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Re: [ox] Anteil kommerziell erstellter Freier Software



Liebe Liste!

3 weeks (25 days) ago Benni Baermann wrote:
^^^^^^^
Seufz...

On Mon, Jun 10, 2002 at 12:34:57AM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Ich hatte heute auf dem LinuxTag die Gelegenheit Alan Cox zu fragen.
Ich hatte gefragt, wie groß der Anteil der Kernel-EntwicklerInnen ist,
die für das Schreiben Freier Software bezahlt werden. Seine Aussage
war differenziert und interessant - und bestätigt zumindest teilweise
deine Information.

BTW: Meine Frage war explizit so: "die für das Schreiben Freier
Software bezahlt werden". Nun weiß ich natürlich weder, ob Alan Cox
das genau so verstanden hat, noch welchen Begriff er davon hat.

Gehen tat es - und das hast du ja schön herausgearbeitet - um den
Entfremdungsfaktor, der halt hauptsächlich in Form von Bezahlung
stattfindet.

Ich hab mich auch ein bisschen umgehört, wenn auch nicht bei solchen
Szenegrößen. Die Antworten variieren auf fast absurde Weise zwischen 2
und 70 Prozent. Durch diskutieren und nachdenken bin ich nun zu dem
Schluss gekommen, dass das daran liegt, dass oft garnicht so richtig
klar ist, wie man bestimmte Entwicklungen bewerten soll:

Das finde ich eine gar nicht uninteressante Auflistung, zu der ich
gerne ein paar Einschätzungen hinzufügen würde.

- Es gibt grosse Projekte, die komplett unfrei entwickelt wurden über
Jahre hinweg und dann frei gestellt wurden. Kann man die überhaupt
mitzählen? (Beispiel: Mozilla/Netscape, OpenOffice, ...)

Kommt drauf an. Wenn sie (heute) unter einer Freien Lizenz stehen,
dann ist es definitiv Freie Software.

Dann ist bei den Projekten ja auch die Entwicklung zu beachten.
Mozilla beinhaltet z.B. wohl nur noch sehr wenig Code aus Netscape.
Hier hat die Freie Entwicklergemeinde - zusammen mit den (bezahlten)
Netscape-EntwicklerInnen - wohl einiges Neues geschaffen.

Aber i.d.R. dürfte es sich wohl wirklich um entfremdet entstandene
Software handeln: Leute sind dafür bezahlt worden, *genau* dieses
Produkt herzustellen.

- Was ist mit Leuten, die zwar nicht direkt davon leben, die aber ihre
Arbeit genau im selben Bereich haben und deswegen enorm in beiden
Richtungen profitieren?

Zu denen zähle ich ja z.B. auch.

Grundsätzlich würde ich diesen Nutzen in beide Richtungen nicht unter
die Entfremdung fallen lassen. Wenn ich das täte, dann käme ich bei
der "IdiotInnen des Kapitals"-Argumentation raus, die letztlich auf
eine absolute Trennung von entfremdetem und selbstentfaltetem Sein
hinausläuft. Das halte ich aber für nicht sehr weiterführend - auch
(oder gerade?) wenn es so schön arbeiterbewegungskämpferisch ist.

Dann muß mensch aber sicher nochmal im Einzelfall gucken. Und da
wird's dann wirklich unübersichtlich. Es gibt z.B. einige
Software-Schnipsel von mir, die ich im Beruf entwickelt habe und
ebenfalls z.B. für Oekonux einsetze - und umgekehrt. Dies liegt z.T.
daran, daß ich in meinem Beruf eben nicht Tag für Tag vorgeschrieben
bekomme, was ich heute tun soll, sondern mir recht weitgehend - wenn
auch mit harten Grenzen - auch selbstbestimmt einrichten kann, was ich
an Tools brauche. Und wenn die sehr basisnah sind, dann sind sie halt
auch universell einsetzbar.

Wie es hier mit Entfremdung steht? Sehr unübersichtlich wie gesagt.

- Was ist mit Projekten, die z.B. mal an Unis entwickelt wurden, aber
heute u.a. auch von Privatleuten weiterentwickelt werden? X -> XFree86
als prominentes Beispiel.

Der Bereich Wissenschaft ist hier angesprochen. S.u.

- Was ist mit Projekten, die mal als Prüfungsleistung angefangen
haben? Da hat niemand direkt für Geld gekriegt, trotzdem ist das auch
eine Form von Entfremdung. (Beispiel: Lyx)

Ist eine solche Form - zweifellos. Aber auch hier: Wissenschaft. S.u.

- Was ist mit Projekten die sonst irgendwie im Rahmen
wissenschaftlicher Leer- oder Forschungstätigkeit entstanden sind. Die
Leute werden dafür bezahlt, dennoch finden sich gerade in diesem
Bereich die Beispiele die die These von qualitativ hoher FS besonders
stärken (Beispiel: TeX, das wohl so ziemlich das fehlerfreieste
komplexe Programm auf diesem Planeten sein dürfte) und sicherlich ist
da auch viel Selbstentfaltung mit im Spiel.

In der Wissenschaft - in der deutschen Universitätslandschaft zumal -
hast du eben teilweise Strukturen, wo die Leute mit ihrem Gehalt quasi
eine Grundversorgung beziehen, die nur teilweise an eine konkrete
Leistung gebunden ist - sage ich mal so. D.h. der Raum für
Selbstentfaltung ist auf jeden Fall mal größer, als wenn ich konkrete
Produktentwicklung mache - bis hin zu selbstgesetzten Zielen.

Ich denke, daß es sich hier nicht um einen Zufall handelt, sondern um
die (bekannte) Parallele zwischen Wissenschaft schlechthin und Freier
Software. Die strukturelle Parallele besteht genau darin, daß es sich
in beiden Fällen um die Produktion von Informationsgütern handelt. Und
die läuft nun mal ganz offensichtlich Frei besser ab als entfremdet.
Deswegen hat sich dieses Prinzip in der Wissenschaft ausgebildet -
auch wenn es heute in Bedrängnis gerät - und deswegen hat es sich in
der Freien Software ausgebildet.

Und damit kommen wir auch an eine "unserer" Kernthesen: Die zunehmende
Verwissenschaftlichung der Produktion - um es mal mit KM zu sagen -
ist letztlich der Motor für die Ausbreitung dieser Prinzipien. Was in
der Wissenschaft bisher in einem relativ abgeschlossenen Bereich (aka
Elfenbeinturm ;-) ) Frei gelassen werden mußte um überhaupt vernünftig
zu funktionieren, das drängt aufgrund der Produktivkraftentwicklung
immer stärker in das gesamte gesellschaftliche Leben.

- ... usw.

Zu nennen wären auf jeden Fall noch:

- Freie Software, die im (Kunden)auftrag erstellt wird.

  Hier handelt es sich m.E. klar um Entfremdung. Es ist aber wohl
  davon auszugehen, daß solche EntwicklerInnen vom Geist der Freien
  Software berührt werden und verstärkt dazu neigen, etwas wirklich
  Gutes abzuliefern.

  Hier käme auch die doppelt Freie Software ins Spiel.

  BTW ist das ja auch eines der Geschäftsmodelle für Freie Software.

- Freie Software, die firmenintern im Auftrag erstellt wird.

  Die Kernel-Teile, die von Firmen erstellt wurden, um ihre Plattform
  zu supporten, zählen wohl hierzu. Ähnlich wie der letzte Punkt.

Man kann natürlich jetzt jeden dieser Grenzfälle irgendwie
hindefinieren und dann zu irgendwelchen Zahlen kommen. Ich glaube
jedoch nicht, dass das was bringt.

Mensch könnte es - im Rahmen einer Studie - mal versuchen. Aber auf
eine Prozentzahl kann mensch da wohl nicht redlicherweise kommen.

Vielmehr würde ich folgende These
aufstellen:

Das besondere an Freier Software ist gerade, dass ein sehr grosser
Anteil von ihr in einer Sphäre produziert wird, die weder nur der
Verwertung oder nur der Selbstentfaltung zuzurechnen ist, sondern die
beides umfasst.

Ja.

Das wäre meinem Verständnis nach dann auch genau das,
was das keimförmige daran darstellt, da hier Selbstentfaltung
gleichzeitig stattfindet und verwertet wird.

Hmm... Für mich wäre das eher der Randbereich der Keimform - das Ufer
der Insel gewissermaßen. Es ist klar, daß ein Ufer zu einer Keimform
gehören *muß* - ansonsten müßte sie im luftleeren Raum schweben.
Dennoch würde ich nicht vom Ufer her die Insel definieren.

Selbstentfaltung und
Selbstverwertung sind unter dieser Perspektive zwar ein Widerspruch
aber eben gerade einer, der die Entwicklung vorantreibt und zwar in
_beide_ Richtungen. In die der Verwertung _und_ in die der
Selbstentfaltung.

Wo treibt die Selbstverwertung die Entwicklung voran?

Für mich sieht es eher so aus, als würden einige Leute mehr oder
weniger krampfhaft versuchen Geschäftsmodelle zu finden, um so auf den
fahrenden Zug aufzuspringen. Die Realität zeigt aber, daß es solche
Geschäftsmodelle in einer massenhaft relevanten Form wohl nicht gibt -
zumindest bisher. Ich denke hier jetzt an den Kernbereich der
Auftragserstellung Freier Software.

Das wirlich _neue_ wäre dann nicht die
Selbstentfaltung pur, sondern das was sie der Verwertung
"abtrotzt".

Hat RMS und LT der Verwertung etwas abgetrotzt? Vor allem Linus
Torvalds? Habe ich nicht den Eindruck, wenn er sein Buch "Just for
Fun" nennt. Na, vielleicht komme ich ja dazu es zu lesen ;-) .

Wie das aussieht und wie die Verwertung darauf reagiert
kann man heute noch nicht absehen. Was jedoch dadurch klar ist, dass
hier die Hebel ansetzen müssten für eigenes Handeln.

Das entspricht im übrigen auch meiner Lesart und Anwendung von
Negri/Hardts Empire auf unsere Problematik. Aber ich bin auch erst auf
Seite 220, das ist also auch noch völlig offen aber wenn ich durch
bin, schreib ich dazu sicher noch mehr.

Dazu haben wir übrigens mittlerweile jemensch auf der englischen
Liste, der das auch in seinem Text hat.

Stefan Mn.s Bericht vom RedHat-Stand auf dem LinuxTag (siehe
andernmails) stützt diese These im übrigen von der anderen Seite her.
Ich bin bisher davon ausgegangen, dass das Hauptgeschäft der
Distributoren immer noch der simple Verkauf von CDs ist. Wenn das
nicht mehr so ist, dann verschwindet auch der Unterschied zwischen
Debian und RedHat immer mehr. Der würde dann nur noch darin bestehen,
das RedHat ein Prozess ist, der von einer Firma angeleitet wird,

Ist es das? Ich nehme an, du meinst das im Sinne von Nike, McDonalds
und so. Das würde bedeuten, daß RedHat die Entwicklung Freier Software
maßgeblich anleitet. Na, an mich sind sie jedenfalls noch nicht
herangetreten ;-) . Und auch Alan Cox hat sich auf irgendeinem
LinuxTag sehr klar gegen diese Sichtweise ausgesprochen.

wärend Debian einem Zusammenschluss von mehreren Firmen und Individuen
entsprechen würde. Verwertung findet in beiden Prozessen tendenziell
auf ganz ähnliche Weise statt.

Das hat StefanMz schon kommentiert.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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