[ox] Copyleft - Kritik 2 - Alfred J. Noll
- From: "Franz Nahrada" <f.nahrada reflex.at>
- Date: Sat, 15 May 2004 18:57:31 +0200
Der Beitrag war heute schon auf der Chatliste, gepostet von KarlD, danke,
Ich finde er gehört aber zentral auf die Hauptliste und hier eingehend
behandelt. Die Debatte ist eröfffnet!
Franz
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Copyleft ante portas?
Antikritisches zum Urheberrecht - und Kritisches zu Stefan Meretz´ Artikel
"What´s Copyleft?" in Streifzüge Nr. 30 / April 2004
von Alfred J. Noll
Ach wie schön: Endlich haben wir eine Insel gefunden, um uns vom
schnöden Verwertungszusammenhang des kapitalistischen Marktes zu lösen,
der "Eigenarbeit" ein Loblied in emanzipatorischer Tonart zu singen und
die
"Schaffung stofflichen Reichtums jenseits der Wertform" zu antizipieren.
Stefan Meretz setzt auf´s "Copyleft-"Konzept um "Reichtum zu produzieren,
der keine Wertform annehmen muss" und sieht darin ein Türchen
aufgestoßen zu einer "neuen Welt". - Wo lebt der Mann?
1. "Copyleft" setzt aufs bürgerliche Recht nicht weniger als "Copyright".
Das
durch Copyleft eingräumte Werknutzungsrecht ist ein limitiertes, also an
Bedingungen geknüpftes Nutzungsrecht. Die Einhaltung dieser Bedingung
(freie Verwendung unter Angabe von Autor/in, Titel und Quelle des
Originals sowie Erhalt des Copylefts) setzt das Vorliegen eines
urheberrechtsfähigen Werkes voraus, basiert also prinzipiell auf dem
Ausschlussrecht der Autorin bzw. des Autors an seinem Werk - und
unterscheidet sich von daher in keiner Weise vom "Konzept" des
Urheberrechts. Einziger Unterschied: Wer Copyleft sagt, will bei
entsprechender "Verwertung" seiner Leistung (Arbeit) kein Geld. Die
"Werkschaffenden" (Urheber) müssen ihre Subsistenz zwar weiterhin wohl
irgendwie gewährleisten, aber sie sollen dies gefälligst tun, ohne dabei
vom
typischen Produkt ihres Schaffens, nämlich dem "Werk" als marktfähigem
Gut, einen vermögenswerten Vorteil zu ziehen. Das freut Journalistinnen
und
Übersetzerinnen, Schriftsteller und Regisseure, Komponisten und
Kameraleute, Drehbuchautoren und Malerinnen - und alle anderen Künstler
und Interpreten! Noch mehr aber freut es die kommerziellen Werknutzer,
die sich diese Leistungen aneignen und daran verdienen (werden), ohne jede
Verpflichtung einer Beteiligung der unmittelbaren Produzenten.
2. Damit liegt das Konzept von Copyleft ganz gut im Trend: Es ist ohnedies
die Realität des kapitalistischen Verwertungszusammenhangs, dass sich die
Protagonisten dieses Spektakels in immer größerem Ausmaß die Produkte
menschlicher Arbeit unentgeltlich aneignen - um sie dann (allenfalls in
modifizierter, d. h. markttauglicher Form) entgeltlich zu verwerten. Der
immerhin mögliche Einwand, das Copyleft müsste doch erhalten bleiben,
scheitert an der schnöden Realität: Was werden denn die Copyleft-Apostel
machen, wenn dieser Auflage nicht entsprochen wird? Werden sie (so wie
bisher auch) den Gang zum bürgerlichen Gericht antreten, dort den
Werkcharakter ihrer "Schöpfung" nachweisen und auf Unterlassung der
jeweiligen Werknutzung klagen - gestützt aufs Urheberrecht? Oder werden
sie es hinnehmen, weil das Urheberrecht ohnedies abgeschafft gehört?
3. Die unschwer beschreibbare "Entindividualisierung und
Vergesellschaftung
des Urheberrechts" (vgl. bloß meine Notiz: Die Vergesellschaftung des
Urheberrechts. Anfang und Ende des geistigen Eigentums, in: Wespennest,
Nr. 108/1997, S. 60-65) vollzieht sich ohnedies. Copyleft gibt dieser
quasi
naturwüchsigen Tendenz bereitwilligst nach - und beharrt gleichzeitig auf
der
Angabe von Autor/in und Quelle (und also weiterhin auf Realisierung der
Urheberpersönlichkeitsrechte). Richtig: Das Urheberrecht ist -
politökonomisch gedacht - nichts anderes als die Einräumung eines
Eigentumsrechts für den Produzenten, das andere von der Nutzung "seines
Gutes" ausschließen soll. Darin liegt das Wesen des Eigentumsrechts. Die
Copyleft-Bewegung hat das historische Recht auf ihrer Seite, wenn sie die
Abschaffung des Eigentums anstrebt - aber warum sollen wir ausgerechnet
bei denen anfangen, für die das Urheberrecht als rudimentäre Form eines
Arbeits(schutz)rechts zumindest einen gewissen Schutz bietet? Warum steht
nicht die Enteignung (oder zumindest Demokratisierung) der
Vewertungsmonopole und der großen Verwertungsgesellschaften auf dem
Programm? - Wer heute ohne entsprechende gesellschaftliche Konzeption
den Kampf gegen "das" Urheberrecht auf seine Fahnen kritzelt, der leistet
einen (durchaus: zyklischen!) Beitrag zum weiteren Abbau rudimentärer
Schutzrechte der unmittelbaren Produzenten.
4. Was an den Bemerkungen von Stefan Meretz so verstört, ist der so ganz
gar nicht thematisierte Widerspruch zwischen der demagogisch nach außen
gekehrten Abschiednahme vom konventionellen Urheberrecht und der
gleichzeitigen Anbindung an das Urheberrecht. "Copyleft nützt die
exklusive
Verfügungsmöglichkeiten und verfügt: Alle sollen über das Gut verfügen und
niemand soll ausgeschlossen werden", heißt es. Mit anderen Worten:
Gerade das überkommene Ausschließungrecht des Urhebers soll zementiert
werden. Keine Rede davon, dass die längst fällige Neusystematisierung des
Urheberrechts in Angriff genommen würde (vgl. für einen Problemaufriss
etwa Joost Smiers, Geistiges Eigentum ist Diebstahl. Hat das Urheberrecht
ausgedient?, in: Le Monde diplomatique, September 2001, S. 11). Es ist
nicht wahr, dass es - wie Meretz schreibt - undenkbar schien, "das das
wohlformierte Warensubjekt jemals auf die Idee käme, einfach seine
Leistungen zu ?verschenken'". Ganz im Gegenteil: Die gesamte "kreative
Produktion" im Kapitalismus basiert darauf, dass geistige Leistungen
"verschenkt" werden (also weit unter dem potentiellen Tauschwert zur
Nutzung eingeräumt werden). Die Urheberinnen und Urheber verschenken
schon jetzt - und bis auf weiteres. Sie sind bei der "Vermarktung" ihrer
Leistungen auf die Tätigkeit kommerzieller Marktmittler oder auf das
Tätigwerden einschlägiger Verwertungsgesellschaften angewiesen. Das
Copyleft-Konzept ist nichts anderes als die emanzipatorisch bemäntelte
Perpetuierung eines gesellschaftlichen Missstandes; dem Copyleft-Konzept
wird der Heiligenschein eines "wahrhaft genialen Hacks" aufgesetzt, ohne
dass sich der theoretisierende Ideologe groß ums Brot der Urheberinnen
und Urheber kümmern müßte. Gesellschaftspolitisch wird hier die
Schwächung einer Rechtsposition betrieben - nicht deswegen, weil das
Urheberrecht und seine Ausschließungsrechte kritisiert würden (dazu gibt
es
reichlich Anlass), sondern weil der isolierte und von jeder
politisch-sozialen
Kraftentwicklung abgekoppelte Konzeptvorschlag just jene Positionen
schädigt, die es den unmittelbaren Produzenten erlaubt, punktuell
Gegenkraft
und Widerstand zu entwickeln.
5. Es ist ein systematischer Irrtum zu glauben, dass der kapitalistische
Gesellschaftszusammenhang "individuelle Selbstentfaltung unter wertfreien
Bedingungen" zuließe. Prinzipiell befestigt jede individuelle Handlung
(abgesehen vom Selbstmord) die kapitalistische Produktionsweise. Dass
aber der kollektive Verzicht der unmittelbaren Produzenten auf ihre
(Urheber-)Rechte zu einer sozialen Bewegung sich auswachsen könnte - das
ist nicht nur nicht garantiert, sondern ganz und gar unwahrscheinlich.
"Stofflicher Reichtum jenseits der Wertform" ist unter der globalen
Herrschaft des Wertgesetzes nicht zu haben. Jede Einräumung von
Nutzungsrechten (oder auch nur: deren bloße "Aneignung") und jeder
Transfer von "eigentümlichen geistigen Schöpfungen" (§ 1 UrhG) unterliegt
den Gesetzen des kapitalistischen Verwertungsprozesses - diese aushebeln
zu wollen, ohne die gesellschaftlichen Eigentumsverhältnisse insgesamt zu
ändern, ist bestenfalls illusorisch, eher aber: eine prozyklische
Kampfanleitung zur weiteren gesellschaften Abwertung "lebendiger Arbeit".
6. Der von Stefan Meretz notierte Widerspruch zwischen "Allgemeinem
Wissen vs. Warenform" ist nicht umstandslos geeignet, "die Entwicklung"
voranzutreiben. Es ist eine über den bloßen Verdacht nicht weit
hinausweisende bloße Behauptung, dass die "Entwertung" von Originalen
schon zu einer sozial und politisch relevanten Verallgemeinerung des darin
vergegenständlichten Wissens führen würde. Woher die Zuversicht? Die
Dialektik zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung im
Kapitalismus lässt sich nicht dadurch aufheben, dass man theoretisierend
von
den tatsächlichen Verwertungsbedingungen absieht. In vielerlei Fällen ist
es
(ob wir´s kritisieren oder nicht) gerade die Zurichtung des Wissens zur
marktgängigen Ware, die die Verbreitung des Wissens unter gegebenen
Bedingungen überhaupt erst ermöglicht. Das nimmt der global veranstalteten
Enteignung von Wissen, Können, Kultur und Kreativität nichts von ihrer
Anrüchigkeit - weist aber darauf hin, dass in vielen Fällen "Reichtum"
erst als
solcher erkannt und sozial verträglich genutzt werden kann, wenn er in
einem
entsprechenden "Transaktionsraum" positioniert wird. Oder anders: Gibt es
nicht einige gute Gründe, etwa die "streifzüge" zu kaufen, auch wenn man
dafür nur Papier erhält (weil der content ja ohnedies frei und über
www.streizuege.org herunterladbar ist)?
7. Nota bene: Wenn sich denn die Copyleft-Bewegung schon vom
Ausschließungsrecht der Urheber/innen verabschieden will, dann sollte sie
die Angst vor der eigenen Courage überwinden und theoretische Stringenz
mit politischer Entschlossenheit paaren: Wo soziales, politischen und/oder
kulturell bedeutsames Wissen von wirtschaftlich Mächtigen monopolisiert
und den Nutzer/innen dadurch vorenthalten wird, sollte der Ruf nach
"eigenwilliger Aneignung" (vulgo: Diebstahl!) dieses Wissens erschallen
und
gleichzeitig kollektiv dafür gesorgt werden, dass (etwa durch eine
entsprechend höhere Besteuerung der kommerziellen Nutzer und zweck-
und personengebundenen Transfer dieser Gelder) die unmittelbaren
Werkproduzenten für ihre "wertvolle" Arbeit entsprechend vergütet werden.
Alles andere ist nur die wortreich verbrämte Befestigung eines Zustands,
der
schon jetzt die permanente Enteignung der Werkschaffenden zur Grundlage
hat.
Alfred J. Noll, geb. 1960, lebt in Wien als Rechtsanwalt.
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