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[ox] Notizen zur Copyleft-Kritik von Alfred Noll



Hi Stefan, hi Liste

Ich habe mal meine Kritikpunkte am Noll-Artikel zusammengeschrieben - und
folge dabei seinen Absatzüberschriften:

1. Der Autor referiert Copyleft richtig als fundierend im Urheberrecht.
Diese Fundierung gilt ihm auch schon als Übereinstimmung mit diesem.
Dieser übergang ist erschlichen. In der Diskussion in Oekonux gehen wir
prinzipiell davon aus, daß sich das Urheberrecht sehr wohl gegen sich
selbst kehren läßt, weil menschliche Leistungen prinzipiell niemals einem
einzelnen Urheber zurechenbar sind. Das kenntlich gemacht zu haben, ist
das "geniale" am Hack, das Stefan Meretz sichtbar gemacht hat.

1.a. Als einziger Unterschied zum Copyright gilt A.Noll, daß der Urheber
kein Geld für sein Werk verlangt. Das ist eine grobe und sachlich falsche
Unterstellung, wie in dieser Liste schon x-mal ausgeführt. Natürlich kann
der unmittelbare Produzent für seine Arbeit bezahlt werden und wird auch
in der Regel bezahlt. Über den Status dieser Bezahlung gibt es eine
oekonux-interne Diskussion (einfach und doppelt freie Software), aber sie
zu leugnen und die Macher freier Software per se zu ausgebeuteten
Armutschkerln zu stilisieren geht an der Realität vorbei.

2. Weiter gehts mit der Unterstellung, daß das Copyleft Teil der
"unbezahlten Aneignung menschlicher Arbeit" sei. Also auf der
entgeltlichen Weitergabe eines unentgeltlich angeeigneten Gutes. Grund: in
der Realität werden doch Preise für markttaugliche Produkte verlangt, in
denen auch freie Software enthalten ist. Wiederum haarscharf daneben:
DAFÜR, für den freien Softwareanteil, wird eben kein Geld verlangt. Aber
freie Software ist eben noch lange kein Produkt. - Und daß das Copyleft
hält ist ein System von Checks and Balances, das mittlerweile auch schon
von daran interessierten Industrien mit-überwacht wird. (Aus eben dem
guten Grund, daß sie sich weiter an dieser Quelle bedienen wollen).  Hier
sollten juridische Beispiele zur GPL angeschaut werden.

3. Die Copyleft-bewegung richte sich gegen die kleinen Produzenten, die
einen gewissen Urheberrechtsschutz dringend brauchen und gerade nicht
gegen die "Verwertungsmonopole", deren "Enteignung" nicht gefordert werde.
Es gebe keine "gesellschaftliche Konzeption". Woher und womit der Autor
diese Behauptung begründet ist schleierhaft. Auch warum sich Firmen wie
Microsoft und SCO dann so heftig gegen das Copyleft wehren.

4. Die Copyleft - Bewegung stehe einer "Neuformulierung des Urheberrechts"
im Sinn der Kreativen entgegen. Das stimmt allerdings: diese Modifikation
ist nicht das Anliegen der GPL. 
Die politökonomische Begründung steht aber auf äußerst wackligen Beinen:
"Urheberinnen und Urheber verschenken ihre Leistung", weil die
Verwertungsgesellschaften nur Brösel abfallen lassen. Das kann stimmen
oder auch nicht: wer will schon über wahre Werte rechten, wenn es sich
abgeleitete Revenueformen handelt? Wir gedenken unserer uralten Debatten
um die "Informationsrente" und gratulieren allen, die es geschafft haben,
sich für ein Patent ein Zinshaus zu finanzieren: gerecht ist hier gar
nichts, oder alles, und wo Wirtschaft zum Pokerspiel wird kann man
entweder mitspielen oder den Laden kritisieren. Wenn mans mit dem alten
Marx hält, dann kann man sich auf die Position stellen, daß einmal
angeeignet, das Wissen eben eine Gratisproduktivkraft IST, und es im
Prinzip mit kopierbaren Produkten jedweder menschlicher Ingenuität sich
genauso verhalten kann. Der Wert wird hier so richtig schlagend als
irrationale Form kenntlich, und uns treibt eher die Frage nach anderen
Arten an seine Brötchen zu kommen.

5. Wenn der Autor hingegen Kapitalismuskritisch wird, dann wiederholt er
einen alten linken Topos. "Stofflicher Reichtum jenseits der Wertform ist
unter der globalen Herrschaft des Wertgesetzes nicht zu haben". Das ist
entweder eine grandiose Tautologie oder aber ein gewolltes Denkverbot -
abgesehen davon daß auch das Copyright nicht die Herrschaft des
Wertgesetzes, sondern dessen Modifikation signalisiert, s.o.. Die
Kennzeichnung des Copyleft als "kollektiven Verzicht auf Urheberrechte"
ist einseitig und daher falsch: genau genommen müßte es umgekehrt heißen,
daß der lebendigen Arbeit eben alle Urheberrechte zur Verfügung stehen.
Das Copyleft ist empathisch gesprochen der Pakt, den die lebendige Arbeit
mit sich selbst schließt! (Das ist keine Formulierung die im
oekonux-Bereich viele Freunde hätte, aber ich halte sie dennoch für den
Begriff der Sache.) Es ermöglicht den Produzenten einen unmittelbaren
Zugriff auf immer mehr gesellschaftliche Produktivvkraft. Spätestens an
diesem Punkt beginne ich mich über die Position von Noll zu ärgern, die
genau diese Seite ignoriert. Und spätestens hier wird klar, wie wichtig es
ist, klarzustellen, daß die politische Ökonomie des Kapitals sich immer
weiter von der kooperativen Ökonomie der Arbeit abspaltet, bis hin zu dem
Punkt daß heute schon die Repräsentanten dieser 2 Ökonomien wie
Konkurrenten einander gegenübertreten.

6. Mein Ärger nimmt immer mehr zu. Die sechste These scheint richtig
anzufangen: "Es ist ...eine Behauptung...daß die "Entwertung" von
Originalen (diese Kennzeichnung ist genaugenommen falsch, aber das schenk
ich mir jetzt fürs erste)) schon zu einer sozial und politisch relevanten
Verallgemeinerung des darin vergegenständlichten Wissens führen würde.
Woher die Zuversicht?" (AN)  Genau, denke ich mir. Deswegen braucht es
auch neue Formen der Kooperation und Vergesellschaftung, der Zuarbeit im
Kreislauf, sodaß die potentielle Wertfreiheit der assoziierten Arbeit auch
tatsächlich zum Tragen kommt. Genau damit und mit den darin enthaltenen
Imperativen, Bedingungen, Hindernissen und Problemen beschäftigt sich
Oekonux, und genau deswegen sagen wir nicht daß irgendeine "mission
accomplished" wäre. Stattdessen kommt folgender Hammer: "In vielerlei
Fällen ist es (ob wir´s kritisieren oder nicht) gerade die Zurichtung des
Wissens zur marktgängigen Ware, die die Verbreitung des Wissens unter
gegebenen  Bedingungen überhaupt erst ermöglicht. Das nimmt der global
veranstalteten  Enteignung von Wissen, Können, Kultur und Kreativität
nichts von ihrer  Anrüchigkeit - weist aber darauf hin, dass in vielen
Fällen "Reichtum" erst als  solcher erkannt und sozial verträglich genutzt
werden kann, wenn er in einem  entsprechenden "Transaktionsraum"
positioniert wird." In meinem Artikel "welchen Reichtum" habe ich
beschrieben, wie genau das Gegenteil zunehmend der Fall ist. Der
"Transaktionsraum" Markt ist voller Produkte, die überhaupt nur durch die
"Enteignung von Wissen, Können, Kultur und Kreativität" möglich geworden
sind. Darüber wird zu streiten sein, aber auch um die apodiktische Logik,
mit der hier eine sich assoziierende und im Kreislauf schließende Kette
von wertfreien Produktionsakten als Möglichkeit prinzipiell negiert wird. 

7. Wenn wir uns drüber verständigen könnten, daß die "Weitergabe des
Urheberrechts" kein individueller Vorgang, sondern eine sich per GPL
herstellende komplementäre soziale Aktion ist, dann wäre ja noch Hoffnung,
daß wir auf der Oekonux-Konferenz einen anständigen Dialog
zusammenkriegen; zur Vorstellung, daß "der Ruf nach Besteuerung der
kommerziellen Nutzer und zweck- und personengebundener Transfer dieser
Gelder"... angebracht wäre, warte ich jedenfalls schon gespannt auf die
Position der "Streifzüge". Die Illusion oder das Quidproquo, ein Gelingen
der Verwertung (Besteuerung!) zu fordern um gerade damit die Bedingungen
ihrer Abschaffung zu befördern, ist jedenfalls nicht so leicht
totzukriegen.

FN


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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