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Re: [ox] Aus der systematischen Soziologie: Das Herrschaftsphaenomen



Hi!

On Sun, May 26, 2002 at 09:25:56PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Wichtig wäre mir nochmal worum es mir ging. Ausgegangen waren wir ja
von der Frage einer Definition des Begriffs "Macht". Was mir bei
Siebel (bzw. der Soziologie? Ich bin da echt totaler Laie :-( )
gefallen hat, war die Einbettung des Begriffs in einen größeren Rahmen -
was m.E. auch Sinn macht, da Begriffe ja nicht im luftleeren Raum
schweben, sondern Bezüge zu anderen Begriffen haben.

Die Einbettung gibt es ja bei Christophs Machtbegriff auch. Daran
liegts ja nun nicht, dass wir da einen Dissens haben.

Allerdings - und das scheint mir kein Zufall - begreift Siebel die
ganze Frage im größeren Kontext "Herrschaft". Womit wir bei diesem
Begriff wären, der mir noch ungleich schwieriger erscheint als
"Macht" - ganz entgegen dem, was Benni andernthreads meint...

Ich meinte dort nur, dass wir bisher zu "Herrschaft" keinen
offensichtlichen Dissens hatten, zu "Macht" aber schon und nicht, dass
die Frage einfacher wäre. Aber ich sehe schon, dass das nicht so
bleiben wird ;-)

Herrschaft ist natuerlich, wir koennen nicht ihre Abschaffung diskutieren, 
sondern nur noch, wie wir legitime Herrschaft hinbekommen,

Hier haben wir es dummerweise halt schon wieder mit einer
Definitionsfrage zu tun - die Siebel hier auch nicht endgültig klärt:
Was ist "Herrschaft"?

Wenn wir hergehen und die Aspekte der Herrschaft, die Siebel aufzählt,
als maßgebliche Konstituenten von Herrschaft begreifen, dann könnten
wir uns immerhin ein soziales System anschauen, zu klären versuchen,
ob und ggf. wie die Aspekte vorkommen und dann ggf. entscheiden, ob
wir es mit Herrschaft zu tun haben - eben im Rahmen dieser Definition.
Das wäre z.B. mal eine Fingerübung, das für die Freie Software
durchzuziehen.

Schon, nur hab ich keinen Bock drauf dass ausgerechnet mit so einem
kruden liberalen Zeugs zu machen. Im Alienbuch (Spehr) gibt es auch
eine klare Definition von Herrschaft, die man anwenden könnte. Fände
ich deutlich spannender bzw. ist das genau das, was ich die ganze Zeit
versuche zu tun und worüber wir in Dissens geraten sind.

Damit zusammen hängt auch die - vielleicht entscheidende - Frage nach
der Begründung der Herrschaft. 

Meinst Du Begründung im Sinne von Legitimation? Also ich bin da glaub
ich wirklich Fundamentalist. Das kanns nicht geben.

Wie gesagt folgt da noch einiges in dem
Buch, was ich gerne auch noch präsentieren möchte. Diese - m.E.
angenehm differenzierte - Sichtweise finde ich nämlich wichtig um
etwas von der Welt zu verstehen. Ein plattes "Herrschaft ist böse und
gehört abgeschafft" scheint mir mittlerweile auch nicht mehr als die
einzige (emanzipatorische) Denkalternative. Aber wie gesagt: Das hängt
stark mit der Definition des Begriffs "Herrschaft" zusammen.

Ich hab grad in Open-Theory geschrieben (leicht verändert):

   " Warum soll Zwang(Herrschaft) beseitigt werden?

     Tja, ich glaube nicht, dass man das wirklich begründen kann. Ich
     würde halt nur sagen, dass ich weiss, dass für mich die
     Beseitigung von herrschaftsförmigen Zwängen zentral ist und das
     ich mir deshalb Leute suche, für die das auch gilt. Alles was
     Theorie leisten kann, ist zu zeigen, wo Herrschaft wirkt und wie
     man sie beseitigen kann und insbesondere was man beachten muss,
     damit bei der Beseitigung von Zwängen nicht neue Herrschaft
     entsteht. Ob man das will bleibt den Individuen überlassen. Alles
     andere wäre ja selbst schon wieder ein Zwang ;-) "

Ist das ein plattes "Herrschaft ist böse und gehört abgeschafft" in
Deinen Augen? Zum Unterschied von Zwang und Herrschaft steht da auch
noch was, aber das ist jetzt vielleicht grad nicht so wichtig,
deswegen hab ich den Text entsprechend angepasst. Originallink:
http://www.opentheory.org/befreiung/text.phtml?xid=375770354&lang=de

Damit kommen wir zur Frage der Legitimitaet von Herrschaft. Wie gesagt, es 
ist nicht das ob, sondern die Ausgestaltung der Herrschaft, die diskutiert 
werden soll.

S.o.

Finde ich aber auch einen wichtigen Punkt. Es ist ja ziemlich doof,
abstrakt gegen Herrschaft zu sein. Es müßte m.E. unter
emanzipatorischen Gesichtspunkten vielmehr darum gehen das Leiden
aller Menschen zu minimieren, und darunter kann natürlich auch Leiden
unter Herrschaft gehören.

Aber vielleicht gibt es ja auch Herrschaftsformen, die leidensfrei
sind? Diese Denkmöglichkeit scheint mir momentan die attraktivste.
Allerdings ist die natürlich inkompatibel mit "Herrschaft ist
Scheiße".

Hm, "Leiden minimieren" ist sehr moralisch. Fast schon
utilitaristisch.

Nicht, dass ich was dagegen hätte, dass Leiden minimiert werden
sollte, nur leiden Menschen halt nunmal unter wirklich extrem
unterschiedlichen Sachen (bis dahin, dass es Menschen gibt, die
darunter leiden, nicht zu leiden) und deswegen ist der einzige Weg,
sie selbst ihre Angelegenheiten regeln zu lassen. Ich kann mir ja
nicht anmassen für andere Leute Leiden zu minimieren, das wäre dann so
eine Art patriarchal-pädagogische-guter-König-Herrschaft, die dabei
rauskommt.

Auch hier wäre wieder eine Begründung von Herrschaft wichtig. Wenn
Herrschaft auf freiwilliger Grundlage - also echt freiwillig und nicht
strukturell erzwungen - eingegangen wird, dann wäre das ja nur noch so
etwas wie eine Arbeitsteilung. Die ständige Möglichkeit der
Aufkündigung des Herrschaftsverhältnisses durch alle Beteiligten
gehörte dabei natürlich als äußere Bedingung zur Freiwilligkeit dazu.
Macht das Sinn?

Nein. Ich kann mir wirklich keine Definition vorstellen nach der es so
etwas wie "freiwillige Herrschaft" geben kann. Siebel versucht sowas
mit seinem Herrschaftsdeal, aber das ist simpler Betrug.

Ich bin ehrlich gesagt ein kleines bisschen iritiert, dass Du gegen
Macht so Sturm läufst aber Herrschaft halb so schlimm findest. IMHO
ist Herrschaft immer mit Macht verbunden, umgekehrt gilt das aber
keineswegs. Klar, das sind wieder Definitionsfragen, aber auch hier
gilt, ich kann mir keinen Begriff von Herrschaft vorstellen, der ohne
Macht auskäme.

Aber ich habe das Gefühl, daß hier etwas auf der falschen Ebene
verhandelt wird. Es gibt nämlich m.E. keine objektive Definition von
Potentia bzw. Potestas (ich verwende mal die originalen lateinischen
Worte). Jede kreative Macht kann m.E. auch in instrumentelle Macht
gewandelt werden. 

Natürlich. Nur ist es eben genau immer wieder Aufgabe das zu
verhindern. Siehe das Kapitel über die Alienisierung der Krabbelgruppe
im Alienbuch.

D.h. einer bestimmten "Fähigkeit, etwas gegen
Widerstände durchzusetzen" - die BTW m.E. sowohl Potentia als auch
Potestas umfaßt - ist nicht anzusehen, ob sie kreativ oder
instrumentell eingesetzt wird. Dies entscheidet sich erst durch deren
gesellschaftliche Einbettung.

Ja. Und? Btw. setzt auch Dein beliebtes Konsensverfahren etwas gegen
Widerstände durch. Nur eben nicht gegen starke Widerstände.

Daraus erklärt sich auch die eigentümliche Widersprüchlichkeit, daß
Gewaltanwendung von Freiheitskämpfern i.d.R. quer durch alle
ideologischen Gruppen anders gewertet wird als von deren Gegnern -

Das weswegen "Freiheitskämpfer" oft gerechtfertigt werden ist, dass
ihnen ein Selbstverteidigungsrecht zugestanden wird.

obwohl das Leiden in beiden Fällen ja durchaus tendenziell identisch
ist. In beiden Fällen wird die Potentia zur Gewaltanwendung zur
Potestas, die etwas Drittes durchzusetzen versucht. Irgendwie lugt
hier auch wieder die Entfremdung um die Ecke - nur wie?

Ich kann dir hier nicht folgen.

Damit ist Siebels Ausgangspunkt, es gebe keine Gesellschaft (= u.a. auch 
kollektives Handeln) ohne Herrschaft, widersprochen. Waehrend Siebel z.B. 
in der Tat davon ausgehen muesste, dass Widerstand gegen Eliten immer darin 
enden muss, dass neue Eliten geschaffen werden (weil Eliten gibts ja 
immer), ist Holloway dafuer, Eliten im Prinzip abzuschaffen.

Ja. Und es wäre in der Tat die Frage, ob komplexe, u.a. arbeitsteilige
Sozialsysteme ohne Elitenbildung überhaupt denkbar sind. Ich versuche
mir immer vorzustellen, was eine elitenfreie Gesellschaft wäre. Vor
allem unter dem Gesichtspunkt der Leistungselite - die ich als
Fähigkeitselite bezeichnen würde - kann ich mir darunter nur eine
Gesellschaft vorstellen, in der alle mehr oder weniger die gleichen
Fähigkeiten haben. Das wäre aber grauselig und nicht zuletzt
stinklangweilig, wenn alle das Gleiche könnten wie ich :-( ...

Natürlich ist das grauselig. "Elite" meint immer etwas mehr als nur
Leute, die irgendwas besonders gut können. Es meint immer auch, dass
damit Privilegien einhergehen.

Grüße, Benni

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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