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AW: [ox] Bordieu



Hallo!

Stefan Merten schrieb am Montag, 4. August 2003, 00:31 Uhr:

Mensch könnte auch von Machtmitteln sprechen anstatt von 
Kapitalsorten. Ja, für eine Analyse von Machtstrukturen ist 
das sicher ganz nützlich.

Ja, das ist sehr nah an dem dran, was andere als "macht" bezeichnen
würden. Allerdings geht es bourdieu bei der verwendung des begriffes
"kapital" tatsächlich auch darum, eine gemeinsamkeit zwischen
ökonomischem kapital (geld, maschinen, computer, häuser) und den anderen
formen von kapital (bildung, sozialkontakte) aufzuzeigen: seiner meinung
nach ist die gesellschaft mindestens ebensosehr durch die letzten beiden
"kapitalsorten" strukturiert wie durch die ersten. Zwar räumt er ein,
dass das "ökonomische kapital" wo dominant sei, hält aber an der
prinzipiellen vergleichbarkeit fest. Insofern könnte es sich vielleicht
sogar um einen versuch handeln, machtanalysen mit kapitalanalysen zu
verbinden.

Insbesondere habe ich ein paar Probleme mit der Analogie zur 
abstrakten Arbeit bzw. mit der Entfremdung die der 
werthaltigen Arbeit im Kapitalismus ja nun ein wesentliches 
Element ist und m.E. eben auch das unterscheidende Merkmal 
von allen möglichen anderen Lebensäußerungen.

Ja, die abstrakte Arbeit ist schon wesentliches element. Nur fallen die
übereinstimmungen schon zumindest teilweise ins auge. Wenn ich lerne
kommt es im kapitalismus schließlich erstmal darauf an, einen abschluss
zu erwirtschaften, gute noten zu kriegen etc. der gebrauchswert des
wissen (also die frage, ob ich mit dem gelernten was anfangen kann)
spielt da häufig nicht wirklich eine rolle. Etwas ähnliches hat stefan
ja auch anklingen lassen.

Mein Punkt ist aber, dass alle diese Dinge diesseits der 
Entfremdung - ein Diesseits, das es fürs Geld nicht gibt - 
auch ganz konkrete, nicht von dem jeweiligen Gegenstand 
entfremdete Nutzungsmöglichkeiten gibt. Was ja auch klar ist 
wenn es Machtmitteln sind. Machtmittel brauchen Menschen zum 
Überleben.

Wenn wir ökonomisches kapital weiter fassen als nur als bloßes "geld",
dann lässt sich in dem bereich doch ähnliches sagen: auch einen backofen
kann ich benutzen, um herrschaftsfreie brötchen zu produzieren, die ich
dann verschenke. Mit dem computer kann ich freie software programmieren
etc.

Aber tatsächlich schwierig ist, das es kaum möglich ist, das kriterium
zu benennen, welches in vielen fällen den erwerb von bildung
fremdbestimmt. Mensch könnte hier sagen, dass das eben der Wert sei,
dieser deshalb alles determiniere und damit die theorie wieder im lot
sei. Allerdings befürchte ich, das selbst wenn die brötchen (oder die
software) frei zugänglich sind, bildungshierarchien noch immer eine
rolle spielen (und sich auch selbstständig reproduzieren). Die
diskussion um das geschlechterverhältnis im bereich freier software möge
hier als beispiel dienen.

Deshalb würde ich auch eher zu der these neigen, das die abwicklung der
wertvergesellschaftung zwar eine notwendige bedingung zur erreichung
einer "freien gesellschaft" ist, aber eben noch lange keine
hinreichende. Denn sie sagt noch nichts darüber aus, wie wir uns
eigentlich eine gesellschaftliche einigung über unterschiedlichste dinge
vorstellen.

Bis hierher würde ich also mal sagen, dass ich bei einer 
solchen Analyse mitgehen kann. Im emanzipatorischen Sinne 
spannend wird es aber m.E. erst, wenn der Faktor der 
Entfremdung hinzu kommt. Und das ist genau der Punkt, den ich 
bei der Freien Software *vor allem in der
Praxis* nicht sehen kann. *Das* anhand konkreter Praxis der 
Freien Software herauszuarbeiten, wäre also die Aufgabe, die 
ich für einen Standpunkt sehen würde, der sich mit Bordieu 
auf die Machtstrukturen bezieht.

Hm, ich bin ja nun kein programmierer und kenne mich in der szene auch
kein stück aus. Aber alleine aus erfahrungen in  zusammenhängen, die
sich selber als progressiv und emanzipatorisch bezeichnen, mag ich es
mir nicht vorstellen, das die programmierung freier software völlig
hierarchiefrei abläuft. Das es ein bemühen darum gibt, ist unbenommen.
Aber das unterschiedliches wissen, unterschiedliches auftreten,
unterschiedliches selbstwertgefühl, unterschiedliche kontakte nicht dazu
führen sollen, das menschen unterschiedlich stark einfluss auf das
"produkt" nehmen, kann ich mir tatsächlich nicht vorstellen.

Oder meintest du was anderes?


Und dass es in 
Spurenelementen vorkommt, finde ich hier nicht relevant - 
gäbe es das nicht in Spurenelementen, so müsste Freie 
Software als von der umgebenden Gesellschaft entbettet 
gedacht werden.

Ja, das ist klar.

Es müsste sich also um ein massenhaftes 
Phänomen oder zumindest einen deutlich wahrnehmbaren Trend 
handeln. Hierfür würde ich gerne überzeugende Hinweise sehen. 
Die FLOSS-Studie gibt auf jeden Fall m.E. deutliche Hinweise 
in die diametral entgegen gesetzte Richtung.

Die kenne ich leider nicht. Gab es hier auf der Liste mal eine
annehmbare Zusammenfassung? *suchfaul ist*

Ja, hier handelt es sich um eine Analyse von Machtstrukturen. 
Da sind solche Fragen und der ganze Voraussetzungsapparat, 
der da dran hängt, dann wichtig. Ich würde aber schon den 
Voraussetzungsapparat in Frage stellen. Menschen haben nicht 
nur das Ziel hierarchisch "möglichst weit nach oben" zu 
kommen. Menschen wollen ein gutes Leben. "Möglichst weit nach 
oben" zu kommen ist für gar nicht mal so viele ein 
erstrebenswerter Weg dahin und ich glaube sogar, dass für die 
meisten das auch kein erstrebenswertes Ziel ist.

Aber ist der Gegenstand der Entfremdungstheorie nicht gerade das
problem, das menschen das streben nach einem "guten leben" gleichsetzen
mit dem run auf die oberen plätze der sozialen hierarchie? Ist es nicht
fundamentaler bestandteil des gesellschaftlichen fetischismus, das die
"verhausschweinten marktsubjekte" (frei nach r. kurz) ihr glück im geld
suchen statt in selbstbestimmtem tätigsein, das glück überhaupt nur
vorstellbar ist in form von geld und damit in form von fremdbestimmung?

Diese These für Freie Software zu Ende gedacht, würde dann 
wohl bedeuten, dass die Freie-Software-Bewegung zum Ziel hat, 
die Milliarden von Bill Gates in ihren Besitz zu bringen. 
Dann wären sie nämlich "möglichst weit nach oben" gekommen. 
Sorry, aber das halte ich einfach nur für absurd.

Ja, ich auch. An dieser stelle würde ich die schlussfolgerungen von
bourdieu tatsächlich auch nicht teilen. Aber das es einen trend gibt, in
alten bahnen zu denken und die erlernten herrschaftsförmigen
verhaltensweisen in neue bereiche mitzunehmen, glaube ich schon. Wir
werfen nicht unser gesamtes verhalten ab, wenn wir beginnen freie
software zu programmieren. Wir behalten unsere geschlechterbilder im
kopf. Wir haben eine betimmte art, uns zu geben, eine art zu reden (zu
schreiben), wir bringen vorwissen mit etc. das schließt menschen aus und
strukturiert die sich neu zusammensetzenden "felder".

Interessant könnte hier sein mal zu kucken, aus was für sozialen ecken
die menschen so kommen, die freie software programmieren (oder die hier
im projekt rumwurschteln). Und warum gerade sie das machen. Ich weiß ja
nicht ob es da schon untersuchungen zu gibt, aber ich denke mal das der
anteil von menschen mit hohem kulturellen kapital hier
überdurchschnittlich hoch sein dürfte. Zumindest im vergleich zur
restgesellschaft. (auch im vergleich zu kommerzieller software?)

Einfach nur bessere Software in die Welt setzen zu wollen und 
dabei auch noch Spaß zu haben ("Just for fun") hat dagegen 
m.E. vor allem konkrete Aspekte. Hier geht es eben um 
konkreten Nutzen und nicht um davon entfremdete Macht. Gutes 
Leben ist eben nicht nur "möglichst weit nach oben" zu 
kommen. Das zeigt sich m.E. hier.

Zumindest bringt es einem ökonomisch keinen zugewinn. Der unterschied
wäre also, das die kapitalien, die bei der programmierung nicht-freier
software "zählen", nicht mehr zählen. Heißt das nun, das es gar keine
mehr gibt, oder sind es vielleicht nur andere?


Was mit den Erfolgen der Grünen ja sogar eine gewisse 
Plausibilität hat. Wo wäre das analoge Beispiel für die Freie 
Software?

Wie gesagt, ich stecke nicht in der "szene" drinne. Aber gibt es nicht
in teilbereichen gewisse professionalisierungstendenzen? Wie is
beispielsweise der vertrieb von linux-produkten zu charakterisieren?
Oder sind es vielleicht nur andere hierarchien und
fremdbestimmungsmechanismen, die wir mit unserem althergebrachten
instrumentarium nicht erfassen können?
 

Oder wenn die Freie-Software-Bewegung sich gar nicht groß um 
diese Felder schert, sondern einfach ihr (neues) Ding macht.

Dann vielleicht mit anderen, nur unerforschten feldern. Vielleicht.
Vielleicht ist der entscheidende unterschied ja gerade das aktive
bemühen, die sich stets neu herstellenden ungleichheiten kolauf allen
ebenen anzugehen. Das hätte dann wieder eine diffuse nähe zur freien
kooperation.
 

hier scheint es mir doch enge Grenzen zu geben. 
Zumindest diesseits der Entfremdung. Kann ich mir eine 
nicht-entfremdete soziale Beziehung kaufen? Wohl kaum. Kann 
ich eine nicht-entfremdete soziale Beziehung nutzen um Geld 
zu verdienen? Kann ich nicht, weil ich damit die soziale 
Beziehung von sich entfremde.

Eine nicht-entfremdete soziale beziehung kann ich nicht kaufen. Aber ich
kann überlegen ob ich meine zeit in den aufbau dieser beziehung stecke
oder in lieber bildungskapital anhäufe oder doch lieber schuften gehe.
Umgekehrt kann ich natürlich auch aus einer relativ nicht-entfremdeten
beziehung geld herausschlagen, einfach weil mich jemand kennt und
umsonst ins kino lässt.
 

Nun, da Freie-Software-Entwicklung ja größtenteils über das 
Internet statt findet, ist die konkrete Leiblichkeit ja 
überhaupt nicht im Spiel - z.B. die Hautfarbe. Und es ist 
auch im Internet überhaupt kein Problem, sich formal in eine 
beliebige, auch neutrale Geschlechtsrolle zu beamen - z.B. 
durch eine entsprechende eMail-Adresse. Ganz so einfach kann 
es also zumindest mit dem Männerbund nicht sein.

Einfach is wohl gar nix. ;-)

Aber ich denke schon, das menschen eben unterschiedlich aufwachsen. Und
das diese unterschiedlichkeit nicht nur ihre kapitalstruktur bestimmt,
sondern auch ihren habitus, also ihre art, sich zu geben. Da spielt dann
natürlich die sozialstrukturelle herkunft rein (bin ich arbeiterkind?
Komme ich auch dem bildungsbürgertum? Was bedeutet das für meinen umgang
mit computern? Was für meinen umgang mit software? Was ist für mich
wichtig, was nicht?), aber natürlich auch viele ander punkte wie
beispielsweise die geschlechtskonstruktion. Wenn ich als "weibliches
wesen" aufwachse, kann dies durchaus einfluss nehmen auf meine art, mich
einzubringen, meine interessen zu einzubringen. Nicht determinant.
Menschen sind nicht in ihrem verhalten gefangen, sie können sich ändern.
Aber es gibt eine gewisse tendenz, die durch die gesellschaftlichen
umstände nahegelegt wird. Weshalb ich glaube, das geschlechtlichkeit
sich auch dann häufig reproduziert, wenn sie nicht visuell wahrnehmbar
ist. Weil sie eben (eine alte erkenntnis der frauenbewegung) ein
soziales und kein biologisches phänomen ist.

Sprechen wir dagegen von männlich sozialisiert anstatt von 
Männern würde ich dann lieber konkret werden und fragen, um 
welche konkreten Eigenschaften es sich denn da handelt. 
Technische Fähigkeiten, die wohl zwanglos zur (westlichen) 
männlichen Sozialisation gerechnet werden können, verlangt 
das Gebiet Freie Software nun einmal ganz konkret. Dass 
männliche Sozialisation nicht selten einen raueren Umgang 
miteinander bedeutet ist allerdings nicht dem konkreten 
Gebiet geschuldet.

So in etwa meinte ich das. Da is doch schon ne menge sozialer
sprengstoff drinne, oder?

Ich bin übrigens immer wieder verwundert, wie du einen absatz nach
meiner kritik ähnliche punkte selbst anführst. Ich bin dann immer kurz
davor, meine argumentation zu löschen, aber da bin ich dann doch zu
geltunssüchtig für ;-)

Bunte grüße, julian

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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