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Re: High-Tech-Subsistenz (war: Re: [ox] Was hat Linux eigentlich im Bundestag zu



Thomas Berker schreibt:

High-Tech-Subsistenz finde ich spannend genug. Keineswegs als 
Verniedlichung von Subsistenz als Idyll. Es ist ja gerade ihr 
Lo-Tech-Anteil, der Subsistenzphantasien (ein Bauernhof, Schweine, 
Apfelbaeume, oekologisch-dynamische rotbackige Kindlein mit blonden 
Loecklein) naiv macht.

Und vor allem ist dieses Ideal verlogen, denn "Lo-Tech" kann genauso
wissensintensiv sein wie High-Tech. Alleine das Wissen über Apfelzucht,
Apfelsorten, die Pflege rund ums Jahr ist gigantisch. Dieses Wissen
kann unmöglich jeder für sich erwerben und bewahren.

Aus gegebenem Anlaß hänge ich unten einen Aufsatz von mir an,
den ich im Jahr 1994 für eine Landschaftsökologenzeitschrift geschrieben
habe.

Kurzzusammenfassung: Subsistenz ohne ein sehr "arbeitsteiliges"
Absicherungssystem ist 
eigentlich denkunmöglich und hat nie existiert.

Insoferne ist es aber auch erlaubt, den Subsistenzbegriff positiv zu
besetzen 
und ihn in einen Zielkatalog gesellschaftlicher Transformation aufzunehmen.

Nur, leider: die sogenannte "Subsistenzbewegung" verhindert gerade dies,
indem sie tatsächlich allzuoft auf das Idyll zurückgreift und kooperative
Formen des technischen Fortschrittes nicht thematisiert.

Weswegen ihr zu Recht nur marginaler Erfolg zuteil wird.

Franz

PS: übrigens auch ein Beitrag zur Tofflerdebatte!


Beitrag für die Zeitschrift ZOLLtexte der
österr.Landschaftsökologen/-planer (1994)
Telematischer Raum und globale Subsistenz
Plädoyer für ein anderes "global village"

Kurzzusammenfassung:
Telekommunikation ist nicht nur eine Schlüsseltechnologie im Rahmen der
globalen Warenproduktion. Sie könnte auch eine Schlüsselfunktion bei der
Entstehung tragfähiger Lebensräume jenseits der Weltmarktkonkurrenz und
ihrer erodierenden Krise spielen. "Subsistenz" in diesem Sinne wäre nicht
der defensive und dubiose Weg in eine idealisierte Vergangenheit, sondern
der konsequente und durchaus anspruchsvolle nächste Schritt aus der zu
Ende gehenden Arbeitsgesellschaft in eine dezentral vernetzte Welt
sinnlicher Vernunft.

von Franz Nahrada

Ein Zitat

"Das >lokale< Verständnis kann sich selbst nicht mit ausreichender Tiefe
in seiner strikt lokalen Existenz ohne >globale< Begriffe und Dimensionen
wahrnehmen. Die lokale Entscheidung, ein bestimmtes Getreide mit einer
bestimmten Technologie auf einem bestimmten Stück Land anzubauen, ist
kurzsichtig, solange es nicht gewise Kenntnisse über den nationalen und
den Weltmarkt für Nahrungsmittel gibt, über die moderne, eigentliche Natur
des Landbesitzes, über den Klassenkonflikt, in dem Produktionstätigkeiten
eingelagert sind, über die ökologischen Implikationen der Landwirtschaft,
über die möglichen technischen Optionen...Einer >globalen< Auffassung
hingegen, die nicht in lokalen Begriffen ausgedrückt werden kann - und das
in allen möglichen lokalen Kulturen -, fehlt ein hinlänglicher
Realitätsbezug: Sie ist nichts als reine Spekulation, Ideologie" (Gustavo
Esteva,1,p.29)

noch ein Zitat:

"Was sich fast völlig unbemerkt und unbegriffen abgespielt hat, ist nicht
einfach eine Veränderung in den Mustern des Marktzugangs. Vielmehr handelt
es sich um eine wesentlich fundamentalere Entwicklung: die Beendigung des
gesamten historischen Prozesses der Herausbildung von Märkten. Dieser
Wendepunkt ist so revolutionär in seinen Implikationen, dennoch so
unscheinbar, daß "kapitalistische" wie "marxistische" Theoretiker,
verloren in ihren Polemiken aus dem Zeitalter der industriellen
Modernisierung, die Zeichen dieser Entwicklung kaum bemerkt haben." (Alvin
Toffler,3,p.283)

Der Begriff des "globalen Dorfs" hat einen seltsamen Beigeschmack
bekommen. Einst von Marshall McLuhan durchaus nicht im Sinn einer
positiven Utopie, sondern als Beschreibung einer eigentümlich neuen - in
McLuhans Verständnis durchaus schmerzhaften - Qualität der Medien
konzipiert, ist eben diese neue Qualität der Omnipräsenz der Medien zum
sinnlich erfahrbaren Ausdruck der Tatsache geworden, daß der Weltmarkt
unmittelbarer Funktionsraum von Wirtschaftssubjekten geworden ist, die
immer direkter und ohne das Dazwischentreten nationaler Schranken der
weltweiten Konkurrenz und ihrem Produktivitätsvergleich ausgesetzt sind. 

Das durchaus unschuldige Etikett vom "globalen Dorf" ist so einerseits zum
Synonym für die Weltmarktverflechtung geworden,steht aber andererseits
auch für alle Hoffnungen und Verheißungen, daß die Entwicklung des
Weltmarktes auch regionale Entwicklung und wirtschaftliche Prosperität
garantiere.
Tatsächlich ist das blanke Gegenteil eingetreten: staatliche
Modernisierungs-  und Entwicklungshoffnungen müssen reihenweise
durchgestrichen werden, die einst fein säuberliche Sortierung von Erster,
Zweiter und Dritter Welt verschwindet zugunsten einer Art von Archipel der
Gewinnerregionen inmitten eines Meers von Verlierern. Die globale
Krisenrealität, wie sie Norbert Trenkle in seinem Beitrag in dieser Nummer
der Zolltexte beschreibt, ist eine der Ausgrenzung und Enthomogenisierung.
Der Preis der Aufrechterhaltung von Konkurrenzfähigkeit im Weltsystem ist
die Externalisierung der Krisenlasten, die Alvin Toffler die "Revolte der
Reichen" genannt hat. Durchgängige Binneninfrastrukturen im
nationalstaatlichen Rahmen sind nicht mehr lohnend, verursachen tote
Kosten. Was unnötig ist, wird abgestoßen, ausgegrenzt.

Das betriebswirtschaftliche Rentabilitätskalkül, das zunehmend alle
politischen Organisationsformen überwuchert, zerstört gegen alle
sinn-liche Vernunft den (Lebens-) Raum gleich zweifach: einerseits durch
Zentralisation und Konzentration, andererseits durch den permanenten
globalen Produktivitätsvergleich - wobei das nur zwei Seiten der einen
Medaille sind.. Statt homogener Lebensverhältnisse entstehen ständig
wachsende "konkurrenzfähige" Metropolen, die sich die ganze Welt zum
Hinterland einzelner mehr oder weniger lohnender Geschäftsfälle machen,
ohne sich um den Rest zu kümmern. Dabei tritt das durchaus paradoxe
Phänomen auf, daß ganze Industriestandorte sich auflösen, während anderswo
Zulieferindustrien gezwungen sind,  sich wegen "lean production" und
"just-in-time"-Fertigung in Megazentren  zusammenzuballen, drittens aber
periphere Regionen sich in die Situation permanenten Notverkaufs begeben
müssen. Alle herkömmlichen Vorstellungen räumlicher Entwicklung erscheinen
aufgelöst in einen  "Space of Flows", in dem kleinräumige Segmente
globaler Produktion ohne Rücksicht auf lokale Reproduktionszusammenhänge
zusammengewürfelt werden.

Der telematische Raum

Telekommunikationstechnologie hat sich so rasant entwickelt, weil und
insoferne sie zusammen mit Transporttechnologien das wichtigste Mittel
dieses globalen Zugriffs betriebswirtschaftlicher Verwertungslogik auf
Ressourcen wie Rohstoffe und Arbeitskraft bilden (Einmal abgesehen davon,
daß der Krieg, der die geordneten Verhältnisse herstellt, auch in
technologischer Hinsicht der Vater aller Dinge ist).  Sie hat
wirtschaftliche Zentralräume gestärkt und die Hoffnung auf einen Ausgleich
wirtschaftlicher und sozialer Gefälle zunächst bitter enttäuscht:

"Im globalen Dorf des Marshall McLuhan wird die Peri-pherie nach
derzeitigem Stand der Dinge bestenfalls eine untergeord-nete Rolle spielen
und das Dorf in erster Linie nur als Metapher für die telematische
Verbindung öko-nomischer (städtischer) Zentralräume vorkommen. Diese
verfügen nicht nur über große Unternehmen mit Struk-turen, die neue
Kommunikationstechnik effizient ein-set-zen können, sondern auch über
Produktionska-pazitäten, die für die Nutzung telematisch erschlossener
Markt-po-tentiale erforderlich sind. Mögliche Konsequenz: Große Be-triebe
in Ballungsräumen erhöhen ihre Markt-an-teile auf Kosten von Klein-und
Mittelbetrieben ländlicher Regionen." 

Nicht zu übersehen ist freilich, daß mit dieser Entwicklung eine
Enträumlichung in den Metropolen selbst verbunden ist: Unternehmen trennen
sich in funktionelle Segmente, die durch Datenkommunikation verknüpft
sind. Front Offices zur innerstädtischen Repräsentation und zum
Kundenkontakt, Back Offices in die billigere Suburbia mit hohem
Arbeitskräftepotential, Produktion aufs flache Land, versorgt mit
burgenländischen Pendlerbussen - wenn nicht überhaupt Auslagerung in
Billiglohngebiete. Die Segmentierung der betrieblichen Produktion ist die
größte stoffliche Umwälzung seit dem Fabriksystem, und sie wäre undenkbar
ohne die Aufblähung des Straßenverkehrs zuungunsten der Schiene - und ohne
Telekommunikation als Vermittler zwischen den Einzelsegmenten.

Der Kollaps der Modernisierung
Die globale Marktwirtschaft stellt so auf der einen Seite einen
universellen Reproduktionszusammenhang her und zerstört alle lokalen,
beschränkten Austauschverhältnisse durch den Hebel der Konkurrenz. Auf der
anderen Seite schließt sie einen dramatisch zunehmenden Teil der
Menschheit von ihren Lebensmitteln aus, da deren Gebrauch an den Erwerb
von Geld gebunden ist. "Der absurde Systemwiderspruch, daß mit immer
weniger >Arbeit< immer mehr Güter hergestellt werden, gleichzeitig aber
die Aneignung dieser Güter an Kaufkraft (Geld) und somit an die >rentable<
Verausgabungsfähigkeit von >Arbeit< gebunden ist, tritt in sein
historisches Reifestadium ein"  Dieser Prozeß erzeugt "Geldsubjekte ohne
Geld" (Robert Kurz), die in den Metropolen als ständig steigende
"Sockelarbeitslosigkeit", in den Peripherien als "demographische
Zeitbombe" und Statisten einer sekundären Barbarei in Erscheinung treten,
und damit zum Ausdruck bringen, daß die Marktwirtschaft als globale
Reproduktionsform schon längst wieder ausgedient hat.

Subsistenz
Aus diesen Bedingungen einer globalen Krise ist zu erklären, daß
Subsistenz wieder zu einer diskutablen Alternative werden konnte. Die
Propagandisten der Subsistenz von feministischer (z.B. Claudia v. Werlhof,
Maria Mies) oder entwicklungskritischer (z.B. Gustavo Esteva) Seite sind
zu demselben radikalen Schluß bezüglich der Marktwirtschaft gelangt.
Allerdings hat das von ihnen propagierte Gegenbild einer Rückkehr zu
autarker Eigenarbeit einige Schönheitsfehler:

- Zum einen lebt die Subistenzvorstellung vom beständigen Vergleich mit
Zuständen, als die produktiven Ressourcen der Gesellschaft noch nicht
universell der Warenform unterworfen waren. Heute kommt es in den
Metropolen der Dritten Welt durchaus vor, daß Marginalisierte wieder auf
das Land gehen, das sie einst gezwungenermaßen oder freiwillig verlassen
hatten. Allein, sie stehen vor der Situation, daß dieses Land ihnen nicht
mehr gehört, Privatbesitz ist, sie vertrieben werden. Ihr Versuch der
Subsistenz endet so hoffnungslos wie die Revolte der Campesinos von
Chiappas. Alles produktive und ertragreiche Land ist dem Zweck zugeführt,
wenigstens ein Zipfelchen monetären Ertrags vom Weltmarkt einzufahren, und
wenn es durch die schiere Masse der Produktion ist. Auch negativ läßt sich
dieser Zusammenhang ausdrücken: Das Grundwasser, die Atmosphäre, die Erde
selbst werden vom Externalisierungszwang der Gewinnerinseln derartig in
Mitleidenschaft gezogen, daß die peripheren Regionen zunehmend den Status
von Mülldeponien erhalten, damit die Natur in den Zentren relativ
gebrauchsfähig bleibt. Auch dies kein besonders guter Boden für
Subsistenz. Damit nicht genug: in ihrem Bestreben, sämtliche stofflichen
Prozesse für die immer prekärer werdende Erschließung neuer Märkte zu
mobilisieren, ist die Marktwirtschaft mitlerweile verrückt genug geworden,
lebendige Prozesse und genetische Muster zu patentiern, das heißt aber
tendenziell den nicht zahlungsfähigen Gebrauch der Natur einfach zu
verbieten.

- Zum anderen haben selbst die sogenannten "primitiven"
Subsistenzgesellschaften nur existieren können, weil sie keineswegs nur
lokal definiert, sondern in ein weitläufiges Netz von bestandssichernden
Austausch- und Schutzbeziehungen eingebunden waren. Jahrtausendealte
Handelsstraßen künden von den Bedürfnissen lokaler
Subsistenzgemeinschaften nach bestimmten Produkten fremder Herkunft und
Klimate, die freilich eng umschrieben sind. Gleichzeitig waren diese
Subsistenzgemeinschaften überlagert von "schützenden" sozialen
Metastrukturen antiker oder feudaler Art. Am Rand der  globalen
Marktwirtschaft entstehen hingegen treibhausmäßig Populationen, für die
nicht die Subsistenz, sondern die Plünderung ultima ratio der Existenz
ist. Am "Fall Ruanda" oder am "Fall Jugoslawien" läßt sich diese Logik der
sekundären Barbarei ebenso studieren wie an den Street Gangs in den
deregulierten Metropolen. Der Kampf aller gegen alle, der Fundamentalismus
und Tribalismus, in die sich die ihrer Existenzbasis beraubten
Geldsubjekte - oft genug aus den zusammenbrechenden
"Entwicklungs"-Staatsapparaten - flüchten, setzt die Ausschließungs- und
Externalisierungsorgie nach unten fort, anstatt die Perspektive eines
Subsistenznetzwerks zu erlauben.

Drittens aber, und das ist vielleicht das wesentlichste Argument, ist die
herkömmliche Subsistenzvorstellung tatsächlich ein Programm der Mühsal und
Plackerei, in dem sich der Umkreis der Bedürfnisse auf das
Allernotwendigste reduziert - und keineswegs die zwanglos-festliche
Angelegenheit, als die sie von ihren VertreterInnen hingestellt wird. Die
Marktwirtschaft hat in der überwiegenden Anzahl der Fälle gar keine Gewalt
anwenden müssen, um die Menschen von der Scholle und ihren
landwirtschaftlichen Existenzgrundlagen zu vertreiben. Die freie Luft der
Stadt hat im Vergleich der Lebensbedingungen und der Lebensqualität
durchaus von selbst besser abgeschnitten. Eine direkte Rückkehr zur
Subsistenzwirtschaft zu propagieren, negiert diese über viele Generationen
gewachsene Entwicklung der menschlichen Individualität und Bedürfnisse.

Das globale Dorf

Dies also ist das Dilemma: auf der einen Seite die zunehmende
Unmöglichkeit der Aufrechterhaltung oder gar Ausdehnung des
marktwirtschaftlichen Status quo  - auf der anderen Seite die ebenso
unmögliche wie unattraktive Perspektive eines Zurücks in die Subsistenz
der Dorfgemeinschaft und der blutsverwandschaftlichen Reproduktion .
 
Wenn zwei Wege nicht gangbar sind, gibt es vielleicht einen dritten, und
dieser soll im folgenden skizziert werden; und hier wird auch die Relevanz
für Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur sichtbar, die bei den
bisherigen globalen Ausführungen nicht explizit gemacht wurde.

Um diesem dritten Weg ein Etikett zu verpassen, definieren wir einfach
McLuhans "Globales Dorf" um - und beschreiben es als einen Ort, der den
Zugang zur globalen Informationsvernetzung als neue und wichtigste
Rahmenbedingung lokaler Entwicklung benutzt. Dieses Konzept des "Globally
Integrated Village Environments" (GIVE) oder der "TeleEcoCommunity" oder
der "Connected Community" unterscheidet sich von den gängigen
Entwicklungsmodellen für den ländlichen Raum dadurch, daß "Land" und
"Stadt" nicht als getrennte Einheiten gesehen werden, sondern als Teile
eines Gesamtsystems; in diesem Konzept geht es daher auch nicht um die
"Entwicklung des ländlichen Raumes", ebensowenig wie um die "Bewahrung der
bäuerlichen Identität": diese Konzepte werden vielmehr als Reflexe des
oben beschriebenen Dilemmas zurückgewiesen.

Der Ausgangspunkt des "Globalen Dorfs" besteht in deutlichem Gegensatz zu
diesen Konzepten in der Akzeptanz bzw. im Bewußtwerden der Tatsache, daß
die Globalisierung der Märkte die bisherige Basis unserer Existenz
wegsprengt; verkäufliche Ware oder Arbeitskraft, beides wird aufgrund der
globalen Konkurrenz zunehmend weniger nachgefragt. Das heißt aber gerade
nicht, daß sich nicht lokale Austauschzusammenhänge und Kreisläufe
jenseits der globalen Marktverkettung herausbilden können; so ist
beispielsweise am Trend zum Ab-Hof-Verkauf und Bauernmärkten absehbar, daß
die Vorteile lokaler Kreislaufwirtschaft sowohl den "Produzenten" als auch
den "Konsumenten" einleuchten. Doch ist diese lokale Kreislaufwirtschaft
bis jetzt ein eher zufälliges Anhängsel gobaler Verkettung, macht sich
abhängig von importierter Zahlungsfähigkeit, die ebensogut auch ausbleiben
kann.

Das Konzept des Globalen Dorfes besteht nun darin, von dieser Zufälligkeit
zu einer Tragfähigkeit zu gelangen, in der nicht der Import von
Zahlungsfähigkeit, sondern die stoffliche Verkettung und Vernetzung zu
einer wirklichen Kreislaufwirtschaft den Ausschlag geben. Die Grundthese
ist, daß sich durch die modernen Technologien die Ausgangslage für eine
Entwicklung auf der Grundlage lokaler Ressourcen (und damit langfristig
erlöst vom Problem der Zahlungsfähigkeit) nicht verschlechtert, sondern
dramatisch verbessert hat. Der steigende Nutzunggrad von Solarenergie
spricht da ebenso eine deutliche Sprache wie die Glashäuser der
landwirtschaftlichen Labors von New Alchemy, in denen der
Nahrungsmittelbedarf einer Kleinstadt durch intensive Nutzung neuer
Technologien auf kleinerer Grundfläche als je zuvor hergestellt werden
kann. Das Grundproblem besteht darin, wie die marktförmig organisierten
Weltgesellschaft, die diese Technologien hervorzubringen imstande ist, ein
Interesse an der Kooperation mit eigentlich nicht mehr marktförmig
organisierten Räumen entwickeln kann.

Das "Globale Dorf" ist ein Versuch, dieses Grundproblem dadurch zu lösen,
daß das "komplexe, auf Arbeitsteilung beruhende Beziehungsgefüge"
(Wytrzens) zwischen Stadt und Land intensiviert wird, indem lokale,
ökologisch tragfähige Kreislaufwirtschaften urbane Mikrokerne aufnehmen
und mit ihnen eine Symbiose eingehen. Durch Telekommunikation lassen sich
diese urbanen Mikrokerne zu einem "Stadtnetzwerk" verbinden, und nur
innerhalb dieses Stadtnetzwerkes gibt es so etwas wie "globale
Marktwirtschaft", d.h. den monetären Konnex von Produzenten und
Dienstleistern. Städte und städtische Institutionen, Kapitalien etc.
erweitern innerkalb dieser Stadtnetzwerke ihre "Märkte" weit über ihr
bisheriges "Hoheitsgebiet" - und haben so ein höchst vitales Interesse an
diesem Markt. Sie liefern industrielle Basistechnologien, die Grundlage
von lokaler Produktion bilden.

Die Relation zwischen den urbanen Mikrokernen und ihren lokalen
Dorfgemeinschaften sind dagegen nichtmonetär in dem Sinne, daß ganz bewußt
der arbeitsteilige Aufbau eines tragfähigen lokalen Lebensraumes
angestrebt wird. Die urbanen Mikrokerne sind vom Standpunkt des globalen
Dorfes "Devisenverdiener", die durch ihre Integration in die immateriellen
Tätigkeiten im Rahmen der "globalen" Produktion (und das sind prozentuell
immer mehr Tätigkeiten in den Metropolen, derzeit wohl schon mehr als 50%)
nichts anderes tun als die monetäre Grundlage für die
"Subsistenz"-Werkzeuge zu erwirtschaften, die die lokale Reproduktion
verbessern helfen. Wenn es um die Organisation dieser Reproduktion selbst
geht, ist kleine Geldzirkulation ebenso denkbar wie Bartering oder
arbeitsteilige Gemeinschaftsproduktion. 

Die Konkurrenz um die informationellen Services und Basistechnologien für
die "Stadtsatelliten" - sollte sich dieses Konzept durchsetzen - wird in
ihrer Geschwindigkeit alles bisher dagewesene in den Schatten stellen. Der
Markt, den "local sustainability" darstellt, könnte der letzte und
spektakulärste neue "Markt" in der Menschheitsgeschichte sein.
 
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Zitate aus:
1. Gustavo Esteva, "Den menschlichen Lebensraum wiedererlangen - oder: die
Hängematte" in: ds., FIESTA - jenseits von Entwicklung, Hilfe und
Politik,Wien:Südwind,1992
2. Marshall McLuhan,Quentin Fiore,War and Peace in the Global Village,New
York:Bantam Books, 1966
3. Alvin Toffler, The Third Wave,New York:Bantam,1981
4.Luis Fiedlschuster, Die "telematische Gesellschaft",
in:REGionalentwicklUNG 2/91
5. Robert Kurz, Gibt es ein Leben nach der Marktwirtschaft ? -
Überlegungen zur Transformation des warenproduzierenden Systems, Teil1 
in: Neues Deutschland,Wochenendbeilage vom 11./12.6.1994

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Organisation: projekt oekonux.de


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