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[ox] Re: Sinnvolles Handeln und Keimformen (was: Re: [ox] Freie Software ist Müll)



Hallo!

... über Umsonstläden:

On Mon, Dec 23, 2002 at 10:46:50AM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Das halte auch ich für etwas ziemlich revolutionäres, weil es einem
kapitalistischen Grundprinzip widerspricht.

Damit sind Freibier-Parties, Freeware und Werbegeschenke revolutionaer.

Diesen Punkt würde ich noch verstärken wollen. Tatsächlich - und hier
hat feministische Theoriebildung viel geleistet - sind ganz erhebliche
Teile menschlicher Existenz nicht tauschvermittelt. Solche sozialen
Praxen widersprechen dann zwar in der Tat dem kapitalistischen
Grundprinzip - und werden im Zuge der Totalisierung des
Wertverhältnisses auch vom Kapitalismus angegraben -, revolutionär
sind sie deswegen aber noch nicht notwendig.

Stimmt. Gilt im übrigen genauso für FS. Es ist eine denkbare Zukunft
von FS (und verwandten Phänomenen), dass sie irgendwann mal zu grossen
Teilen das übernehmen, was andere nicht-marktförmige Bereiche (Staat,
Familie, Wissenschaft, ...) heute für den Kapitalismus übernehmen. Ob
etwas eine Keimform ist, entscheidet sich letzen Endes vor allem
darüber ob wir es wollen.

"Revolutionär" bzgl. dem Kapitalismus sind Phänomene m.E. dann, wenn
sie, wenn sie den Kernbereich des kapitalistischen Prinzips betreffen.
Und dieser liegt nun mal in der Produktion *für* den Tausch. Nicht in
der Kindererziehung, nicht in der Distribution von Gütern und
vielleicht nicht mal im Staat an sich - obwohl diese Dinge natürlich
alle mehr oder weniger massiv durch das kapitalistische Prinzip
überformt werden.

"liegt nun mal" ist kein Argument. Ohne Kinderaufzucht gibt es
genausowenig eine Gesellschaft, wie ohne Produktion und Distribution.
Und auch für die Annahme, dass die Produktion der "Kernbereich des
kapitalistischen Prinzips" sei, spricht vielleicht einiges. Aber: 

Wir sind uns ja wohl einig, dass eine der Grundvorraussetzungen einer
Wertgesellschaft die Knappheit ist. Wie wird nun aber Knappheit
hergestellt? Wie wir in der Unterscheidung zwischen Knappheit und
Begrenztheit gelernt haben auf sehr vielfältigen Wegen. Da ist zum
einen die Produktion aber eben auch die Distribution (Die Knappheit
von Nahrungsmitteln in Afrika z.B. ist ein Distributionsproblem) und
Dinge wie Marketing u.ä.. ja im Informationszeitalter ist es sogar so,
dass Konsumption Knappheit verringern kann! Auch ist es ja wohl eine
Binsenweisheit, dass in einer globalisierten Welt, Distribution immer
wichtiger wird.

Das besondere an FS ist nun eben gerade _nicht_ dass sie ein Phänomen
der Produktionssphäre ist und deshalb besser in klassische
marxistische Theorien passt, als andere Sachen (z.B. Umsonstläden),
sondern das besondere an FS ist, dass sie diese Grenzen eben gerade
aufhebt. Produktion, Distribution, Konsum, Marketing, fallen
tendenziell alle in eins.

Das ist im übrigen auch ein Grund, weswegen ich denke, dass
postoperaistische Theorien, die einen viel weiter gefassten
Produktionsbegriff haben, besser für FS passen als Krisis u.a.
Wertkritiker (siehe meinen Empiretext).

Und in diesem Sinne kann man Umsonstläden dann durchaus als Stätten
der Produktion verstehen. Produktion von ko-kurrenter (siehe
http://www.opentheory.org/ko-kurrenz/text.phtml) Nachbarschaft z.B.

Gleichzeitig müssen solche Phänomene um "revolutionäres" Potenzial zu
haben, für viele Menschen besser sein als das, was der Kapitalismus zu
liefern im Stande ist. Damit fällt jede Nischenproduktion für einen
kleinen Kreis schon mal raus.

FS hat als genau solch eine Nischenproduktion angefangen.

Zudem fallen m.E. auch die Bereiche raus, die der Kapitalismus in
seiner Kontraktionsbewegung schon wieder verlassen oder gar nicht erst
vollständig durchdrungen hat. Tauschringe, die im wesentlichen dort
gedeihen, wo die Geldwirtschaft schon wieder auf dem Rückzug ist,
gehören dazu, aber auch die Zusammenbruchsregionen dieses Planeten von
Jugoslawien über Somalia und Afghanistan bis nach Indonesien und
Argentinien. 

Argentinien ist zur Zeit das Land, das weltweit am effektivsten
Selbstorganisation produziert. Und Selbstorganisationsfähigkeit ist
absolut entscheidend für jede Keimform.

Grüße, Benni

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Organisation: projekt oekonux.de


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