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Re: [ox] Re: Gegen die eigenen Beduerfnisse handeln?



On Saturday 24 May 2003 21:54, Holger Weiss wrote:
* Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org> [2003-05-23 17:29]:
On Tuesday 20 May 2003 02:45, Holger Weiss wrote:
Seine gesellschaftliche Lage. Um _sein_ oekonomisches Interesse
geht's, von dort aus wird beurteilt.

Du bist doch gar auf seinem Standpunkt (da kann nämlich nur er sein).
Du gibst das nur vor. Du beurteilst seine Lage, sein Interesse etc.
Das ist Drittstandpunkt.

Klar beurteile _ich_ sein oekonomisches Interesse, wie der Arzt mein
gesundheitliches beurteilt.

Siehe die Vormail zur Unterscheidung von Mensch und Charaktermaske: Als 
Mensch hat er kein "ökonomisches Interesse", da gibt es also nichts zu 
beurteilen; das ökonomische Interesse der Rolle kannst du beurteilen - zu 
der kann er sich aber verhalten.

Wenn es dir um Karl-Heinz geht, dann frag ihn. Wenn es dir um die 
gesellschaftliche Rolle der Charaktermaske geht, dann treffe deine 
Analysen. Ich sage "nur": das ist auseinanderzuhalten.

Zentral beim Verstaendnis des Verhaeltnisses von objektivem Interesse
(bei dem eine "dritte" Person problemlos den Standpunkt der "ersten"
einnehmen kann) zum konkreten Menschen inklusive dessen subjektiven
Praeferenzen (die nur er benennen kann) ist das Woertchen "insofern":
_Insofern_ er ein biologisches Wesen ist, hat er ein unabhaengig von
subjektiven Praeferenzen bestimmbares gesundheitliches Interesse.
Raucht er Zigaretten, warum auch immer, geht's ihm _gesundheitlich_
schlechter (da sieht man: Nix Transzendenz, er _ist_ ein biologisches
Wesen).

Auch hier geht es nicht um Karl-Heinz, sondern um ein Biowesen, das du von 
Drittstandpunkt anguckst. Das Menschen genau so - IMHO menschenunwürdig - 
von der herrschenden Medizin betrachtet werden, ist Ausdruck des genuin 
menschenunwürdigen Kapitalismus. Dort sind Menschen eben nur Biowesen, 
Kostenfaktoren, Zahlen auf dem Papier usw. - kurz Realabstraktionen wie 
der Wert.

Welchen _Grund_ Karl-Heinz hat, zu rauchen, interessiert keine Socke.

_Insofern_ er in seiner oekonomischen Lage ist, hat er
unabhaengig von subjektiven Praeferenzen bestimmbare oekonomische
Interessen. Nimmt er sie nicht wahr, warum auch immer, geht's ihm
_oekonomisch_ schlechter (da sieht man: Nix Transzendenz, er _ist_ in
seiner oekonomischen Lage).

Nein, nicht "er", sondern das Abstraktum, die Rolle, die Charaktermaske.

Vielleicht hat er subjektive "Gruende",
sein objektives Interesse nicht wahrzunehmen, diese Gruende kenne ich
nicht (vielleicht kennt er den Grund auch nicht, vielleicht weiss er
auch nur nicht, dass Rauchen der Gesundheit schadet, whatever). Dann
nimmt er sein Interesse halt nicht wahr. Daraus laesst sich aber nicht
schliessen, dass die Analyse seines objektiven Interesses nicht
moeglich sei oder nichts mit dem konkreten Menschen Karl-Heinz zu tun
haette.

Doch, ich schliesse das daraus und zwar, weil ich zwischen dem konkreten 
Karl-Heinz und den Realabstrakta unterscheide. Aus meiner Sicht lässt 
sich eine emanzipatorische Position nicht auf Realabstrakta aufbauen, 
sondern nur unter voller Anerkennung des Standpunktes der ersten Person 
in ihrer unreduzierten Konkretheit. Und die kann nun mal nur von der je 
konkreten Person eingenommen werden.

Gerade deshalb ist es eine schlichte Frage von richtig oder falsch,
und gerade deshalb ist sie objektiv entscheidbar.

Das bestreite ich. Der Standort (hier: dritter Person) konstituiert
die "Objektivität", er selbst aber ist selbst nicht "objektivierbar",
sondern transzendent begründet (keine Ahnung, wie deine Begründung
jetzt sein mag).

Ein anderer Versuch, unsere Differenz genauer auf den Punkt zu bringen:
Splittet man den Interessenbegriff in eine Zweck/Mittel-Relation auf,
so setzt der "Standort", mit dem Du ja ein Problem hast, nur den Zweck,
er setzt _nicht_ das Mittel, welches damit erstmal nicht von Deiner
Kritik betroffen ist. Wenn ich Dich recht verstehe, bezieht sich Deine
Kritik immer auf "meine" vom Drittstandpunkt aus getroffenen
Zwecksetzung, die ich Karl-Heinz untergejubelt haette, weil sie "nicht
objektivierbar" sei. Eine Kritik an der objektiven Bestimmbarkeit von
adaequaten Mitteln bei gegebenem Zweck konnte ich nicht herauslesen.

Das verstehe ich nicht.

Wenn ich den von Dir kritisierten Punkt, "meine" Zwecksetzung, mal
unterlasse: Falls mir ein industrieller Kapitalist _sagt_, er _will_
Profit maximieren, er also subjektiv den Zweck setzt, kann ich dann
prinzipiell objektiv bestimmen, ob das Mittel Zinssenkung dem subjektiv
gesetzten Zweck dient oder nicht? Hier muss der Standort in Deinen
Augen doch erster Person sein und somit Objektivitaet konstituieren
koennen. Wenn Du hier noch mitgehen kannst, haetten wir offensichtlich
keinen erkenntnistheoretischen Streit ueber die prinzipielle
Moeglichkeit objektiver Aussagen ueber gesellschaftliche Vorgaenge,
sondern vermutlich "nur" den inhaltlichen Streit, ob oekonomische
"Charaktermasken" (die Du ja auch fuer analysierbar haeltst, wenn ich
Deine andere Mail recht verstehe) konkreten Personen zugeordnet werden
koennen oder nicht.

Ja, das ist es vermutlich (unabh. davon, dass ich die 
Zweck-Mittel-Überlegung nicht verstehe).

Du kannst nicht Vorgänge dritter Person -- und biotische Vorgänge
sind solche

Von welchen "Vorgaengen dritter Person" sprichst Du hier? Was geht da
bei wem vor? Meine Gesundheit hat mit dritten Personen nix zu tun. Ihre
Bedingungen sind von dritten Personen analysierbar, das ist aber auch
schon alles.

BTW: Du interpretierst das als "Rechtfertigung". Sprich, Du
behauptest, in Wahrheit seien da andere Gruende unterwegs, als die,
die er mir nennt. Woher weisst Du dritte Person das?

Weil man "Ausländer rausschmeissen" nicht objektivieren kann.

<nicht ganz ernst gemeint>

Zusammenfassung: Hier kann die dritte Person (StefanMz) besser als die
erste Person (Karl-Heinz) beurteilen, dass die von der ersten Person
gemachte Aussage keine Aussage erster Person, sondern in Wahrheit eine
Aussage dritter Person ist und daher den wahren Grund nicht benennen
kann. Im Ergebnis kennt die dritte Person (StefanMz) den Grund erster
Person besser als die erste Person (sie weiss zumindest im Gegensatz
zur ersten, dass der genannte Grund _nicht_ der wahre Grund ist). Damit
bist Du, nur um zwei Ecken, wieder bei meiner Position angelangt, dass
wir Karl-Heinz' Aussagen nicht trauen duerfen ;-))

</nicht ganz ernst gemeint>

?? Ich muss Karl-Heinz nicht kennen, auch seine Gründe nicht, um die obige 
Aussage treffen zu können: "Ausländer rausschmeissen" kann man nicht 
objektivieren. Um so eine Aussage machen zu können, muss ich kein 
"objektives Interesse" bemühen. Ich widerspreche ihm hier einfach.

Er macht mit sich das gleiche, was du mit ihm machst. Nur er
"instrumentalisiert" hier den allgegenwärtigen Drittstandpunkt als
Rechtfertigung, während du ihn sicher gutmeinend "nutzen" willst. Das
ist jedoch strukturell das Gleiche! Daran sieht man IMHO jedoch, dass
man das im Modus dritter Person nicht entscheiden kann bzw. wenn doch
"entschieden" wird, dann ist das immer Ausdruck von
Beherrschungsverhältnissen.

Bei den "Beherrschungsverhaeltnissen" wuerde ich insofern zustimmen,
als eine objektive gesellschaftliche (oder biologische oder sonstige)
Bestimmtheit des Individuums eben gerade eine solche ist, die es
_nicht_ einfach aufgrund von subjektiven Praeferenzen aendern kann. Der
Kapitalist kann nur in einem gewissen Rahmen auf Entlassungen
verzichten, irgendwann _muss_ er es tun, will er nicht Pleite gehen.
Dafuer kannst Du aber doch nicht den Uebermittler der Botschaft
verantwortlich machen.

Ack.

Wenn man aber mal ernsthaft ueber derlei Gruende spricht, scheint mir
das auch nicht beantwortbar, indem man "einfach mal das Subjekt fragt".

Nein, einfach ist das vielleicht nicht. Es gibt nur keinen anderen Weg zu 
den je individuellen Gründen.

Die Ursachen fuer mein Denken und Handeln (glauben wir Dir einfach mal,
dass es immer welche gibt) sind doch ein komplexer Wust aus sozialen,
psychologischen, biologischen, sonstigen Einfluessen und deren
Wechselwirkungen mit "autonom" getroffenen bewussten oder unbewussten
Entscheidungen meines subjektiven "freien Willens" (von dessen Existenz
ich durchaus auch ausgehen wuerde). Ueber diese Ursachen kann ich
erstmal selbst nur spekulieren.

Hier würde ich - schon nur sprachlich - nicht von "Ursachen" reden. Das 
ist ein Begriff aus dem Zusammenhang "Ursache --> Wirkung". Dieser 
Zusammenhang ist zwar unspezifische Grundlage für sehr vieles 
(physikalisches, biotisches....), nicht aber das spezifisch Bestimmende 
des Menschen und seines Handelns.

Wenn ich derlei Selbstbeobachtung
betreibe, befinde ich mich, da wuerde ich Casimir (und StefanS)
zustimmen, genau wie "externe" Beobachter nach Deinem Schema im "Modus
dritter Person".

Sofern du wirklich _dich_ meinst, und nicht bloß den Pickel auf deiner 
Haut, dann halte ich das für eine Selbstinstrumentalisierung.

Die zentrale Unterscheidung ist hier einfach die
zwischen dem Gegenstand an sich auf der einen Seite und der Analyse und
Darstellung desselben auf der anderen Seite. Der Gegenstand an sich ist
nicht "wissenschaftsfaehig", nur dessen Darstellung, die immer Analyse
voraussetzt, da der Gegenstand in keinem Fall "fuer sich selbst
spricht".

Du kannst nicht für dich selbst sprechen?
Du hältst dich nicht für wissenschaftsfähig?
Du meinst, es ist immer eine Subjekt-Objekt-Trennung erforderlich?

Aber noch einmal: Das scheint mir ein voellig anderes Thema
zu sein. Befragung und Beobachtung des Subjekts mag bei _dieser_ Frage
sinnvoll sein, weil subjektiv getroffene Entscheidungen und
individuelle Praeferenzen/Beduerfnisse wie gesagt _eine_ Ursache fuer
mein konkretes Denken und Handeln sein moegen. Das ist aber kein Grund,
die adaequate Methode fuer diese Detailfrage auf oekonomische
Formen/Interessen oder andere sozialwissenschaftliche Gegenstaende
anzuwenden.

Ok, solange du die konkreten Menschen nicht behelligst.

Allgemeiner: Was ich ausdrücken will, ist meine Beobachtung, dass die 
Erkenntnisformen dieser Gesellschaft, so wie du sie hier verwendest, ihre 
Gedankenformen widerspiegeln: Die Bewegung des Wert als Realabstraktion 
erscheint wieder in der Theorie; sie kann daher den Rahmen dieser 
Gesellschaft nicht überschreiten. Da ich aber genau das will, muss ich 
zunächst mal versuchen, genau das zu erkennen, um es zu kritisieren, um 
es aufzuheben. Ob mir das gelingt, weiss ich nicht. Ich meine nur, mit 
der erkenntnistheoretischen Unterscheidung von Standpunkt erster Person 
und dritter Person da weiter gekommen zu sein. In der dritten Person 
spiegelt sich die Realabstraktion, die der Wert als universelles 
Formprinzip dieser Gesellschaft setzt.

Ciao,
Stefan

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