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Re: [ox] TELEPOLIS: Tod einer Kritik



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Dieser Artikel birgt eine interessante Überlegung, die im Kommentar
http://www.heise.de/tp/foren/go.shtml?read=1&msg_id=1938707&forum_id=308
68 ausgedrückt wird:
"Lustigerweise kann ich aus jeder Information jede andere Information
gewinnen, wenn ich sie nur entsprechend dekodiere! Wenn man sich die
Sache weiterdenkt, werden jegliche Copyright-Überlegungen ad absurdum
geführt."

Das glaube ich kaum.
Das durch Kodierung abgeleitete Werk ist bereits eine klare
Urheberrechtsverletzung.
So neu ist das Kodieren nun auch wieder nicht, und das Urheberrecht ist
viel zu flexibel, um leicht ad absurdum gefuehrt zu werden.

Den Umgang mit M. Walser finde ich ziemlich schäbig, egal was er nun
geschrieben hat.  Das fing schon bei der FAZ an.  Man kritisiert nicht
vorab ein Buch, das noch keiner lesen konnte.  Das erinnert mich an die
chinesische Kritik an dem Astrophysiker Fang Lizhi, dessen Werke man in
China auch nicht bekommen konnte.  Offenbar will Schirrmacher beim
Wettlauf um politische Korrektheit auch noch schnell ein Skalp ergattern.
Denunziation nennt man so etwas.  Wenn er nur von Walsers Text angewidert
war, hätte er ja schweigen können.

"Tod einer Kritik" ist kein schlechter Titel.  Nur schade, dass der
Telepolis-Autor sich da mit anzuschließen scheint.

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 Tod einer Kritik

 Michael Thomas   27.06.2002

 Walsers umstrittenes Buch als Perl-Script im Internet

 Es gab ein langes Hin und Her zu Martin Walsers neuen Roman "Tod eines
Kritikers": Zunächst hatte im Mai die Frankfurter Allgemeine Zeitung es
abgelehnt, eine Vorabversion des Manuskripts abzudrucken, da die
Hauptfigur des Romans eine allzudeutliche Ähnlichkeit mit dem
bekannten, jüdischen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki aufwies,
vor allem aber, weil der Roman ein "Repertoir antisemitischer
Klischees" enthielt.

 Eine wilde Debatte entspann sich nun in den Feuilletons der deutschen
wie internationalen Medien, die daraufhin mit einer Kopie des
Manuskripts vom Suhrkamp Verlag belieferte wurden. Dies geschah zum
Teil über den Versand eines, wie sich zeigen sollte, verhängnisvollen
PDF-Dokuments, was zur Folge hatte, dass nicht lizenzierte Kopien im
Internet auftauchten.

 Während sich der [1]Suhrkamp Verlag dann schließlich trotz
"kontroverser Diskussionen und Bedenken, die im Haus bestehen", dazu
entschloss, den Roman "Tod eines Kritikers" am 26. Juni 2002 vorzeitig
zu veröffentlichen, war jedoch auch [2]textz.com auf das
Walsermanuskript aufmerksam geworden. Als Pool für elektronisch
publizierte, kritische Textproduktionen schien man hier jedoch nicht
besonders von Walsers Werk angetan zu sein und beförderte auf der
Website eine Datei mit dem Titel "walser.pdf" kurzerhand in den
virtuellen Trashordner. Eine literaturkritische Randnotiz, die Folgen
haben sollte. Denn kurze Zeit später erhielt textz.com von Anwälten des
Suhrkamps wegen angeblichen Urheberrechtsverstößen eine [3]Abmahnung.

 Pikanterweise verbirgt unter der verdächtigen Dateibenennung
[4]walser.pdf nicht etwa das berüchtigte Walsermanuskript, sondern
Bruce Sterlings Veröffentlichung "The Hacker Crackdown - Law and
Disorder on the Electronic Frontier", ein von dem amerikanischen Autor
als sogenannte "Literary Freeware" freigegebenes und autorisiertes
E-Book, das sich mit den urheberrechtlichen Streitigkeiten und
Grauzonen des elektronischen Publizierens auseinandersetzt. Die
Betreiber von textz.com verstießen somit also keineswegs gegen die
Veröffentlichungsrechte des Suhrkamp Verlags, dessen Rechtsabteilung
schließlich nach einer kurzen Mailkorrespondenz auch nichts weiter von
sich verhören ließ.

    $z .=
"64000a20212728292c2d2e2f303132333435363738393a3b3f4142434445464748494a4
b4c4d4e4f";
 $z .=
"505152535455565758595a6162636465666768696a6b6c6d6e6f7071727374757677787
97a849293";
 $z .=
"9697a9b4c4d6dcdfe0e1e4e7e8e9edf1f3f4f6fbfc0c022635474a40460a373c4850435
1103b5147";

 Am 24. Juni führte textz.com nun diesen Literaturstreich noch einen
Schritt weiter: Statt Walsers Manuskript, an dessen Verbreitung
unabhängig von der eigentlichen Verlagspublikation nach wie vor mit
Sicherheit ein großes öffentliches Interesse vorhanden ist, direkt als
Textdatei zum Download anzubieten oder einen weiteren Link auf eine
entsprechende Kopie zu setzen, hat textz.com den 10.000 Zeilen
umfassenden Quellcode eines Perl-Scripts [5]veröffentlicht, das über
einen entsprechenden Perl-Interpreter eine ASCII-Textversion zu Walsers
"Tod eines Kritikers" generieren kann.

 Ausdrücklich weist textz.com auf seiner Website daraufhin, dass dieses
Skript nicht ohne die ausdrückliche, schriftliche Genehmigung des
Suhrkamp Verlags in Frankfurt ausgeführt werden darf. Auch gehöre das
"Reverse-Engineering der Schriften eines senilen deutschen
Revisionisten nicht gerade zum Kerngeschäft von textz.com". Als freie
Software unter der GNU General Public License der Free Software
Foundation jedoch darf der Sourcecode frei verteilt und modifiziert
werden.

 Links

 [1] http://www.suhrkamp.de
 [2] http://textz.com
 [3] http://textz.com/trash/walser.txt
 [4] http://textz.com/trash/walser.pdf
 [5] http://textz.com/trash/walser.pl.txt

 Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/on/12807/1.html

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