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Sinnvolles Handeln und Keimformen (was: Re: [ox] Freie Software ist Müll)



Hi Jobst, Holger, alle!

Im wesentlichen teile ich Holgers Argumentationslinie gegenüber Jobst.
Insbesondere würde ich auch nochmal vor der Vermischung verschiedener
Wertbegriffe warnen. Oder wahlweise fragen, warum die saubere
Unterscheidung in Gebrauchs- und (Tausch)wert beim Verständnis der
Warengesellschaft - was ich als Voraussetzung für ihre Überwindung
ansehe - im Weg steht.

Last week (13 days ago) Holger Weiss wrote:
* Jobst Quis <wuwei nadir.org> [2002-12-03 21:00]:
Die Frage nach den Gemeinsamkeiten oder Parallelen zwischen Freier Software
und Umsonstläden find ich viel spannender als die danach, was besser oder
antikapitalistischer ist.

Nun, wenn es um die Frage geht, was sinnvolles Handeln sein kann, dann
muss ich mir doch ansehen, welche Handlungsformen ich hier und heute
als sinnvoll begründen kann. Im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel -
emanzipatorische Vision - kann ich aufgrund so einer Begründung dann
schon zwischen besseren und schlechteren Handlungsalternativen
unterscheiden. Aber diese Dinge sind selbstredend auch alle subjektiv
gefärbt und auch - hoffentlich - zeitlichen Änderungen (aka Lernen)
unterworfen.

Die erste und wohl wesentlichste Gemeinsamkeit ist, dass jeder etwas
brauchbares bekommen kann, ohne dafür einen Gegenwert geben zu müssen.

Das ist eine Gemeinsamkeit, m.E. aber keine Wesentliche. Das ist eine
Gemeinsamkeit von Umsonstlaeden, Freier Software, Freibier, Freeware und
Werbegeschenken.

Das halte auch ich für etwas ziemlich revolutionäres, weil es einem
kapitalistischen Grundprinzip widerspricht.

Damit sind Freibier-Parties, Freeware und Werbegeschenke revolutionaer.

Diesen Punkt würde ich noch verstärken wollen. Tatsächlich - und hier
hat feministische Theoriebildung viel geleistet - sind ganz erhebliche
Teile menschlicher Existenz nicht tauschvermittelt. Solche sozialen
Praxen widersprechen dann zwar in der Tat dem kapitalistischen
Grundprinzip - und werden im Zuge der Totalisierung des
Wertverhältnisses auch vom Kapitalismus angegraben -, revolutionär
sind sie deswegen aber noch nicht notwendig.

"Revolutionär" bzgl. dem Kapitalismus sind Phänomene m.E. dann, wenn
sie, wenn sie den Kernbereich des kapitalistischen Prinzips betreffen.
Und dieser liegt nun mal in der Produktion *für* den Tausch. Nicht in
der Kindererziehung, nicht in der Distribution von Gütern und
vielleicht nicht mal im Staat an sich - obwohl diese Dinge natürlich
alle mehr oder weniger massiv durch das kapitalistische Prinzip
überformt werden.

Gleichzeitig müssen solche Phänomene um "revolutionäres" Potenzial zu
haben, für viele Menschen besser sein als das, was der Kapitalismus zu
liefern im Stande ist. Damit fällt jede Nischenproduktion für einen
kleinen Kreis schon mal raus.

Zudem fallen m.E. auch die Bereiche raus, die der Kapitalismus in
seiner Kontraktionsbewegung schon wieder verlassen oder gar nicht erst
vollständig durchdrungen hat. Tauschringe, die im wesentlichen dort
gedeihen, wo die Geldwirtschaft schon wieder auf dem Rückzug ist,
gehören dazu, aber auch die Zusammenbruchsregionen dieses Planeten von
Jugoslawien über Somalia und Afghanistan bis nach Indonesien und
Argentinien. Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, wo aus diesen
Verelendungszonen eine emanzipatorische Perspektive herkommen soll,
die auf dem erreichten zivilisatorischen Stand aufsetzen könnte.
Massenattraktiv sind solche Situationen schon gar nicht - oder warum
breiten sie sich dann nicht rasend schnell in den USA oder hierzulande
*auf freiwilliger Basis* aus und eben nicht weil die (kapitalistische)
Not dazu zwingt?

2 weeks (20 days) ago Jobst Quis wrote:
Stefan Merten schreibt:
Wenn ich mal die Stichpunkte zur Keimform aus der OEkoNux nehme
[http://www.oekonux.de/einfuehrung/kladde/default_15.html]

* Merkmale einer heutigen emanzipatorischen Keimform
    * Globale Vernetzung
    * Wert- und Tauschfreiheit
    * Selbstorganisation
    * An der Spitze der Produktivkraftentwicklung

dann ist bei Umsonstläden höchstens die Selbstorganisation zu finden
(wobei dieser Begriff vielleicht auch mal der Klärung bedürfte).
Irgendwie klingt Umsonstladen nach dem bisherigen Kenntnisstand der
Liste nicht sehr nach emanzipatorischer Keimform...

Irgendwie klingt diese Kriterienliste so, als wär sie genau dazu
geschaffen, die Freie Software zu beweihräuchern und andere Konzepte
niederzumachen.

Also zumindest mir geht es nicht um's Niedermachen, sondern darum, für
mich sinnvolle Handlungsalternativen zu finden. Und hier habe ich
durch Oekonux einfach viel gelernt, was teilweise auch nicht
unbeträchtlich im Widerspruch zu dem steht, was ich früher vertreten
habe. Ich habe für mich das Gefühl, dass ich was Interessantes gelernt
habe, was ältere Überlegungen auch einfach abgelöst hat.

Aber wir können ja gerne nochmal / wieder mal überlegen, warum die
o.g. Merkmale sinnvoll sind oder eben nicht und welche vielleicht noch
fehlen. Wenn ich mir's länger anschaue, würde mir sogar noch eins
einfallen

    * Ermöglichung universeller Selbstentfaltung

Das handelt wahrscheinlich auch gleich die ganzen linken
Allgemeinplätze ab.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan
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Unread: 74 [ox], 87 [ox-en]

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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