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Re: [ox] Re: Gruppen als Beziehungsgeflechte



Hi StefanMz et al!

3 weeks (24 days) ago Stefan Meretz wrote:
On Thursday 01 May 2003 14:08, Stefan Merten wrote:
"Gruppe" ist da IMHO ungeeignet, weil viel zu allgemein. Konkreter
finde ich z.B. die (personale) Kooperation, was auch nichts anderes
als eine Gruppe ist, aber eben eine inhaltlich qualifizierte.

Das klang jetzt in mehreren Mails von dir durch: Du würdest den
abstrakteren Begriff "Gruppe" nicht verwenden wollen und statt dessen
nur konkretere Gruppen wie Horden, Kooperationen (ähm - worin
unterscheiden sich eigentlich Interessengruppen und Kooperationen?)
usw. verwenden. Begründen tust du das damit, dass bei der Abstraktion
hin zur Gruppe alles (für dich) Spannende entfällt und deswegen der
Begriff sinnlos wird. Habe ich das richtig verstanden?

Analytisch sinnlos, deskriptisch aber schon noch sinnvoll - ja.

Ok, das sehe ich ein, dass das ein Standpunkt sein kann. Ich würde
allerdings meinen, dass allein die Tatsache, dass wir unproblematisch
einen gemeinsamen Begriff für alle diese konkreten Formen finden
können - deskriptiv stimmst du mir da ja zu -, einen Hinweis darauf
gibt, dass all diesen konkreten Formen etwas gemeinsam sein muss.

Aber nichts wesentliches.

Ok. Das ist ein Kriterium. Wäre nur noch die Frage, was Wesentliches
sein könnte. Nur um das mal fest zu halten.

Dieses Gemeinsame wäre dann für mich erstmal das Spannende an diesem
Begriff. Oder? Außerdem sagst du, dass das Gemeinsame nur transzendent
sein kann - und damit emanzipatorisch verbrannt. Richtig?

Das über das Nichtwesentliche hinaus "metaphsisch aufgeladene" vermutete
(aber IMHO nicht vorhandene) Gemeinsame - ja.

Das reizt mich natürlich zu der Frage: Was kann aus deiner Sicht ein
Gemeinsames sein, das nicht metaphysisch aufgeladen ist?

Wie schon bei der Diskussion um Repräsentation und auch bei der
aktuellen um Identität habe ich das Gefühl, dass du manche Begriffe
einfach halbierst und die Hälfte, die dir nicht ins Konzept passt,
einfach wegwirfst. Das finde ich ärgerlich - gelinde gesagt. Aber
wenigstens verstehe ich damit, warum ich dich nicht verstehe. Und ich
verstehe, warum das (für mich) auch nicht sinnvoll wäre: Halbierte
Begriffe zeigen nur (aber wahrscheinlich nicht mal) die halbe Welt.

Na ja, in deiner Sicht sind es "halbe Begriffe", in meiner Sicht ist es
eine "unzulässige Vermischung" und eben "metaphysische Aufladung".

Ich denke immer noch, dass du an ein paar entscheidenden Stellen ganz
bestimmte Perspektive konsequent nicht einnimmst. Namentlich die, der
ersten Person Plural.

Ich
werfe also nicht einfach etwas weg, was (objektiv oder wie?)
"zusammengehört", weil es mir nicht ins Konzept passt, sondern es gehört
IMHO einfach nicht zusammen. Ich weise dich darauf hin, dass du durch die
Behauptung, da gehöre was zusammen, dir im emanzipatorischen Sinne den
Boden unter den Füßen wegziehst. Das führst du auch hier wieder vor:

Hier möchte ich "Grund" und "Interesse" unterscheiden.

Ich auch.

Der Grund liegt bei
der Person, er ist "erster Person".

Nein. Der Grund so wie ich es oben meinte ist eine Tatsache, die
erstmal völlig unabhängig von einem konkreten Menschen ist. Der Grund,
dass Menschen essen, liegt darin, dass sie Nahrungsaufnahme zur
Fortsetzung ihrer physischen Existenz brauchen.

Hier hätte ich wohl andere Beispiele nehmen sollen. Mir ging es um den
Begriff "Grund", der auch z.B. in der nichtbelebten Natur vorkommt.
Der Grund für den herunterfallenden Apfel ist (vor allem) die
Schwerkraft. Da ist keine Person, die da die erste sein könnte. In
diesem Sinne meinte ich Grund und in diesem Sinne meinte ich "kann
nicht erster Person sein.

Andernthreads spreche ich von Bedürfnissen als Urgrund von Handlung.
Zumindest hängen diese Begriffe beim Menschen (für mich) eng zusammen.

Nein, dann hätte sich sowas wie (völlig unterschiedliche) Esskultur nicht
entwickelt. Es gibt unzählige Gründe, warum Menschen essen, und die sind
alle erster Person.

Das Bedürfnis ist erster Person - ok. Der Grund ist nochmal eine
andere Dimension. Aber darüber will ich mich nicht streiten.
Meinetwegen ist auch ein Grund erster Person.

Was du meinst, ist die unbedingte Notwendigkeit,
Joules zu sich zu nehmen, um die bloße Physis zu erhalten. Der Satz
müsste also lauten: "Die Ursache, dass Menschen essen _müssen_, liegt
darin..." Das Menschen sich physisch reproduzieren müssen, ist aber
gerade nicht das spezifisch Menschliche (das müssen alle Lebewesen, auch
die, die eben keine "Gründe" kennen).

Ja, ja, geschenkt. So ungefähr könnte ich das auch sagen.

Gründe für das
Entwickeln Freier Software gibt es eine Reihe. Darunter Notwendigkeit
und Spaß am Programmieren. Ein Grund ist also sicher nicht "erster
Person".

Gerade aber im Beispiel doch. Selbstentfaltung ist immer erster Person.
Was sonst? Aber auch entfremdete Zusammenhänge können Prämissen dafür
darstellen, dass Menschen Gründe haben, FS zu entwickeln (z.B. Geld).
Alles erster Person.

Ja. Ein Grund hat erstmal nichts mit entfremdet (wovon? wäre ohnehin
zu fragen) zu tun.

Und der muss auch gar nicht festgestellt werden um
wirkmächtig zu werden. Du musst nicht feststellen, dass du Nahrung
aufnehmen musst um hungrig zu sein.

Ich weiss nicht, was du mit "feststellen" meinst. Bedenken? Bemerken?
Spüren? Hunger spüre ich. Das muss aber noch kein Grund sein, zu essen.

Mit feststellen meine ich eine bewusste Feststellung. Ich weiß nicht,
wie ich das noch näher qualifizieren kann.

D.h. ob der Grund für eine Software-Entwicklung Spaß oder
Notwendigkeit oder sonstwas ist, muss nicht festgestellt werden damit
das Entwickeln beginnt.

Ja, ok.

Er kann aber festgestellt werden

Schön neutral formuliert. Hier liegt aber der Knackpunkt: Nur je ich kann
das feststellen.

Warum ist das für dich ein Knackpunkt? Ich widerspreche dem doch mit
keiner Silbe - im Gegenteil.

Mal so formuliert: Für dich kommen andere immer nur in dritter Person
vor. Bei mir gibt es aber auch eine erste Person Plural, die vorkommen
kann. Hier scheint mir wirklich der Knackpunkt zu liegen.

und wenn es
nicht entfremdet geschieht, wird die handelnde Person dem auch
zustimmen können - oder sich den Grund sogar selbst überlegen.

Wenn ich "feststellen" mal mit "mir klarmachen" übersetze, dann klingt es
ziemlich merkwürdig, "mir selbst zuzustimmen". Das macht nur Sinn, wenn
du es als Vorgang dritter Person denkst, dem ich dann aposteriori
"zustimmen" darf.

Und wieder biegst du meine Gedanken ins Absurde - seufz...

Nochmal meinen ganzen Satz: "Er [der Grund] kann aber festgestellt
werden und wenn es nicht entfremdet geschieht, wird die handelnde
Person dem auch zustimmen können - oder sich den Grund sogar selbst
überlegen."

Darauf antwortest du eigentlich nicht. Ein Grund für eine Handlung
kann von irgendwem festgestellt werden. Insbesondere auch von der je
ersten Person. Ich kann aber auch in einem Dialog mit einer zweiten
Person über meine Gründe sprechen und es kann sein, dass diese zweite
Person die besser begreift und mir nahe bringt. [Ich höre deinen
Aufschrei bis hierher...] Dann hat eine andere Person meine Gründe
festgestellt und ich kann ihnen zustimmen. Wenn sie sie mir nicht nahe
bringen kann, dann handelt es sich erstmal um Entfremdung (nämlich von
mir). Dann könnte mensch das meinetwegen mit Drittstandpunkt
bezeichnen. Aber eben *nur* im entfremdeten Fall. Nicht, wenn je ich
zustimme.

Wo in diesem Bild die dritte Person vorkommt ist mir schlicht und
ergreifend unerklärlich. Kannst du nochmal erklären, wie "ich" oder
vielleicht auch ein Dialog mit einer anderen Person ein "Vorgang
dritter Person" ist?

Das ist eigentlich schon der Kern dieser Mail. Was ich hier skizziere,
kann ich in deiner Widerspiegelung nicht wieder finden. Wenn du mir
deutlich machen kannst, dass "ich" und ein "Dialog" immer "Vorgänge
dritter Person" sein müssen, dann bin ich wohl überzeugt.

Unsere Differenz ist in meiner Sicht die: Du versuchst den
"emanzipatorischen Charakter" über das Attribut entfremdet/unentfremdet
zu entscheiden. Ich sage: Im Versuch, einen Vorgang erster Person als
einen dritter Person zu fassen, schneidest du schon jede Möglichkeit der
Emanzipation ab, da du nicht positiv für andere definieren kannst, was
für sie gut ist.

Das finde ich jetzt **super**ärgerlich! Kannst du mir eine einzige
Stelle nennen, wo ich das postuliert habe? Du unterstellst mir das
zwar seit einem Jahr - und aus deiner halben Perspektive (tut mir
leid, denke ich immer noch) musst du das wohl - aber *ich* habe es nie
so dargestellt! Wir sind da meines Erachtens völlig d'accord! Nur dass
du m.E. bestimmte Situationen im menschlichen Leben einfach
ignorierst.

Das können nur sie selbst, weswegen jeder
emanzipatorische Ansatz in Theorie und Praxis vom Standpunkt erster
Person gedacht und gemacht werden muss.

Kein Widerspruch.

Bis hierher habe ich vollständig zitiert. Hier gibt es m.E. Wichtiges
zu klären. Da du in der Folge vieles aus deiner Variante des
Ungeklärten abgeleitet hast, lasse ich das mal weg. Aber du stimmst in
vielem meinen Schlussfolgerungen auch zu. Wenn also das "Grund"problem
klarer wird, schlössen sich einige Schlüsse an. Gut :-) . [Wobei es ja
hier gar nicht um den Grund ging - aber unser "Grund"problem ist
offensichtlich fast an Beliebigem durch zu deklinieren...]

Bei Interessengruppen z.B. um gemeinsam etwas zu erreichen.

Da ich "Interessen" für mich inzwischen ein Begriff ist, der nicht vom
Standpunkt erster Person "zu retten" ist, sondern nur im Modus "dritter
Person" formuliert werden kann, passt das. Eine solche Interessengruppe
ist jedoch nicht in der Lage, emanzipatorisch zu handeln.

Interesse ist noch so ein Begriff, der wohl höchst strittig ist. Siehe
andernthreads.

Das persönliche Interesse liegt auch
bei der Person, es ist jedoch "dritter Person" - es wird von anderen
festgestellt

Wie bitte? Entschuldige, aber diese Bedeutung von Interesse ist mir
bisher wirklich noch nie über den Weg gelaufen. Ich würde ganz im
Gegenteil sagen, dass Interesse eben erstmal *nur* von den konkreten
Personen festgestellt werden kann.

Sie "haben" (objektiv?) ein Interesse, dass sie dann noch "feststellen"
dürfen.

Nein, nein. Sie tun das nur selbst. Ich wüsste nicht, wozu ich einen
Dritten bräuchte um mein Interesse festzustellen. Siehe andernthreads.

Aber das Beziehungsgeflecht hat Einfluss auf die konkreten Individuen,
da es ihr Handlungsrahmen ist. Menschliches Handeln muss sich nun mal
am je gegebenen Handlungsrahmen orientieren. Wird der Handlungsrahmen
(zu heftig) ignoriert, wird das Handeln ineffektiv und im Extremfall
bedeutet dies den Tod des Individuums.

Alles (auch Beziehungsgeflechte) "hat Einfluss". In dieser unscharfen
Formulierung geht aber der je-ich-Standpunkt unter: Dieses "alles" sagt
zunächst erstmal garnichts über die Handlung aus.

Doch - und du hast es gerade selbst gesagt: Es hat Einfluss auf die
Handlung. Auch gerne als ihre Prämisse.

Das Individuum verhält
sich zu diesen Bedingungen, es kann alles mögliche damit machen.

Ja. Kein Widerspruch zum Einfluss.

Den
Handlungsrahmen (dazu kommt: so wie je ich ihn wahrnehme - auch das ist
nicht vom Drittstandpunkt bestimmbar) als unmittelbare Handlungsanleitung
zu nehmen kann exakt genau die gleichen Konsequenzen haben (bis zum Tod
etc.) - kommt eben drauf an.

Ich rede nirgends von unmittelbarer Handlungsanleitung. Du biegst an
meiner Aussage.

Das ist der Punkt: Du kannst zwischen Handlungsrahmen und Handlung keine
eindeutige Verbindung herstellen.

Ungenau: Du kannst zwischen Handlungsrahmen und Handlung keine
deterministische Verbindung herstellen. Wir reden ja auch nicht über
eine Naturwissenschaft, wo das vielleicht eine legitime Forderung
wäre. Aber als nicht-deterministischer Einfluss ist es immer noch
sinnvoll.

Der Handlungsrahmen spannt einen Raum
von (durchaus unterschiedlich großen) Handlungsmöglichkeiten auf - mehr
aber auch nicht (aber auch nicht weniger: eine völlige Beliebigkeit gibt
es auch nicht).

Du sagst es.

Ich
verhalte mich nicht zu Geflechten, sondern zu den konkreten Menschen.

Das ist ja nun die Frage. Bringt es vielleicht ganz gut auf den Punkt.

Ich will es mal ein bisschen anders formulieren, hoffend, dass du dem
noch zustimmen kannst: Du sagst, du hast eine Beziehung immer nur zu
ganz konkreten Menschen - jedenfalls insofern es für dich
handlungsrelevant ist. Kannst du das teilen?

Ja. Zu den konkreten "kompletten" Menschen mit ihren Beziehungen auch zu
anderen.

Das hätte ich mir ja denken können, dass du das Beziehungsgeflecht -
genauer: die Konstituenten des Beziehungsgeflechts - einfach mit ins
Individuum rein nimmst. Na, da ist ja auch viel Platz...

Wenn ich dich recht verstanden habe, dann ist aber auch Gesellschaft
ein Element des "kompletten" Menschen. Gesellschaft betrachtest du
aber als eigenständigen Begriff. Du sagst jetzt - wenn ich dich
richtig interpretiere -, dass das Beziehungsgeflecht keine wesentliche
Qualität hat und deswegen nicht wie Gesellschaft kategorial gesondert
zu betrachten lohnt. Na, wenigstens ist es schlüssig ;-) ...

Ich behaupte aber, dass auch du sehr wohl auch die Beziehungen der
anderen Mitglieder untereinander im Blick hast. Dass es auch für dich
handlungsrelevant ist, wie die Beziehungen zwischen anderen
Mitgliedern konkret aussehen. Und damit ist - im Rahmen einer Gruppe
und im Gegensatz zu einer Menschenansammlung - das Beziehungsgeflecht
eben sehr wohl und unmittelbar handlungsrelevant.

Wenn du das Konglomerat der Beziehungen von mir zu anderen zu nennen magst
- von mir aus. Wenn daraus eine darüber hinausgehende Relevanz ableitest:
das halte ich für eine "metaphysische Aufladung".

Ja. Die Frage in deinen Worten formuliert wäre wohl, ob das
Beziehungsgeflecht ähnlich dem Begriff der Gesellschaft eigene
Qualitäten hat, die es zu betrachten lohnt und die nicht in den durch
Gesellschaft gegebenen Beziehungen aufgehen. Ich denke, dass das so
ist und dass das auch nochmal eine ganz andere Dimension als die
Dimension "Individuum" / "Gesellschaft" ist. Ich würde diese Dimension
das Soziale nennen. Ich halte daran fest, dass das eine wichtige
Dimension ist, wenn wir über eine emanzipierte Gesellschaftsform
nachdenken wollen.

Damit wird das
Beziehungsgeflecht *als solches* zu einer handlungsleitenden Kategorie
(unter anderen).

Das wäre eine solche "Aufladung", die ich nicht teile.

Na, bei der Aufladung Gesellschaft hast du da kein Problem ;-) .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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