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Re: [ox] Re: Interesse als Abstraktion



Hallo,

Am Sonntag, 20. Juli 2003 17:23 schrieb Stefan Merten:
-----BEGIN PGP SIGNED MESSAGE-----

Das Interesse ist sozusagen der Durchschnitt der je individuellen
Handlungsgründe.

Vielleicht können wir mal davon absehen zu sagen "Das Interesse
*ist*". Mein Eindruck ist gerade, dass es für dich etwas anderes ist
als für mich. Solange wir keine differenzierenden Worte dafür haben,
sollten wir hier qualifizieren.

Klar, alles was ich schreibe ist natürlich IMHO.


Davon abgesehen hier mal ein Zitat aus meinem kleinen Brockhaus:

  Interesse [lateinisch "dabeisein"], Anteilnahme, Aufmerksamkeit; nur
  Mehrzahl: Neigung, Absicht, Vorteil, Nutzen.

Diese Definition scheint mir näher an meiner als an eurer. So gesehen
scheint mir mein Verständnis des Wortes jedenfalls mal volkstümlicher.

Naja, mit den Worten aus dem Brockhaus kann ich so nichts anfangen. Was meinst 
du denn damit, inhaltlich?


In einer Menge von Menschen hat jedeR eigene individuelle
Gründe etwas zu tun. Überlappen sich nun diese Handlungsgründe zwischen
mehreren Menschen, kann ich diese Abstraktion, den Durchschnitt als
Interesse bezeichnen.

Hier scheint mir schon das Kardinalproblem zu liegen: Warum tust du
das denn? Hier trittst du ganz konkret als 3. Person auf und pfropfst
eine Abstraktion auf. Wozu?

Aber das Interesse ist doch die Abstraktion und damit äußerlich. Aber dazu 
später mehr.


Oder anders herum gefragt: Wie bezeichnest du einen Vorgang, bei dem
sich Leute (1. Person) über diese Dinge verständigen und sich einigen?
Das ist für mich die Verständigung über ein gemeinsames Interesse. Das
unterscheidet sich auch im Prinzip nicht von dem, was in der 1. Person
Singular abläuft: Auch dort muss ich mich in Anbetracht der (von mir
wahr genommenen) Realitäten mit mir einigen. Hast du dafür einen
Begriff?

Einen Begriff nicht und ich habe hier auch keinen Dissens. Der kommt später 
;-)

Ich lass mal was weg, wozu ich nichts sagen kann. Ich hoffe, ich kann mich an 
anderen Stellen verständlich machen.

Im Abstrakt-Allgemeinen betrachte ich die Elemente eines Ganzen nur
insofern, wie sie eben dieses Ganze erschaffen. Die Elemente sind dann
nur gleiche Teile des Ganzen. Also die konkreten je individuellen
Handlungsgründe werden nur soweit betrachtet, wie sie zum Interesse
führen. Der Rest wird ausgeblendet.

Ja, hierzu hatte ich ja schon geschrieben, dass dieses
Abstrakt-Allgemeine ein mir reichlich fremdes Ding ist. Leider scheint
es euch mehr umzutreiben als mir lieb ist :-( .

Oh, mach dir mal keine Sorgen um uns ;-)
Es würde mich sehr wundern, wenn das Abstrakt-Allgemeine dir fremd ist. Das 
würde nämlich bedeuten auf der Ebene der Erscheinungen zu verharren.


Und ganz offen gestanden: Ich wüsste auch nicht, warum ich für meinen
Teil mich für das Abstrakt-Allgemeine interessieren sollte. Ist
sowieso Teufelswerk und es ist auch leicht zu vermeiden. Was soll's
also?

Das Abstrakt-Allgemeine selbst ist kein Teufelswerk ;-) . Es ist eine wichtige 
Denkform um das Wesentliche, das Stabile zu erkennen. Es ist die 
vorherrschende Denkform und ich würde sagen, wir denken alle so.
Wichtig ist aber sich das bewusst zu machen. Zu wissen, wann ich mich in der 
Abstrakt-Allgemeinen Denkform befinde, was ich damit erkennen kann und was 
nicht. Außerdem ist mir dann bewusst, das ein Aufsteigen zum 
Konkret-Allgemeinen möglich ist.


Ich skippe hier mal einige Teile. Ich stimme euch sehr weitgehend zu -
z.B. was die Begriffsbildung der Realabstraktion betrifft. Nur dass
*ich* über diese Dinge bisher nie gesprochen habe und sie mich aus den
genannten Gründen auch hinsichtlich einer emanzipatorischen Vision
nicht sonderlich interessieren.

Aber gerade für eine emanzipatorische Vision ist es doch grundlegend, sich 
über so etwas Gedanken zu machen. Sonst rennt man doch nur blind durch die 
Gegend und reproduziert das Vorhandene.


Wie würdet ihr das nennen, was *ich* meine? Habt ihr dafür einen
Begriff?

Leider weiß ich doch nicht was du meinst :-(


Z.B. sieht das Gruppeninteresse von den konkreten Gründen ab,
weshalb sich die Individuen überhaupt zur Gruppe zusammengeschlossen
haben.

Das ist dann in eurer Logik immanent logisch. Deswegen kapiere ich es
überhaupt nicht :-( .

Vielleicht ist es jetzt klarer?

Nur in eurer Logik.

Kannst du mit meiner Logik auf die Welt gucken?

Ich kann deine Logik nur als Abstrakt-Allgemeine interpretieren. Das ist auch 
überhaupt nichts schlimmes, es ist nur wichtig es zu wissen, IMHO.


Für mich bezeichnet Gruppeninteresse eher das genaue Gegenteil: Eine
fokussierte Konkretisierung der je konkreten Gründe im Rahmen eines
Kollektivs (jetzt mal ohne das transzendente Brimborium, das diesem
Wort anhaftet). Jedenfalls ein Gruppeninteresse, das ich mir
emanzipatorisch vorstelle. Alles andere würde ich aber ohnehin als
Ideologie bezeichnen und nicht als Gruppeninteresse.

Wie willst du denn konkrete Gründe konkretisieren?

In der 1. Person Singular: Ich gehe in mich, denke darüber nach, was
für Gründe ich habe, reflektiere die mit der Realität, denke
(vieldimensional) über Mühe und Nutzen bestimmter Handlungen nach und
finde mich irgendwann (hoffentlich) bei einem für den jeweiligen
Augenblick angemessenen individuellen Interesse [euer-Begriff-hier]
wieder. Dieses Interesse [euer-Begriff-hier] wird dann für's Erste für
mich handlungsleitend.

Das ist wohl das, was ich unter Handlungsgrund verstehe.
Wie dieses individuelle Interesse ermittelt wird, weiß ich schlicht nicht. 
Davon habe ich keine Ahnung und das ist auch im Moment nicht mein Thema. Für 
mich ist es aber etwas völlig anderes, als das Interesse, zu dem wir gleich 
kommen.

In der 1. Person Plural: Ich kommuniziere mit anderen, denke mit ihnen
darüber nach, was für Gründe wir haben, reflektieren diese mit der
Realität, denken (vieldimensional) über Mühe und Nutzen bestimmter
Handlungen nach und finden uns irgendwann (hoffentlich) bei einem für
den jeweiligen Augenblick angemessenen gemeinsamen Interesse
[euer-Begriff-hier] wieder. Dieses Interesse [euer-Begriff-hier] wird
dann für's Erste für uns handlungsleitend.

Ja, das ist das Interesse, von dem ich rede.
Nicht das Interesse ist handlungsleitend, sondern weiterhin der Handlungsgrund 
bzw. das Interesse der 1. Person Singular. Sicherlich ist das gemeinsame 
Interesse ein Moment der konkreten Handlungsgründe, aber es ist nicht selbst 
der Grund.
Ist das gemeinsame Interesse handlungsleitend, würde ich vom entfremdeten Fall 
sprechen.
Das sieht man IMHO auch am Produkt. Bei doppelt freier Software zum Beispiel 
spiegeln sich die vielfältigen, unterschiedlichen, konkreten Handlungsgründe 
der EntwicklerINNEN in der Software wider. Während sich bei der 
Softwareproduktion im entfremdeten Fall nur das gemeinsame, abstrakte 
Interesse widerspiegelt.

Ich lass mal wieder was weg, und gehe weiter zum Fokussieren:


Nun gibt es von diesen Realabstraktionen eine ganze Menge, IMHO. Zum
Beispiel auch die Politik. Sicherlich ist Politik ein Teil des
gesellschaftlichen Seins des Menschen, jedoch wenn ich mich darauf
beschränke und es quasi vom konkreten Sein abspalte, setze ich eine
Abstraktion in die Wirklichkeit.
In der FS-Community ist es immer das konkrete Sein der Menschen
welches produziert. Ich kann davon keine einzelnen Teile abstalten.

Freie Software ist auch nichts anderes als das Ergebnis der
Fokussierung der Totalität der Bedürfnisse auf bestimmte Inhalte von
relevant vielen Personen. Diese Personen "zwingen" sich auf, dass
Freie Software etwas Wichtiges sei, für das sie sich Mühe geben
möchten.

Hm, Freie Software ist IMHO das Ergebnis einer Vielzahl unterschiedlicher
je individueller Handlungsgründe, die sich nicht auf ein Abstraktum, auf
den Durchschnitt beschränken müssen.

Für mich liegt der Fehler im Schritt von einer Fokussierung zur
Realabstraktion.

Eine Fokussierung ist leicht änderbar und schon das Wort beschreibt
die Tatsache, dass ein Ausschnitt aus einer Vielheit hervorgehoben
wird. Wie bei einer Lupe ist der Rest dadurch aber nicht weg sondern
eben nur gerade nicht im Fokus. Politik, etc. *kann* ich jetzt als
eine solche Fokussierung auf einen bestimmten Ausschnitt aus Themen
der menschlichen Existenz ansehen. So würde *ich* *alle* Begriffe
bilden wollen.

So funktioniert IMHO das Abstrahieren. Das ist eine wichtige Voraussetzung.
So siehst du aber nur lauter einzelne Elemente, die du dann später irgendwie 
zusammen bringen musst. Was ist, wenn das Element nur aus dem Ganzen herraus 
begreifbar ist?
Du hast vorher schon etwas über die Totalität geschrieben. Erst jetzt wird mir 
klar, das es sehr wohl darum geht, die Totalität im Begriff zu erfassen. Was 
selbstverständlich auch die Entwicklung und die Möglichkeiten mit 
einschließt.

Einen interessanten Text zu Ganzheit und Totalität von Annette:

http://www.thur.de/philo/hegel/hegel6.htm


Wenn du den Schritt zur Realabstraktion machst, dann wirfst du die
Lupe weg und stanzt aus dem Gesamtbild ein Fragment heraus. Das ist
wie Ideologien funktionieren und immer bescheuert. Aber es ist doch
eigentlich ziemlich leicht, dass einfach zu lassen - oder?

Naja, bei den Realabstraktionen hast du doch immer mehrere, z.B. Politik, 
Kultur, Ökonomie... die alle miteinander in Beziehung stehen und ein Ganzes 
bilden. Es sieht aus, wie durch die Lupe, nur größer ;-) .


Im Kapitalismus ist das gesellschaftliche Sein aufgespalten in z.B.
Politik, Kultur, Ökonomie... aber auch Wissenschaft, Theorie ;-) ...
Das sind alles Realabstraktionen, IMHO.

Das sind alles Fokussierungen - ja. Kein wesensmässiger Unterschied zu
Freier Software an dieser Stelle.

Bis du jetzt anderer Ansicht?

Nein. Es kommt darauf an, was mensch mit der Fokussierung macht.
Mensch kann fokussieren und sich für einen Moment auf etwas
konzentrieren. Da wird nichts weg geworfen. Und mensch kann die Stanze
nehmen und den Rest weg werfen - erst dann ist es eine
Realabstraktion. Aus meiner Sicht kommt es lediglich darauf an, nicht
das falsche Werkzeug zu nehmen - um im Bild zu bleiben.

Das mit dem Fokussieren und der Lupe hingt etwas, IMHO. Es heißt ja auch nicht 
umsonst Abstrahieren. Du betrachtest nur einige Eigenschaften eines Dings. 
Nicht das Ding selbst. Was du abstrahierst existiert nicht wirklich. Wenn du 
das aber nicht weißt, und es für die Wirklichkeit hältst und sie so 
gestaltest, wird es eine Realabstraktion.



						Mit Freien Grüßen

						Stefan

Bis dann, Matti.

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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