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Re: [ox] Re: Interesse als Abstraktion



Hallo StefanMn und Liste,

Am Sonntag, 8. Juni 2003 18:33 schrieb Stefan Merten:
-----BEGIN PGP SIGNED MESSAGE-----

Hi StefanMz, Matti, Liste!

Interessanter Sub-Thread den ihr da habt. Ich reibe mir - mal wieder -
etwas verwundert die Augen. Aber ich begreife auch - wieder - ein paar
Dinge mehr. Oh alle transzendenten Mächte, die sich die Menschen je
haben einfallen lassen, warum habt ihr uns armen Menschlein nur mit so
einem so untauglichen Kommunikationsmittel wie Sprache ausgestattet
:-( ...

LOL ;-)


Ich picke mal diese Mail aus dem Thread raus, weil hier noch alle
Zitate vorkommen.

Im übrigen sind die Fragen auch in dieser Mail nicht rhetorisch
gemeint, sondern ich wünsche mir wirklich eine Antwort darauf. Ich
habe mittlerweile in diesen Threads zahllose Fragen gestellt - und in
aller Regel keine Antworten bekommen. Ich würde es für *unglaublich
hilfreich* halten, wenn sich das ändern würde.

Ja, das ist aber manchmal nicht so einfach.


8 days ago Stefan Meretz wrote:
On Friday 23 May 2003 23:04, Matthias Schulz wrote:
Stefan Meretz wrote:
Wenn du abstrahierst, siehst du von etwas ab. Oder noch deutlicher:
du ziehst etwas ab, nämlich das je individuell für den Handlungsgrund
relevante.

Warum wird denn das je individuell für den Handlungsgrund Relevante
abgezogen? Verstehe ich nicht. Was bleibt denn dann noch übrig gerade
wenn das je individuell für den Handlungsgrund Relevante abgezogen
wird? Ich kann mir nicht vorstellen, was da noch sein kann.

Aber es ist natürlich logisch, dass dieses Nichts nur mit
Transzendentem gefüllt werden kann. Aber ich sagte schon, dass diese
Begriffsbildung *in sich* schon ihre Logik hat. Nur warum mensch sie
verfolgen sollte ist mir nach wie vor absolut schleierhaft :-( .

Genau, und das Interesse sieht doch vom je individuellen Handlungsgrund
ab.

Was ist denn dann der Inhalt des Interesses? Wenn es von den je
individuellen Handlungsgründen absieht bleibt doch gar nichts mehr
übrig! Ich kapiere überhaupt nicht wovon ihr sprecht. Ich habe für
diese Dinge nicht mal Worte. Matthias: Vielleicht kannst du mir ja
erklären, was da noch übrig bleiben soll?

Ich versuchs mal.
Das Interesse ist sozusagen der Durchschnitt der je individuellen 
Handlungsgründe. In einer Menge von Menschen hat jedeR eigene individuelle 
Gründe etwas zu tun. Überlappen sich nun diese Handlungsgründe zwischen 
mehreren Menschen, kann ich diese Abstraktion, den Durchschnitt als Interesse 
bezeichnen.
Wichtig ist dabei, dass dieses Interesse kein konkreter Mensch wirklich hat. 
Es ist nur gedacht, abstrahiert und existiert nicht wirklich.
Wenn ich nun von Außen auf eine Gruppe Menschen schaue, und nur das Interesse 
sehe, kann ich schnell der Meinung sein, dass diese Menschen das Interesse 
tatsächlich besitzen. Das ist aber nur eine Statistik.
Möchte ich nun die Entwicklung Freier Software begreifen, deren wesentliches 
Moment die Selbstentfaltung konkreter Menschen ist, kann ich doch nicht von 
den je konkreten Gründen absehen. Dann sehe ich nur Erscheinungen und 
begreife gar nichts.
Im Abstrakt-Allgemeinen betrachte ich die Elemente eines Ganzen nur insofern, 
wie sie eben dieses Ganze erschaffen. Die Elemente sind dann nur gleiche 
Teile des Ganzen. Also die konkreten je individuellen Handlungsgründe werden 
nur soweit betrachtet, wie sie zum Interesse führen. Der Rest wird 
ausgeblendet.
Im Konkret-Allgemeinen blende ich die konkreten Handlungsgründe nicht aus, 
sondern sehe mir die Besonderheiten und die konkreten Beziehungen an. Dann 
erkenne ich, das die konkreten Handlungsgründe durch ihre konkreten 
Beziehungen untereinander und zum Ganzen eben dieses Ganze erschaffen und 
aber auch noch mehr.
Bei einer Realabstraktion, wie das Interesse auch eines ist, erschaffe ich nun 
die Welt nach den Abstrakten Vorstellungen. Wichtig ist, dass das Abstrakte 
nie wirklich existiert, sondern nur gedacht ist. Die Wirklichkeit ist 
konkret.
Das Ganze, also das Interesse, die Realabstraktion, erschafft aber auch erst 
die eigenen Elemente, also die Handlungsgründe. Da die Abstraktion aber vom 
je konkreten Grund absieht, darf ich mir sozusagen ein Interesse aussuchen, 
welches meinen Bedürfnissen am ehesten entspricht und mir zu eigen machen. 
Das ist dann Entfremdung, IMHO.


Z.B. sieht das Gruppeninteresse von den konkreten Gründen ab,
weshalb sich die Individuen überhaupt zur Gruppe zusammengeschlossen
haben.

Das ist dann in eurer Logik immanent logisch. Deswegen kapiere ich es
überhaupt nicht :-( .

Vielleicht ist es jetzt klarer?


Für mich bezeichnet Gruppeninteresse eher das genaue Gegenteil: Eine
fokussierte Konkretisierung der je konkreten Gründe im Rahmen eines
Kollektivs (jetzt mal ohne das transzendente Brimborium, das diesem
Wort anhaftet). Jedenfalls ein Gruppeninteresse, das ich mir
emanzipatorisch vorstelle. Alles andere würde ich aber ohnehin als
Ideologie bezeichnen und nicht als Gruppeninteresse.

Wie willst du denn konkrete Gründe konkretisieren?
Und mit Fokussieren meinst du, den Blick aufs wesentliche richten? Das sind 
doch aber gerade die konkreten Gründe.


Natürlich sieht ein solches Interesse von der *je Gesamtheit* der je
individuellen Gründe ab. D.h. die Gesamtheit der Gründe einer Person
ist darin nicht reflektiert. Aber das geschieht sowieso niemals in der
Praxis sondern ist bestenfalls ein Ideal.

Mir schwand, du meinst hier was anderes. Unten mehr dazu.


So gesehen kann mensch das dann aber auch eine Abstraktion nennen. Der
Sinn der Abstraktion / Fokussierung liegt aber mitnichten in
irgendeinem Nichts, sondern - um es in euren Worten zu formulieren -
einen bestimmten Bereich der Handlungsmöglichkeiten herauszugreifen um
ihn - durch Handeln - in Realität zu verwandeln. Das ist m.E. immer
notwendig, da ich nicht und wir nicht die *Totalität* unserer
Bedürfnisse immer zur konkreten Handlungsgrundlage machen können. Ich
würde vielmehr denken, dass es einer solchen Fokussierung einfach aus
sachlichen Gründen bedarf. Wie diese Fokussierung aussieht entscheiden
aber wir bzw. ich - kein Bedarf für eine dritte Person.

Oh ja, ich glaube ich weiß was du meinst. ;-)
Du bist hier bei einem konkreten Menschen, der eine Vielzahl von Bedürfnissen 
hat und Einflüssen von Außen ausgesetzt ist. Der konkrete Mensch fokussiert 
sich dann aufs wesentliche und entscheidet sich. Wieso er sich so 
entscheidet, weiß nur er. Damit ist der individuelle Handlungsgrund gemeint, 
IMHO.
Ich meine mit dem Abstraktem und Konkretem und dem Interesse aber nicht die 
Verhältnisse innerhalb eines Menschen, sondern die Beziehungen und 
Wechselwirkungen zwischen konkreten Menschen.


Konkret-allgemein können sich Menschen über ihre Handlungsgründe
verständigen und konkret-allgemein den Raum der Möglichkeiten bestimmen.
Das geht nur im Modus der ersten Person, interindividuell.

Ja! Wie auch sonst?

StefanMz: Tue mir doch mal einen Gefallen: Seit Monaten schreibe ich
mir hier die Finger wund um zu sagen, dass du - zumindest wenn es um
eine emanzipatorisch Vision geht - *inhaltlich* mehr oder weniger das
Gleiche sagst wie ich. Du benutzt nur ein ganz anderes Set von Worten,
ein anderes Sprachspiel. Das, was du (je vorläufiges) Ergebnis einer
Verständigung über den Möglichkeitsraum nennst, das nenne ich
Gruppeninteresse. Die Liste der Analogons ließe sich verlängern.
Könntest du mal anerkennen, dass es es zwischen uns im Wesentlichen
einen Streit um Worte gibt? Wenn ja, dann wäre "nur" noch die Frage,
wie damit umgegangen werden kann.

Aus der Mail möchte ich noch etwas rausgreifen:

6 days ago Matthias Schulz wrote:
Stefan Meretz schrieb:
Geht der Weg für dich so "Handlungsgründe --> Interesse -->
Möglichkeitsraum"?

Darüber habe ich mir schon länger Gedanken gemacht, das der Weg übers
Abstrakte oft ein Umweg ist, oder vielleicht sogar ein ganz anderer?

Hier möchte ich noch dazu sagen, das ich mir dazu Gedanken gemacht habe, aber 
der Meinung bin, das ich sehr wohl vom Abstrakten zum Konkreten gehe und 
gehen muss. Meine Überlegung war nur, wieso es so scheint, als würde ich es 
nicht tun.

Das Abstrahieren ist m.E. inhärent gefährlich, weil es eben immer auch
ein Abstrahieren von den konkreten Menschen sein kann. Das wäre für
mich der Schritt zur Entfremdung (gegenüber diesen konkreten
Menschen). Ihr nennt das glaube ich Interesse.

Ja, ich glaube schon.


Naja, ich meine wohl so etwas wie eine Realabstraktion. Dadurch das die
Menschen hauptsächlich abstrahieren (warum tun sie das?)

Warum Menschen abstrahieren ist schnell gesagt: Sie können im Umgang
mit der Komplexität der Welt nicht anders. Schon der
Wahrnehmungsapparat ist so gebaut, dass er versucht auf - für den je
konkreten Menschen - zu fokussieren.

Ja ok, ich meinte wohl eher, wieso sie die Abstraktion für die Wirklichkeit 
halten.


schaffen sie
die Welt auch so.

Ja. Aber da es dem Menschen - und vermutlich allen Lebewesen -
immanent ist, können wir aufhören über dieses Faktum zu diskutieren.
Die konkrete Ausformung ist natürlich was anderes.

Die konkrete Ausformung ist aber nicht die Abstraktion!
Das Problem ist doch, das ich von den Besonderheiten der Elemente eines Ganzen 
absehe. Bei einer Realabstraktion schaffe ich die Elemente auch so. Das heißt 
ich zwinge sie in ein Korsett, wo nur die Eigenschaften geduldet werden, die 
eben zu diesem Abstraktem Ganzen führen. Die Besonderheiten der je konkreten 
Elemente werden nicht beachtet bzw. wenn sie im Wege stehen sogar beseitigt.


Das abstrakt-allgemeine wird so der Wirklichkeit
aufgezwungen, obwohl die Wirklichkeit eigentlich immer konkret ist.

Der Wirklichkeit kann mensch nichts aufzwingen. Vielmehr "zwingen"
sich die Menschen durch eine Fokussierung etwas auf. Aber wie gesagt:
Das ist nicht als Faktum heilbar sondern nur an konkreten
Fokussierungen.

Ich meine hier das Korsett, in das ich die Elemente, in diesem Fall die 
Menschen stecke. Das geht nur mit Gewalt und ich muss immer Gewalt anwenden, 
um die Realabstraktion am zerfallen zu hindern.

Das
Kapital ist doch sowas, oder?

Ja. Eine, die ich für den Menschen eher abträglich halte. Aber dass
ich das denke, liegt daran, dass ich meine Fokussierung anders gesetzt
habe. Ich "zwinge" mir quasi eine andere Realabstraktion auf.

Ja, ja, du meinst hier etwas anderes. Du bist, glaube ich, bei den 
Entscheidungen konkreter Menschen. Da kann ich auch Abstrahieren und muss zum 
Konkreten gehen. Das ist aber nochmal was anderes, IMHO.


Nun gibt es von diesen Realabstraktionen eine ganze Menge, IMHO. Zum
Beispiel auch die Politik. Sicherlich ist Politik ein Teil des
gesellschaftlichen Seins des Menschen, jedoch wenn ich mich darauf
beschränke und es quasi vom konkreten Sein abspalte, setze ich eine
Abstraktion in die Wirklichkeit.
In der FS-Community ist es immer das konkrete Sein der Menschen welches
produziert. Ich kann davon keine einzelnen Teile abstalten.

Freie Software ist auch nichts anderes als das Ergebnis der
Fokussierung der Totalität der Bedürfnisse auf bestimmte Inhalte von
relevant vielen Personen. Diese Personen "zwingen" sich auf, dass
Freie Software etwas Wichtiges sei, für das sie sich Mühe geben
möchten.

Hm, Freie Software ist IMHO das Ergebnis einer Vielzahl unterschiedlicher je 
individueller Handlungsgründe, die sich nicht auf ein Abstraktum, auf den 
Durchschnitt beschränken müssen.


Im Kapitalismus ist das gesellschaftliche Sein aufgespalten in z.B.
Politik, Kultur, Ökonomie... aber auch Wissenschaft, Theorie ;-) ... Das
sind alles Realabstraktionen, IMHO.

Das sind alles Fokussierungen - ja. Kein wesensmässiger Unterschied zu
Freier Software an dieser Stelle.

Bis du jetzt anderer Ansicht?


Und da sich solche Realabstraktionen nicht von "selbst", also durch die
konkreten Lebensäusserungen der Menschen, reproduzieren, müssen sie
quasi "künstlich" reproduziert werden.

Warum soll sich das denn nicht von selbst reproduzieren? Ich würde dem
entgegen halten, dass Fokussierungen sich *gerade* durch die konkreten
Lebensäußerungen reproduzieren.

Hier meinte ich auch das Korsett, in das sich die Menschen zwängen müssen.



						Mit Freien Grüßen

						Stefan

Bis dann, Matti.

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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