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Re: [ox] Zum Begriff der Herrschaft



Thomas Berker wrote:

w"urde ich doch gern mehr dar"uber wissen, was 'Macht' eigentlich
bedeutet. Macht wor"uber ? "Uber wen ?


Ist das eine rhetorische Frage, die darauf hinweisen soll, dass das
ganze Problem ein bisschen komplizierter ist als gemeinhin angenommen,
oder willst du Antworten? Wenn das letztere der Fall sein sollte, dann
mach doch schonmal Vorschlaege.

hmm, ich mache mir dar"uber nat"urlich Gedanken, insbesondere da es mich
pers"onlich betrifft (ich bin selbst 'leader' mehrerer Projekte...), aber eine definitive Antwort habe ich nicht. Deshalb f"allt meine mail
auch ein bischen Stichpunkt-artig aus. Sorry.

Einer der interessanten Aspekte ist f"ur mich z.B. die Organisation von
sogenannten 'Open Source Projekten', die notwendigerweise alle auf Freier Software beruhen.
[
Ich finde es schade, dass sich so viele Aktivisten wie z.B. ESR oder RMS
auf diese Begriffe versteifen, ohne darauf einzugehen, was die
miteinander zu tun haben. ESR vermeidet von Freiheit zu reden, und RSM
distanziert sich von OSS einfach indem er deren Verfechtern politisches
Desinteresse und mangelndes Bewusstsein vorwirft. Das mag zwar stimmen,
finde ich aber doch ein bischen unbefriedigend...
]

Aber zur"uck zur spezifischen Dynamik offener Projekte. Ich denke,
es ist schon falsch von *einer* Dynamik zu sprechen. Vieles h"angt von
verschiedenen Faktoren ab, die die Projektkultur erheblich beeinflussen.

Es macht einen riesigen Unterschied, ob da zum zigsten Mal ein IRC
client entwickelt wird, oder ob es da um echtes Neuland geht. Auch
spielen Faktoren wie die Programmiersprache(n) etc. eine Rolle, die ja
ihrerseits schon eine Menge Entwicklungskultur verk"orpern.

Was bedeutet es, ein Projekt zu leiten ? Heisst das, alle wichtigen
Entscheidungen zu treffen ? Subprojekte an Leute zu verteilen ?

ESR hat sicher recht, wenn er meint, ein wichtiger Faktor der zum Erfolg
Offener Software beitr"agt, ist die Transparenz, die Leuten erlaubt (und
sie ermutigt) sich den Quellcode anzuschauen, und auszuprobieren. Das
Stichwort ist 'peer review'.

Das setzt freien Zugriff auf den Quellcode voraus, braucht aber mehr.
Es bedeutet dass ich (der Programmierer) mir besondere M"uhe gebe, den
code lesbar zu gestalten, zu dokumentieren, etc.

Indem ich das mache, erm"achtige (!) ich meine peers, sich getreu den
Grundprinzipien der GPL zu beteiligen: Teilen, Ver"andern, Verbessern.

Aber interessant wird es, wenn es sich eben nicht um 'prior art'
handelt, d.h. wenn man den Fortschritt nicht sich selbst "uberlassen
kann, also wenn ein Entwicklungsprozess bewusst befolgt werden muss. Da
kommt dann auch wieder 'Macht' ins Spiel.

Das geht mit 'write access' los, und h"ort mit code und design review
lange noch nicht auf. Ist es Macht, wenn ich einen patch nicht
akzeptiere ? Worin besteht mein Interesse, diese Macht auszu"uben ?

Oft wird das 'right to fork' beschworen, um darauf hinzuweisen, dass
je jeder, dem etwas nicht passt, einen clone des Projektes weiterf"uhren
kann. Das stimmt, ist aber nur oberfl"achlich betrachtet wahr:

ein Projekt ist viel mehr als nur der Quellcode. Ich kann nat"urlich
code kopieren so viel ich will, neue Projekte gr"unden so oft ich will
(und http://www.sf.net liefert daf"ur ein beeindruckendes Beispiel),
aber das Entwicklungsteam mitsamt deren Dynamik und 'man power' kann
ich nicht klonen.
D.h. um erfolgreich meinen eigenen branch eines Projektes
weiterzuentwickeln, muss ich Leute davon "uberzeugen, dass meine
alternativen Vorstellungen besser sind als die originalen.
(da es hier um Macht geht, will ich mal von den Projekt-internen
Diskussionen absehen, die zu L"osungen innerhalb des Projektes, d.h.
ohne einen fork, f"uhren)

Und darin liegt wahrscheinlich auch der Grund, dass es nicht zu mehr forks kommt.

Somit ist ein Aspekt der 'Macht', Leute um eine Projektidee herum
anzusammeln, und zu vermeiden, dass sie sich verstreuen.

Sch"on dabei ist, dass als Machtinstrument im Wesentlichen nur die
bessere (popul"arere ?) Idee in Frage kommt, bzw. Popularit"at an sich.

Aber zur"uck zu der Frage nach der inneren Entwicklungsdynamik:

w"ahrend ESR auf Selbstorganisation beharrt und schlicht auf Quantit"at
vertraut (das ist zugegebenermassen sehr stark vereinfacht...) streicht
Frederick Brooks heraus, wie wichtig Konsistenz und Klarheit sind -
Dinge, die seiner Meinung nach besser in einer Oligarchie zu finden
sind. (Witzigerweise benutzt er als Beispiel den Bau einer Kathedrale,
der sich "uber mehrere Generationen von Bauarbeitern und Architekten
erstreckt, und doch oft beeindruckend konsistent ist).
Dort wird also explizit einzelnen Personen Entscheidungsgewalt gegeben
("viele K"oche verderben den Brei").
Beide Erfahrungen kann ich best"atigen !

Ich stosse oft Leute vor den Kopf, wenn ich scheinbar restriktiv bin
mit der Vergabe von 'write permissions', oder wenn ich erwarte, dass
sich potentielle Entwickler erstmal gr"undlich mit der bestehenden
Architektur auseinandersetzen, bevor sie Ver"anderungsvorschl"age
machen.
Auf der anderen Seite bekommt das Projekt oft sehr positive Kommentare
bzgl. seiner Architektur, da es sehr klar und 'well designed' ist, ein
Aspekt, der - hoffe ich - so einem Projekt ein langes Leben beschert.

Nun ja, da habe ich viel "uber Konsistenz und Klarheit geschrieben,
und habe doch das Gef"uhl, selbige Regeln beim Schreiben dieser mail
nicht besonders streng verfolgt zu haben. Man m"oge mich entschuldigen,
das ist eben nur 'laut gedacht', und soll eher als Einladung zur
Diskussion verstanden werden...

Beste Gr"usse,
		Stefan

PS: Ach ja, mit 'meinen Projekten' meine ich:

http://fresco.org
http://synopsis.sf.net

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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