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[ox] Re: Tod einer Kritik



Was wäre aber, wenn Bytes und Dekodierprogramm getrennt entstanden
wären? Die Bytes sind im Zweifelsfall bloß Rauschen, die, und da muss
ich Stefan Mz. zustimmen, alles und nichts bedeuten können. Was sie
genau bedeuten, ob lauter Nullen oder eben den Walser-Text, hängt
nicht von ihnen ab sondern von einem Dekodierprogramm, mit dem sie
verarbeitet werden. Es sind viele solche Dekodierprogramme möglich,
die ganz unterschiedliche Alogrithem implementieren und die daher aus
den Bytes auch ganz unterschiedliche Ausgaben erzeugen.

Ein solches mögliches Dekodierprogramm ist dasjenige, das die Bytes in
den Walser-Text umwandelt. Was wäre, wenn dieses nun nicht zusammen
mit den Bytes vertrieben würde und ein Zusammenhang zwischen Bytes,
Dekodierprogramm und Walser-Text auch gar nicht bekannt wäre? Dem
Erzeuger der Bytes könnte dann ja wohl kaum ein Vorwurf gemacht
werden, denn diese sind im Zweifelsfall bloß Rauschen. Aber auch den
Programmierern des Dekodierprogramms kann man wohl nicht sinnvoll
vorwerfen, dass ihr Programm, das zu einem beliebigen Zweck, der mit
dem Walser-Text überhaupt nichts zu tun haben muss, entwickelt wurde,
eben diese Bytes in eben diesen Text überführt.

Was soll das für ein Zweck sein?

Wie kann man ein Dekodierprogramm mit einem allgemeingültigen Zweck
entwickeln und die Erreichung dieses Zweckes auch noch der Einschränkung
verdanken, dass es aus einem zufällig erzeugten Bitstrom eine bestimmte
individuelle Schöpfung (Walser-Text) erzeugen kann?

Mit dem Postulat eines zufälligen Entstehens genau des gleichen Werkes
hätte man schon immer das Urheberrecht "ad absurdum führen" können, aber
dagegen gab es auch schon immer praktische Mittel.  Es wurde einfach dann
die Beweislast umgekehrt.  Wer aus Trillionen möglicher gleichermaßen
zielführender oder sinnloser Dekoder zufällig gerade diesen ausgewählt
hat, ist dann eben dem Kläger eine Erklärung schuldig.

Sicherlich kann man versuchen, die Existenz individueller Schöpfungen zu
verneinen und behaupten, ebenjene seien, genauso wie patentierbare
Erfindungen, "nicht die Früchte auf dem Baum des Individuums sondern die
Früchte auf dem Baum der Zivilisation" (so ein Ökonom in der Patentdebatte
im 19. Jahrhundert).  Das passt sicher ganz gut zu manchen
Ökonux-Diskussionen über die Auflösung des bürgerlichen Begriffs vom
Individuum o.ä., aber wahrscheinlich wird man nach einigen Kreisdrehungen
doch zu der Unterscheidung zwischen dem "Baum des Individuums" und dem
"Baum der Zivilisation" zurückkehren, egal wie man das jetzt nennt.  Und
mit den neuen Realitäten der Digitalisierung hat diese Debatte soweit ich
erkennen kann nichts zu tun.

-- 
Hartmut Pilch, FFII e.V. und Eurolinux-Allianz            +49-89-12789608
Innovation vs Patentinflation                       http://swpat.ffii.org/
120000 Stimmen 400 Firmen gegen Logikpatente    http://www.noepatents.org/



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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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