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[ox] H. bei OpenTheory (was: Re: open theory)



Hi!

Yesterday frieder hirsch wrote:
Am Do September 11 03 11:36 schrieb Stefan Meretz:
---Schnitt---

Hintergrund dieser Maßnahmen ist das Auftreten von mir so genannter
"Spam-Projekte".

---Schnitt---

Meinungen?

Ich bin gegen Zensur.

StefanMz hatte dieses Wort auch schon gebraucht. Vor Jahren bin ich
mal in einer ähnlichen Situation darauf hingewiesen worden, was das
Wort Zensur eigentlich bedeutet. Eine der Bedeutungen im meinem
kleinen Brockhaus ist die wohl eigentlich Gemeinte:

  4) staatliche Überwachung und Unterdrückung von Veröffentlichungen
  in Druck, Bild und Funk. Eine Zensur gab es insbesondere im
  Absolutismus; sie erhielt sich in Deutschland im 19. Jahrhundert in
  der Zeit des Deutschen Bundes. Auch im konstitutionellen Staat gab
  es trotz grundsätzlicher Anerkennung der Pressefreiheit noch
  Einrichtungen der Zensur, so der Theaterzensur; ferner Presse- und
  Buch-Zensur in Zeiten des Belagerungszustands (Kriegszustands). In
  freiheitlich-demokratischen Staaten ist die Zensur abgeschafft (so
  in der Bundesrepublik Deutschland, Art. 5 Abs. 1 GG: Eine Zensur
  findet nicht statt.). Autoritäre und totalitäre Staaten bedienen
  sich in weitem Umfang des Mittels der Zensur, so durch vorbeugende
  Kontrollen und repressive Maßnahmen, wie Beschlagnahmen,
  Veröffentlichungsverbote, Berufsverbote und Strafverfahren gegen
  Schriftsteller, Journalisten, Verleger und andere.

Ich wurde damals darauf hingewiesen, dass es sich bei Zensur um einen
*staatlichen* Eingriff handelt. Damals habe ich das für eine billige
Ausrede gehalten. Heute kann ich in diesem Hinweis einen tieferen Sinn
erkennen. Staatliche Zensur ist - zumindest von der Idee her - eine
totale Repression. Mit staatlicher Zensur soll wirklich etwas generell
unterdrückt werden.

Und bei OpenTheory? OpenTheory ist von den Machtmitteln her weit davon
entfernt, an so etwas wie Zensur im eigentlichen Sinn auch nur zu
denken. OpenTheory hat in keinster Weise die Möglichkeit irgend etwas
vollständig zu unterdrücken. Und wie vorhin in der Mail schon
angedeutet: Gerade im Internet gilt: Wer etwas zum Besten zu geben
hat, kann sich jederzeit für wenig Geld eine Homepage besorgen und
nach Herzenslust abstruses Zeug da ablegen. Und das wird ja auch
gemacht. Verschwörungstheorien dürften z.B. seid dem Internet
ungeahnten Zulauf bekommen haben.

Aber *muss* das im Umkehrschluss dann heissen, dass jedeR überall
alles dürfen muss? Wohl kaum. Gerade durch die faktische Freiheit, die
das Internet gibt, gibt es immer weniger Gründe, dass eine etablierte
Plattform - wie sie OpenTheory sicher darstellt - jeden Müll erdulden
muss - nur um keine sogenannte Zensur ausüben zu müssen. In Oekonux
wird z.B. auch Spam gefiltert. Gibt's irgendwen, der täglich drei
Vorschläge zur Penis-"Verbesserung" wünscht? Und dazu zwei dringende
"Hilfsanfragen" aus Nigeria?

Ja, es ist schwer, für entsprechende Maßnahmen die Verantwortung zu
übernehmen - zweifellos. Und noch dazu wird mensch dann durchaus nicht
von allen dafür geliebt oder sogar angschossen. Aber ich habe schon so
oft wirklich gute Projekte an einzelnen, aber dauerhaften Störungen
kaputt gehen sehen, dass ich diesen überdehnten Toleranzbegriff "JedeR
muss überall alles dürfen" echt nicht mehr ausstehen kann. Meine
Erfahrung aus fast 14 Jahren intensivem politischem Engagement zeigt,
dass dieser überdehnte Toleranzbegriff der Linken wohl mehr geschadet
hat als kaum etwas anderes. Im Übrigen hat auch das "Howto Encourage
Women to Participate Women in Free Software" - oder wie hieß es? -
explizit die "bad apples" erwähnt. Das sind genau die StörerInnen, die
ich meine.

Gut, OpenTheory versteht sich nicht als inhaltlich definierte
Plattform. Faktisch war es das natürlich bisher dennoch, weil viele
OpenTheory-Projekte sich auf ein emanzipatorisches Muster bezogen
haben. Das dürfte ein wichtiger Beitrag zum Erfolg von OpenTheory
sein. Dass dieses Image durch die "Spam-Projekte" in Frage gestellt
ist, ist es auch exakt, was die Leute stört, die sich einen Eingriff
wünschen.

In gewisser Weise steht OpenTheory da jetzt wirklich am Scheideweg -
StefanMz hat es Krise genannt. Ist OpenTheory nur eine technische
Installation? Oder ist es eine Community, die auch durch ein Minimum
an inhaltlichem Konsens definiert ist? Die Community kann ich bisher
nicht wirklich erkennen - dafür sind die Leute viel zu zerstreut. So
gesehen finde ich auch StefanMz' Forderungen an "die
OpenTheory-Community" ein wenig abstrakt. Aber wir haben da ja
bekanntermaßen auch sehr viel Dissens in diesen Dingen...

Ich hielte es für wünschenswert, diese Community auch faktisch zu
haben - und OpenTheory mit einer gewissen inhaltlichen Ausrichtung zu
assoziieren. Das bedeutet dann im Zweifelsfall eben auch, dass
Störmanöver nicht geduldet werden. Ja, da ist Verantwortung gefordert
- MaintainerInnenschaft eben. Wer die technische Plattform für ihre
Zwecke nutzen will, hat wegen Freier Software jederzeit die
Möglichkeit dazu. Wie sagt das GG so schön: Zensur findet nicht statt.

Ansonsten sollte ganz klar gemacht werden, dass OpenTheory ein rein
technisches Projekt ist und Web-Space und Mailing-Listen jedem offen
steht - auch und dann wohl vor allem WeltfachistInnen. Schließlich
bewahrt einen auf der Strasse auch niemensch vor dem Anblick eines
Hakenkreuzes. Dann sollte OpenTheory sich aber auch konsequenterweise
- wie Freie Software - von einem emanzipatorischen Projekt
verabschieden. Auch die Straße oder das Web sind schließlich kein
emanzipatorisches Projekt im engeren Sinne.

Hupps, jetzt wurde die Mail aber viel länger als ich eigentlich vor
hatte...


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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