Message 06160 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT05678 Message: 36/60 L11 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Re: Niedergang des Kapitalismus?



* Stefan Merten <smerten oekonux.de> [2002-12-31 13:42]:
Mal im Ernst: Wo siehst du den strahlenden Aufstieg des Kapitalismus
momentan? 

Mit gewissen Einschraenkungen in der ganzen Welt. 

Das würde mich aber jetzt doch interessieren: Woran machst du das denn
fest? Insbesondere, bei deinen folgenden Antworten:

[ 1. Die Entwicklungsoekonomien entwickeln sich fast nirgens
  2. Nennenswerte Wohlstandsvermehrung breiter Bevoelkerungsschichten
     gibt es fast nirgens ]

Kapitalismus hat einen Zweck, der da lautet: Verwertung des Werts.
Solange das im Grossen und Ganzen funktioniert, steckt der Laden nicht
in einer (existentiellen) Krise. Hier (also bei der Frage, wie gut die
Verwertung derzeit funktioniert) unterscheiden sich unsere
Einschaetzungen, und, da sind wir uns ja offensichtlich einig, das ist
der Kernpunkt. Dir sind darueber hinaus ja noch Punkte wie
Wohlstandsvermehrung "breiter Bevoelkerungsschichten", Arbeitslosigkeit
etc. wichtig, und zwar verstanden als _an sich schon_ Kriterien fuer
eine Krise. _Das_ begreife ich nicht, und dafuer habe ich nach wie vor
kein Argument gelesen. Das unterstellt doch, dass der Kapitalismus neben
der Wertverwertung noch _weitere_ Zwecke haette, wie die
Wohlstandsvermehrung breiter Bevoelkerungsschichten oder die Vertretung
der Interessen von Arbeitslosen. Wenn ich dem Kapitalismus solche Zwecke
unterschiebe, kann ich natuerlich behaupten, er sei in einer Krise. Wenn
ich, wie Du, Wertverwertung aber ebenfalls als Zweck anerkenne, komme
ich mit einem solchen Krisenbegriff in Probleme, wenn Akkumulation ohne
Wohlstandsvermehrung "breiter Schichten" stattfindet, was analytisch
keinesfalls ein Widerspruch ist, im Gegenteil.

Erklaer mir doch bitte endlich mal jemand, wieso es fuer den
Kapitalismus ein Problem darstellt, wenn er die Versprechungen, die er
im Nord-/Mitteleuropa der 60er/70er Jahre des 20. Jahrhunderts mal
leichtglaeubigen Leuten gemacht hat, nicht einhalten kann. Lohnkuerzung
ist kacke fuer den Lohnarbeiter, aber keine Krise fuer den Kapitalismus.

Ok, mal andersrum gefragt: Was *wäre* denn für dich eine Krise?

*Argh*... ausgerechnet da bekomme ich wieder nur eine Gegenfrage. Falls
wir uns mal persoenlich treffen, gebe ich Dir ein Bier aus, wenn Du
darauf antwortest -- versprochen ;-) 

Meine Antwort ist wie gesagt: Wenn die Wertverwertung nicht mehr
funktioniert, steckt der Kapitalismus in einer Krise. "Handelsuebliche"
Krisen stellen die Bedingungen fuer eine erneute (Re-)Produktion und
Akkumulation des Werts normalerweise wieder her. Sollte auch das mal
nicht mehr funktionieren, eine Krise also nicht einen erneuten
Aufschwung zur Folge haben, _dann_ steckt der Kapitalismus tatsaechlich
in ernsthaften Problemen.

Offensichtlich reagiert der Lohnarbeiter nicht mit Opposition (wie sich
das einige Verelendungstheoretiker vorgestellt haetten), also kann's
doch dem Kapitalismus egal sein. Lohnkuerzung steigert erstmal nur die
Profite.

Nur kurzfristig. Die Konkurrenz gleicht das bald wieder aus.

Die Konkurrenz unter den Arbeitern? Die drueckt den Lohn ja tendenziell.
Die Konkurrenz unter den Kapitalisten? Die wuerde das nur dann wieder
ausgleichen, wenn Du davon ausgehst, dass die Lohnkosten die Preise
ursaechlich mitbestimmen.

Und nicht zuletzt die Entwicklung im Finanzüberbau mit ihren immer
häufiger und immer wahrscheinlicher werdenden Auswirkungen bis
hinunter in die produktive Sphäre macht das Bild nicht gerade rosiger.

Wieder so eine typisch Kurz'sche These: Dass steigende Aktivitaet auf
Seiten des `Finanzueberbaus' und auf Seiten des `produktiven Kapitals'
ein Widerspruch waeren.

Es geht nicht um Aktivität sondern um Wertverwertung. Wenn die
Profitrate im produktiven Bereich nicht mehr stimmt, dann geht die
Kohle in den Finanzüberbau, in Spekulationsblasen. Da stimmt die
"Profitrate" dann wieder - wie ersichtlich war.

_Wenn_ es im "produktiven Sektor", aus welchen Gruenden auch immer, eine
Krise gibt, dann _kann_ eine _Folge_ davon sein, dass das Kapital in den
Finanzueberbau wandert, ja. Oben hattest Du Ursache/Wirkung aber anders
herum. Und das entsprach genau der gaengigen Unterscheidung zwischen
tendenziell "boesem" Finanzkapital und "gutem" produktivem Kapital,
welche die effektivitaetssteigernde Funktion der Boersen fuer das
produktive Kapital uebersieht. Ich bestreite nicht eine
Verselbstaendigung des Finanzkapitals und damit die Existenz von
"Spekulationsblasen". Ich behaupte nur, dass letztere oft missverstanden
werden. Im Normalfall platzen die halt nach dem Boom und weiter geht's.
Siehe IT-Branche.

Aber das ist wirklich Krisis-Basis. 

Na dann muss es ja stimmen ;-)

Normalerweise (ausser im Falle von _echten_
Krisen) ist das Gegenteil der Fall: Die "Auswirkungen bis hinunter in
die produktive Sphaere" sind erstmal Steigerung der Flexibilitaet, der
Akkumulation und der Produktivkraft.

Und Enron, WorldCom, etc.?

Seit es Kapitalismus gibt gehen Firmen pleite. Waere dem nicht so,
wuerde der Laden nicht funktioneren. Die _Ursachen_ dieser Pleiten
liegen im allgemeinen im produktiven Sektor, nicht im Finanzueberbau.
Ursache der Krise der IT-Branche war doch einfach klassisch
Ueberproduktion als Folge des Booms. Natuerlich wird das verschaerft,
wenn mir als IT-Firma das Kapital auf der Boerse hinterher geschmissen
wird. Das ist aber was anderes, als die Boerse als _Ursache_ fuer die
Krise misszuverstehen.

[ Produktivitaetssteigerung ]

sie bedeutet ja nur, dass ich
mehr Gebrauchswert in derselben Zeit produzieren kann, was im
Kapitalismus die Mehrwertrate steigert, also das Gegenteil eines
Problems fuer den Kapitalismus darstellt.

Die Steigerung der Mehrwertrate ist ja nur kurzfristig. Du übersiehst
deren Ausregelung durch die Konkurrenz.

Nein, ich sprach natuerlich nicht von der Produktivitaetssteigerung
eines individuellen Kapitalisten und dem daraus fuer ihn entspringenden
Extra-Mehrwert[*], sondern von Produktivitaetssteigerung auf
gesellschaftlicher Stufenleiter. Letztere senkt erstmal den relativen
Anteil der Lohnkosten am Umsatz und damit die _allgemeine_ Merwertrate
(bei Marx: Steigerung des relativen Mehrwerts). Es sei denn, die
Gewerkschaften setzen Lohnerhoehungen auf dem Niveau der
Produktivitaetssteigerung durch (was sie derzeit nicht tun).

*) Oder meintest Du den auch nicht, sondern war Deine Behauptung (wie
   oben): allgemeine Produktivitaetssteigerung -> Steigerung der
   allgemeinen Mehrwertrate -> allgemeine Preissenkung?

Aber Kurz meint ja, die
_produktive_, mehrwertschaffende Arbeit nehme tatsaechlich ab.

Das ist dann nämlich der Effekt, wenn die vorübergehend gesteigerte
Mehrwertrate sich wieder einpendelt.

Mit der Entwicklung des Kapitalismus hat sich das Produktivitaetsniveau
staendig erhoeht. Damit muesste dieser Effekt ja seit hunderten von
Jahren unterwegs sein. Du gehst von einem gegebenen Korb an zu
produzierenden Waren aus, die sich weder qualitativ noch quantitativ
veraendern. Waere diese Annahme sinnvoll, dann haettest Du Recht.

Schon das bezweifle ich, aber selbst _wenn_ es stimmen wuerde, sehe
ich noch nicht, warum dieser Effekt staerker sein sollte als die
gegenteiligen Effekte (Mehrwertsteigerung via
Produktivkraftsteigerung etc.).

Das Problem ist, dass Arbeit weniger benötigt wird - mit
Arbeitslosigkeit als unmittelbare Folge. Kann diese Arbeit wieder
aufgesaugt werden - wie z.B. bei der flächendeckenden Ausbreitung des
Autos oder nach Kriegen - dann hat der Kapitalismus sich auf nächster
Stufenleiter erfolgreich reproduziert.
[...]
Dieses massenhafte Aufsaugen von Arbeit kann ich aber beim besten
Willen *nirgends* erkennen. Wieviele Menschen braucht es weltweit wohl
um Handys herzustellen - um mal ein aktuelles Massenprodukt zu nennen.

Das heisst, die wesentliche Ursache unserer "Krise" ist der Mangel an
einem zu befriedigenden Beduerfnis. Wuerde dem Kapital ein neues Produkt
einfallen, das irgendein Beduerfnis befriedigen wuerde (und dessen
Befriedigung nennenswert Arbeit macht), wuerden sie wieder mehr Leute
einstellen (und damit gleichzeitig Zahlungskraft fuer das Beduerfnis
schaffen), um die entsprechende Ware zu produzieren. Es faellt ihm aber
nix ein, die Leute sind einfach satt. Oder wie?

Holger

-- 
Since it's a commercial UNIX operating system, you'll have to go and add
a ton of software to the already bloated load you have. 
------------------------------------------------------------------------
             David L. Cantrell Jr. -- "Installing IRIX 6.5.7 on an Indy"
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT05678 Message: 36/60 L11 [In index]
Message 06160 [Homepage] [Navigation]