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Re: [ox] leben ohne geld: heidemarie s. :: u.a.



Hallo Schwärmer!

Na, da gibt es ja doch noch etwas leben im Sommerloch.

Schade dass sich Uli bisher noch nicht zu Wort gemeldet hat, der kann
uns sicher mehr erzählen, was es mit der Sache auf sich hat. Dennoch
von mir ein paar "niedrigqualifizierte" Anmerkungen:

On Thu, Jul 25, 2002 at 11:07:08PM [PHONE NUMBER REMOVED], Christoph Reuss wrote:
Also zumindest ich kann da keinen Opportunismus entdecken, Opportunismus
hiesse doch, den Kopf immer in die Richtung zu lenken, wohin der Wind
weht, oder? Was meinst du denn mit Opportunismus auf sie bezogen?

Mit Opportunismus meine ich, dass Frau Schwermer (gemäss dem Artikel)
so ziemlich jeden Gelegenheits-Job annimmt, der gerade am Weg liegt.
                 (Gelegenheit = opportunity)
Das muss sie anscheinend, um genug zu "verdienen".  Mit Freiheit hat das
allerdings wenig zu tun -- klingt eher nach "working poor"...

Nun scheint sie ja aber sehr mit diesen "Jobs" zufrieden zu sein. Es
ist also schlicht nicht an Dir, ihr zu sagen, dass sie sich eigentlich
Scheisse dabei fühlen müsste.

Ich selbst kenne es aus eigener Anschauung, dass nicht die Art der
Tätigkeit das Entscheidende ist, sondern die eigene Einstellung dazu
und die Einstellung wird wesentlich durch die sozialen Beziehungen die
damit verbunden sind, geprägt. Noch der letzte "Scheissjob" kann Spass
machen, wenn es "mein Ding" ist und noch die anspruchsvollste kreative
Tätigkeit kann furchtbar ätzend werden, wenn man sie "nur des Geldes
wegen" tut. Diese Entfremdung von der eigenen Tätigkeit ist für mich
nicht nur etwas theoretisches sondern eine direkt persönlich
erfahrbare Tatsache. Diese persönliche Sicht hab ich mal versucht vor
einem theoretischen Hintergrund zu schildern, siehe:
http://www.opentheory.org/scheissarbeit/text.phtml

Ansonsten, geht man denn eine Verpflichtung ein, wenn man sich fuer
bestimmte Taetigkeiten qualifiziert hat?

Juristisch wohl nicht, aber gesellschaftlich ist es nicht sinnvoll,
dass eine Ausbildung "vergeudet" wird, indem Leute unter ihrer
Qualifikation arbeiten.  

Zunächst mal gilt festzuhalten, dass es nichts gibt, was
"gesellschaftlich sinnvoll" ist aber individuell nicht auch für
irgendjemanden sinnvoll ist. Oder allgemeiner formuliert: Es gibt
keine Bedürfnisse, die niemand hat.

Hochqualifizierte Leute sind eh schon
zu selten, und tiefqualifizierte können nicht hochqualifizierte
Arbeiten übernehmen -- also geht dieses "Modell" nicht auf.
Wohlgemerkt: _Egal_ ob mit oder ohne Geld!

Das hinkt hinten und vorne. Welche Tätigkeiten "hoch-" und welche
"niedrigqualifiziert" sind ist ja nicht irgendwie ein Naturgesetz,
sondern wird gesellschaftlich bestimmt. Und das passiert bei uns eben
genau über Geld. Vielleicht sieht sie es ja so, dass Hoffegen genauso
wichtig ist wie Psychotherapie. Im übrigen weiss ich von Ulli, dass
sie unter anderem auch in ihrem erlernten Beruf weiterhin "arbeitet".

Ich verstehe nicht, wie es unsozial sein kann, den "Wenigerprivilgierten"
(Gaensefuesschenspringen) ihre Arbeit wegzunehmen, indem man einfach selbst
arbeitet, so wie man lustig ist.

Ich meine, Arbeit ist doch nicht etwas, das man sozial verteilen muesste?

Frag' doch mal einen der vielen Arbeitslosen in D, der keine Arbeit findet,
"nur" weil er unterqualifiziert ist.  Der findet's wahrscheinlich nicht
lustig, dass ihm eine "gelernte Psychotherapeutin" den Fensterputz-Job
wegschnappt (und das erst noch in Schwarzarbeit).

Man kann es auch anders betrachten: Das, was der Arbeitslose mehr
vermisst als Arbeit ist Geld. Und genau das nimmt ihm Frau Schwermer
nun ganz bestimmt nicht mehr weg.

Ein Pilot, der ein Haeuschen hat, darf der dann eigentlich noch seinen
Garten bestellen? Oder ist das unsozial?

"Gewerbsmässig" wird er das eh nicht tun (sondern nur kurz in der Freizeit
und für sich selbst) -- hat also nichts mit Frau Schwermer's Ansatz zu tun.

Frau Schwermer macht das auch nicht "gewerbsmässig". Wie auch ohne
Geld? Wenn man seinen Garten bestellt um daraus zu essen ist das das
selbe Prinzip. 

Das Argument das Du hier vorbringst hat ungefähr den selben Gehalt wie
die Vorwürfe von Microsoft an Freie Software, dass diese Arbeitsplätze
in der Softwareindustrie kosten würde. 

Der Witz an diesem Argument ist allerdings, dass es sogar richtig ist.
Und zwar in beiden Fällen. Sowohl Frau Schwermer als auch Freie
Software kosten tatsächlich Arbeitsplätze nur beide tragen eben auch
tatsächlich und tatkräftig dazu bei, dass gesellschaftlich Produktion
anders als geldförmig (was nicht anderes bedeutet als anders als
Arbeits-markt-förmig) organisiert wird. Im Falle von Freier Software
allerdings ungleich wirksamer, wenn auch ungleich weniger spektakulär.

abgesehen von den Sozialabgaben, die sie (und ihre "Arbeitgeber")
bei diesen Schwarzarbeiten einspart -- auf Kosten der Allgemeinheit.
Womit restlos klar wird, wie asozial ihr "ach so sozialer" Lebensstil
ist...

Ich weiss nicht, was ich dir entgegnen soll. Ich finde daran nichts asoziales.

Ist es sozial, _Sozial_abgaben zu unterschlagen?

Auf den Punkt gebracht schon, ja. Sozialabgaben sind ja ein
ausgesprochen unsoziales Verteilungsinstrument. Man gucke sich nur mal
die Krankenversicherung genauer an.

Sie baut ihr Leben auf Dingen auf, die ihr wichtig erscheinen, der Kontakt
mit Menschen zum Beispiel, ihr soziales Geflecht, das daraus entsteht.
Sie knuepft Kontakte, sie nutzt den Ueberfluss, sie kuemmert sich
um Menschen, ein reges Geben und Nehmen.

Warum arbeitet sie dann nicht in ihrem Beruf ?  Psychotherapeutin wäre
doch ideal geeignet für den "Kontakt mit Menschen" -- jedenfalls besser
als Fensterputzen und Rasenmähen -- und mehr nützen könnte sie so den
Leuten obendrein (falls sie ihren Beruf schnallt, was anscheinend nicht
der Fall ist).

Nun, kennst Du das nicht, dass ein "Kontakt zu Menschen" eben genau
dadurch entwertet wird, dass er über Geld stattfindet? Das beste
Beispiel ist käufliche Liebe. (Ihr kennt sicher alle das Zitat von
Thorwalds: "Software is like sex, the best is for free") Vielleicht
meint sie ja, dass sie ihren Beruf nur wirklich ehrlich ausüben kann,
wenn sie dafür kein Geld nimmt? Ich hab mich schon immer gefragt warum
Psychotherapeuten eigentlich nicht irre daran werden vom Irrsinn
anderer zu leben.

Aber egal was sie arbeitet:  Wo liegt der Unterschied zur Lohnarbeit ?

Da triffst Du tatsächlich einen Knackpunkt. Das ist ja auch der Kern
der ganzen Kritik an den Tauschringen. Am Tausch als System wird nicht
gerüttelt. Nur sehe ich das schon etwas differenzierter. Sobald das
Geld aus dem Spiel ist - und auch keine Ersatzwährungen eingeführt
werden - wird der Tausch immerhin schonmal aus seiner Abstraktheit
geholt und das soziale Umfeld wird konkret erfahrbar. Das ist es wohl
wovon sie so begeistert ist. Und gerade durch ihren radikalen Ansatz
eben ganz ohne Geld auszukommen ist sie da schon ein Stück weiter als
die Tauschringe, finde ich.

Sie wohnt z.B. "bei Freunden" und erarbeitet sich die "Miete", und sie
erarbeitet/erbettelt sich auch das Essen.  Wäre eine eigene Behausung
und ein eigener Garten nicht emanzipierter?  Wie "frei" ist es denn,
für alles auf Andere angewiesen zu sein?  

Der letzte Satz, der ist superwichtig. Lass uns den mal ganz genau
betrachten. Darin spiegelt sich nämlich die Kernlüge der bürgerlichen
Gesellschaft, nach der es Emanzipation bedeutet "nicht mehr auf andere
angewiesen zu sein". Menschen werden jedoch immer auf andere Menschen
angewiesen sein. "Everybody needs somebody" wie es bei den
Blues-Brothers heisst. Das gilt auch für die Geldgesellschaft nur wird
dieses "brauchen" dort eben nur noch als abstrakte Größe dargestellt
und von den Menschen getrennt. Das nimm Frau Schwermer - und ich denke
da hat sie recht - als Verarmung war.

Aber nein, dazu müsste man ja
das Boden(un)recht angreifen, und das wollen wir doch nicht!? (Tabu!)

Das mit dem Boden scheint ja ein Lieblingsthema von Dir zu sein.
Solange Du das aber immer nur in Nebensätzen anreisst und uns nicht
erklärst, werden wir kaum in der Lage sein den Zusammenhang mit dem
Thema zu verstehen, den Du scheinbar siehst.

(V.a. chrismon.de will das nicht -- die Kirche wurde ja schliesslich
 durch Boden-Erbschaft gegen Ablasshandel reich und mächtig...)
Da lieber reitet sie auf Nebenschauplätzen wie Geld herum, während
auch noch in Russland der Boden privatisiert wird.  Die gute Frau
blickt's nicht, wo der Hase im Pfeffer liegt...

Geld ist alles andere als ein Nebenschauplatz. Es ist sicherlich nicht
der einzige, aber einer der wichtigsten, das schon.

Dagegen erscheint mir eine Sozialabsicherung doch recht blass. Man geht
zum Amt, beantragt das Geld, und geht wieder.

Der Vergleich ist nicht mit dem Sozialamt, sondern mit Lohnarbeit (die
Dame arbeitet ja).

Vielleicht sieht sie das ganz anders? Aber im Prinzip hast Du schon
recht. Sie tauscht ihre Arbeitskraft. Nur halt nicht gegen abstraktes
Geld sondern gegen die Erfüllung konkreter Bedürfnisse. Damit wird für
sie das soziale Netz erfahrbar und fühlbar in dem wir uns alle bewegen
aber dass das Geld uns immer vom Leibe hält. Diese Erfahrbarkeit
scheint für sie enorm wichtig zu sein und ich denke dazu kann man
wenig sagen, ausser es zu akzeptieren. Mein Weg ist das sicher auch
nicht, obwohl ich durchaus im Prinzip ganz ähnlich handele. Ich
arbeite auch nicht soviel wie ich könnte und sollte, wenn es nach
Deinen Massstäben ginge.

Dieses armselige "Gemüse-Betteln und Gelegenheits-Fensterputzen" kann
jawohl nicht Modell für eine GPL-Gesellschaft sein...?

So verstehe ich das nicht. Sie lebt ganz real, haelt Vortraege, arbeitet mit
Leuten zusammen, setzt ihre Talente, ihre Qualifzierungen ein, etc.. Sie
steht
meines Erachtens nicht auf dem Acker und schuftet fuer ein paar Brotkrumen.

Gemäss dem Artikel arbeitet sie grösstenteils unterhalb ihrer Qualifikation.

Vielleicht ist sie ja eine begnadete Hoffegerin? Weisst Du´s?

Die hier [ox] relevante Frage heisst doch:  Lässt sich Frau Schwermer's
Ansatz auf die ganze Gesellschaft verallgemeinern ?  Die Antwort gibt
sie gleich selbst:  "Ich würde um Himmels willen aber nicht sagen, dass
alle Menschen es genauso machen sollen wie ich."  -- Also was soll's dann?

Ich denke schon, dass das interessant ist und zwar um bestimmte
Selbstverständlichkeiten anzugreifen (Geld gibts immer) und um
bestimmte Problematiken klar zu machen (die Verarmung sozialer
Beziehungen durch Geld). Denn in einem hat sie einfach Recht: Aller
Reichtum der zählt ist in meinen sozialen Beziehungen. Alles andere
ist nur Tand.

http://www.chrismon.de/ctexte/2002/5/5-2.html

Auch hier wird munter verwischt und vermischt zwischen den Themen Geld und
Unfreiheit.  Herr Lautenschläger hätte auch ohne Geld (durch Tausch)
sehr reich werden können!  Und Frugalist kann ich auch innerhalb der
Geldwirtschaft sein (bin's sogar) -- sogar ohne fensterputzen für Andere.

Allerdings. Der Artikel hat mich auch geärgert.

Grüße, Benni

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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