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Re: [ox] Reality-Check




Hi Stefan!

Stefan Merten schrieb:
Ähnliches gilt für die von dir wohl gemeinten Ziele des Feminismus.
Wenn du immer alles durch die Brille des Geschlechterproporzes
betrachtest, dann kann keine Gesellschaft was taugen, wo nicht alles
annähernd 50-50 verteilt ist. Nun stellt sich mir aber die Frage, was
das noch mit Freiwilligkeit und dann eben auch Selbstentfaltung zu tun
hat. Das ist doch im Reich der Freiheit nur noch eine absurde
Einschränkung. Und BTW würde ich denken, daß nach der Aufklärung unter
Freien Bedingungen sich in vielem eine annähernde Gleichverteilung
einstellen würde.

Irgendwie kommt mir dein Begriff dieser Brille komisch vor. Du scheinst
zu denken, dass sie sagt: "Von Natur aus gibt es viel mehr männliche als
weibliche SoftwareentwicklerInnen, und das führt zu einer
Ungleichverteilung der Macht; wir müssen dem abhelfen, indem wir
fordern, weibliche SoftwareentwicklerInnen bevorzugt einzustellen." Eine
solche Argumentation würde in einer GPL-Gesellschaft natürlich keinen
Sinn mehr machen. Sie ist aber auch in unserer Gesellschaft Quatsch und
ist hier auch nicht vertreten worden.

Was die "Brille des Geschlechterproporzes" sagt, ist: "Von Natur aus
müsste es im Großen und Ganzen ungefähr gleich viele weibliche und
männliche SoftwareentwicklerInnen geben. Wenn es deutlich mehr männliche
als weibliche SoftwareentwicklerInnen gibt, dann ist gesellschaftlich
etwas faul." (So ungefähr.) Wenn wir jetzt in der
proprietär/kommerziellen Softwareentwicklung 20-80, in der freien
Entwicklung 02-98 haben, dann sagt die "Brille des
Geschlechterproporzes": Bei letzterer ist etwas noch viel fauler als bei ersterer.

Die Brille sagt also, in einer nicht-faulen Gesellschaft wird das
Verhältnis so ungefähr 50/50 sein (40/60 ist sicherlich auch mal o.k.).
Sie ist also völlig mit deinem Schlusssatz einer Meinung: sie würde auch
denken, dass sich "unter Freien Bedingungen in vielem eine annähernde
Gleichverteilung einstellen würde." Die Brille macht sogar den
Umkehrschluss und sagt: Wenn keine annähernde Gleichverteilung herrscht,
sind die Bedingungen nicht wirklich frei, egal, wie es aus anderen
Blickwinkeln aussehen mag.

Die Erkenntniss, die wir durch das Aufsetzen dieser Brille gewinnen
können, ist, dass unsere Keimform in einer Hinsicht nicht die Tendenz zu
einer freien Gesellschaft, sondern zu einer noch unfreieren Gesellschaft
als der gegenwärtigen in sich trägt. Wenn sich in einer GPL-Gesellschaft
der Frauenanteil z.B. im IT-Bereich von 1/5 auf 1/50 verringern sollte,
wenn sich der Trend gar in anderen Bereichen fortsetzen und die
Geschlechterstereotypen sozusagen "um Faktor 10 verstärken" würde, dann
wäre in dieser Gesellschaft zu leben für mich eine absolute Horrorvorstellung.

Das ist IMHO das Problem, um das es hier geht. Das heißt natürlich
nicht, dass die Geschlechterproporz-Brille die einzige ist oder dass die
Eigenschaften der Keimform sich notwendigerweise in einer
GPL-Gesellschaft forsetzen müssten. Das heißt aber meiner Meinung nach,
dass wir uns darüber ernsthaft Gedanken machen sollten: warum ist das
bei FS so, was könnte sich bei FS daran ändern, und was macht uns
Glauben, dass sich der Trend in einer GPL-Gesellschaft nicht fortsetzt?
Die Abwehrhaltung, die ich bei dir doch wahrnehme ("Mal als offene
Frage: Warum hältst du diese Entwicklung eigentlich *konkret* für ein
Problem?") finde ich da überhaupt nicht hilfreich. :-(

N.B.: Warum mich das ganze besonders aufwühlt, ist: Bei der freien
Software mit generell freieren Bedingungen müsste der
Geschlechterproporz 'naiv gesehen' doch eigentlich besser sein als bei
der proprietären Software. Auch wenn ich das nie so naiv gesehen habe,
finde ich es VERDAMMT erschreckend, dass das Verhältniss *um den Faktor
10* schlimmer ist. 

- Benja
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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