzip "Reiche werden immer reicher".
Wer viel Geld hat, bekommt auch noch immer mehr dazu.

Den Grund für die "Fähigkeit, anderen Wert zu binden" hat Franz Naetar bereits
in dieser Diskussion erwähnt: 

"Die Möglichkeit" - anderen Wert zu binden - "liegt ... in der Tatsache 
begründet, daß die Arbeitskräfte mehr produzieren, als zu ihrer eigenen
Reproduktion notwendig ist ... Tatsächlich ist ja die Produktivität der
Arbeitskräfte so stark gestiegen, daß viele meinen, es würden 2-3 Stunden 
[Arbeit] zur sinnvollen Reproduktion ausreichen."

Analogie 6:
Wer reich ist, hat in unserer Gesellschaft größeres Gewicht oder Macht. 
Oder soll ich sagen mehr "Masse" ?
Reichtum ist Gradmesser für Macht. Mit "Macht"="Masse" ergibt sich über 
die Äquivalenz von "Masse" und "Energie", dass "Macht" äquivalent zu 
"Wert" sein muss. Ich denke das stimmt auch. Wer reich ist, wird als 
mehr "wert" empfunden bzw. es wird demjenigen mehr "gebauchpinselt".
Hieran sieht man auch die Schwierigkeit "Reichtum" zu definieren.
Es gibt schon genug Begriffe dafür.
Reichtum ist nur eine Tautologie für Macht oder Wert oder Geld oder ...

Was hier vor allem bemerkenswert ist: der stoffliche Reichtum wird
gar nicht erwähnt, er scheint völlig irrelevant zu sein für den Wert. Dabei 
akkumuliert der auch, zum Beispiel auf Müllhalden.

Analogie 7:
[..]
Wir handeln in unserer Gesellschaft den Umrechnungsfaktor ständig neu 
                 ^^^^^^^               
aus, während die Natur den Energieerhaltungssatz strikt befolgt.

Unsere Gesellschaft ist der  Kapitalismus. 

Entscheidend ist hier für mich: 
Der Umrechnungsfaktor in der Gesellschaft, der ständig neu ausgerechnet werden
muß, ist die gesellschaftlich notwendige durchschnittliche Arbeitszeit (also 
der Wert), die ständig neu bestimmt werden muß, weil durch die Konkurrenz zur
Erlangung von _Vorteil_ (nicht einmal Reichtum, aber zur Verwendung des 
Vorteilsbegriffes an dieser Stelle muß ich auf Gräbe verweisen, s.u.) auf dem
Markt die wissenschaftlich-technische Basis der Produktion ständig erneuert 
werden muß (wer nicht mitzieht, geht unter), wodurch sich notwendig die zu 
erbringende Leistung zur Herstellung eines materiellen Gutes
(ich verzichte hier ausdrücklich auf die Verwendung des Warenbegriffs)
immer mehr verringert. Das heißt, um "die Energie zu erhalten" müssen immer 
mehr Güter erzeugt (Güter, aber kein stofflicher Reichtum, sondern so 
unsinniges Zeug, wie digitale Springseile) und vor allem "um jeden Preis" 
verwertet werden.
 
Das ist - grob vereinfacht - das Phänomen, das zu der Anomalie führt, die Du 
als permanenten Verstoß gegen den Energieerhaltungssatz umschreibst. (Und für das 
ich an anderer Stelle den Ausdruck "Expansionsprivileg des Kapitals" fand.)

----

Dazu sage ich: Die Mathematik ist das erfolgreichste Konzept, das der 
Mensch hat, um die Natur zu beschreiben. Leider wurde es im Bereich 
sozialer Vorgänge stark vernachlässigt (wohl aus Unwissenheit)

Es ist wirklich Schade, daß Marx Riemann offenbar nicht gekannt hat, sonst
wäre uns manches erspart geblieben:-)

Also da muss ich leider einhaken. Es gibt nur eine Natur und keine 
zweite, die die Gesellschaft darstellen soll. Wir sind alle Teil davon.
Das ist der größte Fehler, den die Menschen in der Philosophie gemacht 
haben. Damals begannen die Griechen damit, dass sie eine vom Menschen 
unabhängige absolute Wirklichkeit definierten. Platon mit seinen idealen 
Formen und Körpern und so weiter.

Wahrscheinlich ist es kein Fehler, mit Sicherheit aber kein Zufall, daß die 
Griechen sowohl das Geld, als auch die Philospophie, ja sogar die Mathematik
schufen. Und das alles auch noch weitgehend gleichzeitig (noch dazu 
zufälligerweise genau zu der Zeit, in der mit der Übernahme der phonetischen
Schrift ganz neue Voraussetzungen für die _Kommunikation_ entstanden): die 
_Produktionsweise_ führte zur Notwendigkeit und Möglichkeit eines _abstrakten_
Vermittlungsmediums, dieses in Wechselwirkung mit dem Geist brachte eine 
_Abstrahierung_ der menschlichen Gesellschaft von der Natur hervor, die 
Philosophie, und letztlich sogar die Abstrahierung des Geistes vom Wort 
(vom philosophischen "Geschwurbel", nicht aber vom Begriff - aber da sind wir
uns ja offenbar einig), die Mathematik.

Das war allerdings lange vor der Etablierung des Wertes als Gradmesser des 
gesellschaftlichen Reichtums und ist eigentlich schon wieder ein anderer 
Thread.

-----

Das ist jetzt so als würde ein Mathematiker sagen, dass ein Kreis oder 
eine Gerade wirklich existieren. Dem ist aber nicht so.
Kreis und Gerade sind nur Idealvorstellungen. Es gibt sie nicht.
Was es gibt, sind Dinge der realen Welt, die man damit beschreiben kann, 
mehr oder weniger gut.

Da bin ich mit Dir einer Meinung. Was aber ist, wenn Gerade und Kreis nicht 
mehr zur Beschreibung der realen Verhältnisse ausreichen? Wenn die 
eindimensionale Fixierung auf das Geld und die zweidimensionale Wirkungsweise
des Wertes den komplexen Anforderungen der realen Welt nicht mehr genügen? 
(Aber im Grunde ist es ja im Kapitalismus seit jeher andersrum: _da_ wird 
nämlich die Welt permanent den Erfordernissen des Wertes angepaßt, und _das_
wird uns als natürlich präsentiert!)

Es geht also nicht um die Schaffung des perfekten Kreises, sondern um die 
Erweiterung der Dimension, mindestens also um das Wirken in einer - notwendig
behelfsmäßigen - Kugel, in der man die Wahl hat zwischen unendlich vielen - 
natürlich unperfekten - Kreisläufen.

Wenn es jene Simulation nicht zeigt, die Du Dir im Moment vorstellst, 
dann musst Du Dir eben eine andere Simulation vorstellen. 

Ich meine die Simulationen, die Du hier in die Debatte eingebracht hast. 
Aber vielleicht müssen wir ja auch den Gebrauch des Begriffes Simulation erst
einmal besser simulieren:)

Die unter Analogie 7.) verhandelte Anomalie hat noch eine weitere Konsequenz 
für jeden utopischen Gesellschaftsentwurf: bisher schien es völlig unmöglich
zu sein, der aus dieser Wirkungsweise der Konkurrenz resultierenden Dynamik 
des Kapitalismus auch nur annähernd etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen.
Warum ich das im Zusammenhang mit dem oekonux-Entwurf jetzt optimistischer 
sehe, das formuliert Hans-Gert Gräbe so:

"Konkurrenz setzt voraus, dass zwei "Körner" auf sich überlappenden 
Geschäftsfeldern tätig sind, so dass auf natürliche Weise eine 
(gesellschaftlich sinnvolle) Verdrängung des weniger effizienten Akteurs 
eintritt. 

Durch die sehr hohe Dimensionalität des Raumes dinglicher Logiken 
ist der Effekt dieser Verdrängung aber ein anderer als der heute zu 
beobachtende Effekt _räumlicher Verdrängung_:" ("friß oder stirb", SMa) 

"Der Verdrängte hat viel mehr Ausweichdimensionen zur Auswahl als in 
einem System, welches nur auf die blinde Geldmacht gründet, und kann
(und muss!) sich eine neue, seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechende
'sinnvolle' Tätigkeit suchen und dabei sein Kompetenzprofil entsprechend 
weiterentwickeln und schärfen. 

Nach kurzer Zeit wird es keine überlappenden Geschäftsfelder mehr geben -- 
und sie werden dann auch nicht mehr Geschäfts- sondern Kompetenzfelder heißen.

Die einer solchen Struktur inhärenten Austarierungsmechanismen führen also 
nicht nur dazu, dass etwa gleich und optimal große 'Körner' entstehen, sondern
dass diese auch in der Gesamtheit ihrer Kompetenzen optimal aufgestellt sind."

(Hier müßte man untersuchen, wie sich dieses Bild mit unseren Netzwerkmodellen
verträgt; eine Möglichkeit ist vielleicht die Verschiebung der Perspektive des
Reichtumsbegriffs auf "Kompetenzakkumulation":-)

"Dynamik gewinnt diese kompetenzbasierte Struktur vor allem durch den Eintritt 
junger Menschen und den Rückzug alter, also aus der Lebensdynamik der 
intellektuellen Leistungsfähigkeit der einzelnen Individuen selbst."

[http://www.opentheory.org/mtb-mawi/text.phtml]


Viele Grüße

 Stefan

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Organisation: projekt oekonux.de



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