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Re: [ox] Boden(un)recht



Hartmut schreibt über Reichtum, Produktion und Arbeit:
Man kann da ziemlich vielfältige Schlüsse ziehen.

natürlich. Der vorherrschende Schluß ist natürlich, alle bitteren
Pillen zu schlucken und sich immer noch einzureden, eine Auseinandersetzung
mit strukturellen Ursachen sei unpraktisch und wir könnten da einfach
durch.
Es gibt auch exotischere Schlußfolgerungen, die die Moral einfach 
umdrehen und den "Arbeitswahn" der alle befallen hat bekämpfen.
Auch nicht besonders praktisch.


Es ändert alles nichts daran, dass bis auf weiteres entweder die
Lohnkosten sinken oder die Arbeitslosigkeit weiter ansteigt oder beides.

Wahrscheinlich beides, das sagst Du noch selbst. Es ist schon pervers,
wie die Wirtschaft aus immer weniger Leuten für immer weniger Lohn
immer mehr Leistung herausquetscht 
- und der Rest wird praktisch für unnötig erklärt.

Dort, wo sich Industrie noch in DE hält, beobachten die Unternehmer den
Zulieferermarkt in aller Welt und stellen fest, dass die Teile, die
anderswo 1/5 kosten, allmählich auch die strengsten Qualitätsanforderungen
erfüllen.  Anderswo werden deutsche Firmen wegen des Wertes der
etablierten Marke vom Ausland (u.a. chinesischem Kapital) aufgekauft.
Ein solcher Aufkäufer erzählte mir frustriert von einem Streit mit der
örtlichen Gewerkschaft, den er natürlich beendete, indem er das Werk
schloss und eines in Tschechien aufbaute.

Fragt sich wofür das ein Argument ist. Wenn die Arbeiter billig und willig
sind, erhöht das nicht gerade die Freiheit des Kapitals, jeden Vorteil 
auszunutzen und sich noch gleichgültiger gegenüber ihren 
Lebensnotwendigkeiten immer dort niederzulassen, wo es gerade 
paßt? Und wenn deutsches Kapital exportiert wird, ist das nicht
ein leibhaftiger Beweis dafür, daß diese Freiheit auch gerne umgekehrt
in Anspruch genommen wird?

Ein bisschen Potential für Deindustrialisierung ist vielleidcht noch da,
aber irgendwann ist da auch das Ende der Fahnenstange erreicht.  Und auch
der Traum, DE könnte ein Labor für Erfindungen und Patente sein, die dann
anderswohin verkauft werden, zerplatzt, wenn die industrielle Basis
woanders hin gewandert ist, sofern er überhaupt jemals realistisch war.

DA hast Du wohl recht und damit kratzt Du natürlich am nationalen und
supranationalen Konsens, der nach der Logik "wir haben immerhin eine
gute Ausgangsbasis" ebenfalls jede theoretische Auseinandersetzung
mit dem Wirtschaftssystem zukleistern möchte.
Andererseits ist dieser Traum eine handfeste Gewaltfrage, siehe unten.


Dann bleibt einem nur der Versuch, an China u.a. Schwellenländer hohe
Menschenrechtsstandards anzulegen, in der Hoffnung, diese damit zu
destabilisieren. 

Sehr schön gesagt. Irgend jemand hat einmal von der "Menschenrechtswaffe"
gesprochen. Sichtbar geworden ist das ganze ja 1999, als die Argumente
die einen Krieg gegen Jugoslawien gerechtfertigt haben genausogut
gegen die Türkei angewendet hätten werden können.

Von solchem Denken mögen die immer wieder
heraufbeschworenen Greuelbilder von Massenerschießungen oder "Great
Chinese Firewall" etc geprägt sein.  Zumindest in den Zentren des
Wirtschaftsaufschwungs in China ist das zivile Leben nicht wesentlich
anders als hier, es konvergiert, egal ob die Partei das will oder nicht.

Das ist natürlich ein gewisser Zynismus: dort, wo das Volk pariert
und sich an seine Zurichtung zum Arbeitermaterial gewohnt hat,
dort ist offene Gewalt nicht notwendig. Ich hab den Verdacht daß das
der Partei genau so recht ist. "Egal ob die Katze rot oder weiß ist,
hauptsache sie frißt Mäuse".

Allerdings erwarte ich mit zunehmendem Aufschwung immer mehr westliche
Menschenrechtskritik.  In Zeiten, wo China wirklich die Hölle war, hörte
man von solcher Kritik hingegen eher wenig.  Ich bin n.b. öfters in China,
habe dort ca 4 Jahre verbracht, spreche mit meiner Familie nur Chinesisch,
empfinde jeden Aufenthalt dort als einen Heimatbesuch.  Deshalb kreisen
viele meiner Beobachtungen und Beispiele um dieses Land, aber man könnte
viele andere Beispiele anführen. Vor 10 Jahren war ich übrigens auch in
Menschenrechtsarbeit aktiv, was auch wiederum innerchinesischen
Stimmungslagen entsprang, die sich inzwischen geändert haben.
Demokratisierung o.ä. entwickelt sich und wird kommen, aber solange die KP
ihr Machtmonopol nicht zu viel mehr als Ordnungswahrung benutzt, hat
niemand es damit so eilig wie früher.  Genau diese Ordnung wird in China
und Russland als lebenswichtig empfunden, während vom Westen her oft
Menschenrechtspredigten in einer Weise eingesetzt werden, die diese
Ordnung zu unterminieren geeignet ist (insbesondere durch Anfachen
nationaler Konflikte).  

Solches Unterminieren ist wiederum leicht als die
Waffe von Mächten zu verstehen, die auf ihren hohen Wohlstandsstandards
und hegemonialen Vormachtstellungen sitzen bleiben und sich durch ein
der Armut entrinnendes China oder Russland bedroht fühlen.

So einfach geht Nationalismus. Die Frage ob die Massen in China jemals
eine Chance auf Wohlstand haben und was sie von der Hegemonie ihrer 
politischen Gewalt hätten, für die sie sich unter dem eher zeremoniellen
Aufputz ihrer roten Fahnen (die könnten auch schwarz oder golden sein)
durch
zivilisiertes Verhalten als Produzenten und Konsumenten, als Sparer,
Arbeiter, Steuerzahler, Soldaten, Polizisten etc. nützlich machen,
stellt sich gar nicht mehr: *wegen* ihrer Abhängigkeit von Wirtschaft
und Staat sind sie auch schon *dafür*, sodaß sie erst gar nicht gewaltsam
davon überzeugt werden müssen. Immerhin gibt es das Ausland und die
sind nicht "wir". Dort sieht man es umgekehrt, also genauso.
Die Frage die man sich trotzdem stellen *kann* lautet:
Ist das vernünftig?

Immerhin hat vor 20 Jahren Alvin Toffler ein Buch geschrieben, das
die Dritte Welle hieß und wo er darauf hinwies, daß es völlig wider-
sinnig ist, verstopfte Märkte noch weiter aufzufüllen. Der Industrialismus
sei am Ende, weil es zuviel Industrie gäbe.
Immerhin hat der Club of Rome den ISEW publiziert, wo nachgewiesen 
wird, daß das monetäre Wachsen unseres Wirtschsftsystems mittlerweile
eine stetige Abnahme an Lebensqualität bringt.
Immerhin ist das Industriesystem mittlerweile vom Bazillus des
geistigen Eigentums befallen, weil Qualität und Menge von Gütern
als Konkurrenzmitttel nicht mehr taugen. (und daher die Bezollung
fremder Arbeit ein tauglicheres Konkurrenzmittel zu sein scheint).
Immerhin fällt auch Dir auf, daß wir - dadurch? - immer ärmer werden,
unsere Infrastruktur vor die Hunde geht und nur eines prosperiert:
die Gewalt.

Gute Nacht.

Franz


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Organisation: projekt oekonux.de


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