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Re: [ox] Re: [ox] Re: [ox] Die Finsternis der "Aufklaerung"



Hi Petra, Benni, alle!

Ich hoffe, das wird hier nicht gar zu lang...

5 days ago RAUNHAAR wrote:
In einer eMail vom 05.03.2002 21:10:41 (MEZ) Mitteleuropäische Zeit schreibt
benni obda.de:
<< Dennoch möchte ich doch die Aufklärung nicht gänzlich verdammen. Sie
 hat nämlich den Individualisierungsprozess, der mit der Neuzeit begann
 vollendet, bis hin zu Menschenrechten, Demokratie et al. Das alles ist
 nicht genug und es ist auch zum Teil kontraproduktiv, aber es ist und
 bleibt trotz allen Wahnsinns doch die Basis ohne die wir heute sowas
 wie "Selbstentfaltung" oder "Emanzipation" nicht mal denken könnten.

Ganz exakt. Ich würde sogar behaupten, daß der Begriff der
Emanzipation so wie er heute gedacht wird, ohne Aufklärung gar nicht
denkbar wäre (im engen Sinne, d.h. die Denkmöglichkeit gibt es gar
nicht) - genau wie der des Individuums übrigens. So gesehen kann ich
nicht erkennen, was eine nicht-aufgeklärte Emanzipation überhaupt sein
könnte.

Leut, ihr tut immer so, als ob es hinter so etwas wie Aufklärung noch
etwas gäbe, was überhistorisch schon immer da gewesen bzw. immer
richtig wäre. Etwa eine "richtige" Emanzipation. Das ist doch Unfug.
Menschen und das, was sie gerade für richtig halten, ist *immer* nur
historisch-kulturell bezogen zu betrachten. Und es macht nur wenig
Sinn, sich hinzustellen und das eine oder andere historische Phänomen
einer anderen Epoche von heute aus zu bewerten. Das ganze zum
Verständnis notwendige zugehörige Kategoriensystem ist schließlich
längst über Bord.

 Kurz und die Krisis schiessen in diesem Punkt immer deutlich übers
 Ziel hinaus IMHO.

BTW: Ich habe mich schon seit längerem nicht mehr mit Kurz / Krisis
befaßt, bin da also nicht wirklich auf dem Laufenden.



Also sprach Adorno! Kann schon sein, daß "Selbstentfaltung" i.S. von der
"einen Essenz", die als strukturierendes Prinzip sich dann wieder nur in
vielerlei "Erscheinungsformen" manifestieren wird ohne diese
universal-abstrakte (vulgo: philosophische) Denke nicht möglich ist. Insofern
soll ja nach Eurem Entwurf nur eine Totalität (durch den Wert strukturiert)
durch eine andere (durch "Selbstenfaltung" strukturiert) ersetzt werden.

Nun, ich sehe den hier verwendeten / geprägten Begriff der
Selbstentfaltung eben nur als eine (positive) Bestimmung von
Emanzipation. Damit ist dann die Emanzipation die Totalität, die mit
der Selbstentfaltung über Bord geht wenn du Selbstentfaltung nicht
magst. Wolltest du da hin?

"Emanzipation" ist aber m.E. nur durch das Überwinden dieser Denk- und
Handlungsform (samt Subjektform), eben einer sie strukturierenden "Essenz"
möglich.

Nun, ich kann bei der erheblichen Bandbreite des Inhalts von
Selbstentfaltung nicht wirklich erkennen, was da noch an Essenz übrig
bleiben soll außer einem "Tue, was für dich gut ist!". Wie könnte
Emanzipation besser auf den Punkt gebracht werden?

Daß eine Gesellschaft eine Essenz haben muß/soll versteht sich ja
nicht aus sich selbst. Vorstellbar wäre auch eine Gesellschaft in der es
keinen Unterschied gibt zwischen dem was ist und wie dies in "Erscheinung"
tritt. Dann gäbe es auch keine abstrakte Herrschaft samt entsprechender
Regulationsmechanismen (z.B. sogenannte "Demokratie"). Solange frau/man aber
mit den Denkformen im ewig nämlichen verbleibt und diese dann ausgerechnet
noch als Fortschritt abfeiert, kann es dann leicht passieren, daß man R. Kurz
"nur noch im Rückspiegel zu sehen" vermeint (bezieht sich auf eine Mail von
Stefan Mn. vom gestrigen Tage, der sich ihm ja bereits Meilen voraus wähnt)

Nun, von Meilen hast du geschrieben. Das Originalzitat:

Kurz hat schon in die richtige Richtung gedacht, allerdings konnte er
immer nur die Antithese zum Arbeiterbewegungsmarxismus denken, während
wir hier doch m.E. schon ein Stück darüber hinaus sind.

Dazu werde ich aber (hoffentlich) in den nächsten Tagen noch etwas in
dem bezogenen Thread schreiben. Wobei sich das Obige auch auf den Kurz
von damals bezogen hat. Ansonsten wie gesagt: Lange nicht mehr
wirklich befaßt.

und gar nicht merkt, daß man nur in die verkehrte/entgegengesetzte Richtung
fährt.

Das sollten wir vielleicht dann klären, wenn ich es nochmal
zusammengefaßt habe, anstatt hier irgendwelche Strohmänner aufzubauen,
auf die es sich dann so herrlich eindrischt.

Es geht mir um die Aufhebung der
Totalität, was bedeutet, daß es eine Universalität geben kann in welcher
Mensch- und situtationsbezogen qualitativ unterschiedliche Vermittlungsformen
existieren von denen die Gesellschaftsmitglieder (und auch die ohne
entsprechendes anatomisches Merkmal) auch wissen, daß sie menschengemacht
sind.

Und das läßt sich nicht als Selbstentfaltung im hier diskutierten
Sinne fassen? Wieso nicht?

<<Zeig mir eine nicht herrschaftskompatible Philosophie aus
Vor-Aufklärungszeiten. Und selbst danach sind die meisten sehr
fragwürdig in diesem Punkt inklusive Marx und Folgende.>>

Wir können nur das finden, wonach wir suchen. Philosphie und ihre Sprache ist
historisch an abstrakt-universelle Denkformen gekoppelt bzw. durch diese
hervorgebracht, wobei letzteres wiederum auf gesellschaftlichem Handeln
basiert. Wie Roswitha Scholz ganz richtig an- und ausführt, gibt es für
hiervon nicht erfaßbare Bereiche (Empathie, Sinnlichkeit, Zärtlichkeit, Wut,
Haß, Sorge, Fürsorge, alltägliche "Konsumption" etc. etc.) keine
"Philosophiesprache", also keine abstrakten Formbestimmungen.

Ähm - was verstehe ich falsch, wenn ich glaube, daß die von dir
genannten Begriffe doch bereits eine abstrakte Formbestimmung
konstituieren?

Als dies ist ja
gerade formlos, amorph, irgendwie (igitt, igitt) "natürlich" und muß
"gebändigt und geformt werden".

Na, da hast du aber einen komischen Begriff von Natürlichkeit...

Ich habe mit all den genannten Kategorien jedenfalls kein Problem. Wie
andernmails gesagt: So eindimensional bin ich ja nun nicht.

4 days ago Benni Baermann wrote:
On Tue, Mar 05, 2002 at 05:20:50PM -0500, RAUNHAAR aol.com wrote:
Solange frau/man aber
mit den Denkformen im ewig nämlichen verbleibt und diese dann ausgerechnet
noch als Fortschritt abfeiert, kann es dann leicht passieren, daß man R. Kurz
"nur noch im Rückspiegel zu sehen" vermeint (bezieht sich auf eine Mail von
Stefan Mn. vom gestrigen Tage, der sich ihm ja bereits Meilen voraus wähnt)

Ja, das fand ich auch nicht doll. Aber zum Glück hat er ja uns, sonst
wär er schon völlig abgehoben ;-)

Andersherum wird (auch) ein Schuh daraus: Wenn ich euch nicht hätte,
hätte ich keinen Grund weiterzudenken ;-) .

Es geht mir um die Aufhebung der
Totalität, was bedeutet, daß es eine Universalität geben kann in welcher
Mensch- und situtationsbezogen qualitativ unterschiedliche Vermittlungsformen
existieren von denen die Gesellschaftsmitglieder (und auch die ohne
entsprechendes anatomisches Merkmal) auch wissen, daß sie menschengemacht
sind.

Ja, genau darum geht es. Dazu müssen sich aber die
"Gesellschaftsmitglieder" doch zu allererst ihrer Individualität
bewusst werden. Ich schreibe bewusst nicht "Subjekt", weil das
vielleicht nochmal was anderes ist. In vormodernen Zeiten war das
schlicht nicht möglich. Die Leute waren mehr oder weniger identisch
mit ihrer sozialen Rolle. Wie kann man situationsbezogen qualitativ
unterschiedliche Vermittlungsformen finden, wenn man sich nur als
Gruppenzugehöriger versteht?

Diesem Hype des Individuums würde ich nicht bruchlos folgen. Für heute
ist das sicher richtig, wie es aber in einer nachfolgenden
Gesellschaftsformation aussieht kann und will ich nicht sagen. Und
warum auch?

4 days ago RAUNHAAR wrote:
Ich verstehe
"Aufhebungstheorie" auch nicht so, daß ich irgendwelche Keimformen aufspüre,
die Erscheinungsformen dieser jetzigen Gesellschaft und mit dieser zunächst
kompatibel sind und daraus ein zukünftiges "so wird/könnte es sein"
entwickele.

Hmm...

Wenn schon Keimformen, dann wären das für mich gesellschaftliche
Handlungen, die sich an den Stellen entwickeln an denen das Kapitalverhältnis
dysfunktional ist, was nicht ausschließt sondern gerade einschließt, daß
frau/man sich die entfremdeten Potenzen wieder aneignet.

...und was ist Freie Software anders, als eine Stelle, an der das
Kapitalverhältnis offenkundig dysfunktional zu werden beginnt? Ich
meine, wie ist denn der relative Erfolg Freier Software anders zu
begreifen, als mit einer zunehmenden Dysfunktionalität des
Kapitalverhältnisses an seinen fortgeschrittensten Potenzen?

Und was tun die Leute anders, als sich die entfremdeten Potenzen
wieder anzueignen? Die ganze Selbstorganisation der Freien Software
ist doch z.B. ein solcher Aspekt.

Dummerweise ist es aber doch (in Grenzen) kompatibel. Eine Keimform
muß das aber sein, weil sie sonst in Outer Space stattfinden würde -
und davon hatten wir nun wirklich genug, die nichts gebracht haben.

Nach deiner apodiktischen Haltung kann es da aber nie was geben -
womit du zwar auf der sicheren Seite bist - aber leider nicht mehr
interessant als politische Kraft :-( .

Das was "dann" sein wird weiß ich nicht und will darüber genau nicht ein Bild
entwerfen, welches ausmalt wie es dann allen "automatisch" gut geht.

Da sind wir uns einig. Aber ein paar Ideen, die in die richtige
Richtung zeigen könnten, sind m.E. politisch schlicht relevanter als
das totale Bilderverbot...

Das
hatten wir doch wirklich bis zum Er- und Zerbrechen und erleben die Wirkungen
an uns selbst an jedem Tag.

...was wir im übrigen auch zum Er- und Zerbrechen hatten :-( .

4 days ago Benni Baermann wrote:
On Tue, Mar 05, 2002 at 07:38:13PM -0500, RAUNHAAR aol.com wrote:
Mitreden kann überhaupt jede/r, weil jede/r
diesem Zusammenhang unterworfen ist. Letztlich geht es aber bei Deiner Frage
um das "leidige" Bewußtsein und die hier auf dieser Liste auch immer wieder
genannte "Entlastungswirkung" des prozessierenden Prinzips. M.E. ist die
"Entlastung" aber nichts anderes als das "automatische Subjekt", also das
strukturiende Prinzip das alle "Puzzleteilchen" an ihren Platz zwingt. Den
Aufwand, den das vereinzelte Puzzleteil an Anpassung und Selbstzuschnitt
aufwenden muß, scheint mehr aber sehr erheblich und schmerzhaft gemessen an
der angeblichen Entlastung. Entlastend könnte ja vielmehr sein (ich verkürze
das jetzt, um nicht in allzu langatmige Ausführungen zu verfallen) wenn die
Lebenszusammenhänge wieder ihrer qualitativ eigenen "Logik" und Zeit folgen
könnten und die gesellschaftlichen Vereinbarungen hierüber nicht durch
eiserne, wiewohl unsichtbare, Hände, Flossen, Schwingen oder Tritte
praedeterminiert wären.

Puh, worauf du dich beziehst, da ging es aber um was ganz anderes -
was m.E. auch noch nicht zu Ende gedacht ist.

Auch hier volle Zustimmung. Wenn Selbstentfaltung sowas wäre, wäre es
unbrauchbar. Nur ist für mich Selbstentfaltung ja eben gerade das
_unmittelbare_ sich mit dem anderen Auseinandersetzen. Trotzdem
schliesst das ja nicht aus, dass das eine gesellschaftliche Dynamik
entwickelt, die über die direkte personale Kooperation hinausweist.
Und so eine Dynamik brauchen wir schon, denke ich.

So hatte ich diesen Thread auch eher verstanden. Noch ein Strohmann
:-( .

Das
ist aus meiner Sicht dann eine Form von Produktionsmaterialismus, der den
Materialismus der gesellschaftlichen Beziehungen außer Acht läßt und - unter
Mithilfe eines ontologischen Menschenbildes - zum Ergebnis kommt, daß sich
"dann" schon alles irgendwie ziemlich automatisch finden wird.

Bei Stefan Mn.s Mails hab ich genau diesen Eindruck auch oft. Aber
sonst eigentlich bei niemandem. Und auch bei ihm hab ich den Eindruck,
dass er das so nun auch wieder nicht unterschreiben würde, aber dazu
müssten wir ihn selber fragen. Stefan?

Weiter oben habe ich abgestritten, daß es (relevantes)
Überhistorisches gibt - also schon gar kein ontologisches
Menschenbild. Und eine Reduktion materialistischer Weltsicht auf
Produktion halte ich für eine ziemliche Vergewaltigung dessen, was ich
unter Materialismus bisher verstanden habe.

Zu dem `"dann" schon irgendwie alles ziemliche automatisch finden
wird': Wenn du unter Automatik einen notwendig blinden, also nicht
bewußt menschengemachten Prozeß verstehst, dann würde ich das
natürlich nicht sagen - was für ein reaktionärer Unsinn. Daß sich
manche Dinge ohne den machtvollen Eingriff zur Zufriedenheit aller
regeln könnten, das ja. Siehe Freie Software.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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